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RG, 23.09.1918 - VI 139/16

Daten
Fall: 
Beschluß eines ärztlichen Standesvereins
Fundstellen: 
RGZ 93, 302
Gericht: 
Reichsgericht
Datum: 
23.09.1918
Aktenzeichen: 
VI 139/16
Entscheidungstyp: 
Urteil

Unter welchen Umständen ist in dem Beschluß eines ärztlichen Standesvereins, wodurch seinen Mitgliedern der berufliche Verkehr mit einem dem Vereine nicht angehörigen Arzte verboten wird, ein Verstoß wider die guten Sitten zu erblicken?

Tatbestand

Der verklagte Verein hatte in seiner Monatsversammlung vom 14. November 1913 folgendes einstimmig beschlossen:

  1. Die Ärzte, welche von der Organisation gesperrte Stellen an hiesigen Krankenkassen angenommen haben, sind als außerhalb der Standesverbindung stehend anzusehen.
  2. Die Annahme von Vertrauensarztstellen an Krankenkassen, die mit standesuntreuen Ärzten besetzt sind, ist verboten.
  3. Von jedem standestreuen Kollegen ist zu verlangen, daß er Konsilien mit diesen Herren ablehnt.

Diesen Beschluß ließ der Beklagte am 23. November 1913 in der Schlesischen Ärztekorrespondenz, dem Organ der Ärztekammer der Provinz Schlesien, veröffentlichen. Der Kläger war damals bei der Allgemeinen Ortskrankenkasse zu Breslau, die von der Organisation der Ärzte gesperrt war, als Krankenkassenarzt angestellt. Mit der Behauptung, er sei durch den Beschluß in seiner Standesehre angegriffen, in seiner Privatpraxis geschädigt und in dem Erwerb idealer Güter, nämlich durch den Ausschluß von ärztlichen Vereinen in seiner wissenschaftlichen Fortbildung, beeinträchtigt worden, beantragte er, den Beklagten zu verurteilen, den in der Schlesischen Ärztekorrespondenz veröffentlichten Beschluß aufzuheben und die Aufhebung in dieser Zeitschrift bekannt zu machen, sowie ihm als Schadensersatz 1500 M zu zahlen.

Während der erste Richter auf Abweisung erkannte, gab das Oberlandesgericht der Klage statt. Es ging davon aus, daß das von dem Beklagten erstrebte Ziel an sich als ein erlaubtes gelten müsse und auch dadurch nicht zu einem sittenwidrigen werde, daß der Beklagte dabei die durch die Kassen beschränkte Erwerbstätigkeit seiner Vereinsgenossen zu vergrößern, freie Ärztewahl bei den Krankenkassen zu erreichen und den Berufsgenossen so wirtschaftliche Vorteile zu schaffen versucht habe. Als Mittel zur Erreichung dieses Zieles habe er aber eine Verrufserklärung gewählt, die als Verstoß gegen die guten Sitten zu betrachten sei. Zwar sei dabei nicht ausgesprochen, daß er die Kassenärzte dadurch habe zwingen wollen, ihr Amt niederzulegen, oder daß er die Krankenkassen dadurch habe bestimmen wollen, die freie Ärztewahl einzuführen. Aber der Beschluß enthalte einen Angriff gegen die Standesehre der Kassenärzte und eine Untergrabung ihrer ärztlichen Stellung; deshalb sei anzunehmen, daß jener Zwang doch habe ausgeübt werden sollen. Der Beklagte habe sich bewußt sein müssen, daß ein schädlicher Erfolg für die Kassenärzte durch sein Handeln herbeigeführt werden könne. Da er diesen Erfolg durch einen Angriff auf die Standesehre derer, gegen die sich der Vorwurf richte, herbeizuführen suche, so widerspreche dies dem Anstandsgefühle billig Denkender und sei objektiv als Verstoß gegen die guten Sitten zu betrachten. Da der Verruf sich gegen die Klasse der Breslauer Kassenärzte richte, so sei auch der Kläger dadurch betroffen worden und daher berechtigt, für sich Schadensersatzansprüche aus der unerlaubten Handlung geltend zu machen.

Auf die Revision wurde das erste Urteil wiederhergestellt aus folgenden Gründen:

Gründe

... "Der Zweck des Vorgehens des Beklagten, im Interesse des ärztlichen Standes und als Hüter der ärztlichen Standesehre eine Schmälerung der freien ärztlichen Berufstätigkeit durch die Einrichtung von Krankenkassenärzten zu hindern, weil nach seiner Überzeugung die Kassenärzte nicht als frei von unsachlicher Beeinflussung anzusehen und nicht unter angemessenen Bedingungen angestellt seien, ist, wie auch das Berufungsgericht nicht verkennt, ein erlaubter. Ein Verstoß gegen die guten Sitten könnte daher nur in dem Mittel liegen, das der Beklagte zur Verfolgung dieses Zweckes angewendet hat, mithin in dem Beschlusse vom 14. November 1913 und dessen Veröffentlichung in der Schlesischen Ärztekorrespondenz. Wie der erkennende Senat wiederholt ausgesprochen hat, würde die Anwendung des § 826 BGB. aus diesem Gesichtspunkte nur dann gegeben sein, wenn die Maßregel geeignet war, die wirtschaftliche Existenz des Klägers völlig oder nahezu zu untergraben, oder wenn sie zu derjenigen Handlungsweise des Klägers, die dem Beklagten zu seinem Vorgehen Veranlassung gab, in keinem billigen Verhältnis stände, so daß sie sich als eine Maßnahme der Willkür und Gehässigkeit darstellte (RGZ. Bd. 64 S. 158). Eine Gefährdung der wirtschaftlichen Existenz des Klägers hat das Berufungsgericht aus zutreffenden Gründen nicht angenommen, wohl aber hat es den anderen Gesichtspunkt für gegeben erachtet, indem es davon ausgeht, der Beklagte habe den Kläger durch einen Angriff auf seine Standesehre zwingen wollen, sein Amt als Kassenarzt niederzulegen.

Gegen die hierfür gegebenen Ausführungen wendet sich die Revision mit Recht. Zwar mag der von ihr darin gefundene Widerspruch nicht vorhanden sein, insofern das Berufungsgericht zunächst ausführt, ein Zwang gegen die Kassenärzte sei in dem Beschlusse nicht ausgesprochen, ergebe sich also aus seinem Wortlaute nicht, dann aber darlegt, daß der Beklagte mit dem Beschlusse einen Zwang habe ausüben wollen, dies also aus dem gesamten Inhalte sich ergebe. Allein, was es in dieser letzteren Beziehung ausführt, findet, wie die Revision mit Recht rügt, in dem feststehenden Sachverhalte keine Grundlage. Der Beschluß richtet sich nicht gegen die Person des Klägers unmittelbar, sondern gegen eine bestimmte Gruppe von Ärzten, zu der auch der Kläger gehört. Er besagt nicht, daß gegen diese etwas Ehrenrühriges vorliege, er läßt dies auch nicht etwa durchblicken, so daß Uneingeweihte dies annehmen könnten (wie in dem Falle RGZ. Bd. 79 S. 17 flg.). Er spricht bestimmt aus, daß Arzte, weil und solange sie an Breslauer Krankenkassen Stellen einnehmen, die von der Organisation gesperrt sind, außerhalb der Standesverbindung stehen, und ist in der Form nicht verletzend. Er enthält auch nicht, wie das Berufungsgericht meint, einen Angriff des Beklagten auf die Standesehre des Klägers. Der Beklagte hat vielmehr, wie ihm freistand, durch den Beschluß dem Kläger nur Vorteile entzogen, auf die dieser an und für sich keinen Anspruch hat, die vielmehr im Wesen der Organisation des Beklagten liegen, und wenn es auch zutreffen sollte, daß das Verkehrsverbot über den Kreis der Ärzte hinaus das persönliche Ansehen des Klägers und damit seinen Erwerb gefährdete sowie eine gewisse Beeinflussung der Ärzte dahin enthielt, Stellen an gesperrten Kassen nicht anzunehmen oder solche niederzulegen, so war doch hierauf der Wille des Beklagten nicht unmittelbar gerichtet, sondern es waren dies nur Begleiterscheinungen eines Vorgehens des Beklagten, mit dem ein nicht unerlaubter, ja ein sittlich durchaus gerechtfertigter Zweck erreicht werden sollte. Ein Angriff auf die Standesehre des Klägers kann daher weder in dem Beschlusse noch in dessen Veröffentlichung in einer Fachzeitung gefunden werden, und auch das Bewußtsein jener Schädigung und Beeinflussung kann bei einer solchen Sachlage nicht bewirken, daß das an sich erlaubte und in berechtigtem Interesse erfolgte Vorgehen des Beklagten zu einem unerlaubten und gegen die guten Sitten verstoßenden wird. Die Folgen dieses Vorgehens muß der Kläger tragen, wenn er die Pflichten, deren Erfüllung der Beklagte von seinen Mitgliedern fordert, nicht auf sich nehmen will." ...