RG, 25.11.1884 - II 272/84
1. Kann die Gewähr für verborgene Mängel (Artt. 1641 flg. Code civil) auch außer dem Falle des Art. 1645 a. a. O. (Kenntnis der Mängel) zu Schadensersatz verpflichten?
2. Trifft die Bestimmung in Art. 349 Abs. 3 H.G.B. auch Fälle, wo der aus der Mangelhaftigkeit der Ware sich ergebende Anspruch, einer aus irgend einem anderen Rechtsgeschäfte entstandenen Gegenforderung gegenüber, kompensationsweise geltend gemacht wird?
3. Unterschied zwischen compensation légale und compensation judiciaire nach französischem Rechte. Begriff der compensation légale.
Tatbestand
Klägerin hatte der Beklagten, auf verschiedene Bestellungen, Ende 1879 und anfangs 1880, Gummifäden zur Verwebung geliefert. Im April 1880 zeigte die Beklagte an, daß zwei Lieferungen vom November und Dezember mangelhaft gewesen seien, indem sich bei Prüfung der damit gefertigten und nach Rußland versendeten Gewebe ergeben habe, daß die Gummifäden inzwischen ihre Zugkraft verloren hätten.
Klägerin erhob im Februar 1881 Klage auf Zahlung der Preise sämtlicher Lieferungen im Gesamtbetrage von 10663 M. Die Beklagte wendete ein, die zwei besagten Lieferungen zum Preise von 1587 M seien völlig wertlos gewesen, und es sei ihr infolgedessen ein Schaden von 13635 M erwachsen; sie machte diese Entschädigungsforderung kompensationsweise und widerklagend geltend.
Der erste Richter wies betreffs des Kaufpreises der zwei Lieferungen die Hauptklage ab und verurteilte die Klägerin zum Ersatze des noch zu liquidierenden Schadens, der durch die Mangelhaftigkeit jener zwei Lieferungen verursacht worden sei, welche Entscheidung vom zweiten Richter nur insofern abgeändert wurde, als dieser die Widerklage, soweit sie mehr bezweckte als Kompensierung der Hauptklage, sofort abwies.
Das Reichsgericht hat dieses Urteil, soweit es über die Gegenforderung der Beklagten erkannte, aufgehoben und diese Gegenforderung abgewiesen aus folgenden Gründen:
Gründe
"Da im vorliegenden Falle die Ware angenommen und verbraucht worden ist, zudem ein verborgener Mangel in Frage steht, so kann kein Zweifel bestehen, daß die Bestimmungen in Artt. 1641 flg. Code civil zur Anwendung zu kommen haben. Es fragt sich nun zunächst, ob nach Maßgabe der Artt. 1645 und 1646 Code civil unter den gegebenen Umständen von einem Anspruche auf Schadensersatz überhaupt die Rede sein könne.
Der Ansicht des Oberlandesgerichtes, es sei Art. 1645 a. a. O. anwendbar, weil gemäß desselben der Verkäufer auch dann für Schadensersatz hafte, wenn er hinreichend Grund habe, das Dasein der Fehler zu vermuten, kann nicht beigepflichtet werden. Seinem klaren Wortlaute, sowie seinem mit Art. 1151 Code civil übereinstimmenden Inhalte nach trifft Art. 1645 nur den Fall, wo der Verkäufer beim Verkaufe die Mangel der Sache kannte, also wissentlich eine fehlerhafte Sache verkaufte. Auch kann kein Zweifel bestehen, daß diese Kenntnis im Sinne des Art. 1645 zu erweisen, also nie zu vermuten ist. Es wäre reine Willkür, Fälle, in denen nur von einem Mangel an Sorgfalt bei Prüfung der Ware oder einem sonstigen einfachen Verschulden die Rede sein kann, unter die Bestimmung des Art. 1645 a. a. O. zu ziehen.
Hieraus folgt aber keineswegs, daß in Fällen dieser Art eine Verpflichtung zu Schadensersatz nie eintreten könne.
Wenn Art. 1646 Code civil bestimmt, daß der Verkäufer, welcher die Mängel der Sache nicht kannte, nur verpflichtet sei, den Preis (ganz oder teilweise) zurückzuerstatten und dem Käufer die durch das Kaufgeschäft verursachten Kosten zu ersetzen, so hat er nur die gewöhnlichen Fälle im Auge, bei denen allerdings weitere Verpflichtungen nicht wohl in Frage kommen können. Der Verkäufer hat nämlich in der Regel nicht die Verpflichtung, im Interesse des Käufers seine Ware genau zu untersuchen, um diesen auf etwa vorhandene Mängel aufmerksam zu machen; es ist daher in der Regel auch kein vertretbares Verschulden des Verkäufers, vorhandene Mängel nicht entdeckt zu haben. Kann jedoch ausnahmsweise (nach Art. 1135 Code civil und Art. 282 H.G.B.) eine kontraktliche Pflicht der bezeichneten Art angenommen werden, z. B. in dem von Pothier ( de la vente Bd. 3 Nr. 214) bezeichneten Falle, wo ein Handwerker von ihm selbst verfertigte Waren verkauft, also (der Regel nach) die Folgerung berechtigt ist, daß er entweder die Mängel gekannt oder bei einiger Sorgfalt hätte kennen müssen, und steht fest, daß dieser kontraktlichen Verpflichtung schuldhaft zuwidergehandelt ist, so treten unzweifelhaft die allgemeinen Prinzipien ein, gemäß deren jeder Kontrahent wegen solcher Zuwiderhandlungen schadenseisatzpflichtig ist. Bezüglich des Umfanges dieser Schadensersatzpflicht ist in gewöhnlichen Sachen Art. 1150 Code civil, in Handelssachen Art. 283 H.G.B. maßgebend.
Von diesem Gesichtspunkte aus ist jedoch im vorliegenden Falle die Sachlage nicht gewürdigt, deshalb auch keine genügende thatsächliche Feststellung gegeben, weshalb Grund vorliegt, die Entscheidung wegen Verletzung des Art. 1645 a. a. O. aufzuheben. Hiernach wäre die Sache an das Berufungsgericht zurückzuverweisen, jedoch bedarf es dessen nicht, da die Aufhebung der Entscheidung auch aus einem anderen Gesichtspunkte geboten erscheint, welcher zugleich zur Entscheidung in der Sache selbst führt. Die in Frage stehende Gegenforderung der Beklagten ist nämlich als verjährt zu erachten.
Wenn in Art. 349 Abs. 3 H.G.B. bestimmt ist, daß die Einreden wegen Mängel bestehen bleiben, falls die Mängelanzeige innerhalb sechs Monaten nach der Ablieferung erfolgt ist, so hat das Gesetz hier offenbar nur Einreden gegen die aus dem fraglichen Kaufgeschäfte geltend zu machenden Ansprüche im Auge, nicht aber den Fall, wo der aus der Mangelhaftigkeit der Ware sich ergebende Anspruch kompensationsweise einer aus irgend einem anderen Rechtsverhältnisse entstandenen Forderung gegenüber geltend gemacht werden soll. Nach den Kommissionsverhandlungen, sowie nach dem Zwecke des Gesetzes ist nicht anzunehmen, daß auch Fälle letzterer Art getroffen werden sollten, daß etwa das Gesetz davon ausgehe, es komme lediglich darauf an, ob der betreffende Anspruch im Wege der Einrede oder aber im Wege der Klage geltend gemacht werde, was dazu führen würde, daß selbst mit Forderungen bezeichneter Art, die erst nach Ablauf der sechsmonatlichen Frist fällig wurden oder entstanden, nach Jahren noch kompensiert werden könnte.1
Wenn nun auch Abs. 3 des Art. 349 a. a. O. in besagter Weise beschränkt aufzufassen ist, so könnte sich dennoch fragen, ob nicht aus anderen Gründen Kompensationen der bezeichneten Art auch nach Ablauf von sechs Monaten nach der Ablieferung der Ware noch berücksichtigt werden können, vorausgesetzt, daß sie solchen Forderungen gegenüber geltend gemacht werden, die innerhalb jener Frist bereits bestanden und fällig waren.
Um diese Frage zu beantworten, ist auf die Grundsätze, welche in dem maßgebenden französischen Rechte betreffs der Kompensation gelten, näher einzugehen.
Nach den Prinzipien des französischen Rechtes ist die Liquidität der zur Kompensation zu bringenden Ansprüche nicht lediglich ein prozessuales, sondern ein materiellrechtliches Erfordernis der Kompensation.
Art. 1291 Code civil sagt ausdrücklich:
"La compensation n'a lieu qu' entre deux dettes, qui sont également liquides et exigibles."
Es ist daher in Doktrin und Praxis unstreitig, daß die Kompensation, von welcher Art. 1290 a. a. O. spricht, welche von Rechtswegen (de plein droit par la seule force de la loi) eintritt und gleich einer Zahlung wirkt, nur stattfinden kann, wenn beide in Betracht kommende Forderungen liquid sind.
Allerdings erkennt man neben dieser Kompensation, welche als "compensation légale" bezeichnet wird, auch noch eine "compensation judiciaire" an, zufolge deren auch illiquide Gegenforderungen zur Kompensation gebracht werden können; allein in solchen Fällen tritt die Kompensation nicht von Rechts wegen ein, vielmehr handelt es sich dabei nur um die Möglichkeit, illiquide Gegenforderungen dadurch, daß sie im Laufe des Prozesses liquidiert werden, zur Kompensation tauglich zu machen.
Es mag nun dahingestellt bleiben, ob nicht in Fällen der gesetzlichen Kompensation, wo die Kompensation von Rechts wegen eintritt und als Zahlung wirkt (Artt. 1290. 1291 Code civil trotz des Ablaufes besagter sechsmonatlicher Frist, die Einrede, daß eine eingeklagte Forderung im Wege der Kompensation getilgt sei, auf Gegenansprüche aus Mängeln der Ware gegründet werden könne; jedenfalls erscheint unzweifelhaft, daß in Fällen, welche sich bloß zur compensation judiciaire eignen, nach Erlöschen des Rechtes, aus jenen Gegenansprüchen zu klagen, auch nicht mehr davon die Rede sein kann, sie zur Kompensation zu bringen. Es handelt sich hier in der That um Geltendmachung eines Klagerechtes im Sinne von Art. 349 Abs. 2 H.G.B.
Was nun vorliegenden Fall betrifft, so kann kein Zweifel obwalten, daß die in Frage stehende Entschädigungsforderung ein vollkommen illiquider Anspruch im Sinne von Art. 1291 a. a. O. ist.
Nach der Geschichte der Entstehung dieses Artikels ist unzweifelhaft, auch von Doktrin und Praxis einstimmig anerkannt, daß die Illiquidität, welche das Gesetz hier im Auge hat, sowohl dadurch begründet wird, daß betreffs der Forderung Streit bestehe, als dadurch, daß deren Betrag nicht bestimmt ist und von einer Schätzung abhängt. Wenn man nun auch, der Ansicht von Pothier folgend, annimmt, es sei in Fällen, wo der betreffs einer Forderung erhobene Streit kein ernstlicher ist oder sofort geschlichtet werden kann, die gesetzliche Kompensation, nicht ausgeschlossen, so kann doch im vorliegenden Falle, wo nicht bloß über den Grund des Anspruches ein sehr ernstlicher, keineswegs auf Chikane beruhender Streit bestand, der umständliche Beweiserhebung notwendig machte, sondern es sich auch um einen Schadensersatz handelt, dessen Betrag jetzt noch ungewiß und streitig ist, nicht der geringste Zweifel obwalten, daß die Gegenforderung, welche zur Kompensation gebracht werden will, im Sinne des Art. 1291 a. a. O. eine völlig illiquide sei."
- 1. Vgl. unten Nr. 88 S. 334. D. R.; Vgl. Entsch. des R.O.H.G.'s Bd. 15 Nr. 42.