RG, 17.11.1881 - II 68/81

Daten
Fall: 
Possessorischer Schutz des Besitzes eines Notwegs
Fundstellen: 
RGZ 6, 323
Gericht: 
Reichsgericht
Datum: 
17.11.1881
Aktenzeichen: 
II 68/81
Entscheidungstyp: 
Urteil
Instanzen: 
  • Friedensgericht Nerdingen
  • LG Düsseldorf

1. Ist nach den Grundsätzen des rheinischen Rechtes der Besitz eines Notweges possessorisch zu schützen?
2. Unter welchen Voraussetzungen erscheint der Anspruch auf Einräumung eines Notweges gesetzlich begründet?
3. Gewährt der Leinpfad einen Ausweg auf die öffentliche Straße, der jenen Anspruch ausschließt?

Tatbestand

Die klägerische im Banne von Bl. gelegene Wiese, von der es sich handelt, ist nach Süden, Norden und Westen von Privateigentum und zwar nach letzterer Richtung von dem Eigentume des Beklagten eingeschlossen, grenzt endlich nach Osten an den längs des Rheines sich hinziehenden Leinpfad. Als Zugang zu der fraglichen Wiese vom Dorfe aus hatte der Kläger, wie er behauptet, von jeher, einen über das Eigentum des Beklagten führenden Fahrweg benutzt, und erhob deshalb, als er im Frühjahre 1878 von letzterem in der Benutzung dieses Weges gehindert wurde, die Besitzstörungsklage bei dem Friedensgerichte zu N., zu deren Begründung er sich auf die Behauptung stützte, daß jener Weg für ihn einen Notweg bilde.

Von beiden vorigen Richtern, welche annahmen, daß die Voraussetzungen des Art. 682 Code civil im vorliegenden Falle nicht gegeben seien, ist die Klage abgewiesen. Auf eingelegten Kassationsrekurs wurde das zweite Urteil vernichtet, aus folgenden Gründen:

Gründe

"In Erwägung, daß das angegriffene Urteil eine Prüfung und Entscheidung der Frage, ob überhaupt der Besitz eines Notweges possessorisch zu schützen sei, nicht enthält, diese Frage daher auch hier nicht weiter in Betracht zu ziehen ist, im übrigen aber nach der übereinstimmenden rheinisch-französischen Doktrin und Rechtsprechung zu bejahen sein würde;

In Erwägung, daß die Zulässigkeit der erhobenen Klage dadurch bedingt ist, daß die Voraussetzungen des Art. 682 Code civil hier vorliegen, das Landgericht dies aber mit der Ausführung verneint hat, daß der Kassationskläger, dessen fragliche Wiese an den Leinpfad grenze, weder thatsächlich noch rechtlich behindert gewesen sei, sich des letzteren als Ausweges zur öffentlichen Straße zu bedienen,

daß die bezogene Ausführung jedoch auf einer unrichtigen Gesetzes-Auffassung beruht;

In Erwägung, daß ein Grundstück im Sinne des Art. 682 a. a. O. eingeschlossen ist, wenn dasselbe keinen für die Bewirtschaftung desselben ausreichenden und legalen Ausweg auf die öffentliche Straße hat;

daß es sich nun hier um den Leinpfad handelt, der als einen solchen Ausweg gewährend nicht angesehen werden kann;

In Erwägung, daß der Leinpfad zufolge gesetzlicher Vorschrift ausschließlich den Zwecken der Schiffahrt dient und mit Rücksicht auf seine Bestimmung den Anordnungen der Verwaltungsbehörde unterliegt, Ordonnance vom Monat August 1669 pour les eaux et fôrets, tit. 28, Art. 7; Ges. vom 29. Floréal X, Dekret vom 22. Januar 1808 ( Gräf, Sammlung Bd. 1 S. 56 und 475, Bd. 2 S. 638), Artt. 556 und 650 Code civil;

daß hieraus folgt, daß den Adjazenten, wenn sie auch Eigentümer des Grund und Bodens des Leinpfades sind, doch nicht mit dem Landgerichte das Recht eingeräumt werden kann, letzteren für ihre Grundstücke beliebig als Weg zu benutzen oder von anderen benutzen zu lassen, daß vielmehr eine solche Benutzung nur insoweit zulässig erscheint, als dieselbe, worüber die genannte Behörde zu entscheiden hat, mit der Bestimmung des Leinpfades vereinbar ist;

daß es rechtlich hieran auch nichts ändern könnte, wenn, wie das angegriffene Urteil annimmt, die fragliche Strecke des Leinpfades zur Zeit nur noch selten der Schiffahrt dienen und von den Adjazenten vielfach als Fahrweg zur öffentlichen Straße benutzt sein sollte;

daß nicht festgestellt ist, daß der Kassationskläger zur Bewirtschaftung der hier fraglichen Wiese jemals den Leinpfad benutzt hat, und jedenfalls die Annahme der bloßen Möglichkeit, daß eine solche Benutzung durch die Adjazenten geduldet sein würde, nicht ausreichen konnte, die Anwendung des Art. 682 a. a. O, im gegenwärtigen Falle auszuschließen;

In Erwägung, daß endlich das amtliche Schreiben des Wasserbauinspektors H. vom 27. Juni 1878 vorliegt, dessen Inhalt dahin geht, daß die fragliche Strecke des Leinpfades von der Strombauverwaltung angelegt und ausgebaut ist, daß dieselbe nur zu den Zwecken der Schiffahrt befahren werden darf, und Zuwiderhandelnde strafgerichtlich verfolgt werden sollen;

daß in dem bezogenen Schreiben, welches nicht erkennen läßt, daß die Anlage des Leinpfades erst in jüngster Zeit geschehen sei, allerdings nicht, wie das Landgericht hervorhebt, auf ein spezielles. polizeiliches Verbot Bezug genommen ist, aus demselben auch Entschädigungsansprüche gegen die Verwaltung nicht hergeleitet werden können;

daß es aber nach dem Vorstehenden keiner weiteren Ausführung bedarf, daß es auf das eine und andere Moment hier nicht ankam, aus dem bezogenen Schreiben vielmehr zur Genüge sich ergiebt, daß das Befahren des Leinpfades seitens der Adjazenten in der Zeit vor der am 18. März 1873 angestellten Klage nicht gestattet war;

daß nach all diesem das Landgericht aus rechtlich unzutreffenden Gründen zu der Annahme gelangt ist, daß die Voraussetzungen des Art. 682 Code civil hier nicht gegeben seien, und deshalb die Berufung gegen das die Klage abweisende erste Erkenntnis mit Unrecht verworfen hat." ...