RG, 14.04.1917 - V 377/16
1. Ist die vom ersten Richter dem beklagten Hypothekenschuldner bewilligte und demnächst auf die Berufung des Beklagten verlängerte Zahlungsfrist nunmehr von der Verkündung des erstinstanzlichen oder der des Berufungsurteils ab zu rechnen?
2. Anwendbarkeit der Verordnung vom 8. Juni 1916 auf Höchstbetragshypotheken. Ist dabei hinsichtlich des Höchstmaßes der zulässigen Zahlungsfrist zwischen Kapitalschuld und Zinsschuld zu unterscheiden?
Tatbestand
Auf dem Grundbesitze der Beklagten sind für die Klägerin wegen aller ihrer Forderungen aus dem Geschäftsverkehr mit der Beklagten Sicherungshypotheken bis zum Höchstbetrage von 550.000 M eingetragen. Die Klägerin hat das Kreditverhältnis, das vierteljährlich kündbar war, am 28. September 1915 für den 31. Dezember 1915 gekündigt. Mit der dinglichen Klage beantragte sie, die Beklagte zu verurteilen, 438.007,10 M bei Vermeidung der Zwangsverwaltung ihres Grundbesitzes zu zahlen. Die Beklagte beantragte unter Geltendmachung fachlicher Einwendungen Abweisung der Klage und im Falle der Verurteilung Bewilligung einer Zahlungsfrist von 8 Monaten. Der erste Richter erkannte durch Urteil vom 18. Mai 1916 unter Verwerfung der Einwendungen nach dem Klagantrage, räumte aber der Beklagten eine Zahlungsfrist von 6 Monaten ein. Hiergegen legte die Beklagte Berufung ein, mit dem Antrag, ihr statt einer Zahlungsfrist von 6 Monaten eine solche von einem Jahre zu bestimmen. Der Berufungsrichter änderte durch Urteil vom 8. November 1916 das erstinstanzliche Urteil daher ab, daß er der Beklagten eine Mahnungsfrist bis zum 18. Mai 1917 gewährte. Beide Parteien legten Revision ein. Die Revision der Beklagten hatte keinen Erfolg. Auf die Revision der Klägerin wurde das Berufungsurteil in Höhe von 50.809,58 M aufgehoben und insoweit die Sache an das Berufungsgericht zurückverwiesen. Im übrigen wurde auch die Revision der Klägerin zurückgewiesen.
Gründe
... "Der erste Richter hatte auf Grund der zur Zeit der Erlassung seines Urteils geltenden Verordnung, betreffend die Bewilligung von Zahlungsfristen bei Hypotheken und Grundschulden, vom 20. Mai 1915 die nach § 1 BO. für die Kapitalschuld aus einer Hypothek höchst zulässige Zahlungsfrist von 6 Monaten der Beklagten eingeräumt. Mit der Berufung hiergegen hatte die Beklagte begehrt, ihr statt einer Zahlungsfrist von 6 Monaten eine solche von einem Jahre zu bestimmen. Der Berufungsrichter hat auf Grund der inzwischen in Kraft getretenen Verordnung über die Geltendmachung von Hypotheken, Grundschulden und Rentenschulden vom 8. Juni 1916 durch sein am 8. November 1916 verkündetes Urteil der Beklagten eine Zahlungsfrist bis zum 18. Mai 1917 bewilligt. Danach hat der Berufungsrichter, da das erstinstanzliche Urteil am 13. Mai 1916 verkündet worden ist, die für angemessen erachtete, nach § 2 Abs. 1 Satz 1 der zuletzt genannten Verordnung bei Rechtsstreitigkeiten über Ansprüche auf das Kapital einer Hypothek höchst zulässige Frist von einem Jahre vom Tage der Verkündung des erstinstanzlichen Urteils ab gerechnet. Die Revision der Beklagten will mit dem Antrage, die bewilligte Zahlungsfrist bis zum 8. November 1917 zu erstrecken, die höchst zulässige Frist von einem Jahre vom Tage der Verkündung des Berufungsurteils ab gerechnet wissen. Sie meint, das höhere Gericht habe die für die Fristbewilligung in Betracht kommenden Verhältnisse, wie sie bei der vor ihm stattfindenden Schlußverhandlung lägen, maßgebend zu beurteilen und könne deshalb nicht an eine von der Verkündung des erstinstanzlichen Urteils laufende Frist gebunden sein. Dieser Meinung kann nicht beigetreten werden.
Nach § 2 Abs. 2 VO. beginnt die Zahlungsfrist, wenn sie vom Prozeßgerichte (§ 1 Abs. 1) bewilligt wird, mit der "Verkündung des Urteils". Unter diesem Urteile mag allerdings, wenn der Beklagte zum erstenmal in der Berufungsinstanz die Bestimmung einer Zahlungsfrist beantragt und der Berufungsrichter in seinem Urteile dem Antrage stattgibt, das Berufungsurteil zu verstehen sein mit Rücksicht darauf, daß erst durch dieses vom Berufungsrichter erlassene Urteil eine Frist bewilligt wird und auch das in einer höheren Instanz entscheidende Gericht als Prozeßgericht im Sinne des § 1 Abs. 1 zu erachten ist. Wem aber bereits der erste Richter auf den schon vor ihm vom Beklagten gestellten Antrag eine Zahlungsfrist in seinem Urteile bestimmt, der Beklagte mit der Berufung gegen dieses Urteil die Verlängerung der Frist begehrt hat und vom Berufungsgerichte die Frist verlängert wird, so muß die verlängerte Frist als bereits mit der Verkündung des erstinstanzlichen Urteils begonnen gelten. Denn in einem solchen Falle hat das Berufungsgericht über die Zahlungsfrist innerhalb der durch den Berufungsantrag gezogenen Schranke so zu entscheiden, wie wenn der Antrag auf Fristgewährung vor ihm als Prozeßgericht erster Instanz gestellt worden wäre (vgl. §§ 525, 536, 537 ZPO.) und es tritt seine Entscheidung, soweit sie die Frist verlängert, an die Stelle der des erstinstanzlichen Urteils. Im vorliegenden Falle hatte der erste Richter sogar die für Hypotheken-Kapitalschulden nach § 1 VO. vom 20. Mai 1915 höchst zulässige Zahlungsfrist von 6 Monaten der Beklagten bereits bewilligt. Eine weitere Erstreckung der Frist durch Einlegung der Berufung zu verfolgen, war für die Beklagte eine Möglichkeit nur dadurch geboten worden, daß durch § 2 Abs. 1 Satz 1 der inzwischen in Kraft getretenen Verordnung vom 8. Juni 1916 das Höchstmaß der zulässigen Frist von 6 Monaten auf ein Jahr erweitert worden war. Wurde auf die Berufung der Beklagten diese erweiterte Frist bis zum Höchstmaße vom Berufungsrichter bewilligt, so war für sie, ebenso wie nach § 1 VO. vom 20. Mai 1915 in Verbindung mit § 1 Abs. 1 Satz 1 VO. über die gerichtliche Bewilligung von Zahlungsfristen vom 7. August 1914 für die vom ersten Richter bewilligte kürzere Frist, gemäß § 2 Abs. 2 VO. vom 8. Juni 1916 die Verkündung des erstinstanzlichen Urteils, dessen Entscheidung über die Zahlungsfrist durch die des Berufungsurteils nur ersetzt wurde, der Zeitpunkt des Beginns. Eine einjährige Frist mit der Bestimmung zu bewilligen, daß sie erst mit der Verkündung des Berufungsurteils beginnen solle, war der Berufungsrichter gar nicht befugt. Danach ist die Revision der Beklagten unbegründet.
Die Revision der Klägerin stellt zunächst zur Nachprüfung, ob Höchstbetragshypotheken unter die Verordnung vom 8. Juni 1916 fallen. Mit Recht aber hat der Berufungsrichter dies bejaht. Die Verordnung läßt im § 1 allgemein in bürgerlichen Rechtsstreitigkeiten über "Ansprüche aus einer Hypothek" die Bewilligung einer Zahlungsfrist unter den dort bestimmten Voraussetzungen zu und enthält keine Beschränkung auf eine der mehreren Hypothekenarten oder eine ihre Anwendbarkeit auf die eine oder dir andere Hypothekenart ausschließende Bestimmung. Es wäre auch nicht ersichtlich, weshalb hinsichtlich der Zulassung der Gewährung einer Zahlungsfrist ein Unterschied zwischen der Verkehrshypothek (§ 1113), der Sicherungshypothek (§ 1184) und der Höchstbetragshypothek (§ 1190 BGB.) gemacht werden sollte. Alle diese Hypotheken sind Grundstücksbelastungen in der Weise, daß eine Geldsumme zur Befriedigung wegen einer dem Berechtigten zustehenden Forderung aus dem Grundstücke zu zahlen ist, und hinsichtlich der Forderung, von deren Bestehen die Geltendmachung des Rechtes des Gläubigers aus den Hypotheken abhängig ist, besteht nur der Unterschied, daß für die Verkehrshypothek nach § 1138 BGB. der öffentliche Glaube des Grundbuchs auch in Ansehung der Forderung gilt, während bei der Sicherungshypothek der Gläubiger sich zum Beweise der Forderung nicht auf die Eintragung berufen kann und bei der Höchstbetragssicherungshypothek weiter nur der Höchstbetrag, bis zu dem das Grundstück haften soll, bestimmt, im übrigen die Feststellung der Forderung vorbehalten ist. Der dingliche Anspruch aus jeder der Hypothekenarten ist sonach auf Befriedigung wegen einer bestehenden Forderung aus dem Grundstücke gerichtet, die nach § 1147 BGB. im Wege der Zwangsvollstreckung erfolgt, und daher trifft auch der Zweck der Verordnung, dem Grundbesitz in dem bestimmten Maße Schutz gegen Zwangsvollstreckungen zu gewähren, auf jede der Hypothekenarten in gleicher Weise zu. ...
Weiter wendet die Revision der Klägerin sich dagegen, daß der Berufungsrichter die einjährige Zahlungsfrist für die ganzen durch die Sicherungshypotheken zum Höchstbetrage von 550.000 M gesicherten 438.007,10 M bewilligt hat. Nach § 2 Abs. 1 Satz 1 VO. vom 8. Juni 1916 kann die Zahlungsfrist für Zinsen und andere Nebenleistungen nur bis zu 6 Monaten bemessen werden. Die Revision macht geltend, es müsse danach, wenn man auch die Verordnung auf die Höchstbetragshypothek für anwendbar erachtete, doch jedenfalls auch bei ihr zwischen Kapital und Zinsen geschieden werden; andernfalls würde der Gläubiger bei der Höchstbetragshypothek schlechter gestellt sein, als bei der gewöhnlichen Hypothek. Zum mindesten müßten diejenigen Zinsen als solche anerkannt und behandelt werden, welche seit dem Ablaufe des letzten Vierteljahrs aufgelaufen seien, in dem die letzte Kreditgewährung erfolgt sei, hier also die Zinsen seit 1. Januar 1915. Seit diesem Zeitpunkte handle es sich wirtschaftlich wie rechtlich um reine Zinsen, wenn sie auch infolge der vierteljährlichen Saldofeststellung buchmäßig zum Kapital geschlagen worden seien.
Der Berufungsrichter erklärt, bei der Höchstbetragshypothek seien die Zinsen zum Kapital der Hypothek zu rechnen. Im § 1190 Abs. 2 BGB. werde für die Höchstbetragshypothek die Anrechnung der Zinsen in den Höchstbetrag ausdrücklich ausgesprochen. Der Höchstbetrag begreift die Forderung samt Nebenleistungen in sich, diese würden in Ansehung der dinglichen Haftung zur Kapitalforderung gerechnet. Das Gesetz erkenne ein Kapital an, das sich durch Zinsenzuwachs vergrößern, durch Abzahlungen abnehmen, durch neue Kreditgewährung und Zinsen wieder wachsen könne usw. An dieser Grundauffassung sei auch bei einer dinglichen Klage im Rahmen der Verordnung vom 8. Juni 1916 festzuhalten. Der Gläubiger einer Höchstbetragshypothek müsse sich auch in Ansehung der Fristbewilligung die Zurechnung der Zinsen zur Kapitalforderung gefallen lassen.
Diesel Ansicht ist nicht beizutreten. Der eingetragene Höchstbetrag, bis zu dem das Grundstück haften soll, hat für den dinglichen Anspruch aus der Höchstbetragshypothek nur insofern Bedeutung, als durch ihn der Höchstumfang bestimmt wird, bis zu dem der Anspruch gegeben sein kann. Inwieweit innerhalb dieses möglichen Höchstumfanges tatsächlich ein Anspruch aus der Hypothek besteht, bestimmt sich nach der Höhe der Forderung, die durch die Hypothek gesichert wird. Nach § 1115 Abs. 1 BGB. müssen bei der Eintragung der Hypothek der Geldbetrag der Forderung und, wenn die Forderung verzinslich ist, der Zinssatz im Grundbuch angegeben werden, damit aus dem Grundbuche selbst der Umfang der Haftung des Grundstücks für Forderung und Zinsen ersichtlich ist. Der Geldbetrag der Forderung bildet das Kapital der Hypothek, die Zinsen der Forderung sind zugleich Zinsen der Hypothek. Auf die Höchstbetragshypothek findet die Vorschrift keine Anwendung, weil es nach § 1190 Abs. 1 BGB. zu ihrem Wesen gehört, daß nur der Höchstbetrag, bis zu dem das Grundstück haften soll, bestimmt, im übrigen die Feststellung der Forderung vorbehalten wird. Aber auch bei der Höchstbetragshypothek wird, wie sich aus § 1190 Abs. 2 ergibt, zwischen der Forderung und den Zinsen von der Forderung unterschieden. Die Forderung, die demnächst als bestehend und unter die Sicherung durch die Hypothek fallend festgestellt wird, bildet auch hier das Kapital der zu Recht bestehenden Hypothek, gleichviel ob der Betrag der Forderung den Haftungshöchstbetrag erreicht oder unter diesem bleibt, und, wenn die Forderung verzinslich ist, sind auch hier die Zinsen zugleich Zinsen der Hypothek. Dadurch, daß nach § 1190 Abs. 2 BGB. die Zinsen der Forderung in den Höchstbetrag einzurechnen sind, ist ihnen nicht vom Gesetz in Ansehung der Höchstbetragshypothek die Eigenschaft der Hauptforderung beigelegt, vielmehr sind sie trotz der Vorschrift Zinsen, Nebenleistungen, wie auch die Vorschrift selbst sie als Zinsen bezeichnet. In den Motiven zum I. Entw. (Bd. III S. 767) wird als Grund für die Vorschrift angegeben:
"Wollte man den Vorbehalt der Feststellung auf das Kapital der Forderung beschränken und daneben das Grundstück noch für Zinsen haften lassen, so würde die Haftung des Grundstücks für die Forderung bezüglich deren Höhe der Bestimmtheit ermangeln und folglich die Eintragung des Höchstbetrags ihren Zweck nur unvollkommen erreichen".
Demnach sind auch bei einer Höchstbetragshypothek Zinsen der festgestellten Forderung nicht ein Teil des Kapitals der Hypothek, sondern Zinsen der Hypothek. Deshalb kann in Rechtstreitigkeiten über Zinsansprüche aus einer Höchstbetragshypothek, die neben dem aus der Hauptforderung sich ergebenden Kapital der Hypothek geltend gemacht werden, nach § 2 Abs. 1 Satz 1 VO. vom 8. Juni 1916 die Zahlungsfrist nicht, wie für das Kapital, bis zu einem Jahre, sondern nur bis zu 6 Monaten bemessen werden.
Im vorliegenden Falle hat aber die Klägerin in der Berufungsinstanz behauptet, in dem Betrage, den ihr die Beklagte aus dem Kreditverhältnis schulde, seien 50.809,56 M an Zinsen enthalten, und sie hat gegenüber der Berufung der Beklagten, deren völlige Zurückweisung sie in erster Linie beantragte, in zweiter Linie ausgeführt, für diesen Betrag sei eine Fristbewilligung über 8 Monate keinesfalls zulässig. Der Berufungsrichter hätte daher in Erörterung ziehen müssen, inwieweit die Klagesumme Hauptforderungen und inwieweit sie Zinsansprüche der Klägerin umfaßte. Nur in Höhe der Hauptforderungen war die Bewilligung einer Zahlungsfrist von einem Jahre zulässig. Daß die Sonderung der Zinsen von den Forderungen Schwierigkeiten bereiten kann, vermag nicht, wie der Berufungsrichter meint, zu der Annahme zu führen, daß im Sinne der Verordnung vom 8. Juni 1916 bei der Höchstbetragshypothek die Zinsen zum Kapital der Hypothek zu rechnen sind. Wenn die Verordnung hinsichtlich des Höchstmaßes der zulässigen Frist zwischen Kapital der Hypothek und Zinsen der Hypothek allgemein unterscheidet, so muß angenommen werden, daß sie auch bei der Höchstbetragshypothek mit den Worten "Kapital der Hypothek" und "Zinsen" den aus dem Gesetze sich ergebenden Begriff verbindet. Der Berufungsrichter bemerkt zwar, die schuldumwandelnde Kraft der Saldoanerkennung habe die Zurechnung der Zinsen zum Kapital innerhalb kürzerer Fristen zur Folge. Aber nicht durch jede Saldoanerkennung werden die in dem Saldo enthaltenen Zinsen zu Kapitalforderungen umgewandelt. Daß ein Kontokurrentverhältnis im Sinne des § 355 HGB. zwischen den Parteien bestanden habe, daß insbesondere aus der Geschäftsverbindung beiderseitige Ansprüche entsprungen und die Ansprüche und Leistungen nebst Zinsen in regelmäßigen Zeitabschnitten durch Verrechnung und Feststellung des für den einen oder anderen Teil sich ergebenden Überschusses ausgeglichen worden seien (vgl. Jur. Wochenschr. 1902 S. 97 Nr. 34, 1903 Beil. S. 35, 1904 S. 151 Nr. 27), ist nicht dargelegt. Anscheinend hat nur die Klägerin über ihre Ansprüche aus Kreditgewährungen und über die Tilgungsleistungen der Beklagten fortlaufende Rechnungen aufgestellt." ...