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RG, 11.01.1884 - III 291/83

Daten
Fall: 
Haftung der Eisenbahn für auf unbedeckten Wagen entstehenden Schaden
Fundstellen: 
RGZ 10, 105
Gericht: 
Reichsgericht
Datum: 
11.01.1884
Aktenzeichen: 
III 291/83
Entscheidungstyp: 
Urteil
Instanzen: 
  • LG Hannover
  • OLG Celle

Haftung der Eisenbahn für den beim Transporte auf unbedeckten Wagen entstehenden Schaden. Was ist unter einem "unbedeckten Wagen" zu verstehen? Gegenbeweis gegen die in Art. 424 H.G.B. aufgestellte Vermutung, daß ein eingetretener Schade, wenn er aus der nicht übernommenen Gefahr entstehen konnte, aus derselben wirklich entstanden ist.

Tatbestand

Am 14. November 1881 wurden von dem Spediteur N. zu Bremerhaven bei der dortigen Eisenbahn-Güterexpedition mittels Frachtbriefes von demselben Tage 101 Ballen Baumwolle zur Beförderung an das Fabriketablissement der klagenden Firma in Zawiercie aufgegeben. In dem Frachtbriefe war eine Verladung der Baumwolle in bedeckten Wagen nicht verlangt. Die Baumwolle wurde auf zwei offenen Eisenbahnwaggons von Arbeitern der Eisenbahnverwaltung verladen und mit von dieser hergegebenen Regendecken bedeckt. Die Baumwolle auf einem der Wagen ist während des Transportes in Brand geraten; das Feuer wurde am 18. November 1881 auf der Station Sosnowice entdeckt. Der Inhalt von 39 Ballen ist durch das Feuer zerstört. Die Klägerin, als Cessionarin des Spediteurs N., fordert Entschädigung im Betrage von 10 000 M. Die Eisenbahnverwaltung hat die Zahlung einer Entschädigung verweigert, indem sie ihre Haftpflicht auf Grund der Bestimmungen in Art. 424 Ziff. 1. 2. 4. H.G.B, und §. 67 Ziff. 1. 2. 3 des Betriebsreglements für die Eisenbahnen bestreitet.

Das Landgericht hat die aus Art. 424 Ziff. 2 und 4 entnommenen Einwendungen verworfen, dagegen Art. 424 Ziff. 1 für zutreffend erachtet und die Klage abgewiesen. Das Berufungsgericht hat diese letztere Annahme gebilligt und über die anderen Punkte nicht erkannt. Auf Revision der Klägerin ist das Urteil des Oberlandesgerichtes aufgehoben und die Sache zur anderweiten Verhandlung und Entscheidung an das Berufungsgericht zurückverwiesen aus folgenden Gründen:

Gründe

... "Das Berufungsgericht hat den von der Klägerin wegen Beschädigung der von dem Spediteur N. zu Bremerhaven am 14. November 1881 bei der Eisenbahn-Güterexpedition zu Bremerhaven zur Beförderung an das Fabriketablissement der klagenden Firma zu Zawiercie aufgegebenen Baumwolle erhobenen Entschädigungsanspruch abgewiesen, weil es die Haftbarkeit des Beklagten auf Grund der Bestimmungen in Art. 424 Ziff. 1 H.G.B. für ausgeschlossen erachtet, und ist daher auf die Frage, ob die Haftbarkeit des Beklagten auch in Gemäßheit der Vorschriften in Art. 424 Ziff. 2. 4 H.G.B., auf welche der Beklagte sich ebenfalls berufen hat, ausgeschlossen werde, nicht eingegangen. Mit Recht hat zunächst der Berufungsrichter in Übereinstimmung mit dem Landgerichte angenommen, daß, da in dem Frachtbriefe vom 14. November 1881 eine Beförderung der zur Versendung aufgegebenen Baumwolle in bedeckten Wagen nicht verlangt worden, in Gemäßheit der Bestimmungen in §. 67 Ziff. 2 des Betriebsreglements für die Eisenbahnen Deutschlands vom 11. Mai 1874 und der allgemeinen Tarifvorschriften S. 53 III, die in Art. 424 Ziff. 1 H.G.B, enthaltene Beschränkung der Haft der Eisenbahn für den hier in Rede stehenden Transport als bedungen galt. Es ist auch den Ausführungen des Berufungsrichters beizustimmen, daß unter einem " unbedeckten Wagen" im Sinne des Gesetzes ein solcher zu verstehen sei, welcher seiner Konstruktion und dauernden Einrichtung nach mit einer Bedeckung von oben nicht versehen ist, und daß ein solcher "unbedeckter" (offener) Wagen dadurch nicht zu einem "bedeckten" wird, daß derselbe mit Regendecken etc. überdeckt wird,1 sowie darin, daß die Zulässigkeit der Berufung auf die Bestimmung in Art. 424 Ziff. 1 H.G.B. dadurch nicht ausgeschlossen, die Haftbarkeit der Eisenbahnverwaltung für den an dem beförderten Frachtgute eingetretenen Schaden dadurch nicht verändert und erweitert wird, daß sie einen unbedeckten Wagen, auf welchem nach Lage der Sache der Transport vereinbarungsmäßig erfolgen durfte, freiwillig mit einer Wagendecke überdeckt hat.2

Wenn sodann das Berufungsgericht den Einwand der Klägerin, der Beklagte könne auf die Vorschrift in §. 424 Ziff. 1 H.G.B. im vorliegenden Falle sich nicht berufen, weil durch die Bestimmung in den allgemeinen Tarifvorschriften, S. 53 III, die Eisenbahnverwaltung die verbindliche Zusage gemacht habe, Baumwolle ohne Erhöhung der Fracht in bedeckten Wagen zu befördern, sofern solche auf der Absendestation verfügbar seien, diese Voraussetzung im vorliegenden Falle gegeben und die Eisenbahnverwaltung in Bremerhaven daher nicht befugt gewesen sei, die hier fragliche Baumwolle in unbedeckten Wagen zu befördern, verwirft, weil sich nicht annehmen lasse, daß durch diese Bestimmung eine von dem Vorrate gedeckter Wagen abhängige Pflicht seitens der Eisenbahn habe übernommen werden sollen, so beruht diese Entscheidung auf einer Auslegung der betreffenden Bestimmung der Tarifvorschriften, bei welcher die Verletzung einer Rechtsnorm, insbesondere der von der Revisionsklägerin hervorgehobenen, nicht erkennbar ist. Die Auslegung würde aber nur dann mit der Revision anfechtbar sein, wenn bei derselben eine Rechtsnorm verletzt wäre, da es sich nicht um die Auslegung eines Gesetzes, sondern einer Vertragsbestimmung handelt. Daß der Berufungsrichter bei seiner Auslegung der fraglichen Bestimmung einen Teil des Vertragsinhaltes übersehen habe, insbesondere, daß die Beförderung der bezeichneten Waren in bedeckten Wagen "ohne Erhöhung der Frachtpreise" zugesichert sei, ist nicht anzunehmen, um so weniger, da der Berufungsrichter die Worte "ohne Erhöhung des Tarifs" ausdrücklich erwähnt. Ebensowenig liegt ein Verstoß gegen die Bestimmung in Art. 278 H.G.B.'s vor. Der Berufungsrichter haftet bei seiner Auslegung keineswegs an dem buchstäblichen Sinne des gebrauchten Ausdruckes, legt auch nicht einseitig Gewicht darauf, was die Eisenbahnverwaltung bei der fraglichen Vertragsklausel gewollt habe, sondern gelangt zu der gedachten Auffassung durch die Erwägung, daß der Zusammenhang dieser Bestimmung mit den vorhergehenden in Abs. 1 und 2, sowie die eine feste Zusicherung keineswegs ausdrückende Wortfassung selbst und der sonstige Sprachgebrauch des Reglements und der Tarifvorschriften in Fällen, wo bindende Verpflichtungen haben übernommen werden sollen, deutlich erkennen lasse, daß das bedingungsweise Erbieten zur Stellung gedeckter Wagen nur als eine dem freien Willen der Bahn anheimgegebene, außerhalb des Vertragsnexus liegende Inaussichtstellung zu betrachten sei.

Dagegen erscheint die Beschwerde der Revisionsklägerin über die Ablehnung der Aufnahme des von ihr in zweiter Instanz angebotenen Gegenbeweises begründet. Die Entscheidung des Berufungsgerichtes beruht auf einer unrichtigen Auffassung der Vorschriften des vorletzten Absatzes des Art. 424 H.G.B., insbesondere der Voraussetzungen des dem Absender gegen die hier aufgestellte Präsumtion, daß ein eingetretener Schade, wenn er aus der nicht übernommenen Gefahr entstehen konnte, aus derselben wirklich entstanden sei, nachgelassenen Nachweises des Gegenteiles. Nach Inhalt der bei der mündlichen Verhandlung vorgetragenen Berufungsanträge hat die Klägerin in der Berufungsinstanz, unter Bezugnahme auf die von ihr vorgelegten Urkunden und unter Benennung von Zeugen und Sachverständigen, behauptet, daß das Feuer, durch welches die fragliche Baumwolle beschädigt worden, nicht durch die Transportart, also nicht durch den Transport auf unbedeckten Wagen entstanden sei, daß die Bedeckung mit Regendecken, wie sie im vorliegenden Falle stattgefunden habe, die Feuersgefahr von außen her ebensogut abhalte, wie feste Decken der Wagen, und daß der Schade nicht auf die hier stattgehabte Transportart und die damit verbundene Gefahr zurückgeführt werden könne. Es muß dabei davon ausgegangen werden, daß die in den Urkunden über den stattgehabten Brand, die Art der Bedeckung und der Beschaffenheit des Wagens, sowie der beschädigten Baumwolle enthaltenen Thatsachen vorgetragen und unter Beweis der als Zeugen benannten Personen gestellt sind, welche bei der Entdeckung des Feuers gegenwärtig, bei der Abräumung des Wagens und dem Löschen des Feuers thätig gewesen sind. Wenn der Berufungsrichter diese Beweisantretung zunächst deshalb für unerheblich erachtet, weil dieselbe viel zu allgemein gehalten und zu wenig substanziiert sei, so beruht diese Erwägung offenbar auf der rechtlichen Auffassung über die Voraussetzungen und den Gegenstand des nach der angeführten Gesetzesvorschrift nachgelassenen Gegenbeweises, da die unter Beweis gestellten Thatsachen nicht von vornherein für unerheblich und die Beweisantretung für ungenügend substanziiert angesehen werden können, wenn man von der für richtig zu erachtenden Auffassung jener Gesetzesvorschrift ausgeht. Die weiteren Erwägungen des Berufungsgerichtes ergeben, daß dasselbe zur Beseitigung der in Art. 424 H.G.B. aufgestellten Vermutung den Nachweis einer bestimmten anderen Entstehungsursache des eingetretenen Schadens, hier also den positiven Nachweis, durch welche Ursache das Feuer in dem Wagen, auf welchem die Baumwolle verladen gewesen, entstanden ist, für erforderlich erachtet. Diese Auffassung des Gesetzes kann aber nicht für zutreffend erkannt werden. Das Gesetz sieht, indem es die mehrerwähnte Bestimmung trifft, von dem Nachweise des Kausalzusammenhanges zwischen dem eingetretenen Schaden und der von der Eisenbahn nicht übernommenen Gefahr ab, nimmt vielmehr, sofern nur der eingetretene Schaden aus der betreffenden Gefahr entstehen konnte, diesen Kausalzusammenhang bis zum Beweise des Gegenteiles als gegeben an. Diese Annahme wird aber nicht allein dadurch beseitigt, daß der positive Beweis geführt wird, der Schaden sei durch eine bestimmte andere Ursache herbeigeführt, sondern auch durch den Nachweis von Thatsachen, aus denen sich ergiebt, daß der gefährliche Umstand, für welchen die Haft ausgeschlossen ist, nach den konkreten Verhältnissen, die Ursache des Unfalles nicht gewesen sein kann. Denn auch in diesem Falle ist, ohne daß es möglich ist, positiv die Ursache des Schadens darzuthun, bewiesen, daß nach Lage des konkreten Falles, die Vermutung, daß die Wirklichkeit der Möglichkeit entspreche, nicht zutrifft. Die Vermutung, daß ein Schade, welcher beim Transporte von Waren auf ungedeckten Wagen eingetreten ist, aus dieser Art des Transportes wirklich entstanden sei, sofern er aus derselben entstehen konnte, kann daher nicht bloß durch den Nachweis widerlegt werden, daß der Schade aus einer bestimmten anderen Ursache entstanden sei, sondern bei einem durch Feuer entstandenen Schaden auch durch den Nachweis, daß durch die konkreten Umstände die Feuergefährlichkeit des Transportes auf unbedeckten Wagen in der Art ausgeschlossen sei, daß das eingetretene Feuer aus dieser Art des Transportes nicht habe entstehen können, wenn es auch nicht möglich ist, positiv festzustellen, auf welche Weise das Feuer entstanden ist. Geht man hiervon aus, so können die von der Klägerin unter Beweis gestellten Thatsachen nicht als völlig unerheblich bezeichnet werden. Ist dieses aber nicht der Fall, so kann die Beweisaufnahme nicht deshalb abgelehnt werden, weil das Beweisergebnis nur zu einem höheren oder geringeren Grade von Wahrscheinlichkeit führen werde. Wenn auch, wie bereits oben bemerkt, dem Berufungsrichter darin beizupflichten war, daß dem Umstande, daß die unbedeckten Wagen, auf denen der Transport der fraglichen Baumwolle erfolgte, von der Eisenbahnverwaltung mit Decken versehen waren, für den Umfang ihrer Haftpflicht Bedeutung nicht beizulegen sei, so folgt daraus doch nicht, daß die Frage, ob die Gefahr in concreto bei der Transportart in mit Decken versehenen Wagen ausgeschlossen war, von vornherein unerheblich sei; dieselbe ist vielmehr für den der Klägerin nachgelassenen Gegenbeweis nicht ohne Bedeutung." ...

  • 1. Vgl. v. Hahn, H.G.B. Bd. 2 S. 726 zu Art. 424 §. 4; Eger, Das deutsche Frachtrecht Bd. 3 S. 223 und die dort Citierten; Entsch. des R.O.H.G.'s Bd. 12 S. 120, Bd. 13 S. 430, Bd. 14 S. 219.
  • 2. Entsch. des R.G.'s in Civils. Bd. 1 S. 15.