BGH, 20.11.1984 - IVa ZR 104/83
a) Die Haftungsmilderung des § 521 BGB greift nicht ein, wo es um die Verletzung von Schutzpflichten geht, die nicht im Zusammenhang mit dem Gegenstand der Schenkung stehen. Besteht ein derartiger Zusammenhang, dann ist die Haftung gemäß § 521 BGB gemildert (offen gelassen für Werbegeschenke).
b) Die Haftungsmilderung des § 521 BGB muß, soweit sie dem Schenker bei Verletzung seiner vertraglichen oder vorvertraglichen Schutzpflichten zugute kommt, auch auf Ansprüche des Beschenkten aus unerlaubter Handlung durchschlagen (Anschluß an BGHZ 46, 140, 145 [BGH 23.03.1966 - Ib ZR 150/63]; BGH NJW 1954, 145).
Der IV a - Zivilsenat des Bundesgerichtshofes hat
durch
den Vorsitzenden Richter Dr. Hoegen und
die Richter Rottmüller, Dr. Lang, Dr. Schmidt-Kessel und Dr. Zopfs
auf die mündliche Verhandlung vom 20. November 1984
für Recht erkannt:
Tenor
- Die Revision des Klägers gegen das Urteil des 8. Zivilsenats des Oberlandesgerichts Celle vom 11. März 1983 wird zurückgewiesen.
- Die Kosten des Revisionsverfahrens trägt der Kläger.
Tatbestand
Der Kläger ist Landwirt. In seinem Stall standen im Dezember 1980 98 Bullen. Am 17. Dezember 1980 lieferte ein Fahrer der Beklagten auf dem Hof des Klägers flüssige Kartoffelpulpe an. Der Kläger ließ davon soviel in die Futtertröge der Bullenställe einfüllen, wie diese faßten, nämlich etwa 6,9 t. Nachdem die Bullen von der Pülpe gefressen hatten, erkrankten sie zum Teil schwer. 40 Bullen verendeten oder mußten getötet werden; bei den übrigen Tieren stellte sich eine geringere Gewichtszunahme ein als üblich, sie erbrachten einen verminderten Verkaufserlös. Die Erkrankung beruhte auf übermäßiger Säurebildung im Pansen der Tiere.
Die Pülpe stammte aus dem Betrieb der Beklagten. Diese stellt Kartoffelchips her. Die dabei anfallenden Kartoffelreste werden erhitzt und mit Enzymen versetzt. Dabei wird ein Großteil der Kartoffelstärke in Zucker umgewandelt und die Masse verflüssigt. Die Beklagte überließ die Pülpe gewöhnlich einem Schweinemastunternehmen, an dem sie als Gesellschafterin beteiligt ist. Im Dezember 1980 konnte dieses Unternehmen die damals anfallenden großen Pülpemengen nicht aufnehmen. Der Geschäftsführer der Schweinemästerei, M., der zugleich Leiter eines landwirtschaftlichen Beratungsringes ist, schlug deshalb der Beklagten vor, den Überschuß nicht auf Äckern zu verteilen und unterzupflügen, sondern Landwirten der Umgebung kostenlos anzubieten. Damit war die Beklagte einverstanden. Darauf interessierte M. den Landwirt B., Mitglied des genannten Beratungsringes, an der Pülpe als Bullenfutter. Dieser hatte nur für eine Teilmenge Verwendung und veranlaßte die Lieferung eines weiteren Teiles an den Kläger.
Der Kläger nimmt die Beklagte auf Zahlung von 83.848,- DM nebst Zinsen in Anspruch. Er führt die Erkrankung der Tiere darauf zurück, daß die Pülpe mit Enzymen behandelt war; unbehandelte Kartoffelpülpe sei auch in großen Mengen als Bullenfutter geeignet. Die enzymatisierte Pülpe tauge dagegen nur als Schweinefutter. Auf die Enzymbehandlung habe die Beklagte nicht hingewiesen. Vielmehr habe M., auf B. Frage ausdrücklich erklärt, die Pülpe sei unbehandelt.
Die Beklagte macht geltend, nicht sie, sondern M. habe dem Kläger die Pülpe liefern lassen. Der Kläger habe sich den Schaden selbst zuzuschreiben, weil M. B. darauf hingewiesen habe, zu Anfang dürften nur etwa 10 kg je Tier täglich verfüttert werden. Der Kläger habe die gebotene Vorsicht bei der Dosierung außer Acht gelassen; bei einer solchen Fütterungsart hätte auch rohe Pülpe ohne Enzymzusätze die gleichen Folgen gehabt.
Das Landgericht hat der Klage bis auf einen Teil der Zinsen stattgegeben; das Oberlandesgericht hat sie abgewiesen. Mit seiner Revision erstrebt der Kläger
die Wiederherstellung des Urteils des Landgerichts.
Entscheidungsgründe
Die Revision hat keinen Erfolg.
1.
Das Oberlandesgericht nimmt an, die Beklagte habe dem Kläger die Pülpe geschenkt (§ 516 Abs. 1 BGB). Dagegen will die Revision darauf hinaus, in Wahrheit liege ein entgeltliches Geschäft vor: Es handele sich um ein lästiges Abfallprodukt, dessen Beseitigung Kosten verursachen könne. Aus der Sicht der Beklagten und nach ihrer Interessenlage stelle sich die Abnahme als solche als Gegenleistung dar. Eine Handschenkung könne nicht angenommen werden, weil die Parteien sich gegenseitig einen Dienst erwiesen hätten.
Auf diesen Gesichtspunkt ist das Berufungsgericht nicht eingegangen. Das ist aber unschädlich. Denn für ein entgeltliches Geschäft über die Kartoffelpülpe war vor dem Tatrichter nichts vorgetragen. Vielmehr hat der Kläger die Pülpe ausdrücklich als "hochwertigen Abfall" bezeichnet und sogar schon in der Klageschrift vorgetragen, es handele sich um einen "unentgeltlichen Vertrag". Unter diesen Umständen ist die Würdigung als Schenkung rechtlich nicht zu beanstanden.
2.
Das Berufungsgericht ist weiter der Auffassung, die Beklagte brauche gemäß § 521 BGB nur für Vorsatz und grobe Fahrlässigkeit einzustehen. Das gelte auch im Rahmen des Deliktsrechts. Daß die Beklagte ihre vorvertraglichen oder vertraglichen Schutzpflichten oder das Eigentum des Klägers vorsätzlich verletzt habe, sei nicht behauptet; der Beklagten oder ihren Erfüllungsgehilfen könne aber auch nicht vorgeworfen werden, grob fahrlässig gehandelt zu haben. Zwar habe die Beklagte schon vor der Lieferung gewußt, daß die Pülpe als Futter für Rindvieh habe verwendet werden sollen. Da dieser Gedanke aber nicht von ihr, sondern von M. aus gegangen sei, bei dem Fach- und Sachkunde habe vorausgesetzt werden dürfen, sei es allenfalls ein verzeihlicher Fehler, daß sie eigene Überlegungen und Nachforschungen über die Tauglichkeit enzymatisierter Pülpe zur Rindermast nicht angestellt habe. Das gelte umso mehr, als sie bei den möglichen Abnehmern mit ausreichender Qualifikation zur Beurteilung dieser Frage habe rechnen dürfen.
Auch auf den Gesichtspunkt der Sachmängelhaftung könne die Klage nicht gestützt werden. Die Pülpe sei für sich genommen nicht mangelhaft, sondern nur bei fehlerhafter Dosierung schädlich gewesen; eine zugesicherte Eigenschaft habe ihr nicht gefehlt.
Diese Begründung ist nicht vollständig. Bei ihr ist das Futtermittelgesetz vom 2. Juli 1975 (BGBl I S. 1745 -FuttermittelG) nicht berücksichtigt. § 7 Abs. 3 FuttermittelG lautet:
"Macht der Veräußerer bei der Abgabe von Futtermitteln keine Angaben über die Beschaffenheit, so übernimmt er damit die Gewähr für die handelsübliche Reinheit und Unverdorbenheit."
Diese Vorschrift stimmt wörtlich überein mit § 6 des Futtermittelgesetzes vom 22. Dezember 1926 (RGBl I S. 525). Nach der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofes (BGHZ 57, 292 [BGH 24.11.1971 - VIII ZR 81/70]) liegt die Bedeutung dieser Bestimmung im wesentlichen darin, daß der Händler, wenn er bei der Abgabe keine Beschaffenheitsangaben macht, damit die Eigenschaften "handelsübliche Reinheit und Unverdorbenheit" im Sinne von § 459 Abs. 2 BGB zusichert. Für die wortgleiche Vorschrift des § 7 Abs. 3 des Futtermittelgesetzes von 1975 gilt nichts anderes (vgl. BT-Drucks. 7/2990 S. 18; 7/3581 S. 4).
Daß es sich bei der Pülpe, die dem Kläger geliefert worden ist, um ein Futtermittel im Sinne dieses Gesetzes handelt, ist nicht zweifelhaft. Kartoffelpülpe ist in der Futtermittelverordnung vom 16. Juni 1966 (BGBl I S. 1497) ausdrücklich als solches aufgeführt und von der Beklagten zum Zwecke der Verfütterung sogar eigens aufbereitet und abgegeben worden. Bei der Abgabe an den Kläger sind anscheinend keine Beschaffenheitsangaben gemacht worden; etwaige Angaben hierzu gegenüber B. reichen nicht aus. Die Vorschrift greift daher ein, falls die Beklagte als "Veräußerer" anzusehen ist. Diese Frage kann aber offen bleiben, weil die Voraussetzungen einer Haftung nach § 7 Abs. 3 FuttermittelG hier aus anderen Gründen nicht vorliegen. Hier ist nichts dafür ersichtlich und insbesondere vom Kläger nichts dafür vorgetragen, daß Kartoffelpülpe handelsüblich ohne Enzyme geliefert wird. Zu solchem Vortrag hätte aller Anlaß bestanden, zumal der Kläger sich vor dem Tatrichter selbst auf das Futtermittelgesetz berufen hat.
3.
Eine Sachmängelhaftung der Beklagten gemäß § 524 BGB scheidet schon deshalb aus, weil die Pülpe nach den Feststellungen des Berufungsgerichts an sich nicht mangelhaft, sondern nur vorsichtig zu dosieren war. In Betracht kommt eine vertragliche Haftung der Beklagten daher nur nach den Grundsätzen der culpa in contrahendo oder der positiven Forderungsverletzung. Das hat das Berufungsgericht zutreffend erkannt. Aber auch ein derartiger Anspruch steht dem Kläger nicht zu.
Die tatrichterlichen Feststellungen des Berufungsgerichts lassen es allerdings nicht zu, einen solchen Anspruch schon mit der Begründung zu verneinen, die Beklagte sei von vornherein nicht verpflichtet gewesen, auf die Enzymbehandlung der Pülpe, auf deren Gefährlichkeit für Bullen und auf die Notwendigkeit strenger Dosierung hinzuweisen, oder habe eine derartige Pflicht jedenfalls nicht schuldhaft verletzt. Andererseits hat der Berufungsrichter grobe Fahrlässigkeit der Beklagten ohne Rechtsverstoß verneint. Es hat den Begriff der groben Fahrlässigkeit nicht verkannt. Die in diesem Zusammenhang erhobene Verfahrensrüge der Revision erachtet der Senat für nicht begründet. Unter diesen Umständen kommt es darauf an, ob die Auffassung des Berufungsgerichts, die Beklagte hafte gemäß § 521 BGB nur für Vorsatz und grobe Fahrlässigkeit, zutrifft.
Ob Haftungsmilderungen für einzelne Schuldverhältnisse auch dann eingreifen können, wenn es sich um die Verletzung von vorvertraglichen oder vertraglichen Schutzpflichten handelt, die nicht an dem Erfüllungsinteresse des Gläubigers ausgerichtet sind, sondern dem Integritätsinteresse (Erhaltungsinteresse) des Vertragspartners dienen, ist bisher nicht abschließend geklärt. Während z.B. Canaris (JZ 1965, 475, 481) und Kollhosser (MünchKomm BGB § 521 Rdn. 6, 7) eine Erstreckung des vertraglichen Haftungsmaßstabs insoweit weitgehend befürworten, treten z.B. Thiele (JZ 1967, 649), Gerhard (JuS 1970, 597) und Schlechtriem (VersR 1973, 581) für differenzierende Lösungen ein. Dieser Tendenz folgt auch der erkennende Senat. Er vertritt im Anschluß an die genannten Schriftsteller die Auffassung, daß jedenfalls im Bereich des § 521 BGB Freigiebigkeit der einen Seite nur zu den Vertragserwartungen des Begünstigten in Beziehung gesetzt werden kann. Daher rechtfertigt die Großzügigkeit des Schenkers es nicht, die Haftungsmilderung auch da eingreifen zu lassen, wo es um die Verletzung von Schutzpflichten geht, die nicht im Zusammenhang mit dem Vertragsgegenstand stehen (ähnlich Esser, Schuldrecht II, 4. Aufl. § 112 V 3; Eike Schmidt, Nachwort S. 159 zum Nachdruck von Ihering, Culpa in contrahendo, und Staub. Die positiven Vertragsverletzungen). Indessen besteht hier ein derartiger Zusammenhang; es handelt sich um einen Schaden, der durch den "nach dem Vertrag vorausgesetzten" Verbrauch der Pülpe entstanden ist. In diesem Bereich muß § 521 BGB nach der Auffassung des Senats eingreifen. Dagegen hält er es nicht für gerechtfertigt, mit Schlechtriem (Vertragsordnung und außervertragliche Haftung S. 332 ff.) noch weiter zu gehen und den Schenker auch insoweit voll haften zu lassen (vgl. auch Larenz, Lehrbuch des Schuldrechts II, 12. Aufl. § 47 II a). Für eine solche Lösung mag zwar die Entstehungsgeschichte sprechen. Der Vorläufer von § 521 BGB, § 442 des Entwurfs eines Bürgerlichen Gesetzbuches (E I), bezog sich auf das Schenkungsversprechen und meinte den durch das Ausbleiben der versprochenen Leistung entstandenen Schaden. Darauf deuten die Motive hin (Band II S. 296, § 442 Fn. 1). Auch die in der Kommission für die zweite Lesung (Protokolle II S. 21) beschlossene Fassung ging in diese Richtung. Die erst in der Redaktionskommission beschlossene endgültige Fassung (Jakobs/Schubert, Die Beratungen des Bürgerlichen Gesetzbuches II S. 379) sollte möglicherweise keine sachliche Änderung herbeiführen. Im übrigen wurde, worauf Schlechtriem (VersR 1973, 581, 586) zutreffend hingewiesen hat, in der zweiten Kommission einem Antrag, § 551 E I (= § 600 BGB) zu streichen, weil im Fall der Ansteckung der Herde des Entleihers eine derartig weitgehende Haftungsmilderung unangemessen sei, entgegengehalten, daß "dem hervorgehobenen praktischen Bedürfnisse durch die Bestimmungen über Schadensersatz wegen unerlaubter Handlung genügt werde" (vgl. Protokolle II 270). Jedoch erscheinen diese Argumente dem Senat nicht als zwingend. Der weitgefaßte Wortlaut der Vorschrift weist in die umgekehrte Richtung. Überdies ließe sich bei der von Schlechtriem befürworteten Lösung ein Wertungswiderspruch zu § 524 Abs. 1 BGB kaum vermeiden. Durch diese Vorschrift ist die Haftung des Schenkers für Schäden, die dem Beschenkten aus einem Fehler der verschenkten Sache entstehen, auf den Fall der Arglist beschränkt. Damit wäre es nur schwer in Einklang zu bringen, wenn der Schenker einer fehlerfreien - aber "gefährlichen" - Sache sogar für nur leicht fahrlässige Verletzung seiner Hinweispflichten einzustehen hätte. Dagegen ist es nach der Auffassung des Senats mit der Wertung des Gesetzgebers durchaus vereinbar, wenn der Schenker, der sich von einer Sache trennt und sie dem Beschenkten großzügig überläßt, für Schäden im Rahmen der Vertragserwartungen des Beschenkten nur nach einem gemilderten Maßstab haftet. Ob für Werbegeschenke, die nicht aus Großzügigkeit gemacht werden, etwas anderes anzunehmen ist, kann hier offen bleiben.
4.
Die Haftungsmilderung des § 521 BGB muß, wenn und soweit sie der Beklagten bei der Verletzung ihrer vertraglichen und vorvertraglichen Schutzpflichten zugute kommt, auch auf Ansprüche des Klägers aus unerlaubter Handlung durchschlagen (BGHZ 46, 140, 145 [BGH 23.03.1966 - Ib ZR 150/63]; BGH, Urteil vom 20.10.1953 - I ZR 125/52 = NJW 1954, 155).