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RG, 28.12.1883 - IV 367/83

Daten
Fall: 
Unbeeidigter Zeuge
Fundstellen: 
RGZ 10, 415
Gericht: 
Reichsgericht
Datum: 
28.12.1883
Aktenzeichen: 
IV 367/83
Entscheidungstyp: 
Urteil
Instanzen: 
  • LG Dortmund
  • OLG Hamm

Darf eine Feststellung auf die Aussage eines der in §. 358 Nr. 3. 4 C.P.O. bezeichneten Zeugen gegründet werden, wenn derselbe unbeeidigt geblieben ist?

Tatbestand

Das Berufungsgericht hat ein Anerkenntnis der Beklagten auf Grund des Wortlautes ihrer im Kaufgelderbelegungsprotokolle enthaltenen Erklärung in Verbindung mit der Aussage ihres unbeeidigt gebliebenen Sohnes Franz K. festgestellt.

Gründe

"Die Beklagte stellt in der Revisionsinstanz den Satz auf: daß der Richter die Mittel zur Erforschung der Wahrheit zu erschöpfen und nur, wenn dieses geschehen, gemäß §. 259 C.P.O. nach freier Überzeugung zu entscheiden habe, ob eine Behauptung wahr oder nicht wahr sei.

Gegen diesen Rechtsgrundsatz habe das Berufungsgericht verstoßen, indem es unterlassen habe, gemäß des Schlußsatzes des §. 358 a. a. O. den K. zu beeidigen. Indessen den obigen Satz kennt die Civilprozeßordnung in dieser Allgemeinheit nicht.

Die richtigen Voraussetzungen für die freie Beweiswürdigung des Richters sind vielmehr, daß die Aufnahme eines in zulässiger Weise beantragten Beweises über eine für erheblich erachtete Thatsache nicht unterblieben, und daß bei der Aufnahme dieses Beweises nicht gegen die Gesetze verstoßen sei.

Nur das Vorhandensein dieser letzteren Voraussetzung steht hier in Frage. Die Civilprozeßordnung unterscheidet nun aber in bezug auf die Beeidigung drei Klassen von Zeugen, nämlich:

  1. Zeugen, welche mangels Verzichtes der Parteien auf die Beeidigung stets zu beeidigen sind; diese Klasse bildet die Regel (§. 356 a. a. O.);
  2. Zeugen, deren nachträgliche Beeidigung das Prozeßgericht anordnen kann (§. 358 Nr. 3. 4 a. a. O.);
  3. Zeugen, welche niemals beeidigt werden dürfen (§. 358 Nr. 1. 2 a. a. O.).

Stützt der Richter seine Überzeugung auf die Aussage eines nicht beeidigten Zeugen der ersten Klasse, so verletzt er die §§. 356. 259 a. a. O.; denn in dem letzteren Paragraphen ist unter "einer etwaigen Beweisaufnahme" nur eine den Vorschriften des Gesetzes entsprechende Beweisaufnahme zu verstehen.1

In diesem Sinne kann man mit den Motiven (S. 256),2 davon sprechen, daß die Regel der eidlichen Vernehmung der Zeugen eine Beschränkung des Prinzipes der freien Beweiswürdigung ist.

Eine solche Verletzung liegt aber nicht vor, wenn der Richter seine Überzeugung auf die Aussage eines nicht beeidigten Zeugen der zweiten Klasse gründet. Denn, da der letzte Absatz des §. 358 a. a. O. die nachträgliche Beeidigung eines solchen Zeugen in sein Ermessen stellt und damit eine ausdrückliche Ausnahme von der als Regel geltenden Notwendigkeit der Zeugenbeeidigung statuiert, so kann man die Verletzung eines Gesetzes nicht daraus herleiten, daß dieses dem Richter überlassene Ermessen ihn zu dem Beschlusse geführt hat, die nachträgliche Beeidigung sei nicht anzuordnen. Eine solche Beweisaufnahme entspricht dem Gesetze und ist daher nach §. 259 a. a. O. eine geeignete Grundlage für die Gewinnung der Überzeugung des Richters. Die freie Beweiswürdigung ist in solchem Falle durch die Notwendigkeit der Beeidigung des Zeugen nicht beschränkt.

Das von der Revisionsklägerin geltend gemachte Argument:
daß es ein innerer Widerspruch sei, dem Richter zu verwehren, seine Überzeugung auf die Aussage eines unbeeidigt gebliebenen Zeugen der ersten Klasse zu stützen, ihm dies aber zu gestatten für die unbeeidigte Aussage eines Zeugen der zweiten Klasse,

ist gegenüber dem Prinzipe der freien Beweiswürdigung nicht stichhaltig. Denn die Frage berührt, wie oben dargelegt ist, zunächst nur die Beobachtung der für die Beweisaufnahme gegebenen Vorschriften; nur indirekt berührt sie die freie Beweiswürdigung insofern, als der Richter bei der letzteren an die Voraussetzung einer dem Gesetze entsprechenden Beweisaufnahme gebunden ist. Übrigens motiviert das Berufungsgericht die Nichtanordnung der nachträglichen Beeidigung des Zeugen ausreichend durch die Erwägung:

Der Zeuge K. ist zwar nicht beeidet, er ist aber der leibliche Sohn der Beklagten und von ihr als Zeuge benannt, verdient hiernach vollen Glauben.

Damit erklärt das Berufungsgericht die Beeidigung für etwas Überflüssiges, und auch dies liegt in den Grenzen des ihm durch §. 358 a. a. O. überlassenen Ermessens.

Diese Auffassung haben auch die Motive zu dem wesentlich mit §. 358 übereinstimmenden §. 345 des Entwurfes. Denn es wird dort an der obenbezeichneten Stelle ferner gesagt:

Die unbeeidigte Vernehmung von Zeugen gestattet der Entwurf in den Fällen des §. 345 und überweist im Interesse der Ermittelung materieller Wahrheit die Würdigung des Wertes unbeeidigter Zeugenaussagen gleich dem gesamten Beweismaterial der freien Würdigung des Richters.

Darin liegt, daß der Richter die freie Würdigung der Aussagen solcher Zeugen hat, mögen sie unbeeidigt geblieben sein, weil das Gesetz die Beeidigung nicht zuläßt (§. 358 Nr. 1. 2 a. a. O.), oder aber weil das Gericht ihre nachträgliche Beeidigung nicht für angemessen oder erforderlich erachtet.

Es wäre gewiß eine nicht weniger auffällige Konsequenz, als die von der Revisionsklägerin gezogene, wenn man den Zeugen, bei welchen die nachträgliche Beeidigung durch das Gesetz untersagt ist, Bedeutung beilegen, eine solche aber den Zeugen, deren Beeidigung nach dem Ermessen des Prozeßgerichtes unterblieben ist, versagen wollte."

  • 1. Vgl. Entsch. des R.G.'s in Civils. Bd. 8 S. 408 flg.
  • 2. vgl. Hahn, Materialien S. 315,