RG, 23.03.1917 - III 463/16
In welchem Zeitpunkt entsteht gemäß § 198 BGB. der Rückgriffsanspruch einer Partei gegen ihren Rechtsanwalt, der darauf gestützt ist, daß dieser eine Forderung der Partei gegen einen Dritten hat verjähren lassen?
Tatbestand
Der Kläger, ein früherer Gerichtsvollzieher, der am 24. April 1907 von dem bei dem Tiefbauunternehmer B. angestellten Buchhalter E. mit dem Rade überfahren und auf den 1. Mai 1908 pensioniert worden ist, hat in einem Vorprozesse seine Schadensersatzansprüche aus dem Unfall gegen die beiden genannten Personen geltend gemacht, und zwar mit der Klage zunächst wegen seiner Auslagen und seines Erwerbsverlustes bis zur Pensionierung in Höhe von 2105,07 M, sodann nach Rechtskraft der ihm günstigen Entscheidung über den Grund des Anspruchs am 30. November 1910 unter Erweiterung des Klagantrags in Höhe des Schmerzensgeldes von 2000 M und des Einkommensausfalls seit seiner Pensionierung. Während ihm der ursprüngliche Klaganspruch zuerkannt wurde, ist der erweiterte Anspruch rechtskräftig wegen Verjährung abgewiesen worden.
Im gegenwärtigen Verfahren verlangte er vom Beklagten, der ihn im Vorprozeß als landgerichtlicher Prozeßbevollmächtigter vertreten hatte, Schadensersatz wegen verspäteter Einklagung der abgewiesenen Ansprüche. Das Landgericht wies die Klage wegen der auch hier erhobenen Verjährungseinrede ab. Das Berufungsgericht erachtete diese Einrede nicht für begründet und erklärte den Anspruch dem Grunde nach für gerechtfertigt. Auf die Revision des Beklagten wurde das Berufungsurteil aufgehoben und die Berufung des Klägers gegen das landgerichtliche Urteil zurückgewiesen aus folgenden Gründen:
Gründe
"Der gegen den Beklagten als den früheren Prozeßbevollmächtigten des Klägers erhobene Rückgriffsanspruch ist verjährt. Er ist darauf gestützt, daß der Beklagte in Verletzung seiner Anwaltspflichten die dem Kläger aus einem Unfall gegenüber Dritten erwachsenen Schadensansprüche nicht rechtzeitig im Vorprozeß eingeklagt und so die Verjährung dieser Ansprüche nicht verhindert habe. Gemäß § 32a RAO., der am 1. Juni 1910 in Kraft getreten ist, verjährt der Anspruch der Partei auf Schadensersatz aus dem zwischen ihr und dem Rechtsanwalt bestehenden Vertragsverhältnis in fünf Jahren. Auf diese Verjährungsvorschrift finden, wie der Senat bereits in der Entscheidung RGZ. Bd. 88 S. 223 ausgesprochen hat, die allgemeinen Vorschriften des Bürgerlichen Gesetzbuchs Anwendung. Nach § 198 das. beginnt die Verjährung mit der Entstehung des Anspruchs, ohne daß es auf eine Kenntnis des Gläubigers vom Bestehen des Anspruchs ankommt (Jur. Wochenschr. 1912 S. 70). Die Entstehung des nunmehr geltend gemachten Rückgriffsanspruchs fällt zusammen mit der Vollendung der Verjährung des klägerischen Unfallanspruchs, die nach der Feststellung Ende August 1910 erfolgte. Die fünfjährige Verjährungsfrist war also zur Zeit der Klagerhebung - anfangs November 1915 - bereits abgelaufen.
Abzulehnen ist die Auffassung des Berufungsgerichts, daß der Lauf der Verjährung des Rückgriffsanspruchs erst mit der Erhebung der Verjährungseinrede gegen den Unfallanspruch durch die Unfallschuldner - am 30. November 1910 - begonnen habe. Der Rückgriffsanspruch ist eine Schadensersatzforderung, die sich auf eine Pflichtverletzung des Anwalts und auf einen hierdurch entstandenen Schaden gründet. Mit dem Eintritt dieser Voraussetzungen, insbesondere mit dem Eintritt eines ursächlichen Schadens, ist der Rückgriffsanspruch entstanden. Der Eintritt eines Schadens ist dann zu bejahen, wenn die Vermögenslage des Geschädigten infolge des schädigenden Ereignisses im Vergleich mit dem früheren Vermögensstande eine schlechtere geworden ist. Mit der Vollendung der Verjährung ist eine sehr erhebliche Veränderung der rechtlichen und wirtschaftlichen Gestaltung des Anspruchs vor sich gegangen. Der Anspruch ist zwar nicht untergegangen, aber der Verpflichtete hat das Recht der Leistungsverweigerung erlangt (§ 222 BGB.). Wenn auch das zur Befriedigung des verjährten Anspruchs Geleistete nicht mehr zurückgefordert werden kann, so kann doch der Schuldner gegen seinen Willen zur Leistung nicht mehr gezwungen werden, und dem Gläubiger fehlt die Rechtsmacht zur gerichtlichen Durchsetzung seines Anspruchs. Der Umstand, daß im Prozesse die Verjährungstatsache nicht von Amts wegen zu beachten, vielmehr vom Schuldner einredeweise geltend zu machen ist, hindert keineswegs die Annahme, daß der aus der Vollendung der Verjährung für den Gläubiger sich ergebende Schade bereits mit dem Ablaufe der Verjährungsfrist eingetreten ist. In diesem Zeitpunkte wird der Anspruch, der bis dahin ein rechtlich mangelfreier war, mit einer zerstörlichen Einrede, also einem rechtlichen Mangel behaftet. Diese mit dem Verjährungseintritt verursachte erhebliche Veränderung in den rechtlichen und wirtschaftlichen Verhältnissen des Anspruchs schließt es in sich, daß mit der Vollendung der Verjährung bereits ein Schade entstanden ist und nicht erst, wie das Berufungsgericht annimmt, droht. Die nach der eigenen Darlegung des Berufungsgerichts fernliegende Möglichkeit, daß die Vorschützung der Verjährungseinrede unterlassen werde, rechtfertigt nicht die Verneinung des Schadenseintritts; eine solche Unterlassung würde nur die Folge haben, daß der eingetretene Schade nicht zu einem bleibenden würde, sondern späterhin wieder aufgehoben würde. Der Schadensersatzschuldner ist in solchen Fällen durch die Vorschrift des § 255 BGB., die ihm einen Anspruch auf Abtretung der Rechte des Ersatzberechtigten gegen Dritte gewährt, gedeckt.
Die dargelegte Auffassung des Schadensbegriffes steht im Einklange mit der bisherigen Rechtsprechung des Reichsgerichts. So ist z. B. in RGZ. Bd. 62 S. 321 der Schade eines Gläubigers schon deshalb bejaht worden, weil er an Stelle einer unbestrittenen Forderung eine bestrittene, erst im Prozeßwege durchzusetzende Forderung erlangt habe. RGZ. Bd. 7S S. 146 hat ausgeführt, daß der Gläubiger, der alsbaldige Schadenserstattung verlangen könne, sich nicht auf zukünftige, die Beschädigung möglicherweise wiederaufhebende Maßnahmen verweisen zu lassen brauche. Auch das Schrifttum steht auf demselben Standpunkte (vgl. insbes. Planck § 249 Anm. 2; Oertmann Vorbem. 2 von § 249; Fischer, "Der Schaden nach dem BGB." in Abhandl. für Privatr. und Zivilpr. 11 S. 6).
Ist aber, wie dargelegt, der Rückgriffsanspruch mit der Vollendung der Verjährung des Unfallanspruchs schon entstanden, so war auch der Kläger an dessen Geltendmachung nicht gehindert. Die Auffassung des Berufungsgerichts würde auch zu unhaltbaren Folgerungen führen. Der Beginn der Verjährung des Rückgriffsanspruchs wäre vollständig in das Ungewisse gesetzt; er wäre vom Belieben beider Parteien des Umfallanspruchs abhängig; denn er würde früher oder später eintreten je nach der Zeit, zu der der Unfallanspruchberechtigte den Anspruch erheben oder dessen Gegner die Verjährungseinrede vorschützen würde. Der gesetzgeberische Grund der Verjährungsvorschriften, baldmöglichste Rechtssicherheit zu schaffen, wäre dabei erheblich in Frage gestellt." ...