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RG, 20.09.1918 - III 120/18

Daten
Fall: 
Begriff der Mahnung
Fundstellen: 
RGZ 93, 300
Gericht: 
Reichsgericht
Datum: 
20.09.1918
Aktenzeichen: 
III 120/18
Entscheidungstyp: 
Urteil

1. Zum Begriffe der Mahnung.
2. Voraussetzungen des Verzugs bei gegenseitigen Verträgen.

Tatbestand

Die Beklagte, die am 10. Februar 1916 an die Klägerin zwei Wagen dänischer Schweinelungen verkauft hatte, lieferte sofort einen der Wagen und erhielt hierfür von der Klägerin 6500 M bezahlt; der restliche Rechnungsbetrag von 788,80 M wurde von der Klägerin nicht entrichtet. Den zweiten Wagen, der gemäß dem Vertrag einige Zeit nach dem ersten zu stellen war, lieferte die Beklagte nicht, auch nicht auf die am 17. März 1916 von der Klägerin gesetzte Nachfrist. Mit der Klage beanspruchte deshalb die Klägerin Schadensersatz wegen Nichtlieferung, und zwar unter Aufrechnung der restlichen Kaufpreisschuld aus dem ersten Wagen in Höhe von 5723,45 M.

Während der erste Richter die Klage abwies, erklärte das Oberlandesgericht den Schadensersatzanspruch dem Grunde nach für gerechtfertigt. Auf die Revision wurde das erste Urteil wiederhergestellt aus folgenden Gründen:

Gründe

"Die Entscheidung des Rechtsstreits hängt, wie das Berufungsgericht zutreffend angenommen hat. davon ab, ob die Beklagte am 4. März 1916 -- dem Tage der Beendigung der tierärztlichen Untersuchung des ersten Wagens -- bereits mit der Lieferung des zweiten Wagens im Verzüge war oder nicht. Wenn die Beklagte am genannten Tage noch nicht im Lieferungsverzuge war, dann war sie befugt, die Lieferung des zweiten Wagens zurückzubehalten, weil die Klägerin die Restkaufpreisschuld für den ersten Wagen in Höhe von 783,80 M, die inhaltlich des Kaufvertrags nach Beendigung der tierärztlichen Untersuchung (also am 4. März 1916) fällig wurde, nicht berichtigt hatte. ...

War aber die Beklagte am 4. März 1916 bereits in Lieferungsverzug geraten, dann war umgekehrt die Klägerin berechtigt, gegenüber der an diesem Tage fällig gewordenen Restkaufpreisschuld das Zurückbehaltungsrecht wegen der Nichtlieferung des zweiten Wagens geltend zu machen. ... Der Eintritt der Fälligkeit der Kaufpreisschuld am 4. März hatte den Schadensersatzanspruch der Klägerin nicht beseitigt. Dieser setzte allerdings die Fortdauer des Verzugs bis zum Ende der Nachfrist voraus. Eine Heilung des Verzugs der Beklagten ist aber mit der Fälligkeit der Restkaufpreisschuld nicht eingetreten. Nach dem 4. März stand beiden Parteien ein fälliger Anspruch aus dem Kaufvertrage zu: der Klägerin ein Anspruch auf Lieferung des zweiten Wagens, der Beklagten ein solcher auf Zahlung der Restkaufpreisschuld; beide Teile hatten also auch ein Zurückbehaltungsrecht. Allein das bloße Bestehen des Zurückbehaltungsrechts der Beklagten beseitigte ihren Verzug nicht. Die Beklagte war zuerst vertragsuntreu geworden und damit in Verzug geraten. Zu dessen Beseitigung mußte sie Handlungen vornehmen, die die Heilung bewirken konnten. Sie mußte mindestens den geschuldeten Wagen Zug um Zug gegen Bezahlung der Restkaufpreisschuld anbieten. Daß sie dies getan habe, ist nicht festgestellt; sie hat sich, selbst auf die Nachfristsetzung untätig verhalten. Im Falle des Lieferungsverzugs der Beklagten am 4. März wäre somit die Schadensersatzforderung der Klägerin begründet gewesen.

Die Beklagte war aber am 4. März 1916 noch nicht in Lieferungsverzug; die entgegenstehende Annahme des Berufungsgerichts beruht auf Rechtsirrtum. Gemäß dem Vertrage war der zweite Wagen einige Zeit nach dem -- sofort beim Vertragsschlusse vom 10. Februar 1916 übergebenen -- ersten Wagen zu liefern. Einwandfrei hat das Berufungsgericht den Vertrag dahin ausgelegt, daß die Lieferung etwa 14 Tage nach Vertragsschluß hätte erfolgen sollen. Die beim Mangel einer kalendermäßigen Zeitbestimmung notwendige Mahnung (§ 284 BGB.) erblickt das Berufungsgericht in den beiden Briefen der Klägerin vom 19. und 25. Februar 1916. Der ersten Brief enthält die Erklärung, daß die Klägerin der Ankunft des Wagens gerne entgegensehe; im zweiten Briefe schreibt die Klägerin, daß sie für eine Mitteilung darüber sehr dankbar wäre, wann sie den Wagen in Berlin erwarten dürfe. Keine dieser Erklärungen enthält eine dem Gesetz entsprechende Mahnung. Wenn dieses auch für die Mahnung eine bestimmte Form nicht vorschreibt, so muß doch die Erklärung dem Schuldner darüber Klarheit verschaffen, daß der Gläubiger zu einem bestimmten Termine die Leistung verlange. Im Interesse eines geordneten Geschäftsverkehrs muß aus der Erklärung eine sichere Handhabe für den ernstlichen Willen des Gläubigers zu entnehmen sein, daß er das Ausbleiben der Leistung an dem angegebenen Termin als eine Pflichtwidrigkeit erachte, an die er die Geltendmachung von Rechten knüpfen könne. Diesen Anforderungen entspricht aber keiner der beiden Briefe. Beide lassen die Beklagte darüber im Ungewissen, von welchem Zeitpunkt ab die Klägerin die Leistung als eine verspätete erachte; keiner von beiden setzt einen irgendwie bestimmten Termin fest. Dies war im vorliegenden Falle um so notwendiger, als die Zeitbestimmung im Vertrag -- etwa 14 Tage nach Vertragsschluß -- eine dehnbare war und als der erste Brief bereits 9 Tage nach Vertragsschluß abgesandt wurde. Die Gesamtheit des Briefwechsels spricht gegen die Klägerin. Noch am 9. März 1916 fragte sie bei der Beklagten an, wann sie auf den Wagen rechnen dürfe.

Liegt aber keine rechtswirksame Mahnung vor, so war auch die Beklagte am 4. März 1916 noch nicht im Verzuge. Der mit der Klage beanspruchte Schadensersatz ist also gemäß den zuvor gemachten Ausführungen unbegründet."