RG, 16.06.1917 - I 35/17

Daten
Fall: 
Wegnahme von Kriegsschiffen
Fundstellen: 
RGZ 90, 324
Gericht: 
Reichsgericht
Datum: 
16.06.1917
Aktenzeichen: 
I 35/17
Entscheidungstyp: 
Urteil
Instanzen: 
  • LG Mannheim
  • OLG Karlsruhe

Seeversicherung. Der Anführung in der Police, daß der Versicherer für Wegnahme durch Kriegsschiffe hafte, kommt unter Umständen nur die Bedeutung eines Beispiels zu. Umstände, unter denen die Annahme gerechtfertigt ist, daß die Parteien, entgegen der Regel des § 22 Allg. SVB. (§ 799 HGB.) nicht den Abladungswert, sondern den Marktwert zur Zeit der Versicherung zugrunde legen wollten.

Tatbestand

Die Klägerin, die eine Partie amerikanischen Weizens cif Rotterdam gekauft hatte, versicherte die Ware frei von Kriegsmolest bei einer amerikanischen Gesellschaft. Der Weizen wurde am 16. Juni 1914 zu Galveston auf den britischen Dampfer Oceano verladen und von der Klägerin gegen Dokumente am 4. Juli 1914 mit 33.985 M bezahlt. Die Klägerin hatte laut Generalpolice vom 1. Mai 1901 bei der Beklagten eine Mehrwertversicherung auf ihre sämtlichen Getreidebezüge aus Cif-Käufen genommen und war danach verpflichtet, jedesmal eine Mark auf 100 kg nachzuversichern; außerdem war sie im Falle von Preissteigerungen berechtigt, nach Maßgabe des jeweils am Tage der Anmeldung in Mannheim notierten Marktpreises auch Mehrwertnachversicherungen über eine Mark hinaus zu deklarieren. Auch hier war die Versicherung frei von Kriegsmolest. Die Klägerin hat darauf laut Anmeldung vom 2. Juli 1914 die obige Partie Weizen mit 2.200 M, rund 1 M für 100 kg, bei der Beklagten nachversichert. Am 30. Juli l914 kamen die Partein überein, daß die Beklagte den Weizen für den Betrag von 43.500 M auch gegen Kriegsgefahr versichern solle. In der Police vom gleichen Tage heißt es:

"Gegenwärtige Versicherung deckt nur die direkte Kriegsgefahr und zwar: die Wegnahme, Beschädigung und Zerstörung der versicherten Ware durch Kriegsschiffe, Korsaren, Torpedos und Seeminen. Infolgedessen haftet der Versicherer nicht für die Kosten, die durch freiwilligen oder gezwungenen Aufenthalt der Ware infolge Kriegsgefahr, durch Zurückhaltung von Schiff oder Ladung, durch Blockierung des Aufenthaltshafens oder durch Zurückweisung von einem blockierten Hafen entstehen sollten, und ebensowenig für Spesen, die durch die Entlöschung, Einlagerung oder Rücksendung des Gutes wegen Kriegsgefahr entstehen können; ferner haftet der Versicherer nicht für die Auferlegung von Zollgebühren, für Frachten, für mit Kriegsgefahr etwa verbundene Spesenbeiträge irgendwelcher Art, noch für Verderb und Minderung des Gutes, noch für irgendwelchen sonstigen Schaden, den dasselbe durch infolge Kriegsgefahr vorgenommene Ausladung oder Einladung etwa erleiden könnte."

Im übrigen sollten die Hamburger Allg. SVB. von 1867 gelten.

Der Dampfer Oceano kam am Bestimmungsorte Rotterdam nicht an. Die Klägerin zeigte der Beklagten mit Schreiben vom 6. August 1914 den mutmaßlichen Verlust der Ware an und erklärte mit Schreiben vom 5. Juli 1915 den Abandon. Sie beantragte Verurteilung der Beklagten zur Zahlung von 43.500 M nebst Zinsen und führte aus: Das Schiff sei während der Fahrt im Kanal in Plymouth angehalten und durch die britische Admiralität zur Löschung nach Barry oder Cardiff beordert worden; dort sei der Weizen durch Zollbeamte weggenommen und sodann durch das Prisengericht kondemniert worden.

Die Beklagte bestritt, daß der Versicherungsfall vorliege, da eine Wegnahme durch Kriegsschiffe nicht stattgefunden habe und die Kondemnation nicht erwiesen sei. Keinesfalls könne die Klägerin mehr als den Fakturawert verlangen, weil die allgemeine Konjunkturversicherung der laufenden Police mit der in Rede stehenden Kriegsversicherung nichts zu tun habe und in letzterer der imaginäre Gewinn nicht mitversichert sei (vgl. §§ 22 und 24 der Allg. SVB.)

Das Landgericht verurteilte die Beklagte nach der Klage. Ihre Berufung und Revision wurden zurückgewiesen, die Revision aus folgenden Gründen:

Gründe

"Die Revision konnte keinen Erfolg haben, obwohl die Begründung des angefochtenen Urteils nicht ganz einwandfrei ist.

I.

Dem Oberlandesgericht ist in der Auslegung der Kriegsklausel im wesentlichen beizustimmen. Die ausführliche Aufzählung einer großen Anzahl von Vorfällen, für welche die Beklagte, auch wenn sie auf Kriegsgefahr beruhten, die Haftung ablehnte, hatte keinen Sinn, wenn die Worte "Wegnahme, Beschädigung und Zerstörung usw." nicht beispielsweise gemeint waren. Jene Vorfälle können zusammengefaßt werden unter den Begriff der Anhaltung und deren Folgen und bilden kriegsversicherungsrechtlich den Gegensatz zu der Eigentumsentziehung und zu den Maßnahmen, die zum Zwecke und zur Vorbereitung dieser getroffen werden, also hauptsächlich zur prisengerichtlichen Kondemnation und zur Aufbringung. Da der Hauptfall der Kondemnation überhaupt nicht erwähnt ist, obwohl gar nicht zu verstehen wäre, aus welchem Grunde er von der Versicherung ausgenommen sein sollte, so ergibt sich schon hieraus, daß die Versicherung "gegen die direkte Kriegsgefahr" sich nicht beschränkte auf die mit "und zwar" angeführten Fälle. Die besondere Anführung der Wegnahme durch Kriegsschiffe bezweckte klarzustellen, daß schon die bloße Ausbringung, als eine nach den Allg. Seeversicherungsbedingungen zum Abandon berechtigende Maßnahme, unter die Versicherung fallen sollte. Die Erwähnung von Beschädigung und Zerstörung in Verbindung mit den Worten "durch Kriegsschiffe, Korsaren, Torpedos und Seeminen" erklärt sich daraus, daß man bei Korsaren, Torpedos und Seeminen unter Umständen zweifeln konnte, ob der Schade auf direkter Kriegsgefahr beruhte. Als Sinn der ganzen Klausel muß es angesehen werden, daß einerseits Eigentumsentziehung und darauf abzielende Maßnahmen, z. B. Wegnahme durch Kriegsschiffe sowie Zerstörung und Beschädigung, die unmittelbar durch Kriegsmaßnahmen verursacht wurden, unter die Versicherung fallen sollten, während der Versicherer für bloße Anhaltung und was dem gleichstand sowie deren Folgen nicht haften wollte. Hiernach ist es zwar nicht zu billigen, wenn das Oberlandesgericht die Haftung der Beklagten schon aus dem Umstände folgert, daß das Schiff, einem Zwange folgend, statt nach Rotterdam nach Plymouth fuhr, denn hierin kann weder eine Beschlagnahme (Wegnahme) überhaupt noch eine solche zum Zwecke der Konfiskation erblickt werden. Indessen steht fest, daß die Ware schon im August 1914 in Cardiff von den dortigen Zollbeamten, wie sich aus der von der Beklagten ihrem Inhalte nach nicht bestrittenen Ladung in der Shipping and Mercantile Gazette vom 31. August 1914 ergibt, zum Zwecke der prisenrechtlichen Kondemnation beschlagnahmt war... Damit war der Abandon gerechtfertigt, dessen formale Voraussetzungen unbestritten vorliegen. Der gegenwärtige Fall liegt anders wie der von der Revision angezogene, durch Urteil vom 31. Januar 1917 entschiedene (RGZ. Bd. 89 S. 68). wo die Kriegsversicherung beschränkt war auf die Zeit, wo sich die Ware auf dem Schiffe befand; ebenso lagen dem gleichfalls angezogenen durch Urteil vom 5. März 1917 entschiedenen Falle I. 9/17 (HansGZ. Nr. 68) wesentlich andere Bedingungen zugrunde.

II.

Auch in bezug auf den Umfang der Haftung der Beklagten ist dem Oberlandesgerichte beizutreten. Um Versicherung von imaginärem Gewinn, wie das Oberlandesgericht unterstellt, handelt es sich allerdings nicht, sondern um eine Güterversicherung; es kommt daher nur § 22 Allg. SVB. (§ 799 HGB.) in Betracht (vgl. RGZ. Bd. 77 S. 304). Diese Bestimmung enthält eine Auslegungsregel, die auf den gewöhnlichen Fall berechnet ist, daß die Versicherung zur Zeit der Abladung oder vorher geschlossen wird. In erster Linie bezieht sie sich auf Fracht und Kosten nach der Abladung, welche deshalb eine besondere Behandlung erfordern, weil sie regelmäßig bei Verlust der Güter erspart werden (Prot. S. 3028,3038). Sodann wird der Fall berücksichtigt, daß zwischen Versicherung und Abladung, also vor Beginn der Gefahr, eine Wertverminderung aus irgendwelcher Ursache eintritt, denn für diesen Fall würde der Versicherte einen ungerechtfertigten Gewinn erzielen, wenn ihm bei Verlust mehr als der Abladungswert vergütet würde, da er für vorher sich ereignende Unfälle nicht versichert war (vgl. Prot. S. 3031 flg.). Dann ist es auch durchaus gerechtfertigt, daß auf eine etwaige Taxe, die auf dem höheren Werte vor der Abladung beruhte, keine Rücksicht genommen wird. Anders liegt aber die Sache hier, wo die Versicherung erst etwa 6 Wochen nach der Abladung genommen war, nachdem inzwischen, wie den Beteiligten bekannt war, wegen der drohenden Kriegsgefahr eine erhebliche Wertsteigerung stattgefunden hatte. Das Oberlandesgericht war hier durchaus berechtigt, aus dieser Tatsache in Verbindung mit dem Umstande, daß die Versicherung unter Bezugnahme auf eine bereits genommene und angemeldete Mehrwertversicherung eingegangen wurde und daß die Taxe des angegebenen Quantums dem damaligen Marktwert entsprach, zu folgern, daß die Parteien entgegen der Regel des § 22 Allg. SVB. diesen Marktwert, d. h. den Abladungswert zuzüglich des inzwischen entstandenen Mehrwertes, zugrunde legen wollten. Ein Rechtsirrtum kann dieser Beurteilung jedenfalls nicht vorgeworfen werden."