RG, 03.06.1889 - VI 82/89
Ist es durch den §. 10 C.P.O. ausgeschlossen, das Urteil eines Oberlandesgerichtes, wodurch das Landgericht im Gegensatze zu dem Amtsgerichte für zuständig erklärt ist, aus dem Grunde anzufechten, weil nicht die Zuständigkeit des Landgerichtes, sondern die des Amtsgerichtes begründet sei?
Gründe
"Die Kläger haben bei dem Beklagten als Gesellen gearbeitet und sind von ihm ohne vorgängige Kündigung aus der Arbeit entlassen. Sie halten die Entlassung für rechtswidrig und haben auf Verurteilung des Beklagten, ihnen einen 14tägigen Lohn zu zahlen, geklagt, der Gesamtbetrag des beanspruchten Lohnes übersteigt die Summe von 300 M, und die Klage ist bei dem Landgerichte erhoben. Beklagter hat eingewandt, daß nach §. 23 Nr. 2 G.V.G. nicht das Landgericht, sondern das Amtsgericht zuständig sei. Das Landgericht hat ihn mit der Einrede gehört und die Klage abgewiesen. Das Berufungsgericht dagegen hat die Einrede verworfen und das Landgericht für zuständig erklärt. Gegen diese Entscheidung hat der Beklagte die Revision eingelegt, indem er sich darüber beschwert, daß das Landgericht für zuständig erklärt und nicht die Berufung der Klägerin gegen das Urteil des Landgerichtes zurückgewiesen worden ist. Es fragt sich zunächst, ob die Revision nach §. 10 C.P.O. überhaupt zulässig ist.
Dieser Paragraph bestimmt, daß das Urteil eines Landgerichtes nicht aus dem Grunde angefochten werden kann, weil die Zuständigkeit des Amtsgerichtes begründet gewesen sei. Dem Wortlaute nach findet die Vorschrift hier keine Anwendung, denn es wird nicht das Urteil eines Landgerichtes, sondern das eines Oberlandesgerichtes angefochten. Wenn man aber davon ausgeht, wie solches bereits wiederholt vom Reichsgerichte ausgesprochen worden ist, daß der §. 10 a. a. O. nicht bloß Anwendung findet, wenn das Landgericht in der Sache selbst erkannt hat. sondern auch wenn nur über die Einrede der Unzuständigkeit entschieden ist, so ist ein Grund nicht erfindlich, warum das Gesetz bei der Vorschrift des §. 10 eine Unterscheidung zwischen den Urteilen der Oberlandesgerichte und der Landgerichte in der Weise beabsichtigt haben sollte, daß es die ersteren aus dem fraglichen Grunde anzufechten zugelassen, dagegen die Anfechtung der letzteren untersagt habe. In den Motiven ist die Vorschrift mit der Ausführung begründet, daß es bei der präsumtiv besseren Rechtsprechung des Kollegialgerichtes an einem sachlichen Grunde fehle, dem Beklagten ein Rechtsmittel zu gewähren, wenn das Landgericht seine Zuständigkeit in einer Sache angenommen haben sollte, in welcher gesetzlich das Amtsgericht zuständig sei. Dieser Grund trifft in gleichem Maße zu, wenn die Zuständigkeit des Landgerichtes nicht von dem Landgerichte selbst, sondern von dem Oberlandesgerichte ausgesprochen worden ist. Wenn nun auch der Beklagte trotz "der präsumtiv besseren Rechtsprechung des Kollegialgerichtes" unter Umständen ein fachliches Interesse daran haben kann, daß ein Rechtsstreit nicht vor dem Landgerichte, sondern vor dem Amtsgerichte zur Entscheidung komme, wie ihm auch die Einrede der Unzuständigkeit nicht versagt ist, wenn eine vor das Amtsgericht gehörende Klage vor dem Landgerichte erhoben wird, so hat das Gesetz doch ein derartiges Interesse nicht für erheblich genug gehalten, um zu gestatten, daß selbiges auch durch ein Rechtsmittel gegen ein Urteil eines Landgerichtes zur Geltung gebracht werde. Die Entscheidung der höheren Instanz bietet voraussichtlich eine größere Gewähr für die richtige Beurteilung der Sache, als die der unteren. Es würde daher nicht wohl erklärlich sein, daß das Gesetz beabsichtigt haben sollte, gegen die Entscheidung des Oberlandesgerichtes ein Rechtsmittel aus einem Grunde zu gestatten, dessen Bedeutung für eine so untergeordnete angesehen ist, daß man die Geltendmachung desselben im Wege eines Rechtsmittels gegen ein landgerichtliches Urteil ausgeschlossen hat.
Diese Erwägungen führen zu dem Resultate, daß der Wortlaut des §. 10 C.P.O. ein ungenauer ist, indem bei der Abfassung nur der zunächst liegende Fall, daß das Landgericht selbst seine Zuständigkeit ausgesprochen hat, berücksichtigt worden ist, und daß die Vorschrift dem Sinne nach dahin verstanden werden muß, daß auch in einem Falle, in welchem von dem Oberlandesgerichte die Zuständigkeit eines Landgerichtes ausgesprochen worden ist, das Urteil nicht deshalb angefochten werden kann, weil nicht die Zuständigkeit des Landgerichtes, sondern die des Amtsgerichtes begründet gewesen sei.