RG, 05.07.1884 - V 143/84

Daten
Fall: 
Klage des besser berechtigten Gläubigers
Fundstellen: 
RGZ 12, 370
Gericht: 
Reichsgericht
Datum: 
05.07.1884
Aktenzeichen: 
V 143/84
Entscheidungstyp: 
Urteil
Instanzen: 
  • LG Essen
  • OLG Hamm

Kann die Klage des besser berechtigten Gläubigers auf vorzugsweise Befriedigung aus dem Erlöse eines Pfandstückes (§. 710 C.P.O.) bei dem Vollstreckungsgerichte angestellt werden, wenn der Erlös dem Gläubiger, welcher die Pfändung bewirkt hat, ausgezahlt ist?

Gründe

"Der Schuhmacher M. V. hat durch Vertrag mit der Klägerin vom 1. August 1880 ein derselben gehöriges Haus gemietet. Er verschuldete bis zum 1. Mai 1883 an Mietszins 327,28 M. Die Beklagte ließ auf Grund eines notariellen Aktes vom 12. Dezember 1882 eine Reihe dem V. gehöriger, in der Mietwohnung befindlicher Sachen am 18. Mai 1883 pfänden und am 28. Mai 1883 verkaufen. Der Erlös, im Betrage von 402,25 M, ist ihr vor dem 23. Juli 1883 durch den Gerichtsvollzieher Müller ausgehändigt.

Die Klägerin macht geltend, daß das ihr als Vermieterin gesetzlich - §. 395 A.L.R. I. 21 - zustehende Pfandrecht dem Pfändungspfandrechte der Beklagten vorgehe, und beansprucht deshalb Herausgabe des Erlöses an sie auf Höhe der Mietsschuld. Sie will durch Schreiben vom 23. Mai und 17. Juli 1883 die Beklagte von ihrem besseren Rechte in Kenntnis gesetzt und die Zahlung, jedoch vergeblich, verlangt haben. Sie hat deshalb die gegenwärtige Klage angestellt, und zwar bei dem Landgerichte zu Essen, in dessen Bezirk das Vollstreckungsgericht - Amtsgericht Gelsenkirchen - liegt. Die Klage datiert vom 23. Juli 1883.

Die Beklagte hat den Einwand der Unzuständigkeit des Landgerichtes Essen erhoben. Beide Instanzrichter erachten diesen Einwand für durchgreifend und haben deshalb die Klage abgewiesen. Die von der Klägerin hiergegen eingelegte Revision ist unbegründet.

Daß die im achten Buche der Civilprozeßordnung, betreffend die Zwangsvollstreckung, angeordneten Gerichtsstände ausschließliche sind, unterliegt nach §. 707 C.P.O. keinem Zweifel. Wäre es also, wie Klägerin glaubt, richtig, daß durch §. 710 C.P.O. die Zuständigkeit des Landgerichtes zu Essen ausgesprochen wird, so müßte die Zurückweisung der Einrede erfolgen. Das ist jedoch nicht der Fall. §. 710 a. a. O. bestimmt im Abs. 1, daß bei der Zwangsvollstreckung in das bewegliche Vermögen wegen einer Geldforderung ein Dritter, welcher sich nicht im Besitze der Sachen befindet, der Pfändung auf Grund eines Pfand- oder Vorzugsrechtes nicht widersprechen, jedoch seinen Anspruch auf vorzugsweise Befriedigung aus dem Erlöse im Wege der Klage geltend machen kann, ohne Rücksicht darauf, ob seine Forderung fällig ist oder nicht. Danach hat das Gesetz dem angeblich besser berechtigten Gläubiger die Befugnis, in das Pfändungsverfahren einzugreifen und dasselbe zum Stillstand zu bringen, entzogen. Andererseits ist ihm ein von der Fälligkeit seiner Forderung unabhängiges Klagerecht auf den Erlös gegeben. Die Motive zu dem Gesetze (S. 425) sagen:

Soweit sich dagegen der Pfandgläubiger nicht im Besitze befindet, fordert die Rücksicht auf den energischen Betrieb der Zwangsvollstreckung, daß das Pfandrecht den Fortgang der Exekution nicht hemmen darf. Der Entwurf hat daher in Übereinstimmung mit dem norddeutschen Entwurfe §. 972 dem nicht besitzenden Pfandgläubiger den Widerspruch gegen die Pfändung versagt und sein dingliches Recht in einen prioritätisch zu befriedigenden Anspruch auf den Erlös verwandelt.

Die hierdurch dem Gläubiger gegebene Klage soll nach §. 710 Abs. 2 a. a. O. bei dem Vollstreckungsgerichte, bezw. dem Landgerichte, in dessen Bezirke das Vollstreckungsgericht seinen Sitz hat, angestellt werden. Daß die sonach dem Vollstreckungsgerichte beigelegte ausnahmsweise Zuständigkeit nur eintritt, wenn das Vollstreckungsverfahren noch nicht definitiv beendigt ist, dafür spricht deutlich der Ausdruck: "Erlös". Denn von einem Erlöse kann man nicht mehr reden, wenn der Kaufpreis an den Gläubiger ausgehändigt und dadurch in sein eigentümliches Vermögen übergegangen ist. Zu einer solchen beschränkenden Auslegung des Gesetzes führt auch die Erwägung, daß nach Abs. 1 a. a. O. die Klage des nicht besitzenden Gläubigers von der Fälligkeit der Forderung unabhängig sein soll. Solange ein Prioritätsstreit mehrerer Gläubiger über den noch nicht abgelieferten Erlös möglich ist, entspricht es der Billigkeit, hierbei die Ansprüche der Gläubiger, sofern sie überhaupt existieren, auch wenn sie nicht fällig sind, zuzulassen. Weshalb aber der Gesetzgeber eine gleiche Ausnahme von der Regel für die Klage des angeblich besser berechtigten Gläubigers gegen denjenigen, welcher den Erlös empfangen hat, angeordnet haben sollte, ist nicht ersichtlich. Mit Unrecht stützt auch Klägerin ihre Ansicht auf §. 684 C.P.O. Der Abs. 2 dieses Gesetzes enthält nur eine Definition des im Abs. 1 gebrauchten Ausdruckes: Vollstreckungsgericht. Die Worte desselben:

in dessen Bezirke das Vollstreckungsverfahren stattfinden soll oder stattgefunden hat,
haben nur die Bedeutung, daß die Ausführung der Zwangsvollstreckung an sich die Zuständigkeit des Vollstreckungsgerichtes nicht ausschließt. Sie besagen jedoch keineswegs, daß dies auch nach gänzlichem Abschlusse des Vollstreckungsverfahrens der Fall sein soll.

Danach geht der Berufungsrichter ohne Rechtsirrtum davon aus, daß bei Lage der Sache die Zuständigkeit des Landgerichtes zu Essen durch §. 710 C.P.O. nicht begründet wird. Die getroffene Entscheidung steht im Einklang mit den Ausführungen von v. Wilmowski und Levy, Kommentar zur Civilprozeßordnung §. 710 Anm. 3, 3. Ausg. S. 845; L. Seuffert, §. 710 Anm. 3 c, 2. Ausg. S. 846 und Gaupp, Zwangsvollstreckung §. 710 Nr. IV S. 238."