RG, 19.11.1918 - VII 306/18
Ist zur Annahme eines Gewerbebetriebs im Sinne des § 76 des durch das Gesetz über einen Warenumsatzstempel vom 26. Juni 1916 abgeänderten Reichsstempelgesetzes eine auf Erzielung von Gewinn gerichtete Tätigkeit erforderlich?
Tatbestand
Das Reichsgericht hat die Frage verneint.
Gründe
..."Wenn auch bei der Auslegung eines Reichssteuergesetzes davon auszugehen ist, daß das Gesetz, wenn es einen der Reichsgesetzgebung bekannten Rechtsbegriff verwendet, diesen Begriff im Zweifel in dem bereits festgelegten Sinne gemeint hat, so ist doch in jedem einzelnen Falle zu prüfen, ob nicht das Steuergesetz erkennbar den Begriff in einem abweichenden sei es engeren oder weiteren Sinne gebraucht hat. Hier liegen Umstände vor, die für letzteres sprechen. Zunächst kommt die Entstehungsgeschichte des Gesetzes über einen Warenumsatzstempel in Betracht. Dem Reichstage war im Jahre 1916 der Entwurf eines Quittungsstempelgesetzes vorgelegt, wonach über Zahlungen für gelieferte Waren von bestimmter Höhe eine stempelpflichtige Quittung ausgestellt werden sollte, und zwar sollte die Verpflichtung zu einer solchen Quittungsausstellung jedermann, auch den Nichtgeschäftsmann treffen. Dieser Gedanke eines allgemeinen Quittungsstempels wurde von der Reichstagskommission als die Allgemeinheit zu sehr belastend abgelehnt und in den Kommissionsberatungen der Entwurf über einen Warenumsatzstempel in der Fassung aufgestellt, wie er sodann zum Gesetz geworden ist. Während in § 83a RStempG. der Warenumsatz, der nicht im Betrieb eines inländischen Gewerbes erfolgt, dadurch dem neuen Stempel unterworfen wurde, daß über alle im Inlande für Warenlieferungen erfolgenden Zahlungen von mehr als 100 M eine stempelpflichtige Quittung auszustellen ist, wurde es für nicht angängig erachtet, den Gewerbetreibenden für die in ihren Betrieben bewirkten Umsätze in bezug auf jede einzelne, 100 M übersteigende Zahlung einen solchen Quittungszwang aufzuerlegen, vielmehr erschien es geboten, solchen Geschäftsleuten die Zahlung eines Jahrespauschals nachzulassen. Dementsprechend wurde im § 76 bestimmt: "Wer ... ein ... Gewerbe betreibt, hat ... am Schlusse des Kalenderjahrs ... den Gesamtbetrag der Zahlungen anzumelden, die" usw. Daß hier das Gesetz zu den unter den § 76 und somit nicht unter den § 83 a fallenden Gewerbetreibenden nicht nur solche Personen gerechnet wissen will, die etwa im Sinne der Reichsgewerbeordnung als Gewerbetreibende anzusehen sind, spricht es dadurch ausdrücklich aus, daß es im Abs. 2 des § 76 bestimmt: "als Gewerbebetrieb gilt auch der Betrieb der Land- und Forstwirtschaft usw." Wenn das Gesetz dann fortführt: "Die Gewerbsmäßigkeit einer Unternehmung wird nicht dadurch ausgeschlossen, daß sie von einer öffentlichen Körperschaft oder daß sie von einem Verein, einer Gesellschaft oder einer Genossenschaft, die nur an die eigenen Mitglieder liefern, betrieben wird", so ist dadurch erkennbar zum Ausdruck gebracht, daß ein Gewerbebetrieb im Sinne des Gesetzes auch dann als vorliegend angesehen werden soll, wenn das von einer Gesellschaft betriebene Unternehmen im einzelnen Falle nicht darauf abgestellt ist, Gewinn zu erzielen, sondern vielmehr durch den Betrieb lediglich bezweckt wird, durch die Lieferung an die Mitglieder deren Warenbezug zu verbilligen. Diese Auffassung wird dadurch unterstützt, daß kein verständiger Grund abzusehen ist, einem solchen Unternehmen, das doch gleich den auf Erzielung von Gewinn abgestellten Betrieben den Warenumsatz dauernd geschäftsmäßig betreibt, unter Freilassung von der Verpflichtung zur Zahlung eines Jahrespauschals nach § 76 die in § 83a vorgesehene Verpflichtung zur Ausstellung stempelpflichtiger Einzelquittungen aufzuerlegen.
Bieten somit Wortlaut und Zweck der gesetzlichen Bestimmungen an sich schon einen ausreichenden Anhalt für die von dem Bundesrate nach der Bekanntmachung des Reichskanzlers vom 23. Oktober 1916 vertretene Auffassung, daß zur Annahme eines Gewerbebetriebes im Sinne des § 76 "eine auf Erzielung von Einnahmen aus Warenumsätzen gerichtete geschäftliche Tätigkeit" ausreicht, so spricht der Umstand, daß der Bundesrat alsbald nach dem Inkrafttreten des Gesetzes vom 26. Juni 1916 sich in diesem Sinne über das, was das Gesetz unter "Gewerbebetrieb" verstanden wissen will, ausgesprochen hat, weiter immerhin auch für die Richtigkeit der von der Revision vertretenen Auslegung. Zutreffend weist die Revision schließlich auch noch auf die Bekanntmachung des Bundesrats vom 14. November 1916, betr. Befreiungen von Warenumsatzsteuer, hin, die gleichfalls die Auffassung des Bundesrats erkennen läßt, daß eine auf Gewinnerzielung gerichtete Absicht nach § 76 nicht die Voraussetzung der Anmeldepflicht ist." ...