RG, 30.12.1884 - II 175/84

Daten
Fall: 
Vorlage einer gemeinschaftlichen Urkunde
Fundstellen: 
RGZ 12, 412
Gericht: 
Reichsgericht
Datum: 
30.12.1884
Aktenzeichen: 
II 175/84
Entscheidungstyp: 
Urteil
Instanzen: 
  • LG Köln
  • OLG Köln

Kann in Fällen, wo eine Urkunde im Sinne der Bestimmungen in §§. 887 Ziff. 2. 394 C.P.O. als gemeinschaftlich zu betrachten ist, selbständige Klage auf Vorlegung derselben erhoben werden?
Natur der in §. 394 C.P.O. bezeichneten Klage.

Aus den Gründen

"Was das auf Vorlage gewisser Urkunden beziehungsweise beglaubigter Abschriften derselben gerichtete Begehren betrifft, so ist vor allem hervorzuheben, daß es sich nicht etwa um einen im Laufe eines Rechtsstreites gestellten Editionsantrag, sondern um eine selbständige Editionsklage handelt. Zwar ist es ausgesprochene Absicht der Kläger, die vorzulegenden Urkunden in einem bereits anhängigen Teilungsprozesse zu benützen; allein in jenem Prozesse ist das Editionsbegehren, soweit es erhoben war, zurückgewiesen worden. Die Kläger müssen daher darthun, daß ihnen ein mit selbständiger Klage verfolgbarer Anspruch auf Vorlage der fraglichen Urkunden zustehe.

Sie glauben diesen Anspruch zunächst auf die §§. 387 Ziff. 2. 394 C.P.O. stützen zu können und rügen Verletzung dieser Gesetzesbestimmungen; jedoch mit Unrecht.

§. 387 a. a. O. erkennt eine Editionspflicht an:

  1. in den Fällen, wo sie nach Civilrecht auch außerhalb des Prozesses besteht,
  2. bei gemeinschaftlichen Urkunden.

Das Gesetz stellt hier, ebenso wie die preußische Allg. Gerichtsordnung (T. 10 §§. 91. 93), der civilrechtlichen eine prozessuale Editionspflicht gegenüber und seine Bestimmungen lassen nicht den mindesten Zweifel, daß die Pflicht zur Vorlegung gemeinschaftlicher Urkunden, soweit sie nicht schon civilrechtlich besteht, vielmehr nur durch die Civilprozeßordnung begründet wird, eine rein prozessuale Bedeutung hat, das heißt nur eintritt, sofern zum Zwecke der Beweisführung in einem anhängigen Prozesse die Vorlage der Urkunden nötig ist. Nur für die prozessuale Editionspflicht wollte die Civilprozeßordnung einheitliches Recht schaffen; an den civilrechtlichen Prinzipien, das heißt betreffs des Rechtes, auch außerhalb eines anhängigen Prozesses, durch selbständige Klage, Edition von Urkunden zu verlangen, wollte sie nichts ändern. Letzteres wäre sogar dann anzunehmen, wenn die Worte "auch außerhalb des Prozesses" in Ziff. 1 des §. 387 fehlen würden, wie dies in dem sonst ganz gleichlautenden Art. 386 Abs. 2 der bayerischen Prozeßordnung von 1869 der Fall ist, da die Vermutung dafür spricht, daß ein Prozeßgesetz nur prozessuale Bestimmungen geben, nicht aber Prinzipien des Civilrechtes abändern wolle.

Was nun den §. 394 C.P.O. anbelangt, welcher bestimmt, daß der Dritte aus denselben Gründen, wie der Gegner des Beweisführers zur Vorlegung einer Urkunde verpflichtet ist, so erscheint nach Fassung und Zweck dieser Bestimmung klar, daß sie nichts weiter bezweckt, als die Grundsätze, welche in §. 387 a. a. O. für Urkunden, die sich in Händen des Prozeßgegners befinden, gegeben sind, auch auf Urkunden, die sich im Besitze Dritter befinden, auszudehnen, daß also auch Dritten gegenüber, soweit nicht nach Civilrecht eine Editionspflicht besteht, nur eine prozessuale Editionspflicht begründet werden sollte. Unmöglich konnte es Absicht des Gesetzes sein, in Widerspruch mit §. 384 Dritten gegenüber eine civilrechtliche Editionspflicht zu begründen oder überhaupt Dritten die Editionspflicht in größerem Umfange aufzuerlegen, als dem Prozeßgegner.

Hat demgemäß die Pflicht zur Vorlegung gemeinschaftlicher Urkunden, soweit sie sich auf die Bestimmungen in den §§. 387 Ziffer 2, bezw. 394 C.P.O. gründet, lediglich prozessuale Bedeutung, so folgt hieraus, daß sie nur unter der Voraussetzung wirksam wird, daß Beweis mittels der betreffenden Urkunde erboten und vom Prozeßgerichte zugelassen wird. Nach §. 386 C.P.O. wird, falls die Urkunde sich in Händen des Gegners befindet, der Beweis durch den Antrag, dem Gegner die Vorlegung aufzugeben, angetreten und nach §. 393 C.P.O. erfolgt, falls die Urkunde sich in Händen eines Dritten befindet, die Beweisantretung durch den Antrag, zur Herbeischaffung der Urkunde eine Frist zu bestimmen. Nach den §§. 390. 396 a. a. O. hat das Prozeßgericht in dem einen, wie in dem anderen Falle zu prüfen, ob der Antrag gerechtfertigt sei, und entsprechend zu beschließen bezw. zu entscheiden. Je nachdem das Prozeßgericht dem Antrage stattgiebt oder ihn abweist, erscheint für den gegebenen Fall die prozessuale Editionspflicht begründet oder nicht.

Ohne Belang erscheint es, daß dem Dritten gegenüber die Vorlegung der Urkunde durch besondere Klage begehrt wird (§. 394 C.P.O.), und es ist irrig, wenn seitens der Revisionskläger hieraus gefolgert wird, das Gesetz habe hier eine selbständige, ohne Rücksicht auf den Hauptprozeß einzuleitende und durchzuführende Klage im Auge.

Wie aus den Motiven zu den §§. 380 - 383 des Entwurfes hervorgeht, wurde die fragliche Bestimmung gegeben, weil man es nicht geeignet fand, nach dem Vorgänge des französischen und preußischen Rechtes, der hannoverschen (§. 320) und der württembergischen (Art. 642) Prozeßordnung die Entscheidung über solche Editionsanträge dem Gerichte des Hauptprozesses zu übertragen und in dieser Weise den Dritten seinem ordentlichen Richter zu entziehen. Es handelt sich also um Bezeichnung des Weges, wie die Edition von Dritten zu erwirken sei; an dem Wesen der Editionspflicht wurde hierdurch nichts geändert. Auch bei den Verhandlungen zu Hannover wurde viel darüber gestritten, ob es zweckmäßiger sei, den Dritten zum Hauptprozesse beizuladen, oder aber, dem bayerischen Prozeßentwurfe folgend, die Belangung des Dritten vor seinem zuständigen Richter anzuordnen; allein darüber bestand kein Zweifel, daß im einen, wie im anderen Falle lediglich ein Inzidentpunkt des Hauptprozesses in Frage stehe. Aus den Verhandlungen über den norddeutschen Entwurf ist hervorzuheben, daß (Protok. S. 954) vorgeschlagen war, die Beiladung des Dritten von Amts wegen anzuordnen, da es sich um eine Beweisaufnahme handele, wogegen erwidert wurde, es bestehe kein Grund, von den allgemeinen Prinzipien abzuweichen; es handele sich um einen Nebenprozeß, der in das Hauptverfahren gezogen werde.

Sowie nun im Falle einer Beiladung des Dritten in den Hauptprozeß kein Zweifel obwalten kann, daß diese Beiladung nur stattzufinden hat, wenn sie durch eine gerichtliche Verfügung veranlaßt ist, und daß sie sowie der ganze Zwischenstreit gegenstandslos wird, wenn der Hauptprozeß sich erledigt bezw. Beweis nicht weiter zu führen ist, so muß dies auch von der gesonderten Klage gelten. Sie erzeugt nur einen Nebenprozeß, bedarf zu ihrer Begründung des Nachweises, daß im Hauptprozesse bezüglicher Beweis zugelassen, das heißt zur Herbeischaffung der Urkunde nach §. 396 Abs. 1 a. a. O. Frist bestimmt ist, und verliert ihren Gegenstand, wenn es aus irgend einem Grunde auf diese Beweisführung nicht mehr ankommt.

Aus vorstehenden Erörterungen ergiebt sich, daß die erhobene Klage auf die Behauptung, daß die in Frage stehenden Urkunden im Sinne von §. 387 Ziff. 2 C.P.O. gemeinschaftliche seien, nicht gestützt werden kann. Hiernach kann ungeprüft bleiben, ob der Ansicht des Oberlandesgerichtes, daß fragliche Urkunden wegen erfolgter Abrechnung, sowie wegen Verzichtes, die Eigenschaft gemeinschaftlicher Urkunden verloren hätten, beigepflichtet werden kann, und erledigen sich die bezüglichen Rügen."