RG, 17.11.1883 - IV 378/83

Daten
Fall: 
Vertretungspflicht des Gerichtsvollziehers
Fundstellen: 
RGZ 10, 233
Gericht: 
Reichsgericht
Datum: 
17.11.1883
Aktenzeichen: 
IV 378/83
Entscheidungstyp: 
Urteil
Instanzen: 
  • LG Halberstadt
  • OLG Naumburg

Ist die Vertretungspflicht des Gerichtsvollziehers - der beauftragenden Partei gegenüber - nach den öffentlich-rechtlichen Vorschriften des A.L.R.'s II. 10. §§. 88 flg. zu bestimmen?

Aus den Gründen

"Daß die Firma P. A. G., deren Inhaberin die Ehefrau F. G. ist, die rechtskräftig verurteilte Schuldnerin war, und daß gegen sie die Zwangsvollstreckung gerichtet werden mußte und auch gerichtet worden ist, das stellt der Berufungsrichter auf Grund des maßgebenden gerichtlichen Urteiles und der vorgenommenen Zwangsvollstreckung - ohne Rechtsirrtum - als unter den Parteien unstreitig fest. Dadurch ist also zunächst der aus §. 51 der Geschäftsanweisung für die Gerichtsvollzieher vom 24. Juli 1879 (J.M.Bl. S. 206) entlehnte Einwand des Beklagten beseitigt, daß er - inhalts des Urteiles - zu einer Zwangsvollstreckung gegen die genannte Firma, bezw. gegen deren Inhaberin überhaupt - formell - nicht befugt gewesen sei. Der Berufungsrichter stellt ferner fest, daß dem Beklagten - an sich - ein vertretbares Versehen im Sinne des §. 89 A.L.R. II. 10 zur Last fällt, weil er den am 20. November 1879 angenommenen Auftrag zur Zwangsvollstreckung erst am 19. Dezember desselben Jahres erledigt hat, und daß auch die ursachliche Beziehung zwischen der dem Beklagten zur Last fallenden Versäumnis und dem für den Kläger entstandenen Schaden nicht fehle; allein er geht von der Ansicht aus, daß für die Vertretungspflicht des Beklagten dessen Eigenschaft als Gerichtsvollziehers, als eines Vollstreckungsorganes mit staatlicher Beamtenqualität, nicht das nebenbei bestehende civilrechtliche Auftragsverhältnis zwischen dem Gläubiger und dem Gerichtsvollzieher maßgebend sei. Und dieser Auffassung muß man beitreten.1

Daß ein Gerichtsvollzieher, wie ihn die Civilprozeßordnung bestellt, seine Machtbefugnis vom Staate entlehnt, einen Teil des öffentlichen Imperiums, d. i. der obrigkeitlichen Gewalt ausübt und daher - in den Grenzen dieser öffentlichen Gewalt - die Eigenschaft eines Staatsbeamten hat, das erkennen die Motive an, indem sie ihn als selbständigen "Vollstreckungsbeamten" und den Inbegriff seiner Thätigkeit als "Amt" bezeichnen2 und das bestätigen die Gesetze und Instruktionen, indem sie seine Thätigkeit als "Amtshandlung", seine Gesamtstellung als "Amt" auffassen und ihm alle Attribute eines Staatsbeamten, insbesondere lebenslängliche Anstellung und Pensionsberechtigung nach Maßgabe der Grundsätze für unmittelbare Staatsbeamte beilegen. Gerichtsverfassungsgesetz §§. 155. 156; preußisches Ausführungsgesetz zu demselben vom 24. April 1878 §§. 73 flg. (G.S. S. 230); Gerichtsvollzieherordnung vom 14. Juli 1879 §§. 14. 15. 23. 26. 28 (J.M.BI. S. 206); Gesetz vom 27. März 1872, betreffend die Pensionierung der unmittelbaren Staatsbeamten (G.S. S. 268). Die Gerichtsvollzieher müssen an ihrem "amtlichen Wohnsitze" wohnen, ein Geschäftslokal haben (§. 32 der Gerichtsvollzieherordnung) und stehen unter den staatlichen Disziplinargesetzen (Gesetz vom 9. April 1879 §. 18 - G.S. S. 345). Bei solcher Ausstattung ist an der Staatsbeamteneigenschaft der Gerichtsvollzieher - an sich - nicht zu zweifeln. Wenn nun die Civilprozeßordnung - dieser öffentlich-rechtlichen Qualifikation gegenüber - die Thätigkeit des Gerichtsvollziehers bei Vornahme einer Zwangsvollstreckung von dem Auftrage des Gläubigers abhängig macht; an diesen Auftrag - in Verbindung mit dem Besitze der vollstreckbaren Ausfertigung - auch die formale Legitimation des Gerichtsvollziehers zur Vertretung des Gläubigers, als Auftraggebers, knüpft; dieser Vertretung endlich - analog einer Prozeßvollmacht, §. 77 C.P.O. - einen gesetzlichen Umfang giebt und den - als in Vertretung des Gläubigers - vorgenommenen Handlungen des Gerichtsvollziehers rechtliche Wirkung für den Auftraggeber beilegt (§§. 674, 675. 676. 709. 716. 720 a. a. O., §§. 19. 20 der Gebührenordnung für Gerichtsvollzieher), - so sind diese Bestimmungen nur civilrechtliche Konsequenzen aus dem der Prozeßordnung zum Grunde liegenden Prinzipe des Prozeßbetriebes durch die Partei, heben aber nicht auf und berühren nicht die Eigenschaft und die Stellung, welche der Gerichtsvollzieher als Träger eines öffentlichen und Staatsamtes einnimmt. Ist das richtig, und kann die vorgenommene amtliche Handlung - ungeachtet ihrer civilrechtlichen Folgen für die Parteien - nicht von der öffentlich-rechtlichen Stellung des Gerichtsvollziehers losgelöst werden, so ist auch die Vertretungsverbindlichkeit in Ansehung einer solchen Amtshandlung nach den für die Staatsbeamten im allgemeinen geltenden Grundsätzen (§§. 68. 85 flg. A.L.R. II. 10), insbesondere nach §. 91 a. a. O. zu beurteilen, welcher bestimmt: "Jedoch findet die Vertretung nur alsdann statt, wenn kein anderes gesetzliches Mittel, wodurch den nachteiligen Folgen eines solchen Versehens abgeholfen werden könnte, mehr übrig bleibt." Der Berufungsrichter hat daher ohne Gesetzesverletzung angenommen, daß die Vertretungspflicht des Beklagten nur eine subsidiäre und eventuelle ist, d. h. erst durch den Eintritt einer gewissen Voraussetzung in Wirksamkeit tritt. Der Berufungsrichter mag nach dieser Richtung hin nun zu weit gehen, wenn er den Anspruch des Klägers auf Vertretung des durch den Beklagten veranlaßten Schadens abhängig davon macht, daß auch durch Ableistung des Offenbarungseides seitens des Schuldners dessen Vermögenslosigkeit festgestellt werde. Denn einmal ist der Offenbarungseid nur ein moralisches Zwangsmittel bei Ermittelung von Vermögensobjekten, nicht im Sinne des §. 91 a. a. O. "ein anderes gesetzmäßiges Mittel, wodurch den nachteiligen Folgen des Versehens des Beamten abgeholfen werden könnte," und dann wird selbst bei der Anfechtungsklage - einem eminent subsidiären Rechtsmittel - zum Nachweise der Vermögensunzulänglichkeit nicht auch noch die Ableistung des Manifestationseides seitens des Schuldners verlangt (§§. 2. 3 des Gesetzes vom 9. Mai 1855- G.S. S. 429, §. 2 des Reichsgesetzes vom 21. Juli 1879-R.G.Bl. S. 277). Allein abgesehen von dieser Ansicht des Berufungsrichters, so scheitert der Anspruch des Klägers auf Ersatz des durch die Vernachlässigung des Beklagten entstandenen Schadens an der - wirksam nicht angefochtenen - festgestellten Thatsache, daß die Schuldnerin zur Zeit der Pfändung noch ein Haus und eine - angeblich - wertlose Schießbude besessen hat, und daß der Kläger seine Behauptung, daß das Haus überschuldet gewesen, durch Angabe des Wertes und der eingetragenen Schulden nicht näher begründet, auch nicht behauptet hat, daß die Schuldnerin damals außer jenen Objekten kein Vermögen mehr besessen habe, vielmehr geltend gemacht hat, daß es für seinen Anspruch an den Beklagten nicht darauf ankomme, ob noch Exekutionsobjekte vorhanden gewesen seien. Diese Ansicht des Klägers steht im Widerspruche mit der subsidiären Natur der Obligation auf Schadensersatz gegen den Beklagten, als staatlichen Vollstreckungsbeamten, und mit dem Inhalte des Gesetzes, wonach die Vertretung nur dann stattfindet, wenn "kein anderes gesetzmäßiges Mittel mehr übrig ist, wodurch den nachteiligen Folgen des Versehens abgeholfen werden könnte". Da feststeht, daß die Schuldnerin zur Zeit der Pfändung noch andere Vermögensobjekte besessen hat, so war es Sache des Klägers, sich aus diesen Objekten befriedigt zu machen; jedenfalls aber lag ihm zur Begründung seines eventuellen Anspruches an den Beklagten der Nachweis ob, daß jene Objekte kein "anderes gesetzmäßiges Mittel" für die Beseitigung der nachteiligen Folgen des Versehens des Beklagten gewesen sind. Bevor nicht die vorhandenen Mittel zur Befriedigung des Beschädigten verwendet worden sind, steht ein Schade nicht fest, und ist daher für die subsidiäre Ersatzpflicht die notwendige Voraussetzung nicht erfüllt.3

Hiernach war die Revision - als unbegründet - zurückzuweisen."

  • 1. Vom III. Civilsenate ist in einem Urteile vom 5. Juni 1883 (vgl. Entsch. des R.G.'s in Civils. Bd. 9 Nr. 106 S. 361) das Entgegengesetzte angenommen worden. Diese Entscheidung war dem IV. Civilsenate bei Erlaß des obigen Urteiles noch nicht bekannt geworden. D. R.
  • 2. ,vgl. Hahn, Materialien Bd. 1 S. 440,
  • 3. Vgl. Präjudiz des Obertribunals 504 vom 13. August 1838 (Samml. Bd. 1 S. 206).