EuGH, 05.06.2014 - C-360/13
URTEIL DES GERICHTSHOFS (Vierte Kammer)
5. Juni 2014(*)
„Urheberrechte – Informationsgesellschaft – Richtlinie 2001/29/EG – Art. 5 Abs. 1 und 5 – Vervielfältigung – Ausnahmen und Beschränkungen – Erzeugung von Kopien einer Internetseite auf dem Bildschirm und im Cache der Festplatte während des Internet-Browsings – Vorübergehende Vervielfältigungshandlung – Flüchtige oder begleitende Handlung – Integraler und wesentlicher Teil eines technischen Verfahrens – Rechtmäßige Nutzung – Eigenständige wirtschaftliche Bedeutung“
betreffend ein Vorabentscheidungsersuchen nach Art. 267 AEUV, eingereicht vom Supreme Court of the United Kingdom (Vereinigtes Königreich) mit Entscheidung vom 24. Juni 2013, beim Gerichtshof eingegangen am 27. Juni 2013, in dem Verfahren
Public Relations Consultants Association Ltd
Newspaper Licensing Agency Ltd u. a.
DER GERICHTSHOF (Vierte Kammer)
unter Mitwirkung des Kammerpräsidenten L. Bay Larsen, der Richter M. Safjan und J. Malenovský (Berichterstatter) sowie der Richterinnen A. Prechal und K. Jürimäe,
aufgrund des schriftlichen Verfahrens,
unter Berücksichtigung der Erklärungen
– der Public Relations Consultants Association Ltd, vertreten durch M. Hart, Solicitor,
– der Newspaper Licensing Agency Ltd u. a., vertreten durch S. Clark, Solicitor,
– der Regierung des Vereinigten Königreichs, vertreten durch L. Christie als Bevollmächtigten,
– der italienischen Regierung, vertreten durch G. Palmieri als Bevollmächtigte im Beistand von M. Santoro, avvocato dello Stato,
– der polnischen Regierung, vertreten durch B. Majczyna als Bevollmächtigten,
– der Europäischen Kommission, vertreten durch J. Samnadda als Bevollmächtigte,
aufgrund des nach Anhörung des Generalanwalts ergangenen Beschlusses, ohne Schlussanträge über die Rechtssache zu entscheiden,
1 Das Vorabentscheidungsersuchen betrifft die Auslegung von Art. 5 Abs. 1 der Richtlinie 2001/29/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 22. Mai 2001 zur Harmonisierung bestimmter Aspekte des Urheberrechts und der verwandten Schutzrechte in der Informationsgesellschaft (ABl. L 167, S. 10).
2 Dieses Ersuchen ergeht im Rahmen eines Rechtsstreits zwischen der Public Relations Consultants Association Ltd (im Folgenden: PRCA) und der Newspaper Licensing Agency Ltd u. a. (im Folgenden: NLA) wegen der Pflicht, die Zustimmung der Urheberrechtsinhaber für die Betrachtung von Internetseiten einzuholen, die die Erstellung von Kopien dieser Seiten auf dem Bildschirm des Computers des Nutzers und im Internetcache der Festplatte dieses Computers voraussetzt.
3 In den Erwägungsgründen 5, 9, 31 und 33 der Richtlinie 2001/29 heißt es:
„(5) Die technische Entwicklung hat die Möglichkeiten für das geistige Schaffen, die Produktion und die Verwertung vervielfacht und diversifiziert. Wenn auch kein Bedarf an neuen Konzepten für den Schutz des geistigen Eigentums besteht, so sollten die Bestimmungen im Bereich des Urheberrechts und der verwandten Schutzrechte doch angepasst und ergänzt werden, um den wirtschaftlichen Gegebenheiten, z. B. den neuen Formen der Verwertung, in angemessener Weise Rechnung zu tragen.
(9) Jede Harmonisierung des Urheberrechts und der verwandten Schutzrechte muss von einem hohen Schutzniveau ausgehen, da diese Rechte für das geistige Schaffen wesentlich sind. …
(31) Es muss ein angemessener Rechts- und Interessenausgleich zwischen den verschiedenen Kategorien von Rechtsinhabern sowie zwischen den verschiedenen Kategorien von Rechtsinhabern und Nutzern von Schutzgegenständen gesichert werden. …
(33) Eine Ausnahme vom ausschließlichen Vervielfältigungsrecht sollte für bestimmte vorübergehende Vervielfältigungshandlungen gewährt werden, die flüchtige oder begleitende Vervielfältigungen sind, als integraler und wesentlicher Teil eines technischen Verfahrens erfolgen und ausschließlich dem Ziel dienen, entweder die effiziente Übertragung in einem Netz zwischen Dritten durch einen Vermittler oder die rechtmäßige Nutzung eines Werks oder sonstiger Schutzgegenstände zu ermöglichen. Die betreffenden Vervielfältigungshandlungen sollten keinen eigenen wirtschaftlichen Wert besitzen. Soweit diese Voraussetzungen erfüllt sind, erfasst diese Ausnahme auch Handlungen, die das ,Browsingʻ sowie Handlungen des ,Cachingʻ ermöglichen; dies schließt Handlungen ein, die das effiziente Funktionieren der Übertragungssysteme ermöglichen, sofern der Vermittler die Information nicht verändert und nicht die erlaubte Anwendung von Technologien zur Sammlung von Daten über die Nutzung der Information, die von der gewerblichen Wirtschaft weithin anerkannt und verwendet werden, beeinträchtigt. Eine Nutzung sollte als rechtmäßig gelten, soweit sie vom Rechtsinhaber zugelassen bzw. nicht durch Gesetze beschränkt ist.“
4 In Art. 2 Buchst. a der Richtlinie heißt es:
„Die Mitgliedstaaten sehen für folgende Personen das ausschließliche Recht vor, die unmittelbare oder mittelbare, vorübergehende oder dauerhafte Vervielfältigung auf jede Art und Weise und in jeder Form ganz oder teilweise zu erlauben oder zu verbieten:
a) Urhebern in Bezug auf ihre Werke; …“
5 Art. 5 Abs. 1 und 5 der Richtlinie lautet:
„(1) Die in Artikel 2 bezeichneten vorübergehenden Vervielfältigungshandlungen, die flüchtig oder begleitend sind und einen integralen und wesentlichen Teil eines technischen Verfahrens darstellen und deren alleiniger Zweck es ist,
a) eine Übertragung in einem Netz zwischen Dritten durch einen Vermittler oder
eines Werks oder sonstigen Schutzgegenstands zu ermöglichen, und die keine eigenständige wirtschaftliche Bedeutung haben, werden von dem in Artikel 2 vorgesehenen Vervielfältigungsrecht ausgenommen.
5. Die in den Absätzen 1, 2, 3 und 4 genannten Ausnahmen und Beschränkungen dürfen nur in bestimmten Sonderfällen angewandt werden, in denen die normale Verwertung des Werks oder des sonstigen Schutzgegenstands nicht beeinträchtigt wird und die berechtigten Interessen des Rechtsinhabers nicht ungebührlich verletzt werden.“
Recht des Vereinigten Königreichs
6 Art. 5 Abs. 1 der Richtlinie 2001/29 wurde durch Section 28A des Gesetzes von 1988 über Urheberrechte, Gebrauchsmuster und Patente (Copyright, Designs and Patents Act 1988) in nationales Recht umgesetzt.
Ausgangsverfahren und Vorlagefrage
7 Die PRCA ist eine Organisation von Berufstätigen aus dem Bereich der Öffentlichkeitsarbeit. Diese nahmen den Medienbeobachtungsdienst in Anspruch, der von der Unternehmensgruppe Meltwater (im Folgenden: Meltwater) angeboten wird, die ihnen online Berichte über die Beobachtung von Presseartikeln, die im Internet veröffentlicht werden, zur Verfügung stellt; diese Berichte werden anhand von Schlüsselwörtern erstellt, die die Kunden liefern.
8 Die NLA ist eine Einrichtung, die von den Zeitungsverlegern des Vereinigten Königreichs zu dem Zweck gegründet wurde, kollektive Lizenzen in Bezug auf den Inhalt von Zeitungen zu erteilen.
9 Die NLA war der Ansicht, dass Meltwater und deren Kunden eine Zustimmung der Urheberrechtsinhaber für die Erbringung bzw. die Inanspruchnahme des Medienbeobachtungsdienstes einzuholen hätten.
10 Meltwater war bereit, eine Grundlizenz für Internetdaten zu erwerben. PRCA hielt jedoch an ihrer Ansicht fest, dass der Online-Empfang der Beobachtungsberichte durch die Kunden von Meltwater keine Lizenz erfordere.
11 Der High Court of Justice (England & Wales), Chancery Division und der Court of Appeal (England & Wales), die mit dem Rechtsstreit befasst waren, entschieden, dass die Mitglieder der PRCA eine Lizenz oder die Zustimmung von der NLA einholen müssten, um den Dienst von Meltwater in Anspruch zu nehmen.
12 Die PRCA legte gegen diese Entscheidung Rechtsmittel beim Supreme Court of the United Kingdom ein und machte zur Begründung insbesondere geltend, ihre Mitglieder bedürften keiner Zustimmung der Urheberrechtsinhaber, wenn sie sich darauf beschränkten, die Beobachtungsberichte auf der Internetseite von Meltwater anzusehen.
13 Die NLA machte geltend, dass diese Tätigkeit der Zustimmung der Urheberrechtsinhaber bedürfe, da das Betrachten der Internetseite voraussetze, dass Kopien auf dem Computerbildschirm des Nutzers (im Folgenden: Bildschirmkopien) und Kopien im „Internetcache“ der Festplatte dieses Computers (im Folgenden: Cachekopien) erstellt würden. Diese Kopien stellten „Vervielfältigungen“ im Sinne von Art. 2 der Richtlinie 2001/29 dar, die nicht von der in Art. 5 Abs. 1 dieser Richtlinie vorgesehenen Ausnahme erfasst würden.
14 Das vorlegende Gericht stellt fest, dass das bei ihm anhängige Verfahren die Frage betreffe, ob Endnutzer, die Internetseiten auf ihrem Computer ansähen, ohne diese herunterzuladen oder auszudrucken, Urheberrechte verletzten, wenn der Rechtsinhaber der Erstellung solcher Kopien nicht zugestimmt habe.
15 Dazu führt das vorlegende Gericht zunächst aus, dass, wenn ein Endnutzer eine Internetseite auf seinem Computer ansehe, ohne diese herunterzuladen, die hierfür angewandten technischen Verfahren die Erstellung dieser Kopien erforderlich machten. Diese Erstellung sei die automatische Folge des Internet-Browsings und erfordere kein anderes menschliches Eingreifen als die Entscheidung, die betreffende Internetseite aufzurufen. Die Bildschirm- und die Cachekopien würden nur so lange gespeichert, wie die zur Nutzung des Internets angewandten Verfahren gewöhnlich dauerten. Ferner erfordere die Löschung dieser Kopien kein menschliches Eingreifen. Zwar könnten die Cachekopien vom Endnutzer bewusst gelöscht werden, doch würden sie, wenn der Endnutzer dies nicht tue, üblicherweise nach einer gewissen Zeit, abhängig von der Kapazität des Cache sowie vom Umfang und der Häufigkeit der Nutzung des Internets durch den betreffenden Nutzer, durch andere Inhalte ersetzt.
16 Die Bildschirmkopie sei wesentlicher Bestandteil der angewandten Technik, ohne die die Internetseite nicht betrachtet werden könne, und bleibe auf dem Bildschirm, bis der Endnutzer die betreffende Internetseite verlasse. Der Internetcache sei ein universeller Bestandteil der gegenwärtigen Technik des Internet-Browsings, ohne den das Internet die gegenwärtigen Volumina der Online-Datenübertragung nicht bewältigen könnte und nicht einwandfrei funktionieren würde. Die Erzeugung von Bildschirm- und Cachekopien sei für ein einwandfreies und effizientes Funktionieren der für das Internet-Browsing angewandten technischen Prozesse unverzichtbar.
17 Schließlich führt das vorlegende Gericht aus, dass es dem Endnutzer beim Internet-Browsing üblicherweise nicht darum gehe, eine Kopie von dem Bild zu erstellen, es sei denn, er wolle es herunterladen oder ausdrucken. Er wolle vielmehr den Inhalt der ausgewählten Internetseite betrachten. Die Bildschirm- und Cachekopien seien also lediglich eine Nebenfolge der Betrachtung einer Internetseite im Computer.
18 Aufgrund dieser Erwägungen ist das vorlegende Gericht zu dem Ergebnis gelangt, dass die in Rede stehenden Bildschirm- und Cachekopien den Voraussetzungen des Art. 5 Abs. 1 der Richtlinie 2001/29 genügten. Allerdings hält es eine Vorlage an den Gerichtshof für zweckdienlich, um die einheitliche Anwendung des Unionsrechts innerhalb der Europäischen Union sicherzustellen.
19 Hierzu führt es aus, es habe Zweifel, ob die erwähnten Kopien vorübergehend seien und ob sie flüchtig oder begleitend und wesentlicher Teil eines technischen Verfahrens seien. Dagegen ist es der Ansicht, dass solche Kopien notwendigerweise die übrigen Voraussetzungen in Art. 5 Abs. 1 der Richtlinie erfüllten.
20 Unter diesen Voraussetzungen hat der Supreme Court of the United Kingdom beschlossen, das Verfahren auszusetzen und dem Gerichtshof folgende Frage zur Vorabentscheidung vorzulegen:
– ein Endnutzer eine Internetseite betrachtet, ohne sie herunterzuladen, auszudrucken oder es zu unternehmen, davon anderweitig eine Kopie zu erstellen,
– Kopien dieser Internetseite automatisch auf dem Bildschirm und im Internet-„Cache“ auf der Festplatte des Endnutzers erstellt werden,
– die Erstellung dieser Kopien für die technischen Verfahren, die für ein einwandfreies und effizientes Browsing im Internet angewandt werden, unverzichtbar ist,
– die Bildschirm-Kopie auf dem Bildschirm verbleibt, bis der Endnutzer die betreffende Internetseite verlässt, und dann automatisch im normalen Betrieb des Computers gelöscht wird,
– die Cachekopie im Cache verbleibt, bis sie durch andere Inhalte überschrieben wird, wenn der Endnutzer weitere Internetseiten betrachtet, und dann automatisch im normalen Betrieb des Computers gelöscht wird und
– die Kopien nicht länger gespeichert werden, als die oben im vierten und fünften Gedankenstrich genannten gewöhnlichen Verfahren, die zur Internetnutzung angewandt werden, dauern,
diese Kopien vorübergehend, flüchtig oder begleitend und ein integraler und wesentlicher Teil eines technischen Verfahrens im Sinne von Art. 5 Abs. 1 der Richtlinie 2001/29/EG?
21 Mit seiner Frage möchte das vorlegende Gericht wissen, ob Art. 5 der Richtlinie 2001/29 dahin auszulegen ist, dass die von einem Endnutzer bei der Betrachtung einer Internetseite erstellten Bildschirm- und Cachekopien den Voraussetzungen genügen, wonach diese Kopien vorübergehend, flüchtig oder begleitend und ein integraler und wesentlicher Teil eines technischen Verfahrens sein müssen, und ob sie daher ohne die Zustimmung der Urheberrechtsinhaber erstellt werden können.
22 Nach Art. 5 Abs. 1 der Richtlinie 2001/29 wird eine Vervielfältigungshandlung von dem in Art. 2 dieser Richtlinie vorgesehenen Vervielfältigungsrecht ausgenommen, sofern
– sie flüchtig oder begleitend ist;
– sie einen integralen und wesentlichen Teil eines technischen Verfahrens darstellt;
– sie den alleinigen Zweck hat, eine Übertragung in einem Netz zwischen Dritten durch einen Vermittler oder eine rechtmäßige Nutzung eines geschützten Werks oder eines sonstigen Schutzgegenstands zu ermöglichen, und
– keine eigenständige wirtschaftliche Bedeutung hat.
23 Nach der Rechtsprechung des Gerichtshofs sind die oben aufgeführten Voraussetzungen eng auszulegen, denn Art. 5 Abs. 1 der Richtlinie 2001/29 stellt eine Abweichung von der allgemeinen Regel dieser Richtlinie dar, wonach der Inhaber des Urheberrechts jeder Vervielfältigung seines geschützten Werks zustimmen muss (Urteile Infopaq International, C‑5/08, EU:C:2009:465, Rn. 56 und 57, sowie Football Association Premier League u. a., C‑403/08 und C‑429/08, EU:C:2011:631, Rn. 162).
24 Ihrem Zweck entsprechend muss diese Ausnahme jedoch die Entwicklung und den Einsatz neuer Technologien ermöglichen und gewährleisten sowie einen angemessenen Rechts- und Interessenausgleich zwischen den Rechtsinhabern und den Nutzern der geschützten Werke, die in den Genuss dieser neuen Technologien kommen wollen, beibehalten (vgl. Urteil Football Association Premier League u. a., EU:C:2011:631, Rn. 164).
Zur Erfüllung der in Art. 5 Abs. 1 der Richtlinie 2001/29 vorgesehenen Voraussetzungen
25 Das vorlegende Gericht hat ausgeführt, dass die Bildschirm- und die Cachekopien der vierten und der fünften Voraussetzung in Art. 5 Abs. 1 der Richtlinie 2001/29 genügten, so dass nur die Beachtung der ersten bis dritten Voraussetzung Gegenstand des vorliegenden Vorabentscheidungsersuchens ist.
26 Was die erste Voraussetzung der Vorläufigkeit der Vervielfältigungshandlung betrifft, so geht aus den Akten zum einen hervor, dass die Bildschirmkopien gelöscht werden, sobald der Internetnutzer die aufgerufene Internetseite verlässt. Zum anderen werden die Cachekopien gewöhnlich automatisch nach einer gewissen Zeit, abhängig von der Kapazität sowie vom Volumen und der Häufigkeit der Internetnutzung des betreffenden Internetnutzers, durch andere Inhalte ersetzt. Somit haben diese Kopien vorläufigen Charakter.
27 Unter diesen Umständen ist festzustellen, dass diese Kopien der ersten in Art. 5 Abs. 1 der Richtlinie 2001/29 aufgestellten Voraussetzung genügen.
28 Im Rahmen der dritten Voraussetzung, die als Zweites zu prüfen ist, müssen die betreffenden Vervielfältigungshandlungen einen integralen und wesentlichen Teil eines technischen Verfahrens darstellen. Diese Voraussetzung erfordert, dass zwei Merkmale kumulativ erfüllt sind, nämlich zum einen, dass die Vervielfältigungshandlungen vollständig im Rahmen der Durchführung eines technischen Verfahrens vorgenommen werden, und zum anderen, dass die Vervielfältigungshandlung notwendig in dem Sinne ist, dass das betreffende technische Verfahren ohne sie nicht einwandfrei und effizient funktionieren könnte (vgl. Urteil Infopaq International, EU:C:2009:465, Rn. 61, und Beschluss Infopaq International, C-302/10, EU:C:2012:16, Rn. 30).
29 Zum ersten dieser beiden Merkmale ist festzustellen, dass im Ausgangsverfahren die Bildschirmkopien und die Cachekopien durch das für die Betrachtung der Internetseiten angewandte technische Verfahren erstellt und gelöscht werden, so dass diese Vorgänge vollständig im Rahmen dieses Verfahrens stattfinden.
30 Dabei ist es unerheblich, dass das betreffende Verfahren durch den Internetnutzer eingeleitet wird und dass es durch eine vorläufige Vervielfältigungshandlung wie die Bildschirmkopie beendet wird.
31 Nach der Rechtsprechung des Gerichtshofs kann nämlich, da Art. 5 Abs. 1 der Richtlinie 2001/29 nicht näher bestimmt, in welchem Stadium des technischen Verfahrens die vorübergehenden Vervielfältigungshandlungen erfolgen müssen, nicht ausgeschlossen werden, dass solche Handlungen das Verfahren einleiten oder beenden (Beschluss Infopaq International, EU:C:2012:16, Rn. 31).
32 Ferner weist nach der Rechtsprechung nichts in dieser Bestimmung darauf hin, dass das technische Verfahren kein menschliches Eingreifen einschließen darf und es insbesondere ausgeschlossen wäre, dass dieses Verfahren manuell in Gang gesetzt oder beendet wird (vgl. in diesem Sinne Beschluss Infopaq International, EU:C:2012:16, Rn. 32).
33 Daher sind die Bildschirm- und Cachekopien als integraler Bestandteil des im Ausgangsverfahren in Rede stehenden technischen Verfahrens zu betrachten.
34 Zum zweiten der in Rn. 28 des vorliegenden Urteils erwähnten Merkmale geht aus der Vorlageentscheidung hervor, dass das im Ausgangsverfahren in Rede stehende Verfahren, selbst wenn es ohne die Vornahme der betreffenden Vervielfältigungshandlungen durchgeführt werden kann, nicht einwandfrei und effizient funktionieren kann.
35 Nach der Vorlageentscheidung erleichtern nämlich die Cachekopien das Internet-Browsing erheblich, weil ohne diese Kopien das Internet die gegenwärtigen Volumina der online übertragenen Daten nicht bewältigen könnte. Ohne die Erstellung solcher Kopien wäre das für die Betrachtung der Internetseiten angewandte Verfahren deutlich weniger effizient und könnte nicht einwandfrei funktionieren.
36 In Bezug auf die Bildschirmkopien ist nicht bestritten, dass die Technologie der Visualisierung der Internetseiten auf den Computern beim gegenwärtigen Stand die Erstellung solcher Kopien erfordert, damit sie einwandfrei und effizient funktionieren kann.
37 Daher sind die Bildschirm- und Cachekopien als wesentlicher Teil des im Ausgangsverfahren in Rede stehenden technischen Verfahrens zu betrachten.
38 Somit erfüllen die beiden Arten von Kopien die dritte in Art. 5 Abs. 1 der Richtlinie 2001/29 vorgesehene Voraussetzung.
39 Die zweite Voraussetzung, die als Drittes zu prüfen ist, sieht eine Alternative vor: Die Vervielfältigungshandlung muss entweder flüchtig oder begleitend sein.
40 Zum ersten dieser beiden Merkmale ist festzustellen, dass eine Handlung im Rahmen des angewandten technischen Verfahrens „flüchtig“ ist, wenn ihre Lebensdauer auf das für das einwandfreie Funktionieren des betreffenden technischen Verfahrens Erforderliche beschränkt ist, wobei dieses Verfahren derart automatisiert sein muss, dass es diese Handlung automatisch, ohne menschliches Eingreifen, löscht, sobald ihre Funktion, die Durchführung eines solchen Verfahrens zu ermöglichen, erfüllt ist (vgl. in diesem Sinne Urteil Infopaq International, EU:C:2009:465, Rn. 64).
41 Das Erfordernis einer automatischen Löschung schließt jedoch nicht aus, dass dieser Löschung ein menschliches Eingreifen vorangeht, um das technische Verfahren zu beenden. Wie in Rn. 32 des vorliegenden Urteils ausgeführt worden ist, ist es nämlich zulässig, dass das im Ausgangsverfahren in Rede stehende technische Verfahren manuell in Gang gesetzt und beendet wird.
42 Entgegen der Ansicht der NLA verliert eine Vervielfältigungshandlung nicht schon deshalb ihren flüchtigen Charakter, weil vor der Löschung der erstellten Kopie durch das System der Endnutzer eingreifen muss, um das technische Verfahren zu beenden.
43 Was das andere in Rn. 39 des vorliegenden Urteils erwähnte Merkmal angeht, so kann eine Vervielfältigungshandlung als begleitend angesehen werden, wenn sie gegenüber dem technischen Verfahren, dessen Teil sie ist, weder eigenständig ist noch einem eigenständigen Zweck dient.
44 Soweit es im Ausgangsverfahren zunächst um Bildschirmkopien geht, ist darauf hinzuweisen, dass diese vom Computer automatisch gelöscht werden, sobald der Internetnutzer die betreffende Internetseite verlässt, d. h. zu dem Zeitpunkt, zu dem er das für die Betrachtung dieser Seite angewandte technische Verfahren beendet.
45 Dabei ist es entgegen der Ansicht von NLA ohne Bedeutung, dass die Bildschirmkopie so lange gespeichert bleibt, wie der Internetnutzer seinen Browser geöffnet lässt und auf der betreffenden Internetseite bleibt, denn in dieser Zeit bleibt das für die Betrachtung der Seite angewandte technische Verfahren aktiv.
46 Somit ist die Lebensdauer der Bildschirmkopien auf das für das einwandfreie Funktionieren des für die Betrachtung der betreffenden Internetseite angewandten technischen Verfahrens Erforderliche beschränkt. Infolgedessen sind diese Kopien als „flüchtig“ einzustufen.
47 Was sodann die Cachekopien angeht, werden diese zwar im Unterschied zu den Bildschirmkopien nicht gelöscht, wenn der Internetnutzer das für die Betrachtung der betreffenden Internetseite angewandte Verfahren beendet, weil sie im Cache für eine mögliche spätere Betrachtung dieser Seite gespeichert werden.
48 Diese Kopien brauchen jedoch nicht als flüchtig eingestuft zu werden, wenn feststeht, dass sie im Rahmen des angewandten technischen Verfahrens von begleitender Art sind.
49 Zum einen bestimmt das betreffende technische Verfahren völlig, für welchen Zweck diese Kopien erstellt und verwendet werden, obwohl es, wie aus Rn. 34 des vorliegenden Urteils hervorgeht, auch, allerdings weniger effizient, funktionieren kann, wenn solche Kopien nicht erstellt werden. Zum anderen geht aus den Akten hervor, dass die Internetnutzer, die das im Ausgangsverfahren in Rede stehende technische Verfahren benutzen, die Cachekopien nicht außerhalb dieses Verfahrens erstellen können.
50 Daraus folgt, dass die Cachekopien gegenüber dem im Ausgangsverfahren in Rede stehenden technischen Verfahren weder eigenständig sind noch einem eigenständigen Zweck dienen und daher als „begleitend“ einzustufen sind.
51 Somit ist festzustellen, dass die Bildschirm- und die Cachekopien die zweite in Art. 5 Abs. 1 der Richtlinie 2001/29 vorgesehene Voraussetzung erfüllen.
52 Nach alledem erfüllen die im Ausgangsverfahren in Rede stehenden Kopien die ersten drei Voraussetzungen dieser Bestimmung.
53 Um jedoch unter die in der angeführten Bestimmung vorgesehene Ausnahme zu fallen, wie sie in der vorhergehenden Randnummer des vorliegenden Urteils ausgelegt worden ist, müssen diese Handlungen außerdem die Voraussetzungen des Art. 5 Abs. 5 der Richtlinie 2001/29 erfüllen (vgl. in diesem Sinne Urteil Football Association Premier League u. a., EU:C:2011:631, Rn. 181).
Zur Erfüllung der in Art. 5 Abs. 5 der Richtlinie 2001/29 vorgesehenen Voraussetzungen
54 Nach Art. 5 Abs. 5 der Richtlinie 2001/29 ist eine vorübergehende Vervielfältigungshandlung nur in bestimmten Sonderfällen vom Vervielfältigungsrecht ausgenommen, in denen die normale Verwertung des Werks nicht beeinträchtigt und die berechtigten Interessen des Rechtsinhabers nicht ungebührlich verletzt werden.
55 Zunächst werden die Bildschirm- und die Cachekopien nur zum Zweck der Betrachtung der Internetseiten erstellt und stellen daher einen Sonderfall dar.
56 Sodann verletzen diese Kopien die berechtigten Interessen der Urheberrechtsinhaber nicht ungebührlich, obwohl sie den Internetnutzern den Zugang zu den auf den Internetseiten dargestellten Werken grundsätzlich ohne die Zustimmung dieser Inhaber erlauben.
57 In diesem Zusammenhang ist festzustellen, dass die Werke den Internetnutzern von den Herausgebern der Internetseiten zugänglich gemacht werden, die ihrerseits nach Art. 3 Abs. 1 der Richtlinie 2001/29 die Zustimmung der betreffenden Urheberrechtsinhaber einholen müssen, da diese Zugänglichmachung eine öffentliche Wiedergabe im Sinne dieses Artikels darstellt.
58 Die berechtigten Interessen der betroffenen Urheberrechtsinhaber werden auf diese Weise gebührend gewahrt.
59 Unter diesen Umständen ist es nicht gerechtfertigt, von den Internetnutzern zu verlangen, dass sie eine weitere Zustimmung einholen, um in den Genuss derselben, vom betreffenden Urheberrechtsinhaber bereits genehmigten Wiedergabe gelangen zu können.
60 Schließlich beeinträchtigt die Erstellung der Bildschirm- und der Cachekopien nicht die normale Verwertung der Werke.
61 Die Betrachtung der Internetseiten mittels des in Rede stehenden technischen Verfahrens stellt eine normale Verwertung der Werke dar, durch die die Internetnutzer in den Genuss der von den Herausgebern der betreffenden Internetseite bewirkten öffentlichen Wiedergabe der Werke gelangen können. Da die Erstellung der betreffenden Kopien einen Bestandteil der Betrachtung bildet, kann sie eine solche Verwertung der Werke nicht beeinträchtigen.
62 Nach alledem erfüllen die Bildschirm- und die Cachekopien die in Art. 5 Abs. 5 der Richtlinie 2001/29 vorgesehenen Voraussetzungen.
63 Unter diesen Umständen ist auf die vorgelegte Frage zu antworten, dass Art. 5 der Richtlinie 2001/29 dahin auszulegen ist, dass die von einem Endnutzer bei der Betrachtung einer Internetseite erstellten Bildschirm- und Cachekopien den Voraussetzungen, wonach diese Kopien vorübergehend, flüchtig oder begleitend und ein integraler und wesentlicher Teil eines technischen Verfahrens sein müssen, sowie den Voraussetzungen des Art. 5 Abs. 5 dieser Richtlinie genügen und daher ohne die Zustimmung der Urheberrechtsinhaber erstellt werden können.
64 Für die Parteien des Ausgangsverfahrens ist das Verfahren ein Zwischenstreit in dem bei dem vorlegenden Gericht anhängigen Rechtsstreit; die Kostenentscheidung ist daher Sache dieses Gerichts. Die Auslagen anderer Beteiligter für die Abgabe von Erklärungen vor dem Gerichtshof sind nicht erstattungsfähig.
Aus diesen Gründen hat der Gerichtshof (Vierte Kammer) für Recht erkannt:
Art. 5 der Richtlinie 2001/29/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 22. Mai 2001 zur Harmonisierung bestimmter Aspekte des Urheberrechts und der verwandten Schutzrechte in der Informationsgesellschaft ist dahin auszulegen, dass die von einem Endnutzer bei der Betrachtung einer Internetseite erstellten Kopien auf dem Bildschirm seines Computers und im „Cache“ der Festplatte dieses Computers den Voraussetzungen, wonach diese Kopien vorübergehend, flüchtig oder begleitend und ein integraler und wesentlicher Teil eines technischen Verfahrens sein müssen, sowie den Voraussetzungen des Art. 5 Abs. 5 dieser Richtlinie genügen und daher ohne die Zustimmung der Urheberrechtsinhaber erstellt werden können.
* Verfahrenssprache: Englisch.