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BVerwG, 10.10.2000 - 1 D 46.98

Daten
Fall: 
Entfernung eines Beamten aus dem Dienst
Fundstellen: 
Buchholz 235 § 82 BDO Nr. 6
Gericht: 
Bundesverwaltungsgericht
Datum: 
10.10.2000
Aktenzeichen: 
1 D 46.98
Entscheidungstyp: 
Urteil
Instanzen: 
  • BDiG Frankfurt, 20. April 1998 - VI VL 1/98

Leitsätze

  1. Eine Beschränkung der Berufung auf die Disziplinarmaßnahme muss dem Senat die Möglichkeit lassen, die Angriffe gegen die von dem Bundesdisziplinargericht verhängte Disziplinarmaßnahme losgelöst von den in Rechtskraft erwachsenen Teilen des erstinstanzlichen Urteils selbständig zu prüfen und rechtlich zu beurteilen. Deshalb ist eine Berufungsbeschränkung unzulässig, wenn sie zu Widersprüchen zwischen dem nicht angefochtenen Teil des Urteils und der Entscheidung des Rechtsmittelgerichts führen kann.
  2. Die von der Berufungsbeschränkung ausgelöste Bindung erstreckt sich grundsätzlich auch auf die Feststellungen des Bundesdisziplinargerichts zur Höhe des von einem Ruhestandsbeamten unterschlagenen Betrages, weil diese sich nicht trennen lassen von der Schilderung des das Dienstvergehen begründenden Verhaltens in dem angefochtenen Urteil. Eine Bindung tritt jedoch nur an eindeutige und zweifelsfreie Feststellungen ein, die ein ausreichendes Maß an Substantiiertheit aufweisen.
  3. Die durch Beiträge zu einer Krankenversicherung entstehenden finanziellen Belastungen als mittelbare Folge der Verhängung der Höchstmaßnahme können die Unverhältnismäßigkeit der Aberkennung des Ruhegehalts nicht begründen.

Tatbestand

1.

Der Bundesdisziplinaranwalt hat den Ruhestandsbeamten angeschuldigt, dass er

als Schalterbeamter in der Zeit vom Sommer 1993 bis zum 19. April 1994 beim Postamt B. in einer nicht mehr feststellbaren Zahl von Fällen entwertete Postwertzeichen von Briefsendungen, die er vor Schalterbeginn zu bearbeiten hatte, ablöste, diese Wertzeichen beim Einsatz am Schalter erneut zur Freimachung von angenommenen Sendungen benutzte, indem er sie überstempelte, und die von den Postkunden entrichteten Entgelte nicht zur Kasse legte und als Kassenvorgang erfasste, sondern stattdessen an sich nahm und das erlangte Geld in Höhe von insgesamt circa 2 000 DM für private Zwecke verbrauchte.

2.

Das Bundesdisziplinargericht hat mit Urteil vom 20. April 1998 den damals noch dienstlich aktiven Ruhestandsbeamten aus dem Dienst entfernt und ihm für die Dauer von sechs Monaten einen Unterhaltsbeitrag in Höhe von 50 vom Hundert des erdienten Ruhegehalts bewilligt. Es hat folgenden Sachverhalt festgestellt und diesen wie folgt disziplinarrechtlich gewürdigt: Der Ruhestandsbeamte war an einem Schalter eines Postamtes eingesetzt. In der Zeit vom Sommer 1993 bis 19. April 1994 löste er in einer Vielzahl von Fällen entwertete Briefmarken von eingegangenen Postsendungen ab und verwahrte die Wertzeichen. Die abgelösten Postwertzeichen klebte er auf Sendungen, die von Postkunden an seinem Schalter eingeliefert worden waren und für die sie das entsprechende Beförderungsentgelt entrichtet hatten. Die Postwertzeichen entwertete er mit einem besonders starken Stempelaufdruck, sodass frühere Entwertungsspuren nicht mehr sichtbar waren. Das von den Kunden entrichtete Entgelt legte er nicht in die Schalterkasse, sondern verbrauchte es für sich. Der auf diese Weise angeeignete Geldbetrag beträgt "mit Sicherheit weit über 50 DM". Der Ruhestandsbeamte war zum Zeitpunkt der festgestellten Handlungen nicht schuldunfähig.

Das Bundesdisziplinargericht hat die festgestellte Verhaltensweise des Ruhestandsbeamten als vorsätzliche Verletzung seiner Pflichten zu uneigennütziger Amtsführung (§ 54 Satz 2 BBG), zu achtungs- und vertrauensgerechtem Verhalten (§ 54 Satz 3 BBG) sowie zur Beachtung von Kassenvorschriften (§ 55 Satz 2 BBG) und damit als innerdienstliches Dienstvergehen (§ 77 Abs. 1 Satz 1 BBG) angesehen. Es ist davon ausgegangen, dass Milderungsgründe nicht vorlägen, sodass die Entfernung aus dem Dienst geboten sei.

3.

Mit seiner rechtzeitig eingelegten Berufung begehrt der Ruhestandsbeamte, auf eine mildere Disziplinarmaßnahme zu erkennen. Zur Begründung führt er im Wesentlichen aus: Das Bundesdisziplinargericht habe zu Unrecht die Voraussetzungen des Milderungsgrundes der Geringwertigkeit verneint. Durch das Wiederverwenden der abgelösten Postwertzeichen habe er höchstens einen Betrag von 50 DM erzielt. Mildernd sei auch zu berücksichtigen, dass er zur Tatzeit vermindert schuldfähig gewesen sei.

Entscheidungsgründe

Die zulässige Berufung ist unbegründet.

1.

Das Rechtsmittel ist zulässigerweise auf die Disziplinarmaßnahme beschränkt.

Der Ruhestandsbeamte bestreitet nicht, ein Dienstvergehen begangen zu haben. Er wendet sich gegen die verhängte Disziplinarmaßnahme insbesondere mit der Begründung, das Bundesdisziplinargericht habe zu Unrecht die Voraussetzungen des Milderungsgrundes der Geringwertigkeit des durch den Zugriff erlangten Betrages verneint.

Die Beschränkung des Rechtsmittels ist zulässig. Bei einer Beschränkung der Berufung auf die Disziplinarmaßnahme erwachsen die nicht angefochtenen Feststellungen und disziplinarrechtlichen Würdigungen des Bundesdisziplinargerichts in Rechtskraft und entfalten Bindungswirkung für das Rechtsmittelgericht. Es obliegt dem in der Berufungsschrift zum Ausdruck kommenden Gestaltungswillen des Berufungsführers, ob eine solche Teilrechtskraft eintreten soll. Diese Dispositionsbefugnis gilt indes nicht uneingeschränkt. Eine Beschränkung der Berufung auf die Disziplinarmaßnahme muss dem Senat die Möglichkeit lassen, die Angriffe gegen die von dem Bundesdisziplinargericht verhängte Disziplinarmaßnahme losgelöst von den in Rechtskraft erwachsenen Teilen des erstinstanzlichen Urteils selbständig zu prüfen und rechtlich zu beurteilen. Deshalb ist eine Berufungsbeschränkung unzulässig, wenn sie zu Widersprüchen zwischen dem nicht angefochtenen Teil des Urteils und der Entscheidung des Rechtsmittelgerichts führen kann. Dies entspricht den einschlägigen strafprozessualen Grundsätzen (vgl. BGH, Beschluss vom 21. Oktober 1980 - 1 StR 262/80 - >; Beschluss vom 22. Juli 1971 - 4 StR 184/71 - >; Kleinknecht/Meyer- Goßner, StPO, 44. Aufl., § 318 Rn. 6 f. m.w.N.; KK-Ruß, StPO, 4. Aufl., § 318 Rn. 1 m.w.N.).

Die von dem Senat im Zusammenhang mit der Prüfung der Beanstandungen des Ruhestandsbeamten zu treffenden Feststellungen stehen - wie unten aufgezeigt wird - nicht im Widerspruch zu Feststellungen des Bundesdisziplinargerichts im Zusammenhang mit dem angenommenen Dienstvergehen. Mithin erweist sich die Beschränkung des Rechtsmittels als zulässig. Der Senat ist deshalb an die Tat- und Schuldfeststellungen sowie an die disziplinarrechtliche Würdigung in dem angefochtenen Urteil gebunden.

2.

Das festgestellte Dienstvergehen (§ 54 Sätze 2 und 3 sowie § 55 Satz 2 in Verbindung mit § 77 Abs. 1 Satz 1 BBG) macht die Aberkennung des Ruhegehalts unausweichlich.

a) Das Dienstvergehen beruht auf einem regelmäßig die Höchstmaßnahme gebietenden Zugriffsdelikt.

Ein Beamter, der ihm anvertrautes oder amtlich erlangtes Geld unberechtigt für private Zwecke - sei es auch nur vorübergehend - verwendet, begeht ein schweres Dienstvergehen im Kernbereich der ihm obliegenden Dienstpflichten. Ein solches Dienstvergehen zerstört regelmäßig das für die Fortdauer des Beamtenverhältnisses notwendige Vertrauen in die Ehrlichkeit und Zuverlässigkeit des Beamten. Die Post ist auf die absolute Ehrlichkeit und Zuverlässigkeit ihrer Bediensteten bei dem Umgang mit dienstlich anvertrautem oder erlangtem Geld angewiesen. Eine lückenlose Kontrolle aller Beamten ist nicht möglich und muss weitgehend durch Vertrauen ersetzt werden. Wer diese für den geordneten Postbetrieb unabdingbare Vertrauensgrundlage zerstört, kann in der Regel nicht Beamter bleiben (stRspr, z.B. Urteil vom 23. Oktober 1996 - BVerwG 1 D 55.96 - m.w.N.). In diesem Fall ist bei einem Ruhestandsbeamten regelmäßig die Aberkennung des Ruhegehalts auszusprechen (Urteil vom 23. Oktober 1996, a.a.O.). Dies ergibt sich insbesondere aus der in § 117 Abs. 7 1. Alternative BDO zum Ausdruck kommende Wertung des Gesetzgebers. Danach gilt ein auf Entfernung aus dem Dienst lautendes Urteil als Urteil auf Aberkennung des Ruhegehalts, wenn der Verurteilte vor Rechtskraft des Urteils in den Ruhestand tritt.

Ein Zugriffsdelikt im Sinne dieser Rechtsprechung ist stets anzunehmen, wenn - wie hier - ein Postbeamter von Postkunden entrichtete Gebühren für das Freimachen angelieferter Postsendungen nicht an den Dienstherrn abführt (Urteil vom 14. Januar 1981 - BVerwG 1 D 107.79 -; Urteil vom 23. November 1982 - BVerwG 1 D 115.81 -; Urteil vom 13. Juni 1995 - BVerwG 1 D 21.94 -; Urteil vom 11. März 1997 - BVerwG 1 D 30.96 -).

b) Die Voraussetzungen, unter denen bei einem Zugriffsdelikt ausnahmsweise von der Höchstmaßnahme abgesehen werden kann, liegen hier nicht vor.

Die Fortsetzung des Beamtenverhältnisses oder die Weitergewährung des Ruhegehalts ist bei einem Zugriff auf dienstlich erlangtes oder anvertrautes Geld möglich, wenn ein in der Rechtsprechung anerkannter Milderungsgrund vorliegt. Das ist hier nicht der Fall.

aa) Der Ruhestandsbeamte vermag sich nicht mit Erfolg auf den Milderungsgrund des Zugriffs auf geringwertige Gegenstände zu berufen.

Bei einem Zugriffsdelikt kann auf die Höchstmaßnahme verzichtet werden, wenn der Wert des Zugriffsobjekts gering ist und durch das Dienstvergehen keine weiteren wichtigen öffentlichen oder privaten Interessen verletzt sind. Im Fall der Ansichnahme von Gegenständen mit geringem Wert können vertrauenserhaltende Persönlichkeitselemente in der - im Gegensatz zu dem ungehemmten Zugriff auf höherwertige Gegenstände - noch vorhandenen Hemmschwelle und dem hierfür verminderten Unrechtsbewusstsein des Beamten gesehen werden. Der Senat hat bisher den geringen Wert mit etwa 50 DM angenommen, ohne dabei eine starre Grenze festzusetzen, wie es auch den Grundsätzen zu § 248 a StGB entspricht (stRspr, z.B. Urteil vom 19. Mai 1998 - BVerwG 1 D 20.96 - ). Es kann hier dahingestellt bleiben, ob und gegebenenfalls in welchem Umfang es angebracht ist, die vom Senat angenommene Wertgrenze für die Geringwertigkeit zu erhöhen. Der Senat geht davon aus, dass jedenfalls eine Erhöhung auf mehr als das Doppelte des derzeit angenommenen Wertes gegenwärtig nicht in Betracht kommt (vgl. Urteil vom 15. August 2000 - BVerwG 1 D 44.98 - ). Das steht auch hier der Annahme einer Geringwertigkeit entgegen. Der von dem Ruhestandsbeamten angeeignete Geldbetrag überschreitet die zurzeit angenommene Wertgrenze um ein Vielfaches.

Der Senat ist durch die Beschränkung der Berufung nicht gehindert, Feststellungen zur Schadenshöhe zu treffen, obwohl bereits das Bundesdisziplinargericht einschlägige Feststellungen getroffen und insoweit angenommenen hat, der Schaden betrage "weit über 50 DM". Dazu setzt sich der Senat nicht in Widerspruch. Die von der Berufungsbeschränkung ausgelöste Bindung erstreckt sich grundsätzlich auch auf die Feststellungen des Bundesdisziplinargerichts zur Höhe des von dem Ruhestandsbeamten unterschlagenen Betrages, weil diese sich nicht trennen lassen von der Schilderung des das Dienstvergehen begründenden Verhaltens in dem angefochtenen Urteil (vgl. BGH, Urteil vom 24. März 1981 - 1 StR 688/80 - >). Eine Bindung tritt jedoch nur an eindeutige und zweifelsfreie Feststellungen ein, die ein ausreichendes Maß an Substantiiertheit aufweisen (vgl. Beschluss vom 8. Januar 1992 - BVerwG 1 D 41.91 -; BDH, Beschluss vom 24. Februar 1966 - BVerwG III D 53.65 - ; Köhler/Ratz, BDO, 2. Aufl., § 82 Rn. 6; Behnke, BDO, 2. Aufl., § 82 Rn. 28). Daran gemessen ist der Senat an die Feststellungen des Bundesdisziplinargerichts, der Schaden betrage "weit über 50 DM" insoweit gebunden, als er gehindert ist, einen geringeren Schaden als 50 DM festzustellen. Soweit das Bundesdisziplinargericht ohne nähere Konkretisierung von einem darüber hinausgehenden Schaden ausgegangen ist, erweist sich dies als zu unbestimmt, um an der Bindungswirkung teilzuhaben. Der Senat ist daher nicht gehindert, eigene Feststellungen zum Vorliegen eines über 50 DM hinausgehenden Schadens zu treffen.

Der Ruhestandsbeamte hat sich nach Überzeugung des Senats einen Geldbetrag von etwa 2 000 DM zugeeignet. Seine erstmals in der Vernehmung vom 14. August 1996 aufgestellte Behauptung, er habe höchstens einen Betrag von 50 DM erlangt, ist nicht glaubhaft und vor allem durch seine früheren Einlassungen widerlegt.

Dass der Beamte einen Betrag in Höhe von etwa 2 000 DM erlangt hat, entspricht seiner Einlassung anlässlich der Vernehmung am 19. April 1994, also an dem Tag, an dem er mit den Vorwürfen erstmals konfrontiert wurde. Dort hat er bekundet, seit Sommer 1993 Postwertzeichen von Sendungen abgelöst und durch das Weiterverwenden der Wertzeichen in der Woche etwa 70 DM erzielt zu haben. Nach seiner Erinnerung habe er insgesamt etwa 2 000 DM erlangt. Der Ruhestandsbeamte hat das Protokoll der Vernehmung unterzeichnet und damit seine Richtigkeit anerkannt. Im Rahmen seiner Anhörung zu dem Verbot der Führung der Dienstgeschäfte hat sich der Ruhestandsbeamte am 20. April 1994 ausdrücklich zu dem festgestellten Sachverhalt bekannt und das entsprechende Protokoll mit seiner Unterschrift versehen. Damit hat er in der Sache seine Aussage vom 19. April 1994 bestätigt.

Es spricht alles dafür, dass diese anfänglichen Angaben zutreffend gewesen sind. Falls nämlich seine damaligen Angaben zur Höhe des Schadens unzutreffend gewesen wären, hätte es nahe gelegen, diese im Rahmen des Verfahrens wegen des Verbots der Führung der Dienstgeschäfte zu korrigieren, zumal seit der Vernehmung vom Vortag genügend Zeit verstrichen war, die Angaben zur Schadenshöhe zu überdenken. Eine solche Korrektur ist aber unterblieben.

Für einen Schaden in Höhe von etwa 2 000 DM spricht auch, dass der Ruhestandsbeamte anlässlich seines Krankenhausaufenthalts vom 29. April bis zum 6. Juni 1994 angegeben hat, er habe etwa 2 000 DM unterschlagen. Dies ergibt sich aus der Wiedergabe der Anamnese in dem psychiatrischen Gutachten von Dr. med. H. vom 5. Juli 1996, die von dem Sachverständigen mit Zustimmung des Ruhestandsbeamten beigezogen wurde. Soweit der Ruhestandsbeamte vorträgt, dieser Aussage komme keine Bedeutung zu, weil er lediglich den ihm unterbreiteten Vorwurf wiederholt habe, kann er damit nicht gehört werden. Es wäre nicht verständlich, dass es der Ruhestandsbeamte den Ärzten gegenüber bei der bloßen Wiedergabe des Vorwurfs beließ, wenn dieser hinsichtlich der Schadenshöhe unzutreffend war.

Für die Richtigkeit der ursprünglichen Angaben des Ruhestandsbeamten zur Schadenshöhe spricht auch, dass er gegenüber Dr. med. H. am 26. November 1996 bekundet hat, er habe in der Vernehmung am 19. April 1994 zunächst einen Betrag in Höhe von 600 bis 700 DM zugestanden und auf Nachfrage einen höheren Betrag eingeräumt.

Angesichts der dargestellten Einlassungen des Ruhestandsbeamten erweist sich seine Behauptung, er habe höchstens einen Betrag in Höhe von 50 DM erzielt, als widerlegt. Gegen ihre Richtigkeit spricht auch der Nominalwert der bei ihm aufgefundenen entwerteten Postwertzeichen. Da bei ihm am 19. April 1994 Postwertzeichen mit dem ursprünglichen Wert von 32,50 DM aufgefunden wurden, ist es nicht glaubhaft, dass der Ruhestandsbeamte in der Zeit von Sommer 1993 bis zum 19. April 1994 lediglich einen Betrag von höchstens 50 DM erlangt haben will.

Es bestehen keine Anhaltspunkte dafür, dass der Ruhestandsbeamte aufgrund äußerer oder innerer Einflüsse dazu veranlasst wurde, den Schaden ursprünglich unzutreffend mit etwa 2 000 DM anzugeben. Soweit er behauptet, die Schadenssumme in der Vernehmung vom 19. April 1994 sei ihm vorgegeben worden und er habe sie lediglich bestätigt, spricht dies schon für sich nicht gegen die Unrichtigkeit seiner Angabe in der Vernehmung, der Schaden habe etwa 2 000 DM betragen. Der Ruhestandsbeamte hat selbst nicht behauptet, von den vernehmenden Beamten mit Druck zu einer Bestätigung einer von ihnen vorgegebenen Schadensumme veranlasst worden zu sein. Das Gegenteil ergibt sich aus der Aussage des Ermittlungsführers S. Dieser hat bekundet, er habe den Ruhestandsbeamten in der Vernehmung am 19. April 1994 gefragt, ob dieser etwa 500, 1 000, 1 500 oder 2 000 DM erzielt habe, ohne dass ihm eine bestimmte Summe nahe gelegt worden sei. Der Ermittlungsführer und der bei der Vernehmung ebenfalls anwesende Beamte D. haben erklärt, die Atmosphäre während der Vernehmung sei ruhig und sachlich gewesen. Für die Richtigkeit dieser Schilderung spricht die Aussage der Ehefrau des Ruhestandsbeamten, die ihren Ehemann vernehmenden Beamten hätten sich freundlich und korrekt verhalten.

Es steht außer Zweifel, dass die Vernehmungen angesichts der dem Beamten unterbreiteten Vorwürfe für diesen belastend waren. Diese besondere Belastungssituation rechtfertigt aber noch nicht die Annahme, die dort gemachten Angaben zur Schadenshöhe seien unzutreffend. Hinzu kommt, dass der Ruhestandsbeamte die Angabe, der Schaden habe 2 000 DM betragen, mehrfach bestätigt hat.

bb) Die Voraussetzungen anderer anerkannter Milderungsgründe liegen nicht vor.

Der Beamte vermag sich nicht mit Erfolg darauf zu berufen, dass er sich zur Tatzeit in einer negativen Lebensphase befunden habe. Eine negative Lebensphase rechtfertigt bei Zugriffsdelikten keine Milderung der Höchstmaßnahme (Urteil vom 14. Oktober 1997 - BVerwG 1 D 60.96 - m.w.N.).

Die von dem Arzt für Neurologie und Psychiatrie Dr. med. H. diagnostizierte verminderte Schuldfähigkeit zur Tatzeit kann die Höchstmaßnahme nicht hindern. Der Senat geht in ständiger Rechtsprechung davon aus, dass eine erheblich verminderte Schuldfähigkeit eine Milderung jedenfalls dann nicht zu rechtfertigen vermag, wenn es sich - wie hier - um die eigennützige Verletzung leicht einsehbarer Kernpflichten handelt. In einem solchen Fall muss im Hinblick auf die als selbstverständlich geforderte und ständig eingeübte korrekte Verhaltensweise von dem Beamten erwartet werden, dass er auch bei erheblich verminderter Einsichts- und/oder Steuerungsfähigkeit noch genügend Widerstandskraft gegen eine Verletzung dieser Pflichten durch strafbares Verhalten im Dienst aufbietet (vgl. z.B. Urteil vom 15. Juni 1999 - BVerwG 1 D 29.98 - m.w.N.). Daran hält der Senat fest. Es kommt deshalb nicht darauf an, dass der Sachverständige Dr. med. H. die Einschränkung der Schuldfähigkeit verneint hat.

Schließlich vermag auch die lange Dauer des Disziplinarverfahrens ein Absehen von der Höchstmaßnahme nicht zu rechtfertigen. Die lange Verfahrensdauer stellt bei Zugriffsdelikten keinen Milderungsgrund dar.

3.

Die Aberkennung des Ruhegehalts erweist sich auch im Übrigen als verhältnismäßig.

Das aus dem verfassungsrechtlichen Rechtsstaatsprinzip folgende Verhältnismäßigkeitsgebot beansprucht auch bei der Verhängung von Disziplinarmaßnahmen Geltung (vgl. BVerfG, Beschluss vom 29. Oktober 1969 - 2 BvR 545/68 - ; Beschluss vom 4. Oktober 1977 - 2 BvR 80/77 - ). Danach muss die dem Einzelnen staatlicherseits auferlegte Belastung geeignet und erforderlich sein, um den angestrebten Zweck zu erreichen. Darüber hinaus darf der Eingriff seiner Intensität nach nicht außer Verhältnis zur Bedeutung der Sache und den von dem Betroffenen hinzunehmenden Einbußen stehen. Die Aberkennung des Ruhegehalts bei Ruhestandsbeamten verfolgt insbesondere die Zwecke der Generalprävention und der Wahrung des Ansehens des öffentlichen Dienstes. Ist der durch das Gewicht des Dienstvergehens eingetretene Vertrauensschaden mangels Milderungsgründen so erheblich, dass bei aktiven Beamten die Entfernung aus dem Dienst geboten ist, erweist sich die Höchstmaßnahme gegenüber dem Ruhestandsbeamten als geeignete und erforderliche Maßnahme, den aufgezeigten Zwecken der Disziplinarmaßnahme gegenüber Ruhestandsbeamten Geltung zu verschaffen. So verhält es sich regelmäßig bei Zugriffsdelikten. Liegt kein anerkannter Milderungsgrund vor, ist bei ihnen die Aberkennung des Ruhegehalts auch angemessen. Dabei kommt es nicht auf das Verhältnis zwischen den von dem Ruhestandsbeamten durch das Dienstvergehen erlangten Vorteil und den durch die Disziplinarmaßnahme bewirkten Nachteilen an. Abzuwägen sind vielmehr das Gewicht des Dienstvergehens und die dadurch eingetretene Beeinträchtigung der an den Zwecken der Disziplinarmaßnahme auszurichtenden Belange des öffentlichen Dienstes einerseits sowie die mit der Verhängung der Höchstmaßnahme einhergehende Belastung andererseits. Wäre bei einem aktiven Beamten das Vertrauensverhältnis zerstört, erweist sich bei einem Ruhestandsbeamten die Aberkennung des Ruhegehalts als angemessene Reaktion auf das Dienstvergehen. Dabei ist auch in Rechnung zu stellen, dass die Verhängung der Höchstmaßnahme auf der schuldhaften Pflichtverletzung während der aktiven Dienstzeit beruht und dem Ruhestandsbeamten daher als für alle öffentlich- rechtlichen und privaten Beschäftigungsverhältnissen vorhersehbare Rechtsfolge bei derartigen Pflichtverletzungen zuzurechnen ist (stRspr, vgl. z.B. Urteil vom 8. Juni 1983 - BVerwG 1 D 112.82 - ; vgl. auch BVerfG - 3. Kammer -, Beschluss vom 21. Dezember 1988 - 2 BvR 1522/88 -). Bei der Abwägung ist auch zu berücksichtigen, dass der Ruhestandsbeamte mit der Aberkennung des Ruhegehalts keineswegs ohne Versorgung dasteht, da er in der Rentenversicherung nachzuversichern ist (§ 9 Abs. 4 AVG, § 8 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 in Verbindung mit Abs. 2 SGB VI).

Die Unverhältnismäßigkeit ergibt sich auch nicht aus den Folgen der Aberkennung des Ruhegehalts für den Krankheitsfall. Insbesondere ist die Maßnahme nicht dann unverhältnismäßig, wenn der Ruhestandsbeamte als Folge der Disziplinarmaßnahme künftig erhebliche finanzielle Mittel für Krankenversicherung einsetzen muss, um in gleichem Umfang wie bisher von Krankheitsaufwendungen freigestellt zu werden. Nach der Rechtsprechung des Senats liegt ein Verstoß gegen das Verhältnismäßigkeitsgebot selbst dann nicht vor, wenn der Beamte aufgrund der Verhängung der Höchstmaßnahme bestehenden Krankenversicherungsschutz verliert und er keine Aufnahme in eine andere Krankenkasse findet. In einem solchen Fall ist der Beamte darauf zu verweisen, dass ihm unter den Voraussetzungen des § 27 Abs. 1 Nr. 4 und des § 37 des Bundessozialhilfegesetzes ein Anspruch auf Krankenhilfe zusteht (vgl. Urteil vom 12. April 1995 - BVerwG 1 D 71.94 - ; Urteil vom 17. April 1996 - BVerwG 1 D 54.95 -). Mithin können die durch Beiträge zu einer Krankenversicherung entstehenden finanziellen Belastungen die Unverhältnismäßigkeit ebenfalls nicht begründen. Davon abgesehen handelt es sich um eine mittelbare Folge der Verhängung der Höchstmaßnahme. Sollten sich insoweit rechtliche Bedenken ergeben, beträfen diese die einschlägigen krankenversicherungsrechtlichen Regelungen. Die Disziplinarmaßnahme wäre davon nicht berührt.

4.

Der Senat hat die Laufzeit des von dem Bundesdisziplinargericht für die Dauer von sechs Monaten bewilligten Unterhaltsbeitrags verdoppelt. Damit wird dem Umstand Rechnung getragen, dass die Aufnahme einer anderen Erwerbstätigkeit durch den Ruhestandsbeamten insbesondere mit Blick auf seinen Gesundheitszustand auf besondere Schwierigkeiten stoßen wird. Weist der Ruhestandsbeamte nach, dass er sich während des gesamten Bewilligungszeitraums nachdrücklich, aber letztlich erfolglos um eine andere Einnahmequelle bemüht hat, so kann ihm vom Bundesdisziplinargericht auf seinen Antrag bei fortbestehender Bedürftigkeit ein Unterhaltsbeitrag neu bewilligt werden. Der dem Ruhestandsbeamten bewilligte Unterhaltsbeitrag ist zu seinen Gunsten mit Blick auf seine gegenwärtigen wirtschaftlichen Verhältnisse, die sich nach der Entscheidung des Bundesdisziplinargerichts verschlechtert haben, auf den gesetzlich zulässigen Höchstsatz angehoben worden (§ 77 Abs. 1 BDO).