BVerwG, 14.04.1989 - 4 C 34.88

Daten
Fall: 
Folgenbeseitigungsanspruch
Fundstellen: 
BVerwGE 82, 24; BayVBl 1990, 24; DÖV 1989, 774; DVBl 1989, 876; JuS 1990, 370; MDR 1990, 180; NJW 1989, 2484; NVwZ 1989, 1057; RdL 1989, 289; UPR 1989, 350
Gericht: 
Bundesverwaltungsgericht
Datum: 
14.04.1989
Aktenzeichen: 
4 C 34.88
Entscheidungstyp: 
Urteil
Richter: 
Schlichter, Niehues, Kühling, Berkemann, Lemmel
Instanzen: 
  • VG Wiesbaden, 05.10.1983 - III/2 E 741/82
  • VGH Hessen, 15.12.1987 - 2 OE 96/83

Amtlicher Leitsatz

Der Folgenbeseitigungsanspruch läßt eine Berücksichtigung der Mitverantwortung des anspruchsberechtigten Bürgers zu.

Ist der Anspruch auf Folgenbeseitigung auf die Herstellung eines (unteilbaren) Zustandes gerichtet und liegt eine zu berücksichtigende Mitverantwortung vor, so kommt in entsprechender Anwendung des § 251 Abs. 1 BGB die Zahlung eines Ausgleichsbetrages in Betracht (in Ergänzung von BVerwG, Urteil vom 25. August 1971 - BVerwG 4 C 23.69 - Buchholz 310 § 113 VwGO Nr. 58).

Tenor

Das Revisionsverfahren wird hinsichtlich des Hauptantrages eingestellt. Insoweit sind die Urteile des Verwaltungsgerichts Wiesbaden vom 5. Oktober 1983 und des Hessischen Verwaltungsgerichtshofs vom 15. Dezember 1987 unwirksam.

Auf die Revision des Klägers wird das Urteil des Hessischen Verwaltungsgerichtshofs vom 15. Dezember 1987 hinsichtlich des Hilfsantrags aufgehoben.

Die Sache wird insoweit zur anderweitigen Verhandlung und Entscheidung an den Verwaltungsgerichtshof zurückverwiesen.

Die Entscheidung über die Kosten bleibt der Schlußentscheidung vorbehalten.

Gründe

I.

Die Klägerin verlangt von der beklagten Gemeinde, sie solle die Folgen der unsachgemäßen Herstellung einer Straße, die an der gemauerten Einfriedung ihres Grundstücks vorbeiführt, beseitigen. Sie ist Alleinerbin des während des Rechtsstreits verstorbenen Klägers, ihres Ehemannes.

Das Grundstück war von dem Rechtsvorgänger des Klägers in den Jahren 1961/62 mit einem Einfamilienhaus bebaut worden. Der Kläger erwarb das Grundstück 1974. Im Jahre 1977 stellte er Feuchtigkeitsschäden an der gemauerten Einfriedung fest. Die Beteiligten streiten um Ursachen und wechselseitige Verantwortung für diese und andere Schäden. Das Berufungsgericht hat aufgrund seiner Beweisaufnahme festgestellt:

Das klägerische Grundstück wird durch eine Gemeindestraße erschlossen, die zwischen 1961 und 1964 ausgebaut wurde. Unterlagen über den Ausbau fehlen. Entlang der Grundstücksgrenze zur Straße befindet sich auf dem klägerischen Grundstück eine Mauer. Sie besteht aus Ziegelsteinen, die verputzt und mit einem Anstrich versehen sind. Die Mauer ist 24 cm breit und - vom Niveau des klägerischen Grundstücks gemessen - zwischen 2,10 und 2,90 m hoch. Sie ist treppenförmig der Steigung der Straße angepaßt. Versteifungen, Pfeilervorlagen oder Betonstützen zur Sicherung der Standfestigkeit fehlen. Die so gestaltete Einfriedungsmauer ist etwa 40 m lang und im Bereich einer Grundstückseinfahrt von der Straße zurückgesetzt. Eine Genehmigung zu ihrem Bau ist nicht erteilt worden. Zu welchem genauen Zeitpunkt der Rechtsvorgänger des Klägers die Mauer gebaut hat, ist ungeklärt geblieben.

Ursprünglich lief am klägerischen Grundstück ein Feldweg vorbei. Das derzeitige Niveau der Straße liegt etwa 1 m über dem Geländeniveau des klägerischen Grundstücks. Bei der Herstellung der Gemeindestraße wurde der zwischen Mauer und Böschung vorhandene Niveauunterschied durch Anschüttung aufgefüllt. Das Straßenniveau (Straßendecke) liegt nochmals etwa 10 bis 15 cm über der ursprünglichen Planung, über Einzelheiten besteht zwischen den Beteiligten Streit. Der Einfriedungsmauer kommt jedenfalls gegenwärtig die tatsächliche Funktion einer stützenden Mauer zu, der sie bautechnisch nicht gerecht zu werden vermag.

Der Ehemann der Klägerin forderte 1982 die beklagte Gemeinde auf, die Straße ordnungsgemäß zu befestigen und vorhandene Schäden der Einfriedungsmauer zu beseitigen. Mit seiner Klage hat er im wesentlichen vorgetragen: Er begehre einen ordnungsgemäßen Abschluß der Straßenbaumaßnahmen. Die Straße sei nicht nach den Regeln der Baukunst hergestellt worden. Sie gefährde deshalb sein Eigentum. Das mit dem Ausbau der Straße beauftragte Unternehmen habe den Raum zwischen der befestigten Fahrbahn und der zum Zeitpunkt des Straßenbaus bereits vorhandenen Einfriedungsmauer unsachgemäß mit Erdreich aufgefüllt. Hierfür sei die Mauer nach Standfestigkeit und Isolierung ungeeignet gewesen.

Das Verwaltungsgericht hat die Beklagte verpflichtete, vor der Grundstücksgrenze zur Straße hin eine Betonstützmauer anzubringen. Im Berufungsverfahren hat der Ehemann der Klägerin hilfsweise beantragt, die Beklagte zu verurteilen, die Feuchtigkeits- und Druckeinwirkungen, die von dem Straßenkörper auf die Einfriedungsmauer des seines Anwesens ausgehen, zu beseitigen.

Der Hessische Verwaltungsgerichtshof hat nach Beweisaufnahme die Klage in vollem Umfange abgewiesen und hierzu im wesentlichen ausgeführt: Die Klage sei nicht begründet. Im Hauptantrag gehe das Klagebegehren über den Inhalt des Folgenbeseitigungsanspruchs hinaus. Auch der Hilfsantrag sei unbegründet. Allerdings lägen die Voraussetzungen vor, unter denen ein Anspruch auf Folgenbeseitigung entstehe. Von dem Erdreich, das als Untergrund für den Gehweg aufgefüllt worden sei, gingen Druck- und Feuchtigkeitseinwirkungen auf die Grenzmauer des Klägers aus. Die darin liegende fortdauernde Beeinträchtigung müsse nicht hingenommen werden. Es widerspreche den allgemeinen Regeln der Baukunst und der Technik, daß das Auffüllmaterial unmittelbar an die Grenzmauer angeschüttet worden sei. Die Mauer sei weder gegen Feuchtigkeit isoliert noch statisch so angelegt, daß sie den vom Auffüllmaterial und der Oberflächenbelastung ausgehenden Druck abfangen könnte. Zur Beachtung der allgemeinen Regeln der Baukunst und der Technik sei die Beklagte indes verpflichtet. Der Anspruch scheitere jedoch an der überwiegenden Mitverantwortung des Grundstückseigentümers für die zu beseitigende Rechtsbeeinträchtigung. Dies führe im vorliegenden Falle zum Erlöschen dieses Anspruches. Nach dem Ergebnis der Beweisaufnahme sei nämlich davon auszugehen, daß der frühere Eigentümer das Grundstück an der Grenze zur Wegeparzelle um mindestens 75 cm habe vertiefen lassen, bevor auf dem so vertieften Niveau die Grenzmauer errichtet worden sei. Die mangelnde Abstützung des Straßengrundstücks falle daher jedenfalls in dem Umfang in den Verantwortungsbereich des Grundstückseigentümers, in dem das ursprüngliche Gelände zur Errichtung der Grenzmauer und zur Herstellung der ebenen Hoffläche vertieft worden sei. Diese Mitverantwortung sei auch schwerwiegend. Es sei zu berücksichtigen, daß die Vertiefung die erste Ursache für die späteren beeinträchtigenden Maßnahmen geschaffen habe. Erst die Geländeveränderung und die Errichtung der Grenzmauer hätten die Situation ergeben, daß der Zwickel im Zuge der Baumaßnahmen ohne ausreichende Abstützung und Isolierung der Mauer aufgefüllt worden sei. Bei der Errichtung der Grenzmauer sei ein Ausbau der Straße und eine Auffüllung bis zur Grenze des klägerischen Grundstücks zudem zu erwarten gewesen. Es habe auch einer unsachgemäßen Nutzung der Grenzmauer während der Straßenbauarbeiten entgegengewirkt werden müssen.

Die vom Senat zugelassene Revision rügt die Verletzung materiellen und des formellen Rechts. Sie macht insbesondere geltend, die Auffassung des Berufungsgerichts zur überwiegenden Mitverantwortung des Grundstückseigentümers sei verfehlt.

Die Klägerin beantragt,

unter Aufhebung der Entscheidung des Verwaltungsgerichtshofs die Berufung zurückzuweisen,

hilfsweise,

die Beklagte zu verurteilen, die Feuchtigkeits- und Druckeinwirkungen, die von dem Straßenkörper auf die Einfriedungsmauer ausgehen, zu beseitigen.

Die Beklagte beantragt,

im Hinblick auf den Erbfall die Revision zu verwerfen, hilfsweise das Rechtsmittel zurückzuweisen.

II.

1.

Die Revision ist zulässig. Das Revisionsverfahren ist in statthafter Weise anhängig gemacht worden (vgl. §§ 173 VwGO, 86 ZPO). Das Verfahren wurde durch den Tod des anwaltlich vertretenen Klägers nicht unterbrochen (vgl. §§ 173 VwGO, 246 Abs. 1 Halbs. 1 ZPO). Die Beklagte hat eine Aussetzung des Verfahrens nicht beantragt.

2.

Das Verfahren ist hinsichtlich des Hauptantrages einzustellen. Die Klägerin hat diesen Antrag zurückgenommen. Die Beklagte hat der Antragsrücknahme zugestimmt. Demgemäß sind insoweit die vorinstanzlichen Urteile für unwirksam zu erklären (vgl. §§ 141, 125 Abs. 2, 92 Abs. 2 VwGO, 269 Abs. 3 ZPO).

3.

Die Revision ist hinsichtlich des Hilfsantrages begründet. Das Berufungsurteil verletzt Bundesrecht. Dem Revisionsgericht ist eine abschließende Entscheidung nicht möglich. Das führt zur Zurückverweisung der Sache an das Berufungsgericht (vgl. § 144 Abs. 3 Nr. 2 VwGO).

a)

Das Berufungsgericht hat die einzelnen Tatbestandselemente des zugrunde gelegten Anspruchs auf Folgenbeseitigung als gegeben festgestellt. In der Tat ist Art. 14 Abs. 1 GG als subjektive Rechtsposition des Straßenanliegers genügend, um sich gegen rechtswidrige Beeinträchtigungen der öffentlichen Hand wenden zu können (vgl. BVerwG, Urteil vom 25. September 1968 - BVerwG 4 C 195.65 - BVerwGE 30, 235 <239>[BVerwG 25.09.1968 - IV C 195/65]; Urteil vom 29. April 1977 - BVerwG 4 C 15.75 - BVerwGE 54, 1 <2>[BVerwG 29.04.1977 - IV C 15/75]; Urteil vom 28. August 1987 - BVerwG 4 C 54 u. 55.83 - BVerwGE 78, 79 <81>). Das Berufungsgericht hat derartige rechtswidrige Beeinträchtigungen festgestellt. Nach seiner Auffassung widerspricht es den allgemeinen Regeln der Baukunst und der Technik, daß Auffüllmaterial unmittelbar an die klägerische Grenzmauer angeschüttet wurde. Daß die öffentliche Hand zur Beachtung der allgemeinen Regeln der Baukunst und der Technik verpflichtet ist, steht außer Frage. Aus dem Vorbringen der Beklagten, das als Gegenrüge aufzufassen wäre, ergeben sich auch im übrigen keine Bedenken gegen die vom Berufungsgericht vertretene Auffassung.

b)

Das Berufungsgericht ist indes der Ansicht, daß der Anspruch auf Folgenbeseitigung im vorliegenden Falle an der überwiegenden Mitverantwortung des Grundstückseigentümers scheitere. Es stützt sich für seine Auffassung auf eine vom erkennenden Senat gebilligte entsprechende Anwendung des § 254 BGB (vgl. BVerwG, Urteil vom 25. August 1971 - BVerwG 4 C 23.69 - Buchholz 310 § 113 VwGO Nr. 58 = DVBl. 1971, 858 = DÖV 1971, 857 mit Anm. Bachof DÖV 1971, 859). Dem kann nicht uneingeschränkt gefolgt werden.

Die in § 254 BGB geforderte Abwägung ist grundsätzlich Aufgabe des Tatrichters. Seine an den konkreten Verhältnissen ausgerichtete Entscheidung ist eine solche des tatrichterlichen Entscheidungsermessens. Danach kann das Reivisionsgericht die Entscheidung nur daraufhin prüfen, ob die maßgeblichen Umstände einwandfrei festgestellt und bei der Abwägung rechtsfehlerfrei verwertet worden sind und ob kein Verstoß gegen Denkgesetze und Erfahrungssätze unterlaufen ist (vgl. z.B. BGHZ 51, 275 <279>[BGH 19.12.1968 - VII ZR 23/68], zu § 426 BGB).

Das Berufungsgericht nimmt im Rahmen seiner tatrichterlichen Beurteilung an, daß die Unmöglichkeit der realen Schadensverteilung zu Lasten desjenigen gehe, der die Rechtsbeeinträchtigung überwiegend zu verantworten habe. Es unterstellt damit die Unteilbarkeit des geltend gemachten Anspruches auf Folgenbeseitigung. Diese vom erkennenden Senat in seinem angeführten Urteil vom 25. August 1971 ebenfalls vertretene Auffassung kann indes nicht uneingeschränkt aufrechterhalten bleiben (kritisch bereits Bachof, DÖV 1971, 859; Hoffmann-Becking, JuS 1972, 509; Erichsen, VerwArch 63 <1972> S. 217; Grave, MDR 1972, 356; H.H. Rupp, DVBl. 1972, 232; vgl. neuerdings W. Fiedler, NVwZ 1986, 969 <972>; Schoch, VerwArch 79 <1988> S. 2 ). Es ist zwar unverändert richtig, daß ein Anspruch auf Folgenbeseitigung aus tatsächlichen Gründen auf eine unteilbare Leistung gerichtet sein kann. Das führt indes nicht zu den vom Berufungsgericht daraus gezogenen Konsequenzen. Vielmehr ist in einem derartigen Fall die nach § 254 BGB gebotene Zuweisung der wechselseitigen Verantwortung durch eine Ausgleichszahlung zu ermöglichen. Das ergibt sich aus folgenden Erwägungen:

§ 254 BGB setzt eine verschuldensbezogene Haftung beider Seiten voraus. Der Anspruch auf Folgenbeseitigung ist hingegen verschuldensunabhängig. Das schließt indes eine analoge Anwendung des § 254 BGB nicht von vornherein aus, soweit dessen Grundgedanke gewahrt bleibt. Nach der Rechtsprechung des BGH gilt § 254 BGB auch für die Haftung des Schädigers ohne Verschulden (vgl. etwa BGHZ 68, 281 <288>[BGH 04.04.1977 - VIII ZR 143/75]; BGH NJW 1977, 1818). Dagegen wird eine verschuldensunabhängige Haftung des Geschädigten nur dann als berücksichtigungsfähig anzusehen sein, wenn sie gesetzlich begründet worden ist. Das ist vorliegend nicht der Fall. Insoweit prüft das Berufungsgericht zu Recht, ob dem klagenden Grundeigentümer ein schuldbezogener Vorwurf zu machen ist. Das entspricht der bisherigen Rechtsprechung (vgl. BVerwG, Urteil vom 25. August 1971 - BVerwG 4 C 23.69 - Buchholz 310 § 113 VwGO Nr. 58; Urteil vom 21. September 1984 - BVerwG 4 C 51.80 - Buchholz 406.16 Eigentumsschutz Nr. 40). Daran wird festgehalten.

Die weitere Frage ist, wie ein vorhandenes Mitverschulden bei fehlender Teilbarkeit umzusetzen ist. Der erkennende Senat hat in seinem angeführten Urteil vom 25. August 1971 die Antwort in einem "Alles-oder-nichts" gesehen. Das ist in zweierlei Hinsicht unbefriedigend. Liegt eine zwar nicht überwiegende, aber doch an sich berücksichtigungsfähige Mitverantwortlichkeit vor, so trifft den Anspruchsberechtigten nach dieser Rechtsprechung kein Nachteil, überwiegt die Mitverantwortung des Berechtigten, so verliert er den Erfüllungsanspruch im vollen Umfange. Das ist um so bedenklicher, als die entsprechende Anwendung des § 254 BGB ohnedies eine nivellierende Bewertung der einander gegenüberstehenden Interessen vornehmen muß. Es trifft nämlich nicht zu, daß die öffentliche Hand, der das rechtswidrige Verhalten zuzurechnen ist, auf derselben Ebene der Verantwortung steht wie der betroffene Bürger. Ihr Verhalten stellt sich regelmäßig als ein Eingriff in grundrechtlich gewährleistete Rechtspositionen dar. Bereits dies deutet darauf hin, daß eine stärker differenzierende Lösung gesucht werden muß, um es nicht zu einer sachwidrigen Risikoverlagerung zwischen öffentlicher Hand und betroffenem Bürger kommen zu lassen.

Ist eine Leistung aus tatsächlichen Gründen nicht möglich, so kann dies grundsätzlich nicht zum Vorteil des an sich Verpflichteten gereichen. Die Rechtsordnung hat diesen Rechtsgedanken wiederholt ausgesprochen. Soweit die Herstellung eines Zustandes aus tatsächlichen oder aus rechtlichen Gründen ausgeschlossen ist, tritt an die Stelle des hierauf gerichteten Anspruchs vielfach ein Geldanspruch. Dieser Rechtsgrundsatz ist etwa in § 251 Abs. 1 BGB enthalten. Das öffentliche Recht kennt denselben Rechtsgedanken für den Bereich des rechtmäßigen Handelns in § 17 Abs. 4 S. 2 FStrG und in § 74 Abs. 2 S. 3 VwVfG.

Seiner Beachtung für den Fall, daß der verschuldensunabhängige Folgenbeseitigungsanspruch aus tatsächlichen Gründen nicht realisierbar ist, stehen grundsätzliche Bedenken nicht entgegen. Richtig ist zwar, daß das geschriebene Recht einen derartigen Ausgleichsanspruch für den Bereich der Folgenbeseitigung nicht kennt. Dem ist indes die Erwägung entgegenzusetzen, daß die geschriebene Rechtsordnung den Anspruch auf Folgenbeseitigung bislang insgesamt nicht ausgeformt hat. Das ist im Hinblick auf eine wünschenswerte Rechtssicherheit ohne Frage ein Nachteil. Gleichwohl entspricht der Anspruch auf Folgenbeseitigung einer gesicherten Rechtsüberzeugung, wie sie in der höchstrichterlichen Rechtsprechung wiederholt zum Ausdruck kommt. Das schließt die Rechtsprechung des Bundessozialgerichtes zum sozialrechtlichen Herstellungsanspruch ein.

Ein gänzlicher Ausschluß des Anspruches auf Folgenbeseitigung bei überwiegender Mitverantwortung ist nur dann billigenswert, wenn sich seine Verwirklichung als unzulässige Rechtsausübung darstellt. Gegen Treu und Glauben zu verstoßen, erlaubt die Rechtsordnung niemandem (vgl. hierzu BVerwG, Urteil vom 25. Januar 1974 - BVerwG 4 C 2.72 - BVerwGE 44, 294 <298>[BVerwG 25.01.1974 - IV C 2/72]; Urteil vom 6. September 1988 - BVerwG 4 C 26.88 - DVBl. 1989, 44 = UPR 1989, 31). Dagegen einen Anspruch auf Folgenbeseitigung nur deshalb auszuschließen, weil sein Inhalt auf eine unteilbare Leistung gerichtet ist, verschiebt ohne Not die in § 254 BGB vorausgesetzte Zurechenbarkeit der Beteiligten. Vielmehr stellt die Rechtsordnung auch für diesen Fall, wie beispielsweise in § 251 Abs. 1 BGB, rechtliche Regelungen bereit, um zu einem angemessenen Ausgleich zu gelangen. Der Gesetzgeber hatte in § 3 Abs. 3 seines Staatshaftungsgesetzes vom 26. Juni 1981 (BGBl. I S. 553) eine vergleichbare Regelung der Kostenbeteiligung vorgesehen (vgl. BVerfGE 61, 149). Das ist gerade im Hinblick auf die grundrechtliche Bedeutung des Anspruches auf Folgenbeseitigung eine angemessenere Lösung als bei einer "ins Gewicht fallenden Mitverantwortung" des Betroffenen, diesen Anspruch für generell ausgeschlossen anzusehen. Ob dies es auch rechtfertigt, einen allgemeinen Ausgleichsanspruch in der Form des im Schrifttum erörterten sog. Folgenentschädigungsanspruchs anzuerkennen, bedarf im vorliegenden Falle keiner Entscheidung.

Das Berufungsgericht hat die Möglichkeit eines finanziellen Ausgleichs von vornherein aus dem Kreis seiner Überlegungen ausgeschlossen. Bereits dies begründet den Erfolg der Revision. Bei dieser Sachlage erübrigt es sich, auf die erhobenen Verfahrensrügen einzugehen.

c)

Die Entscheidung stellt sich auch aus anderen Gründen nicht als richtig dar (vgl. § 144 Abs. 4 VwGO). Im Hinblick auf die grundsätzliche Zuständigkeit des Tatrichters, die konkrete Mitverantwortung wertend festzustellen, ist die Sache an das Berufungsgericht zurückzuverweisen (vgl. § 144 Abs. 3 Nr. 2 VwGO). Zur weiteren Sachbehandlung wird ergänzend bemerkt:

(1)

An dem Entstehen des rechtswidrigen Zustandes trifft den Grundstückseigentümer insoweit keine Mitverantwortung, als er an dem Verfüllen des Straßenkörpers selbst nicht beteiligt war.

Eine Hinweispflicht ergibt sich nach § 254 Abs. 2 S. 1 BGB nur dann, wenn sich das Verschulden des Geschädigten darauf beschränkt, daß er es unterlassen hat, den Schädiger auf die Gefahr eines ungewöhnlich hohen Schadens aufmerksam zu machen, die der Schädiger weder kannte noch kennen mußte. Das ist entgegen der Ansicht des Berufungsgerichts nicht der Fall.

Die Beklagte, die sich das Verhalten des beauftragten Straßenbauunternehmers zurechnen lassen muß, wäre ohne weitere Schwierigkeiten in der Lage gewesen, die Standsicherheit der auf fremden Grund stehenden Mauer zu überprüfen. Davon geht das Berufungsgericht - wenngleich in einem anderen Zusammenhang - auch als selbstverständlich aus. Der erkennende Senat hat in seinem Urteil vom 21. September 1984 - BVerwG 4 C 51.80 - (Buchholz 406.16 Eigentumsschutz Nr. 40) den dort erhobenen Einwand der Mitverantwortung mit dem Bemerken zurückgewiesen, der Straßenanlieger dürfe grundsätzlich darauf vertrauen, daß Straßenbauarbeiten nach dem Stand der Technik so ordnungsgemäß ausgeführt würden, daß benachbarte Grundstücke nicht beeinträchtigt würden. Dabei seien keine zu hohen Anforderungen zu stellen. - Auch im vorliegenden Falle ergeben die berufungsgerichtlichen Feststellungen, daß der Ehemann der Klägerin keinen Anlaß hatte, die Beklagte oder das von ihr beauftragte Straßenbauunternehmen auf die Möglichkeit einer Schädigung der Grenzmauer ausdrücklich hinzuweisen.

(2)

Das Berufungsgericht sieht es ferner als Teil der zurechenbaren Mitverantwortung an, daß eine Abgrabung von zumindest 75 cm vorgenommen wurde. Damit sei ein Eingriff in das Straßengrundstück verbunden gewesen. Das Berufungsgericht erachtet dies im Hinblick auf § 909 BGB als rechtswidrig. Gegen diese rechtliche Beurteilung wendet sich die Revision ohne Erfolg.

Der Nachweis eines Kausalzusammenhangs wäre allerdings nicht ausreichend. Der Zweck des § 254 BGB ist keine Zuschreibung von Ursachen, sondern eine Verteilung nach dem Gesichtspunkt der Vermeidbarkeit von Schäden. Der Geschädigte soll daran mitwirken, daß ein möglicher Schaden nicht erst eintritt, weil dies volkswirtschaftlich schädlich ist. Dem Geschädigten muß also eine Verletzung einer durch ihn erfüllbaren Obliegenheit zum Zwecke der Schadensvermeidung oder Schadensminderung vorgehalten werden können. Daher verlangt § 254 Abs. 1 BGB außer der kausalen Mitwirkung ein den Schadensfall steuerndes Verschulden des Geschädigten. Eine frühere Ursache kann also nur zugrunde gelegt werden, wenn sich hierauf das Verschulden des "abgrabenden" Grundeigentümers im Sinne der Erkennbarkeit des zukünftigen Schadenseintritts beziehen läßt. Demgemäß hat sich auch die Frage, ob eine überwiegende Mitverantwortung des geschädigten Grundeigentümers gegeben ist, nicht am Maßstab der bloßen Kausalität, sondern an den Kriterien der Erkennbarkeit und damit der Vermeidbarkeit des Schadens auszurichten.

Das Berufungsurteil genügt diesen rechtlichen Anforderungen. Das Berufungsgericht hat festgestellt, daß bei Errichtung der Grenzmauer bereits sicher zu erwarten war, daß das Straßengrundstück bis an die Grenze des klägerischen Grundstücks auf einem höheren Niveau wieder aufgefüllt werden müßte (Urteilsabdruck S. 22). Die hiergegen erhobenen Einwendungen der Revision greifen nicht durch. Wer sein Grundstück unter Verletzung des § 909 BGB vertieft und die Grenze mit einer Mauer befestigt, muß damit rechnen, daß sein Nachbar die Mauer anschüttet, um so seinem Grundstück die erforderliche Stütze zu geben.

Auch wenn insoweit von einer zurechenbaren Mitverantwortung des Grundstückseigentümers auszugehen ist, ist damit noch nicht darüber befunden, in welcher Weise diese Mitverantwortung gegenüber der mangelhaften Bautätigkeit zu gewichten ist. Das hängt von den Umständen des Einzelfalles ab, die zu beurteilen Aufgabe des Berufungsgerichts ist. Die "eigentliche", nämlich schadensauslösende Ursache liegt unverändert bei der Beklagten.

(3)

Kommt das Berufungsgericht zu einer anrechenbaren Mitverantwortung des Grundstückseigentümers, wird es darüber zu entscheiden haben, in welcher Höhe und in welcher Weise eine Kostenbeteiligung durch einen der Beteiligten in Betracht kommt. Der erkennende Senat sieht keinen Anlaß, sich hierüber bereits abschließend zu äußern. Da der erörterte Ausgleichsanspruch Teil des Anspruchs auf Folgenbeseitigung ist, darf das Berufungsgericht diese Frage - anders als in dem angegriffenen Berufungsurteil - nicht unentschieden lassen.

Nach dem Ergebnis seiner Abwägung wird das Berufungsgericht den Beteiligten erneut eine einvernehmliche Regelung gemäß §§ 173 VwGO, 279 ZPO vorzuschlagen haben.

Streitwertbeschluss

Der Wert des Streitgegenstandes wird für das Revisionsverfahren auf 90.000 DM festgesetzt. Der Wert des Hilfsantrages übersteigt den des Hauptantrags nicht.