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BGH, 29.06.1999 - XI ZR 277/98

Daten
Fall: 
Objektive Evidenz des Mißbrauchs
Fundstellen: 
DB 1999, 1850; EBE/BGH 1999, 255; EWiR 1999, 927; JA 2000, 1; JURAtelegramm 2000, 186; Life&Law 1999, 764; MDR 1999, 1279; NJW 1999, 2883; VuR 1999, 359; WM 1999, 1617; WuB 1999, 1265; ZBB 1999, 241; ZIP 1999, 1303
Gericht: 
Bundesgerichtshof
Datum: 
29.06.1999
Aktenzeichen: 
XI ZR 277/98
Entscheidungstyp: 
Urteil
Instanzen: 
  • LG Regensburg
  • OLG Nürnberg

Zur objektiven Evidenz des Mißbrauchs einer umfassenden Kontovollmacht.

Tenor

Auf die Revision der Klägerin wird das Urteil des 4. Zivilsenats des Oberlandesgerichts Nürnberg vom 23. September 1998 aufgehoben, soweit die Berufung der Klägerin zurückgewiesen und über die Kosten entschieden worden ist.

Die Beklagte wird verurteilt, an die Klägerin weitere 70.780,68 DM nebst 2% Zinsen hieraus seit dem 4. Mai 1992 zu zahlen.

Die Anschlußrevision der Beklagten wird nicht angenommen.

Die Beklagte trägt die Kosten des Rechtsstreits.

Tatbestand

Die Klägerin fordert von der Beklagten den Restbetrag eines Sparguthabens, das die Beklagte an einen Bevollmächtigten der Klägerin ausbezahlt hat.

Die damals 70-jährige Klägerin hatte bei der Sparkasse S. ein Sparkonto, das im Frühjahr 1992 ein Guthaben von rund 150.000,00 DM aufwies. Im April 1992 eröffnete sie ein Sparkonto bei der Beklagten, für das sie ihrem Hausarzt Dr. D. Verfügungsvollmacht erteilte. Dieser hatte der Klägerin nach ihrer Darstellung angeboten, ihre Ersparnisse zinsgünstig bei einer Bank in Luxemburg anzulegen und behauptet, daß dafür ein Mindestbetrag von 200.000,00 DM erforderlich sei. Das bei der Sparkasse S. angelegte Sparguthaben wurde im Mai 1992 auf das neue Sparkonto bei der Beklagten übertragen. Außerdem nahm die Klägerin bei der Sparkasse S. ein Darlehen in Höhe von 50.000,00 DM auf. Den Darlehensbetrag übergab die Klägerin Dr. D., der ihn auf dem Sparkonto der Klägerin bei der Beklagten einzahlte. Das Sparkonto wies damit ein Guthaben von insgesamt 203.041,90 DM auf. Wenige Tage nach der Übertragung des Sparguthabens löste die Ehefrau von Dr. D. das Sparkonto auf. Einen Teilbetrag von 3.040,90 DM ließ sie sich in bar auszahlen. 200.000,00 DM zahlte sie sogleich bei der Beklagten zur Tilgung von bei dieser bestehenden Darlehensverbindlichkeiten ihres Ehemannes ein. Dr. D., der diese abredewidrige Verwendung des Geldes von vornherein beabsichtigt hatte, wurde u.a. dafür wegen Betruges zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von 3 Jahren und 6 Monaten verurteilt.

In einem Rechtsstreit zwischen der Klägerin und Dr. D. verpflichtete sich Dr. D. in einem Vergleich zur Zahlung eines Teilbetrages von 80.000,00 DM, der auch geleistet wurde.

Die Klägerin fordert von der Beklagten die Erstattung ihres restlichen Schadens in Höhe von 121.040,90 DM. Die Klägerin ist der Ansicht, daß die Beklagte nicht an Frau D. hätte leisten dürfen, so daß ihre Ansprüche auf Rückzahlung des Sparguthabens weiterbestünden.

Die Beklagte macht geltend, daß die Auszahlung des Sparguthabens befreiende Wirkung gehabt habe, weil die Klägerin Dr. D. eine umfassende Verfügungsvollmacht über das neu eröffnete Sparkonto eingeräumt habe.

Das Landgericht hat die Klage abgewiesen. Das Berufungsgericht hat das Urteil des Landgerichts abgeändert, die Beklagte zur Zahlung von 50.260,22 DM verurteilt und im übrigen die Berufung der Klägerin zurückgewiesen. Mit der Revision verfolgt die Klägerin ihr Anliegen weiter. Die Beklagte erstrebt mit der Anschlußrevision die völlige Abweisung der Klage.

Entscheidungsgründe

Die Revision der Klägerin ist begründet. Die Anschlußrevision der Beklagten bleibt erfolglos.

I.

1.

Das Berufungsgericht hat zur Begründung folgendes ausgeführt:
Die Beklagte habe bei der Auflösung des Sparguthabens und der Abhebung des Guthabens der Klägerin ihre vertragliche Sorgfaltspflicht gegenüber der Klägerin fahrlässig verletzt, so daß sie unter Berücksichtigung eines erheblichen Mitverschuldens der Klägerin für ein Viertel des Gesamtschadens, also 50.260,22 DM, hafte. Die Beklagte habe das gesamte Guthaben an Dr. D., vertreten durch seine Ehefrau, ausbezahlt. Dazu sei sie aufgrund der bestehenden Verfügungsvollmacht zwar befugt gewesen. Trotzdem habe die Beklagte die ihr gegenüber der Klägerin obliegenden Sorgfaltspflichten schuldhaft verletzt. Die Beklagte sei aufgrund des Sparvertrages verpflichtet gewesen, im Rahmen des Zumutbaren Vermögensverluste der Klägerin zu vermeiden. Aufgrund der vertraglichen Beziehungen zwischen den Parteien habe eine Verpflichtung der Beklagten bestanden, bei der Klägerin nachzufragen, ob sie mit Rechtsgeschäften einverstanden sei, die in auffälliger Weise aus dem üblichen Rahmen fallen. Dazu habe unter den hier vorliegenden Umständen Anlaß bestanden. Beim Umfang der Haftung sei zu berücksichtigen, daß der vorsätzlich und strafbar handelnde Dr. D. die Hauptverantwortung für den Schaden trage. Unter Abwägung aller Umstände sei der Haftungsanteil der Beklagten bei Berücksichtigung eines Mitverschuldens der Klägerin auf ein Viertel zu schätzen.

2.

Diese Ausführungen halten rechtlicher Überprüfung nicht stand.

Die Klägerin hat als Gläubigerin des Sparguthabens Anspruch auf die Auszahlung ihres Guthabens (§ 607 BGB). Das Berufungsgericht hat unberücksichtigt gelassen, daß die Klägerin die im Auftrag des Kontobevollmächtigten Dr. D. von dessen Ehefrau vorgenommene Abhebung nicht gegen sich gelten lassen muß, da dieser seine Vollmacht mißbraucht hat.

a)

Nach ständiger Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs hat grundsätzlich der Vertretene das Risiko des Vollmachtsmißbrauchs zu tragen; den Vertragspartner trifft keine Prüfungspflicht, ob und inwieweit der Vertreter im Innenverhältnis gebunden ist, von seiner nach außen unbeschränkten Vertretungsmacht nur begrenzten Gebrauch zu machen. Der Vertretene ist gegen einen erkennbaren Mißbrauch der Vertretungsmacht im Verhältnis zum Vertragspartner jedoch dann geschützt, wenn der Vertreter von seiner Vertretungsmacht in ersichtlich verdächtiger Weise Gebrauch gemacht hat, so daß beim Vertragspartner begründete Zweifel bestehen mußten, ob nicht ein Treueverstoß des Vertreters gegenüber dem Vertretenen vorliege. Notwendig ist dabei eine massive Verdachtsmomente voraussetzende objektive Evidenz des Mißbrauchs (vgl. Senatsurteile vom 28. April 1992 - XI ZR 164/91, WM 1992, 1362, 1363; vom 19. April 1994 - XI ZR 18/93, WM 1994, 1204, 1206 und vom 25. Oktober 1994 - XI ZR 239/93, BGHZ 127, 239 [BGH 25.10.1994 - XI ZR 239/93]). Die objektive Evidenz ist insbesondere dann gegeben, wenn sich nach den gegebenen Umständen die Notwendigkeit einer Rückfrage des Geschäftsgegners bei dem Vertretenen geradezu aufdrängt (vgl. Schramm in Bankrechts-Handbuch § 32 Rdn. 24 m.w.Nachw.).

b)

Diese Voraussetzungen liegen hier vor. Zwar ist ihre Feststellung tatrichterliche Würdigung, die im Revisionsverfahren nur beschränkt überprüfbar ist. Der Nachprüfung unterliegt aber jedenfalls, ob der Begriff der objektiven Evidenz verkannt wurde und ob bei der Beurteilung wesentliche Umstände außer Betracht gelassen wurden. Ist das der Fall, kann das Revisionsgericht die Beurteilung selbst vornehmen, wenn die Feststellungen des Berufungsgerichts - wie hier - ein abgeschlossenes Tatsachenbild ergeben (vgl. dazu Senatsurteil vom 8. Oktober 1991 - XI ZR 238/90, NJW 1992, 316, 317).

Die Beklagte wußte, daß das von der Klägerin bei ihr angelegte Sparguthaben durch eine Darlehensaufnahme der Klägerin um 50.000,00 DM auf 200.000,00 DM erhöht worden war. Die Klägerin gewährte ihrem Hausarzt (und nicht etwa einem Familienangehörigen) eine umfassende Verfügungsvollmacht, die nur kurze Zeit nach der Eröffnung des Kontos und nur wenige Tage nach dem Eingang des Hauptbetrages von 150.000,00 DM dazu benutzt wurde, das Sparguthaben aufzulösen, um eigene Darlehensverbindlichkeiten des Bevollmächtigten bei der Beklagten zu tilgen. Wie das Berufungsgericht zutreffend hervorhebt, hätte es einfachere Wege gegeben, wenn die Klägerin mit dem Sparguthaben die persönlichen Schulden ihres Hausarztes hätte tilgen wollen. Es handelt sich hier nicht um ein alltägliches und normales Geschehen im bankgeschäftlichen Verkehr. Der Vorgang ist vielmehr so auffällig, daß sich der Beklagten als Vertragspartnerin der Klägerin der Verdacht eines Mißbrauchs der Vollmacht hätte aufdrängen müssen. Der eigennützige Einsatz der Vollmacht gibt in der Regel Anlaß zur Aufmerksamkeit. Unter den hier gegebenen Umständen bestanden starke Verdachtsmomente, die für eine Zweckentfremdung der abgehobenen Geldbeträge und dafür sprachen, daß der Vertreter diese der Vertretenen unter Mißbrauch seiner Vollmacht entziehen wollte. Die Beklagte mußte insbesondere deshalb mißtrauisch werden, weil es sich um ein mit einem erheblichen Kreditbetrag aufgestocktes Guthaben handelte, das der Berechtigte gewöhnlich zu eigenen Anlagezwecken, nicht aber zur Tilgung der Schulden seines Kontobevollmächtigten verwenden will. Diese Zweifel drängten eine Rückfrage bei der Klägerin auf. Ihr eigenes finanzielles Interesse an der Tilgung des dem Verfügungsbevollmächtigten gewährten Darlehens hätte die Beklagte demgegenüber zurückstellen müssen.

c)

Da ein Fall des Vollmachtsmißbrauchs vorliegt, ist die Beklagte in ihrem Vertrauen auf den Bestand der Vertretungsmacht nicht schutzwürdig. Die Klägerin braucht als Vertretene die Rechtsgeschäfte des Vertreters nicht gegen sich gelten zu lassen (st.Rspr. vgl. Senatsurteil vom 3. Oktober 1989 - XI ZR 154/88, NJW 1990, 384, 385; BGH, Urteil vom 31. Januar 1991 - VII ZR 291/88, NJW 1991, 1812, 1813, jeweils m.w.Nachw.). Der Anspruch der Klägerin auf Auszahlung des Guthabens ist durch die von dem Verfügungsbevollmächtigten veranlaßte Abhebung nicht erloschen und besteht fort.

d)

Es kann offenbleiben, ob der in einem Einzelfall vertretenen Ansicht zu folgen ist, bei einem Vollmachtsmißbrauch seien in Anwendung des Rechtsgedankens des § 254 BGB die nachteiligen Folgen des Vertretergeschäfts nach dem auf beiden Seiten vorliegenden Verschulden zu verteilen (BGHZ 50, 112, 114; ablehnend Erman/Brox, BGB 9. Aufl. § 167 Rdn. 50; Staudinger/Schilken, BGB 13. Bearb. § 167 Rdn. 104; MünchKomm/Schramm, 3. Aufl. § 164 BGB Rdn. 107). Die Erteilung der Verfügungsvollmacht durch die Klägerin kann für sich allein noch nicht als eine schuldhafte Mitwirkung am Mißbrauch der Vollmacht gewertet werden. Im übrigen hat die Klägerin die Vollmacht dem Angehörigen eines Berufsstandes erteilt, der allgemein als vertrauenswürdig gilt. Hinsichtlich der Person des bevollmächtigten Dr. D. waren im Zeitpunkt der Bevollmächtigung keine Umstände bekannt, die gegen ein solches Vertrauen sprachen. Der Klägerin kann auch keine unterlassene Kontrolle des Vertreters vorgeworfen werden. Dieser hat die Klägerin durch die Zahlung von Zinsen über einen Zeitraum von mehr als zwei Jahren in dem Glauben gelassen, daß er das Geld für sie angelegt habe.

3.

Da keine weiteren Feststellungen zu treffen sind, konnte der Senat selbst entscheiden (§ 565 Abs. 3 Nr. 1 ZPO). Der Klage war in vollem Umfang stattzugeben.

II.

Die Annahme der unselbständigen Anschlußrevision der Beklagten war abzulehnen. Sie hat weder Aussicht auf Erfolg noch grundsätzliche Bedeutung (§ 554 ZPO). Prozeßrechtliche Bedenken, diese Entscheidung ohne vorgeschaltetes Beschlußverfahren nach mündlicher Verhandlung durch Urteil zu treffen, bestehen nicht (Senatsurteil vom 23. Juni 1998 - XI ZR 294/97, WM 1998, 1769, 1770 m.w.Nachw.).