RG, 05.07.1892 - III 98/92
Hat der Spolienkläger den unfreiwilligen Verlust des Besitzes oder der Beklagte den rechtmäßigen Erwerb desselben zu beweisen?
Gründe
"Der Revision ist zwar zuzugeben, daß die im Anschlusse an das kanonische Recht in der Praxis ausgebildete Spolienklage bestimmt ist, in umfassendster Weise Schutz gegen Eigenmacht zu gewähren. Das Bestreben der alten Praxis, diesen Zweck zu erreichen, hat jedoch zu einzelnen Erweiterungen geführt, welche, weit über denselben hinausgehend, die Rechtssicherheit gefährden und keineswegs allgemeine Anerkennung gefunden haben. Zu diesen Erweiterungen gehört namentlich die Ansicht, daß nicht der Spolienkläger den unfreiwilligen Verlust, sondern der mit dieser Klage belangte Beklagte den rechtmäßigen Erwerb seines Besitzes beweisen müsse. Schon seit Jahrhunderten hat dieselbe einen stets sich mehrenden Widerspruch erfahren und wird jetzt nur noch vereinzelt verteidigt, namentlich von Bähr (Urtt. des R.G.'s S. 47) und Dernburg (Pandekten Bd. 1 §. 189). Auch das erkennende Gericht schließt sich der herrschenden Ansicht an, daß eine Befreiung des Spolienklägers von der Beweislast nicht eintritt. Wie der entgegengesetzte Satz bei dem vielseitigen Widerspruche als feststehendes Gewohnheitsrecht nicht anzuerkennen ist, so zeigt andererseits der vorliegende Fall, zu welcher bedauerlichen Rechtsunsicherheit seine Anwendung führen würde. Nach der eigenen Behauptung der Klägerin hat ihre Tochter, die verstorbene Ehefrau des Beklagten, die jetzt mit der Spolienklage herausverlangten Staatspapiere seit länger als 10 Jahren vor der Klagerhebung in ungestörtem Besitze gehabt, und jetzt wird von dem Beklagten, ihrem Erben, der Nachweis verlangt, daß die Verstorbene dieselben auf rechtmäßige Weise, insbesondere, wie er behauptet, als Mitgift von der Klägerin erhalten habe. Daß eine solche Erweiterung der Spolienklage die Rechtssicherheit gefährden würde, liegt auf der Hand. Auch trifft das von Bähr a. a. O. für das Bedürfnis derselben angeführte Beispiel nicht zu, da in solchen und ähnlichen Fällen die Feststellung des unfreiwilligen Besitzverlustes, zumal bei freier Beweiswürdigung, keine Schwierigkeit machen würde."