RG, 27.10.1884 - IV 166/84

Daten
Fall: 
Zinsen eines dem Schuldner auf seinen Erbteil angewiesenen Kapitals
Fundstellen: 
RGZ 12, 383
Gericht: 
Reichsgericht
Datum: 
27.10.1884
Aktenzeichen: 
IV 166/84
Entscheidungstyp: 
Urteil
Instanzen: 
  • LG Frankfurt a.O.
  • KG Berlin

1. Fallen unter die Vorschrift des §. 749 Ziff. 3 C.P.O. auch die Zinsen eines dem Schuldner auf seinen Erbteil angewiesenen Kapitales, welches im übrigen durch die Bestimmung des Erblassers seiner Verfügung völlig entzogen ist und für benannte Nacherben erhalten bleiben soll?
2. Kommt bei Feststellung des Notbedarfes des Schuldners die bloße Erwerbsfähigkeit desselben in Betracht?

Aus den Gründen

"Den Gegenstand der jetzigen Entscheidung bildet nur noch die Streitfrage, ob der Kläger befugt ist, sich wegen seiner rechtskräftig festgestellten Forderungen gegen den Beklagten auch an die Zinsen desjenigen Kapitales zuhalten, welches dem Beklagten in dem am 3. März 1882 publizierten wechselseitigen Testamente seiner Eltern vom 10. Mai 1871 als Muttererbteil ausgesetzt ist. Der Berufungsrichter hat diese Frage, abweichend vom ersten Richter, verneint, indem er jene Zinsen als fortlaufende Einkünfte charakterisiert, welche der Beklagte auf Grund der Fürsorge und Freigebigkeit eines Dritten beziehe, und deren derselbe in vollem Umfange zur Bestreitung seines notdürftigen Unterhaltes bedürfe, weshalb solche gemäß §. 749 Ziff. 3 C.P.O. der Pfändung nicht unterworfen seien. Die hiergegen gerichteten Angriffe des Revisionsklägers erscheinen nicht begründet.

Nach §. 749 Ziff. 3 C.P.O. sind der Pfändung nicht unterworfen die fortlaufenden Einkünfte, welche ein Schuldner aus Stiftungen oder sonst auf Grund der Fürsorge und Freigebigkeit eines Dritten bezieht, insoweit der Schuldner zur Bestreitung des notdürftigen Unterhaltes für sich, seine Ehefrau und seine noch unversorgten Kinder dieser Einkünfte bedarf. Mit Recht hat der Berufungsrichter die fragliche Zuwendung als eine freigebige angesehen, da sie die wesentlichen Merkmale einer solchen, nämlich die Freiwilligkeit und die Unentgeltlichkeit, an sich trägt, und die Natur des dieselbe vermittelnden Geschäftes zwar den Begriff der eigentlichen Schenkung, nicht aber den weiteren Begriff der Freigebigkeit (Liberalität) ausschließt.1

Ob dies auch von der Zuwendung des Pflichtteiles gilt, kann dahingestellt bleiben, da es sich nach der unangefochtenen Feststellung des Berufungsrichters im Streitfalle um den Pflichtteil nicht handelt. Abgesehen von diesem läßt sich sicherlich weder aus dem elterlichen Verhältnisse noch aus dem gesetzlichen Erbfolgerechte der Kinder eine die Freiwilligkeit der fraglichen Zuwendung ausschließende Verpflichtung der Erblasserin zu derselben herleiten, und, weil insbesondere jenes Intestaterbrecht die Erblasserin in der Verfügung über ihren Nachlaß in keiner Weise zu binden vermochte, thut es der Freigebigkeit der Zuwendung keinen Eintrag, daß durch dieselbe dem Beklagten weniger, als seine volle und freie Intestatportion, zu Teil geworden ist. Ebensowenig schließt der letztgedachte Umstand die Annahme aus, daß die in Frage stehende Zuwendung auf einer Fürsorge der Erblasserin für den Beklagten beruht. Denn erfahrungsmäßig bethätigt sich diese Fürsorge sehr häufig gerade in der Weise, daß dem zu Bedenkenden, statt freien Eigentumes, nur gewisse Einkünfte überwiesen werden, um ihn gegen die Gefahren der unbeschränkten Verfügungsbefugnis bezüglich des Kapitalvermögens zu schützen und ihm für seinen Unterhalt eine möglichst gesicherte Einnahme zu gewähren, wie denn bekanntlich das Institut der Enterbung aus guter Absicht vornehmlich dieser Erwägung seine Entstehung verdankt. Und daß auch im gegenwärtigen Falle die Erblasserin von der nämlichen Rücksicht geleitet worden ist, ergiebt der Inhalt des Testamentes, in welchem die unordentliche und verschwenderische Wirtschaft des Beklagten als Grund für seine Beschränkung auf den Zinsgenuß seines Erbteiles angegeben ist.

Im weiteren steht der Anwendung des §. 749 Ziff. 3 a. a. O. nicht entgegen, daß, wie der Berufungsrichter festgestellt hat, der Beklagte in der Verfügung über die Zinsen seines Erbteiles durch das elterliche Testament nicht beschränkt ist. Denn die Unpfändbarkeit ist hier nicht Ausfluß eines Veräußerungsverbotes; vielmehr will die gedachte Vorschrift der vorauszusetzenden Intention des Stifters oder Gebers gerecht werden, welcher ohne Zweifel in erster Reihe für den Bedachten selbst zu sorgen beabsichtigt hat. Es ist dies dieselbe Rücksicht, die schon die ältere gemeinrechtliche Doktrin und Praxis zur Statuierung des s. g. beneficium competentiae ex persona tertii führte, welches von dort aus, wiewohl mit abweichender Motivierung, in die preußische Allgemeine Gerichtsordnung (§. 27 I. 49) und aus dieser mit einigen Veränderungen in die preußische Konkursordnung vom 8. Mai 1855 übergegangen ist und die Grundlage der in Rede stehenden Vorschrift der Civilprozeßordnung bildet.2

Die Annahme des Berufungsrichters aber, daß dem Beklagten, wiewohl derselbe als Fiduziarerbe Eigentümer der Erbschaft geworden, dennoch in Wirklichkeit nur die Zinsen des ihm als Erbteil ausgesetzten Kapitales, mithin fortlaufende Einkünfte zugewendet seien, gründet sich auf die Auslegung der in Betracht kommenden testamentarischen Bestimmungen, welche mit dem Wortlaute derselben durchaus übereinstimmt und in keiner Hinsicht einen Rechtsirrtum erkennen läßt. Denn nach dem Inhalte des im Thatbestande des ersten Urteiles und mit diesem vom Berufungsrichter in bezug genommenen, oben erwähnten Testamentes hat die Mutter des Beklagten diesem ein - demnächst durch Zuwendungen unter Lebenden auf die Hälfte reduziertes - Muttererbteil von 10000 Thalern mit der Bestimmung ausgesetzt, daß solches mit fünf Prozent verzinslich auf die den Testatoren gehörige Bauernwirtschaft eingetragen und die Zinsen vierteljährlich im voraus an den Beklagten, solange er lebe, entrichtet werden sollten, wogegen das Kapital bei Lebzeiten des letzteren nicht ausgezahlt zu werden brauche und nach dessen Tode an seine dann vorhandene eheliche Descendenz oder - in deren Ermangelung - an seine Geschwister oder deren Descendenz gezahlt werden solle. Und beide Eltern haben dann noch gemeinschaftlich bestimmt, daß der Beklagte von allem, was er als Vater- und Muttererbe bekommen würde, nur den Zinsgenuß zu fünf Prozent für sich zu beanspruchen habe, das Kapital selbst aber nach seinem Tode an die vorgenannten fallen solle. Mag hiernach auch der Beklagte als Fiduziarerbe anzusehen sein, so ist ihm doch jede Verfügung über die Substanz des Erbteiles, sowie das Recht des Nießbrauches und der Verwaltung, wie solches dem Fiduziarerben gesetzlich zusteht (§. 466 A.L.R. I. 12), entzogen, und er ist auf den lebenslänglichen Bezug fixierter Zinsen beschränkt, sodaß der Berufungsrichter mit gutem Grunde diese als den eigentlichen Gegenstand der Zuwendung im Sinne der Testatoren ansehen durfte.3

Mit dieser Auslegung ist auch keineswegs, wie der Revisionskläger geltend macht, die fernere Bestimmung des Testamentes unvereinbar, daß dem Beklagten sein Vater- und Muttererbe dann zur freien Verfügung ausgeantwortet werden solle, wenn durch eine auf seinen Antrag zu bestellende Kuratel nach vorheriger Prüfung die Überzeugung gewonnen werde, daß er sich gründlich und nachhaltig gebessert und mit Geld und Gut verständig umzugehen gelernt habe. Denn diese Bestimmung, nach welcher dem Beklagten unter einer Suspensivbedingung weitergehende Rechte eingeräumt sind, kann auf die Beurteilung des bis zum Eintritte dieser Bedingung bestehenden Rechtsverhältnisses nicht von Einfluß sein, und ohne Zweifel hat der Berufungsrichter nur sagen wollen, daß die Zinsen den Gegenstand der jetzt in Betracht kommenden Zuwendung bildeten, ohne damit der entgegengesetzten Beurteilung für den Fall des Eintrittes der Bedingung präjudizieren zu wollen. Es ist daher auch selbstverständlich, daß, sobald das Kapital dem Beklagten zur freien Verfügung anheimfällt, nicht nur die Unpfändbarkeit desselben, sondern auch die der Zinsen, welche ein unvermindertes Kapital voraussetzen, aufhört, wiewohl dies vom Berufungsrichter nicht ausdrücklich ausgesprochen ist, und die Formel seines Urteiles den Schein erwecken könnte, als ob die Unpfändbarkeit der Zinsen die des Kapitales zu überdauern vermöge.

Was sodann die Frage anlangt, inwieweit der Beklagte der Zinsen seines Muttererbes zur Bestreitung seines notdürftigen Unterhaltes bedarf, so ist der Berufungsrichter mit Recht davon ausgegangen, daß bei deren Entscheidung die Alimentationspflicht des Vaters des Beklagten sowie die eigene Erwerbsfähigkeit des letzteren außer Betracht zu lassen seien. Jenes ergiebt sich ohne weiteres aus der rechtlichen Natur der Alimentationspflicht, welche erst nach dem Versiegen der sonstigen Unterhaltsquellen in Anspruch genommen werden kann, und dieses rechtfertigt sich aus der Entstehungsgeschichte des §. 749 Ziff. 3 C.P.O., auf welche bereits der Vorderrichter hingewiesen hat. Die im übrigen mit dieser Gesetzesvorschrift gleichlautende Ziff. 3 des §. 696 des Entwurfes zur C.P.O. enthielt, im Anschlüsse an §. 434 der preußischen Konkursordnung vom 8. Mai 1855, noch die Schlußworte:

"und nicht imstande ist, diesen Unterhalt auf eine seinen Verhältnissen angemessene Art selbst zu erwerben."

In der Kommission des Reichstages wurde die Streichung dieses Beisatzes, in welchem der Antragsteller eine unbillige Einschränkung des Grundsatzes der Unpfändbarkeit erblickte, beantragt und auf den Fall exempliziert, daß danach einer Ehefrau die ihr mit Rücksicht auf die Erwerbsunlust ihres Mannes zugewendete Rente von den Gläubigern wegen der Erwerbs fähigkeit des Mannes entzogen werden könne. Zu Gunsten dieses Antrages wurde ferner geltend gemacht, daß nach rheinischem Rechte alle Liberalitäten unpfändbar seien, welche der Zuwendende für insaisissable erklärt habe; der Stifter habe sie dem Schuldner, nicht dem Gläubiger zuwenden wollen. Von anderer Seite wurde dem Antrage mit der Ausführung widersprochen, daß, da der Schuldner die Zuwendung verschleudern und sonst nach Gefallen verwenden könne, dieselbe auch in möglichstem Umfange der Pfändung unterliegen müsse; sonst könne der Schuldner, gestützt auf sein Privilegium, sich weigern zu arbeiten und damit den Gläubigern Hohn sprechen. Auch ein Vertreter des Bundesrates erklärte den Antrag für bedenklich, welcher zur Folge haben würde, daß dann auch wegen der nach Empfang der Zuwendung gemachten Schulden die Vollstreckung in jene ausgeschlossen sei, obschon der Schuldner seinen Unterhalt anderweit zu verdienen vermöge; dies sei ein Eingriff in das Recht Dritter und eine Störung der allgemeinen Verkehrsverhältnisse, auch den Rechtsanschauungen unseres Volkes fremd. Gleichwohl wurde der Antrag von der Kommission angenommen, und in der so geänderten Fassung ist die Bestimmung, ohne daß dieselbe noch zum Gegenstande irgend einer Bemerkung gemacht wäre, in das verkündete Gesetz aufgenommen.4

Über die Bedeutung der vorgenommenen Änderung im Sinne des Kommissionsbeschlusses kann hiernach ein Zweifel nicht obwalten. Man war sich infolge der Bemerkungen der Gegner der Konsequenzen derselben vollkommen bewußt und wollte sie um des für richtig erkannten Prinzipes willen, daß vor allem der vermutlichen Intention des Gebers durchgreifende Geltung zu verschaffen sei. Insbesondere kann nicht davon die Rede sein, daß man die Geltung dieses Prinzipes auf Fälle der Art habe einschränken wollen, wie solche in der Motivierung des Antrages seitens des Antragstellers hervorgehoben wurden, da alle übrigen Redner einen umfassenderen Standpunkt einnahmen. Im weiteren darf aber auch nicht bezweifelt werden, daß sich die gesetzgebenden Faktoren der Auffassung der Kommissionsmehrheit angeschlossen haben, da hinterher ein Dissens von keiner Seite geäußert und bei dem für die Feststellung der Civilprozeßordnung beobachteten Verfahren ohnehin der Schwerpunkt in den Beratungen und Beschlüssen der Kommission zu suchen ist. Bei dieser Sachlage ist kein Grund vorhanden, der klar erkennbaren gesetzgeberischen Absicht, mit welcher die Worte des publizierten Gesetzes sehr wohl vereinbar sind, die Anerkennung zu versagen. Vielmehr erscheint die vom Vorderrichter adoptierte Auslegung der fraglichen Vorschrift gerechtfertigt, daß bei Feststellung des Notbedarfes nur aus die zur gegebenen Zeit vorhandenen wirklichen Einkünfte des Schuldners aus Renten oder den Erträgnissen seiner Erwerbsthätigkeit zu rücksichtigen, die bloße, immerhin unsichere und von wandelbaren Verhältnissen abhängige Möglichkeit weiteren Erwerbes durch solche Thätigkeit aber außer Anschlag zu lassen sei, weil nur so der fürsorglichen Absicht des Gebers volle Rechnung getragen wird."5

  • 1. Vgl. Savigny, System des römischen Rechtes Bd. 4 S. 9 flg. 19 flg.; Unger, Österreichisches Privatrecht Bd. 2 L. 189 flg.; R.K.O. §. 56 Ziff. 4 und die Motive zu demselben in Hahn's Materialien S. 252. D. E.
  • 2. Vgl. Goltdammer, Kommentar und Materialien zur Konkursordnung vom 8. Mai 1855 S. 540 flg.; Mot. zum §. 696 des Entw. der Civilprozeßordnung ( Hahn, Materialien S. 89); Förster-Eccius, Bd. 1 S. 868.
  • 3. In gleichem Sinne hat der II. Civilsenat in dem Urt. vom 18. Dezember 1883 i. S. Vogel w. Vogel (II. 364/83) entschieden; vgl. auch Striethorst, Archiv Bd. 33 S. 18 flg. D. E.
  • 4. Vgl. Hahn, Materialien zur Civilprozeßordnung S. 851. 852.
  • 5. Zustimmend die Kommentare der Civilprozeßordnung v. Wilmowski und Levy, Struckmann und Koch und Seuffert. Petersen (Note 4 zu S. 749 C.P.O.) beschränkt sich auf die Mitteilung von der Streichung des ursprunglichen Zusatzes. Vgl. auch Striethorst, Archiv Bd. 42 S. 123 flg. D. E.