OLG München, 02.02.2024 - 38 Sch 68/20 WG

Daten
Fall: 
Vertragsbedingungen der Kabelweitersendung; Kabelweitersendung und IP-basierte Weitersendung / IPTV sind zu unterscheiden; Abschlusszwang der Sendeunternehmen nur bei traditioneller Kabelweitersendung
Gericht: 
Oberlandesgericht München
Datum: 
02.02.2024
Aktenzeichen: 
38 Sch 68/20 WG
Entscheidungstyp: 
Urteil (mit Beschluss)
Instanzen: 
  • OLG München, 02.02.2024 - 38 Sch 68/20 WG (rechtskräftig)
Stichwörter: 
  • Internet-Fernsehen, Fernsehen über Internet-Protokoll, IPTV, Kabelweitersendung, Abschlusszwang, Sendeunternehmen, Kabelunternehmen, Netzbetreiber, § 87 Abs. 5 UrhG

(Redaktionelle Leitsätze)
1. Die IP-basierte Weitersendung (einschließlich IPTV) ist von der herkömmlichen Kabelweitersendung (Digital Video Broadcast-Cable, DVB-C) zu unterscheiden. Für die IP basierte Weitersendung (einschließlich IPTV) besteht kein Abschlusszwang der Sendeunternehmen gemäß § 87 Abs. 5 Satz 1 UrhG. Dies folgt sowohl aus den unionsrechtlichen Vorgaben als auch aus dem Wortlaut von § 87 Abs. 5 UrhG und den Erwägungen des deutschen Gesetzgebers.
2. Zu den gemäß § 87 Abs. 5 Satz 1 UrhG angemessenen Lizenzbedingungen für die herkömmliche Kabelweitersendung gehört (u. a.), dass
2.1 eine Verschlüsselung und/oder Entschlüsselung der weitergesendeten Programme nur erfolgt, wenn darüber eine gesonderte Vereinbarung zwischen dem Sendeunternehmen und dem Netzbetreiber abgeschlossen wird, d.h. ohne solche Vereinbarung zu unterbleiben hat, und
2.2 der Vertrag über die herkömmliche Kabelweitersendung nicht zum Angebot eines Online-Videorecorders berechtigt, und
2.3 der Netzbetreiber bei Bereitstellung von Programmpaketen aus mehreren (Free TV) Programmen einzelner oder mehrerer Sendeunternehmen das gesamte lizenzierte Programmpaket einzuspeisen und weiterzusenden hat, und
2.4 der Netzbetreiber die Programme/Programmpakete einschließlich aller Daten und Steuersignale, zum Beispiel HbbTV, weiterzuleiten hat.

A. Zum Sachverhalt (redaktionell zusammengefasst)

Die Klägerin ist ein regionaler Netzbetreiber und betreibt ein Breitbandkabelnetz (Koaxialnetz) für die herkömmliche Kabelweitersendung. Dieses Netz ist rückkanalfähig und ermöglicht den Anschluss von Telefon und Internet sowie den gleichzeitigen Fernseh- und Rundfunkempfang in digitaler und analoger Qualität. Die Übertragung der Rundfunkprogramme erfolgt über DVB-C (Digital Video Broadcasting-Cable). Die Signale werden sowohl in HD-Qualität (verschlüsselt) als auch in SD-Qualität (unverschlüsselt) übermittelt.

Des Weiteren betreibt die Klägerin ein eigenes Glasfasernetz als geschlossenes, proprietäres Netz. Über dieses Netz werden Telefon- und Internetanschluss und die Übermittlung von Fernsehsignalen angeboten. Die Fernsehsignale werden dabei jeweils in Kombination mit Telefon- und/oder Internetanschluss angeboten. Die Fernsehsignale werden im Internet-Protokoll-Standard übertragen. Die Übertragung erfolgt allein im geschlossenen proprietären Netz der Klägerin über die Anschlüsse der Kunden. Das Signal ist ein IP-Stream. Die Klägerin bezeichnet diese Art der Weitersendung von Fernsehprogrammen als IPTV.

Vom IPTV grenzt die Klägerin sogenannte OTT-Dienste (Over-the-top) – zum Beispiel waipu.tv und Zattoo – ab. OTT-Dienste werden, anders als das von der Klägerin betriebene IPTV, nicht über ein geschlossenes proprietäres Netz betrieben. Vielmehr nutzen sie das offene Internet für die Signalweitergabe und sind nicht an einen speziellen Internet-Service-Provider gebunden.

Die Klägerin ist Mitglied des ANGA, eines Interessenverbands, der die Interessen von mehr als 200 Unternehmen der deutschen Breitbandbranche vertritt.

Die Beklagten sind Sendeunternehmen. Sie senden mehrere Free TV-Programme in SD Qualität und in HD-Qualität.

Bis Ende des Jahres 2015 haben die Beklagten ihre DVB-C-Kabelweitersenderechte durch eine Verwertungsgesellschaft wahrnehmen lassen. Für die Zeit nach dieser Rechtewahrnehmung durch die Verwertungsgesellschaft haben die Beklagten mit dem ANGA einen Mustervertrag verhandelt. Dieser umfasste nur die herkömmliche Kabelweitersendung, und ausdrücklich nicht die IP-basierte Weitersendung, sah u.a. einen Bouquetschutz vor und die Weitersendung von HbbTV-Signalen.

Die Klägerin begehrt von den Beklagten einen Vertragsschluss gemäß. § 87 Abs. 5 Satz 1 UrhG mit Abweichungen in diesen Punkten (Lizenzierung von IPTV als Kabelweitersendung, Streichung des Bouquetschutzes, Streichung der Pflicht zur Weiterleitung der HbbTV-Signale).

Der Klage ist ein Verfahren vor der Schiedsstelle beim DPMA, vorausgegangen, das mit einem Einigungsvorschlag der Schiedsstelle vom 18.03.2019 mit einem Entwurf für einen möglichen Lizenzvertrag endete (Sch-Urh 110/15). Einen solchen Vertragsentwurf hat auch der Senat tenoriert, ohne die übernommenen Regelungen zur Verschlüsselung (Leitsatz 2.1) und zu Online-Videorecordern (Leitsatz 2.2) selbst im Detail zu begründen.

Zur Unterscheidung zwischen der herkömmlichen Kabelweitersendung und der IP-basierten Weitersendung (einschließlich IPTV) hat der Senat am 09.10.2023 einen ausführlichen Hinweisbeschluss erlassen und darauf im Urteil Bezug genommen (dieser ist unter C abgedruckt).

B. Aus den Gründen

I.

Die Klägerin hat mit Schriftsatz vom 03.11.2023, bei Gericht eingegangen am gleichen Tag, die Klage teilweise zurückgenommen, und zwar in Bezug auf die von ihr bis dahin geltend gemachte Festsetzung eines Vertrags nach § 87 Abs. 5 S. 1 UrhG auch in Bezug auf eine Weitersendung von IPTV über ihr geschlossenes proprietäre Glasfasernetz.

Der Senat bewertet das Begehren auf Festsetzung eines Vertrags nach § 87 Abs. 5 S. 1 UrhG wegen der Weitersendung von IPTV als eigenen Streitgegenstand i.S.v. §§ 145, 260 ZPO im Verhältnis zu dem dann nur noch verbleibenden Begehren auf Festsetzung eines Vertrags nach § 87 Abs. 5 S. 1 UrhG in Bezug auf die von der Klagepartei ebenfalls betriebene klassische Kabelweitersendung über ihr HFC-Netz und DVB-C-Signale. Beiden Arten der Weitersendung liegen unterschiedliche Lebenssachverhalte zugrunde. Auch wenn die Klagepartei zunächst für beide Formen der Weitersendung die Festsetzung eines einheitlichen Vertrags begehrte, ist auch eine getrennte Regelung in unterschiedlichen Verträgen mit jeweils eigenen Bestimmungen ohne weiteres möglich, was die Gestaltung des ANGA-Mustervertrags belegt, der die Weitersendung in Form von IPTV – auf Betreiben der Beklagten – bewusst ausgeklammert und daneben Raum für gesonderte Verträge zur Lizenzierung von IPTV gelassen hat (vgl. Bl. 11 ff. d.A.).

Der Umstand, dass die Klagepartei ihre Rechtsmeinung zum Kontrahierungszwang auch in Bezug auf die Weitersendung in Form von IPTV nicht aufgegeben hat (Bl. 255 d.A.), steht der Auslegung ihres Begehrens als Teilklagerücknahme insoweit in Anbetracht des eindeutigen Wortlauts des Antrags einschließlich der gegebenen Begründung (Bl. 255 d.A.) nicht entgegen. Denn zunächst begehrte die Klagepartei gemäß ihrem Antrag mit Anlage A, dort § 2 2.1, zweiter Absatz:

„Das Kabelweitersenderecht im Sinne dieses Vertrages ist das Recht, die Free-TV Programme ... der XY-Sender digital gemäß den in Anlage 2 aufgeführten Spezifikationen leitungsgebunden oder vom Satelliten zu empfangen und diese jeweils zeitgleich, vollständig, unverändert in das jeweilige Kabelnetz einzuspeisen und weiterzusenden. Dies beinhaltet auch die Einspeisung und Weitersendung in einem geschlossenen Kabelnetz des Netzbetreibers bis zum Endgerät des Endkunden unter Verwendung des sogenannten Internet-Protocol-Standards (nachfolgend ‚IP-Standard‘). Die Versorgung der Endkunden im IP-Standard kann alternativ oder kumulativ zur Versorgung in einem anderen Übertragungsstandard erfolgen “, und reduzierte dies im Antrag mit Anlage B auf den Wortlaut wie im ANGA-Mustervertrag: „Das Kabelweitersenderecht im Sinne dieses Vertrages ist das Recht, die Free-TV Programme ... der XY-Sender digital gemäß den in Anlage 2 aufgeführten Spezifikationen leitungsgebunden oder vom Satelliten zu empfangen und diese zeitgleich, vollständig, unverändert in das jeweilige Kabelnetz einzuspeisen und weiterzusenden. “ Ziff. 2.7 Buchstabe c lautete nach Anlage A zudem zunächst: „Nicht Gegenstand der Rechteeinräumung sind insbesondere ... die Verbreitung der XY-Programme außerhalb des geschlossenen Kabelnetzes des Netzbetreibers über das offene Internet (world wide web) oder über Mobilfunknetze (3G und 4G), und zwar insbesondere im Wege des Web-TV, OTT oder Mobile-TV, sofern der Netzbetreiber keine entsprechende separate Vereinbarung mit den XY-Sendern geschlossen hat “ und wurde durch die Klagepartei mit dem Antrag nach Anlage B angepasst an den Wortlaut des ANGA-Mustervertrages wie folgt: „Nicht Gegenstand der Rechteeinräumung sind insbesondere ... die Verbreitung der XY-Programme über ein Telekommunikationsnetz bei dem die Übertragung der Signale bis zum Endgerät des Endkunden über Internet-Protokoll (IP-Protokoll) erfolgt (z.B. IP-TV, Web-TV, OTT, Mobile-TV) sofern der Netzbetreiber keine entsprechende separate Vereinbarung mit den XY-Sendern geschlossen hat; die IP-basierte Zuführung der XY-Programme auf vorgelagerten Netzabschnitten im öffentlichen Grund ist gestattet .“

II.

1.

Die Klage ist zulässig.

Das OLG München ist gemäß §§ 129 Abs. 1, 92 Abs. 2 VGG i.V.m. § 87 Abs. 5 S. 1 UrhG örtlich und sachlich zuständig.

Ein Schiedsverfahren i.S.v. §§ 128 Abs. 1 S. 1, Abs. 2 S. 1, 92 Abs. 2 VGG ist vorausgegangen, unter dem 18.03.2019 erging ein Einigungsvorschlag.

Der Antrag genügt den Bestimmtheitserfordernissen, § 253 Abs. 2 Nr. 2 ZPO (siehe Hinweisbeschluss vom 09.10.2023, S. 5, Bl. 233 d.A.). Die Angaben in Anlage 1, die den örtlichen Verbreitungsumfang durch Auflistung unter anderem der umfassten Gebiete nach Postleitzahlen (vgl. Klausel Ziff. 2.6) definieren, genügen den Bestimmtheitserfordernissen. Auch Anlage 2 ist nunmehr ausgefüllt.

Der vorliegenden Klage mangelt es nicht wegen der bestehenden Sublizenzierung hinsichtlich der Rechte an den XY-Programmen in Bezug auf die Weitersendung über DVB-C in HD-Qualität an dem erforderlichen Rechtsschutzbedürfnis.

Beim Erfordernis des Rechtschutzbedürfnisses für die Zulässigkeit einer Klage handelt es sich um ein ungeschriebenes Merkmal. Dieses soll objektiv sinnlose Klagen verhindern. Da grundsätzlich jeder Rechtsuchende einen öffentlich-rechtlichen Anspruch darauf hat, dass die Gerichte sein Anliegen sachlich prüfen und bescheiden, kann das Rechtschutzbedürfnis nur unter ganz besonderen Umständen verneint werden (Zöller/Greger, ZPO, 35. Aufl. 2024, Vor § 253, Rn. 18). Diese sind hier nicht ersichtlich.

Bei einer gerichtlichen Entscheidung nach § 87 Abs. 5 S. 1 UrhG ist neben dem „Ob“ des Kontrahierungszwangs auch die Angemessenheit der Lizenzbedingungen Gegenstand der gerichtlichen Prüfung und Entscheidung. Der Anspruch der Klagepartei auf sachliche Prüfung und Entscheidung insoweit bildet ein Aliud im Verhältnis zu bestehenden frei verhandelten Sublizenzverträgen mit Dritten.

Auch der Umstand des Bestehens eines Mustervertrags für die Lizenzierung der Kabelweitersendung über DVB-C in SD-Qualität vom Dezember 2015 (ANGA-Mustervertrag, Anlagen K6 / B7), der zwischen dem ANGA, dessen Mitglied die Klagepartei ist, und den hiesigen Beklagten vereinbart wurde und zu dessen Abschluss die Beklagten mit der Klagepartei (ohnehin nur) grundsätzlich bereit wären (vgl. Bl. 72, 295 d.A.), lässt das Rechtschutzbedürfnis nicht entfallen. Es bleibt auch insoweit bei dem Anspruch der Klagepartei auf sachliche Prüfung und Entscheidung auch der Angemessenheit des Vertrags. Ob gegebenenfalls die Angemessenheit der in diesem Mustervertrag niedergelegten Bestimmungen durch den Umstand ihrer Verhandlung zwischen dem Verband, dessen Mitglied die Klagepartei ist, und den Beklagten indiziert wird, bleibt eine Frage der Begründetheit.

2.

Die Klage ist – überwiegend – begründet.

Sendeunternehmen und Weitersendedienste sind gegenseitig verpflichtet, einen Vertrag über die Weitersendung im Sinne des § 20b Abs. 1 S. 1 UrhG durch Kabelsysteme oder Mikrowellensysteme zu angemessenen Bedingungen abzuschließen, sofern nicht ein die Ablehnung des Vertragsabschlusses sachlich rechtfertigender Grund besteht; die Verpflichtung des Sendeunternehmens gilt auch für die ihm in Bezug auf die eigene Sendung eingeräumten oder übertragenen Senderechte, § 87 Abs. 5 S. 1 UrhG.

a)

Nicht durchgreifend ist der Einwand der Beklagten zur Unzumutbarkeit eines Vertragsschlusses, § 87 Abs. 5 S. 1 HS 2 UrhG.

Zwar weisen die Beklagten zutreffend darauf hin, dass die Pflicht zum Vertragsabschluss nach § 87 Abs. 5 S. 1 UrhG nicht uneingeschränkt besteht. Vielmehr steht diese Pflicht unter dem Vorbehalt des Vorliegens eines die Ablehnung des Vertragsabschlusses sachlich rechtfertigenden Grundes. Dies ergibt sich bereits aus dem Gesetz, § 87 Abs. 5 S. 1 HS 2 UrhG. Ein solcher Grund kann gegeben sein, wenn derjenige, der sich auf die Vertragsabschlusspflicht beruft, wiederholt gegen die dem anderen Teil zustehenden Rechte verstoßen hat. Gleichwohl kann ein solcher Rechtsverstoß in der Vergangenheit nicht dazu führen, dass ihm der Rechteinhaber in Zukunft grundsätzlich und ausnahmslos die Einräumung von Nutzungsrechten verweigern darf.

Dem Rechtsverletzer, der in Zukunft rechtmäßig handeln will, darf dies nicht von vornherein unter Hinweis auf frühere Rechtsverletzungen verwehrt werden (BGH, U. v. 22.04.2009, I ZR 5/07 – Seeing is Believing, Rn. 19, 22).

Zwar nutzt die Klagepartei vorliegend bereits langjährig lizenzlos die Rechte in Bezug auf die Weitersendung von DVB-C in SD-Qualität. Allerdings beruht dies auf dem Umstand der Klärung streitiger Fragen zunächst im Schiedsverfahren und anschließend im gerichtlichen Verfahren. Die Klagepartei hat das Schiedsverfahren mit Schriftsatz vom 23.12.2015 unmittelbar nach Scheitern der Verhandlungen im Jahr 2015 – Vertragsangebot der Beklagten vom 21.12.2015 – eingeleitet. Dabei beantragte sie von Anfang an eine rückwirkende Geltung und eine einstweilige Regelung (siehe Einigungsvorschlag S. 67 f.). Bei Abwägung der widerstreitenden Interessen der Beteiligten unter Berücksichtigung der gesetzlichen Zielsetzungen kann daher vorliegend das Bestreben um Klärung der Rechtslage der Klagepartei zur Überzeugung des Senats nicht als hartnäckige Rechtsverletzung ausgelegt werden, die der Abschlusspflicht entgegenstünde.

b)

Zwischen den Parteien steht die Angemessenheit i.S.v. § 87 Abs. 5 S. 1 UrhG der Regelungen zur Bepreisung von Bündelprodukten (Ziff. 3.4, 2. Absatz Anlage B), zum Bouquetschutz (Ziff. 5.1 Anlage B) und zu HbbTV (Ziff. 5.2 Anlage B) im Streit. Hinsichtlich der Regelungen zur Bepreisung von Bündelprodukten ist dem klägerischen Begehren zu entsprechen, im Übrigen dagegen nicht. Die Festsetzung erfolgt nach den Bestimmungen des ANGA-Mustervertrags. Im Einzelnen:

aa)

Nach § 130 VGG, der hier - § 87 Abs. 5 S. 1 UrhG – jedenfalls entsprechende Anwendung findet (BeckOK UrhR/Freudenberg VGG § 130 Rn. 1), setzt der Senat den Inhalt des Vertrags über die Weitersendung i.S.v. § 20b Abs. 1 S. 1 UrhG durch Kabelsysteme nach billigem Ermessen fest. Es handelt sich um eine rechtsgestaltende Entscheidung, für die ein weiter Ermessensspielraum eingeräumt ist. Das Ermessen ist jedoch durch die Parteianträge begrenzt, § 129 Abs. 2 S. 1 VGG i.V.m. § 308 Abs. 1 S. 1 ZPO.

Zur unmittelbaren Anwendung von § 130 VGG ist höchstrichterlich entschieden, dass vergleichbare Regelungen in anderen Gesamtverträgen insbesondere dann, wenn diese Verträge zwischen den Parteien oder unter Beteiligung einer der Parteien geschlossen worden sind, einen gewichtigen Anhaltspunkt für die Billigkeit einer Regelung bieten können. Darüber hinaus bietet auch ein überzeugend begründeter Einigungsvorschlag der Schiedsstelle einen Anhaltspunkt für eine angemessene Regelung (BGH, U. v. 20.03.2013, I ZR 84/11 – Gesamtvertrag Hochschul-Intranet, Rn. 19 ff., v. 16.03.2017, I ZR 36/15 – Gesamtvertag PCs, Rn. 30 ff., v. 01.04.2021, I ZR 45/20 – Gesamtvertrag USB-Sticks und Speicherkarten, Rn. 31 ff.).

In Übertragung der vorstehend erläuterten Grundsätze sieht der Senat grundsätzlich die Angemessenheit der zwischen den Parteien streitigen Klauseln als indiziert an, soweit sie dem ANGA-Mustervertrag entsprechen. Denn der ANGA-Mustervertrag betrifft explizit die klassische Kabelweitersendung mittels DVB-C, die nunmehr nur noch zwischen den Parteien streitig ist. Die Klagepartei ist Mitglied des ANGA und hat den Vertrag mit den Beklagten sogar mitverhandelt (Bl. 257 f. d.A.). Der ANGA ist ein Interessenverband, der die Interessen von mehr als 200 Unternehmen der deutschen Breitbandbranche vertritt. Er ist der mit Abstand führende Verband von Kabelnetzbetreibern; seine Mitglieder versorgen mehr als 20 Millionen Kunden mit Festnetz. Unter anderem sind marktbedeutende Kabelnetzbetreiber Mitglieder: z.B. Vodafone (ehemals Kabel Deutschland), Unity Media (nunmehr mit Vodafone konzernverbunden), TeleColumbus (Marke PYUR), M-net (München), EWE Tel (Niedersachsen) und wilhelm.tel (Hamburg). Gleichzeitig betreibt die überwiegende Zahl der ANGA-Mitglieder ausschließlich Weitersendung mittels DVB-C (Bl. 147 d.A.). Als führender Interessenverband verfügt der ANGA mithin über die erforderliche Sachkunde. Gleichzeitig konnte er aufgrund der großen Zahl und Marktbedeutung seiner Mitglieder den Beklagten auf Augenhöhe in den Verhandlungen begegnen, so dass davon auszugehen ist, dass die in dem Mustervertrag gefundenen Bestimmungen den mit der Bestimmung des § 87 Abs. 5 S. 1 UrhG intendierten gerechten Interessenausgleich bei Verhinderung des Missbrauchs eines einseitigen Verhandlungsvorteils (näher Hinweisbeschluss des Senats vom 09.10.2023, S. 9 f., Bl. 237 f. d.A.) wahren. Ferner haben die ausgehandelten Musterbestimmungen ihre Bestätigung in der vertraglichen Praxis gefunden: denn eine Vielzahl von ANGA-Mitgliedern – etwas mehr als 100 – hat Verträge nach den Bestimmungen des Mustervertrags abgeschlossen.

bb)

Der Senat sieht die von der Klagepartei beantragte Regelung zur Bepreisung von Bündelprodukten als angemessen i.S.v. § 87 Abs. 5 S. 1 UrhG. Diese Regelung entspricht der Bestimmung im ANGA-Mustervertrag, dessen Indizwirkung nicht erschüttert ist.

Der klägerische Antrag und auch der ANGA-Mustervertrag unterscheiden zwei Fälle bei der Ermittlung der Bemessungsgrundlage von Bündelprodukten. Der erste Fall ist geregelt in Ziff. 3.4 Abs. 1 und gilt, wenn der Netzbetreiber auch ein Angebot anbietet, welches allein den Fernsehanschluss umfasst. Insofern besteht zwischen den Parteien kein Streit über die Regelung. Der zweite Fall ist geregelt in Ziff. 3.4 Abs. 2. Dieser gilt, wenn der Netzbetreiber den Fernsehanschluss ausschließlich in Bündelprodukten anbietet. Hierzu sehen sowohl der klägerische Vertragsentwurf als auch der ANGA-Mustervertrag Folgendes vor: „sonst beträgt er “.

Die Indizwirkung der Regelung nach dem ANGA-Mustervertrag wird nicht erschüttert durch den abweichenden Vorschlag der Schiedsstelle, wonach der Betrag qualifiziert zu ermitteln, mindestens aber immer ein Betrag von pro Endkunde und Monat anzusetzen ist. Denn zum einen fügt sich der Fixbetrag von auch in die weiteren Regelungen des ANGA-Mustervertrages, wonach Kabelentgelte i.H.v. mindestens berücksichtigt und ggfls. pauschaliert angesetzt sowie bei Bündelprodukten, wenn TV auch separat angeboten wird, mindestens angesetzt werden (Ziffern 3.2 u. 3.4 [3]). Zum anderen ist der Vorschlag der Schiedsstelle, wonach der Betrag qualifiziert zu ermitteln, mindestens aber immer ein Betrag von pro Endkunde und Monat anzusetzen ist, ausweislich der Begründung auf die Weitersendung mittels IPTV bezogen. Denn die Schiedsstelle hat auch insofern einen Kontrahierungszwang bejaht und die Ergänzung aufgenommen zur Bepreisung von Bündelprodukten mit IPTV, wenn dieses ausschließlich im Bündel erworben werden kann, da sie die bisherigen Regelungen insoweit als lückenhaft sah. Die Angebotsbündelung von IPTV mit dem Produkt Internetanschluss führe zu einer für die Beklagten nicht mehr einsehbaren Preiskoppelung; die Mindestbemessungsgrundlage müsse sich spürbar erhöhen, um den geldwerten Vorteil abzubilden, der durch diese Bündelung erzielt werden könne (Einigungsvorschlag, S. 17, 72 f.). Auch die von der Schiedsstelle hierzu vorgenommenen Plausibilisierungsrechnungen zu dem von ihr aus dem Vertrag zwischen der VG Media und dem Fachverband für Rundfunk- und Breitband Kommunikation (FRK) übernommenen Betrag beziehen sich auf Preise von IPTV (Einigungsvorschlag S. 73 f.). Gleichzeitig sieht aber die Schiedsstelle eine Mindestbemessungsgrundlage von für den Fall der herkömmlichen Kabelweitersendung – wie hier nur noch streitgegenständlich – grundsätzlich für angemessen an (Einigungsvorschlag S. 72): „Dieser Fall der Produktbündelung (Anm.: IPTV ausschließlich im Bündelangebot) ist in den vorgelegten Vertragsentwürfen nicht hinreichend abgebildet. Vielmehr wird für diesen Fall auf die bisher übliche Mindestbemessungsgrundlage für die Kabelweitersendung in Höhe von verwiesen ...“.

Zu der Bestimmung nach dem ANGA-Mustervertrag besteht eine etablierte Vertragspraxis. Die Indizwirkung wird insoweit nicht durch den Vortrag der Beklagten zu einer abweichenden Vertragspraxis mit Mindestbemessungsgrundlagen in Höhe von mit freien Kabelnetzbetreibern und FRK-Kabelnetzbetreibern erschüttert. Denn – wie die Beklagten selbst ausführen – handelt es sich bei den Bestimmungen des ANGA-Mustervertrags um Vorzugskonditionen, die gerade den Mitgliedern von ANGA vorbehalten sind (Bl. 72 d.A.). Überdies ist aus den als Anlagenkonvolute B47 und B48 zu Lizenzverträgen mit freien Kabelnetzbetreibern und mit FRK-Kabelnetzbetreibern vorgelegten Unterlagen nicht nachvollziehbar, inwieweit die dortigen Regelungen einen dem hier in Ziff. 3.4 Abs. 2 geregelten Sachverhalt – Angebot von Fernsehen über DVB-C ausschließlich im Bündel als Double-Play- oder Triple-Play-Paket und nicht auch allein – vergleichbaren Sachverhalt betreffen, zumal dort jeweils nur die Rede von „Triple Play Angeboten“ ist.

cc)

Der Senat sieht die von der Klagepartei beantragte Regelung zum Entfallen des Bouquetschutzes nicht als angemessen i.S.v. § 87 Abs. 5 S. 1 UrhG an. Vielmehr erachtet der Senat auch insofern die Bestimmung nach dem ANGA-Mustervertrag als angemessen.

Die Frage des Bouquetschutzes war streitig bei den Verhandlungen über den Mustervertrag. Gleichwohl besteht nach dem Wortlaut des ANGA-Mustervertrages explizit Bouquetschutz, und zwar für die Programme aller Beklagten im Bündel. Dabei kann offenbleiben, ob dies bereits nach ehemals § 52a Abs. 3 RStV, nunmehr § 80 Abs. 1 MStV geboten ist. Denn jedenfalls kann diese Bestimmung nicht losgelöst gesehen werden vom Verhandlungsergebnis insgesamt, wonach bei Abschluss des ANGA-Mustervertrags durch ANGA-Mitglieder als Ausgleich für die damit einhergehende Verwaltungsvereinfachung (Bl. 295 d.A.) – womit ein legitimer Zweck verfolgt wird – ein Preisrabatt gewährt wird (Ziff. 3.1). Damit greift auch der Einwand der Klagepartei nicht durch, sie habe den Einschluss des Bouquetschutzes in den Verhandlungen des ANGA-Mustervertrages ausdrücklich nicht mitgetragen. Dies gilt umso mehr als die Klagepartei selbst mit ihrem Klageantrag den Abschluss eines einheitlichen Vertrages mit allen Beklagten und damit die intendierte Verwaltungsvereinfachung begehrt.

Auch die Schiedsstelle hat die Aufnahme der Bouquetschutzklausel mit überzeugender Begründung als angemessen befürwortet (Einigungsvorschlag, S. 79). Der Senat sieht die Indizwirkung der Bestimmungen des ANGA-Mustervertrages auch nicht durch eine abweichende Vertragspraxis als widerlegt an, im Gegenteil. Die Beklagten haben insofern auf den Hinweis des Senats vom 09.10.2023 (dort S. 12 f., Bl. 240 f. d.A.) zur Marktüblichkeit samt Beweisangebot vorgetragen (Bl. 273, 291 d.A., Anlagenkonvolut B46). Gleichzeitig ist der Vortrag der Klagepartei insoweit in sich widersprüchlich. Zum einen trägt sie vor, „nur eine Reihe von ANGA-Mitgliedern“ (Bl. 258, 288 d.A.) habe Bestimmungen zum Bouquetschutz vereinbart; zum anderen führt sie – zuletzt im Termin zur mündlichen Verhandlung vor dem Senat – aus, dass sie nicht nur nicht bestreite, sondern vortrage, dass eine Vielzahl von ANGA-Mitgliedern, glaublich 106, den entsprechenden Mustervertrag abgeschlossen haben (Bl. 257, 303 d.A.).

Entgegen dem Einwand der Klagepartei bedeutet die Bouquetschutzklausel keine unangemessene Bestimmung als rechtlicher Fremdkörper in dem Vertrag über die Weitersendung nach § 87 Abs. 5 S. 1 UrhG. Denn der Senat sieht in der Bouquetschutzklausel keine gleichzeitige Regelung über Einspeiseentgelte, d.h. über die Unentgeltlichkeit der Einspeisung. Gegenstand des Vertrages ist die Regelung der urheberrechtlichen Vergütung für die Weitersendung (siehe § 1, § 3). Der Produktmarkt der Kabelweitersenderechte und der Dienstleistung der Einspeisung sind zwei getrennte Märkte. Die urheberrechtliche Vergütung für die Einräumung von Weitersenderechten steht selbständig neben der Leistung der Einspeisung von Programmsignalen durch die Klagepartei in ihr Kabelnetz, mit der allein die Leistung der Beklagten durch Überlassung der Programmsignale korrespondiert (BGH, U. v. 03.12.2019, KZR 29/17 – NetCologne II, Rn. 25). Vor diesem Hintergrund können die Regelungen des Vertrags auch unter Einbeziehung der Bouquetschutzklausel nicht als – konkludente – Mitvereinbarung der Unentgeltlichkeit der Einspeisedienstleistung gesehen werden (vgl. BGH, U. v. 12.04.2016, KZR 30/14 – NetCologne, Rn. 5 f., 22, 41 u. v. 03.12.2019, KZR 29/17 – NetCologne II, Rn. 5 f., 20 ff., 25 f., wo sogar bei ausdrücklicher Vereinbarung eines Rabatts auf die Vergütung für die Überlassung der Weitersenderechte im Falle der Nichtgeltendmachung von Einspeiseentgelten keine vertragliche Mitregelung von Einspeiseentgelten angenommen wurde).

Anders als die Schiedsstelle verzichtet der Senat auf die Aufnahme des klarstellenden Zusatzes: „Ein etwaiger Anspruch des Netzbetreibers auf entsprechende Einspeisevergütungen bleibt hiervon unberührt“. Denn der Vertrag kommt nunmehr durch gerichtliche Festsetzung zustande; die mit dem Urteil gegebene Begründung macht derartige klarstellende Zusätze entbehrlich.

dd)

Der Senat sieht die von der Klagepartei beantragte Regelung zur Herausnahme von HbbTV nicht als angemessen i.S.v. § 87 Abs. 5 S. 1 UrhG an. Vielmehr erachtet der Senat auch insofern die Bestimmung nach dem ANGA-Mustervertrag als angemessen.

Vor dem Hintergrund des weiteren Parteivortrags auf den Hinweis des Senats vom 09.10.2023 (dort S. 13 f., Bl. 241 f. d.A.) besteht nach dem Wortlaut des ANGA-Mustervertrags die grundsätzliche Pflicht zur Weitersendung von HbbTV. Maßgeblich ist dabei nicht, ob der Weitertransport nach heutiger Rechtslage (§ 80 MStV, einschränkend Oster in: Hartstein/Ring/Kreile/Dörr/Stettner/Cole/Wagner, Medienstaatsvertrag, Jugendmedienschutz-Staatsvertrag, 97. Lieferung, 7/2023, § 80 Rn. 12; a.A. BeckOK, InfoMedienR/Gummer/Atamanczuk MStV § 80 Rn. 6, 8) oder nach früherer Rechtslage, als der ANGA-Mustervertrag vereinbart wurde (siehe Entscheidung ZAK v. 23.06.2015, K19), gesetzlich vorgeschrieben ist oder war. Denn nach dem Wortlaut des ANGA-Mustervertrags (dort Ziff. 5.2 und Anlage 2) umfassen die XY-Programme „sämtliche von den XY-Sendern als Teil der XY-Programme bestimmten Signale, insbesondere ... Datensignale einschließlich der dazugehörigen Steuer- und Begleitinformationen wie Teletext, AIT ...“. Nach dem übereinstimmenden Parteivortrag handelt es sich aber bei „AIT“ (application information table) um eine technische Tabelle, die HbbTV ermöglicht; HbbTV sind technische Anweisungen, die in der application information table enthalten sind. Der Empfänger liest aus der AIT-Tabelle die Internetadresse aus, über die der Endkunde eine Verbindung zu der entsprechenden Webseite mit den Zusatzinformationen aufbaut. Über diese Internetadresse hat der Endkunde Zugriff auf die Anwendungen der Multimedia Home Platform (MHP) und auf das Medienangebot in den Mediatheken (siehe insbes. Klägervortrag Bl. 261 d.A., Beklagtenvortrag Bl. 274 f. d.A.).

Auch die Schiedsstelle hat die Regelungen zur Integrität der HbbTV-Signale mit überzeugender Begründung als angemessen befürwortet (Einigungsvorschlag, S. 80 f.). Die Beklagten haben unter Beweisangebot explizit zur Marktüblichkeit der Regelung vorgetragen (Bl. 277 d.A.). Dem ist die Klagepartei nicht entgegengetreten; vielmehr bleibt es auch insoweit bei ihrem Vortrag, eine Vielzahl von ANGA-Mitgliedern habe den entsprechenden Mustervertrag abgeschlossen. Zu der Argumentation der Klagepartei, die Regelung sei als Bestimmung zur Unentgeltlichkeit der Einspeisung und damit als rechtlicher Fremdkörper unangemessen, nimmt der Senat Bezug auf die vorstehenden Ausführungen zur Bouquetschutzklausel.

[…]

C. Hinweisbeschluss des OLG München vom 09.10.2023

[…]

II.

Zum Kontrahierungszwang in Bezug auf IPTV – Präambel vierter Absatz, Klauseln Ziff. 2.1 Abs. 2, 2.6, 2.7 Buchst. c Vertragsentwurf Anlage A

Der Anspruch auf Abschluss eines Lizenzvertrags nach § 87 Abs. 5 S. 1 UrhG i.d.F. vom 31.05.2021 (folgend „n.F.“) besteht nur zwischen Sendeunternehmen und – nunmehr – Weitersendediensten (bis dahin „Kabelunternehmen“, § 87 Abs. 5 S. 1 UrhG i.d.F. vom 07.07.2008, folgend „a.F.“) über die Weitersendung im Sinne des § 20b Abs. 1 S. 1 UrhG durch Kabelsysteme oder Mikrowellensysteme (bis dahin „Kabelweitersendung“); bezüglich aller „andere(n) Formen“ der Weitersendung besteht kein Kontrahierungszwang, § 87 Abs. 5 S. 3 UrhG.

„Andere Formen der Weitersendung“ liegen vor bei der Weitersendung über Satellit, digitale terrestrische Netze, mobile oder geschlossene internetprotokollgestützte und ähnliche Netze oder über das offene Internet. Beispielhaft für die Weitersendung über das offene Internet sind Over-the-top-Dienste (OTT-Dienste), wofür kennzeichnend ist, dass diese die Programme nicht über ein eigenes Netz weitersenden, sondern sich eines klassischen Internet Service Providers bedienen (also eines Internetzugangsdienstes i.S.v. Art. 2 Nr. 2 der Verordnung (EU) 2015/2120 – Netzneutralitätsverordnung – siehe dazu § 20b Abs. 1b UrhG) und der Dienst grundsätzlich für jeden Internetnutzer öffentlich zugänglich ist. Beispiele für internetprotokollgestützte Netze sind „Magenta TV“, für einen OTT „Zattoo“ (FAQ zum Gesetz zur Anpassung des Urheberrechts an die Erfordernisse des digitalen Binnenmarkts v. 13.10.2020, Nr. 8. b./c., zitiert nach https://www.bmj.de/SharedDocs/DownloadsDE/Gesetzgebung/RegE/RegE_Gesetz_... ).

Die vorstehende Definition entstammt wörtlich den Gesetzesmaterialen zur Änderung des Urheberrechtsgesetzes mit Gesetz vom 31.05.2021 (Referentenentwurf des Bundesministeriums der Justiz und für Verbraucherschutz – Entwurf eines Gesetzes zur Anpassung des Urheber- rechts an die Erfordernisse des digitalen Binnenmarktes [Stand: 2. September 2020], S. 77 f., zitiert nach https://www.bmj.de/SharedDocs/Downloads/DE/Gesetzgebung/RefE/RefE_Urhebe... , Gesetzentwurf der Bundesregierung – Entwurf eines Gesetzes zur Anpassung des Urheberrechts an die Erfordernisse des digitalen Binnenmarktes vom 03.02.2021, S. 83 letzter Absatz, 84 f., zitiert nach https://www.bmj.de/SharedDocs/Downloads/DE/Gesetzgebung/RegE/RegE_Gesetz... , Drs. 19/27426 v. 09.03.2021, S. 74, vierter Absatz).

Die Änderung mit Gesetz vom 31.05.2021 bedeutet aber keine Neuerung hinsichtlich der vom Kontrahierungszwang umfassten Formen der Weitersendung, sondern sie lässt den Begriff der „Kabelweitersendung“, der nur beschränkt innerhalb der herkömmlichen Kabelweitersendung Technologieoffenheit zulässt, explizit unverändert. Dies belegen die Gesetzesmaterialien zu den in der Vergangenheit vorgenommenen Änderungen (Drs. 16/1828 v. 15.06.2006, S. 32, dort „Zu Nummer 18 [§ 87 Abs. 5] u. S. 37, dort Stellungnahme des Bundesrats zu Art. 1 Nr. 2 u. S. 46, dort Gegenäußerung der Bundesregierung zu Nr. 2 und Drs. 17/13423 v. 08. 05. 2013, S. 21, dort Stellungnahme des Bundesrats zu Artikel 1 Nummer 1a – neu – mit S. 24, dort Gegenäußerung der Bundesregierung zu Nr. 1, jeweils i.V.m. Referentenentwurf des Bundesministeriums der Justiz und für Verbraucherschutz – Entwurf eines Gesetzes zur Anpassung des Urheber- rechts an die Erfordernisse des digitalen Binnenmarktes [Stand: 2. September 2020], S. 54 letzter Absatz, 55 letzter Absatz, 73 erster Absatz, 74 dritter Absatz, 77 dritter Absatz, 118 dort fünfter u. sechster Absatz, zitiert nach https://www.bmj.de/SharedDocs/Downloads/DE/Gesetzgebung/RefE/RefE_Urhebe... , i.V.m. Gesetzentwurf der Bundesregierung – Entwurf eines Gesetzes zur Anpassung des Urheberrechts an die Erfordernisse des digitalen Binnenmarktes vom 03.02.2021, S. 59 erster und letzter Absatz, S. 83 letzter Absatz, S. 127 ersten beiden Absätze, zitiert nach https://www.bmj.de/SharedDocs/Downloads/DE/Gesetzgebung/RegE/RegE_Gesetz... , Drs. 19/27426 v. 09.03.2021, S. 54 unter Buchst. b a.E., 74, vierter Absatz).

Der Gesetzgeber sah sich hinsichtlich der Frage, welche Technologie durch die Kabelweitersendung erfasst ist, durch die Vorgaben der Richtlinie 93/83/EWG des Rates vom 27.09.1993 zur Koordinierung bestimmter urheber- und leistungsschutzrechtlicher Vorschriften betreffend Satellitenrundfunk und Kabelweiterverbreitung (Abl. v. 06.10.1993 Nr. L 248/15, folgend RiLi 93/83/EWG, dort enumerativ aufgezählt in Art. 1 Abs. 3: „durch Kabel- oder Mikrowellensysteme“) gebunden (Drs. 16/1828 v. 15.06.2006, S. 46, dort Gegenäußerung der Bundesregierung zu Nr. 2). Bestätigt wird dieses Verständnis des Gesetzgebers von den europäischen Vorgaben durch die an die RiLi 93/83/EWG anknüpfende Richtlinie (EU) 2019/789 des europäischen Parlaments und des Rates vom 17. April 2019 mit Vorschriften für die Ausübung von Urheberrechten und verwandten Schutzrechten in Bezug auf bestimmte Online Übertragungen von Sendeunternehmen und die Weiterverbreitung von Fernseh- und Hörfunkprogrammen und zur Änderung der Richtlinie 93/83/EWG des Rates (Abl. v. 17.05.2019 Nr. L 130/82, folgend RiLi (EU) 2019/789). Dort (Erwägungsgrund Nr. 6) wird – nach Darstellung der Weiterentwicklungen des von der Richtlinie adressierten Lebenssachverhalts in Erwägungsgrund Nr. 2 – zum Geltungsbereich der RiLi 93/83/EWG ausgeführt, die Vorschriften für die Weiterverbreitung von Fernseh- und Hörfunkprogrammen aus anderen Mitgliedstaaten gelten nicht für die Weiterverbreitung mittels anderer Technologien, sondern nur für die zeitgleiche, unveränderte und vollständige Weiterverbreitung über Kabel- oder Mikrowellensysteme, während dann (Erwägungsgrund Nr. 14) klargestellt wird, welche neuen Technologien künftig geregelt werden sollen: „Die Dienste solcher Betreiber können über Satellit, digitale terrestrische Netze, mobile oder geschlossene internetprotokollgestützte Netze und ähnliche Netze oder durch Internetzugangsdienste im Sinne der Verordnung (EU) 2015/2120 des Europäischen Parlaments und des Rates angeboten werden. Betreiber von Weiterverbreitungsdiensten, die solche Technologien zur Weiterverbreitung verwenden, sollten daher von dieser Richtlinie erfasst sein.“ Explizit unterscheidet die Richtlinie (Erwägungsgrund Nr. 14 a.E.) zwischen Kabelnetzen und geschlossenen internetprotokollgestützten Netzen, indem sie diese Begriffe nebeneinander stellt. Ergänzend nimmt der Senat insofern Bezug auf die Erwägungen des Generalanwalts Saugmandsgaard mit Schlussanträgen vom 08.09.2016 in der Sache C-275/15 (dort Rn. 69 – 74), wonach der Begriff des Kabels u.a. in der RiLi 93/83/EWG auf „traditionelle Kabelnetze beschränkt ist, die von herkömmlichen Kabeldienstleistungsanbietern betrieben werden“.

Gleichzeitig war sich der Gesetzgeber des Sachverhalts der auf bestimmte Übertragungstechniken beschränkten Rechteeinräumung durch Sendeunternehmen gegenüber Kabelunternehmen und seiner Verpflichtung zur Verhinderung von Missbrauch von Verhandlungspositionen bewusst, hat aber den Kontrahierungszwang nach § 87 Abs. 5 S. 1 UrhG nicht auf neue Techniken übertragen, sondern insofern lediglich in § 87 Abs. 5 S. 3 UrhG aufgenommen, dass Verhandlungen, sofern sie aufgenommen werden, nach Treu und Glauben zu führen sind (Drs. 16/1828 v. 15.06.2006, S. 32, dort „Zu Nummer 18 [§ 87 Abs. 5]). § 87 Abs. 5 S. 1 UrhG beruht auf den Vorgaben der Richtlinie 93/83/EWG. Die Richtlinie war Teil der Maßnahmen der Europäischen Union zur Schaffung eines einheitlichen audiovisuellen Raumes – durch Gewährleistung des freien Dienstleistungsverkehrs und eines unverfälschten Wettbewerbs auf dem Gebiet des Rundfunks – wie auch eines urheberrechtlichen Harmonisierungsprogramms (Drs. 13/4796 v. 04.06.1996, S. 6, dort Ziff. I. u. II.). Die genannten Ziele sollten grundsätzlich auf Grundlage freier vertraglicher Aushandlungen verwirklicht und gewährleistet werden, wobei sicherzustellen war, dass diese Verhandlungen nicht unter missbräuchlicher Ausnutzung von Monopolstellungen geführt werden (Erwägungsgründe Nr. 33, 34 RiLi 93/83/EWG). Der in § 87 Abs. 5 S. 1 UrhG vom deutschen Gesetzgeber angeordnete Kontrahierungszwang stellt damit eine Ausnahme dar zu der grundsätzlich bestehenden Vertragsfreiheit. Mit ihm wurde die Vorgabe von Art. 12 Abs. 1 Ri-Li 93/83/EWG umgesetzt, wonach die Mitgliedstaaten gehalten sind, Sendeunternehmen den zur Förderung von Vertragsverhandlungen einzurichtenden Mechanismen der Vermeidung missbräuchlichen Verhaltens zu unterwerfen (Drs. 13/4796 v. 04.06.1996, S. 8, dort Teil von b) ). Das Mittel des Kontrahierungszwanges wurde vom deutschen Gesetzgeber zur Richtlinienumsetzung gewählt, um die hohen Investitionen der Kabelunternehmen in die Errichtung der physischen Netze abzusichern (FAQ zum Gesetz zur Anpassung des Urheberrechts an die Erfordernisse des digitalen Binnenmarkts v. 13.10.2020, Nr. 8. b./c., zitiert nach https://www.bmj.de/SharedDocs/Downloads/DE/Gesetzgebung/RegE/RegE_Gesetz... ); Kabelunternehmen waren bei gleichzeitig hohen Investitionskosten auf die Signalweitergabe durch die Sendeunternehmen angewiesen, weshalb der Gesetzgeber befürchtete, Kabelunternehmen könnten durch die Verhandlungsmacht der Sendeunternehmen die Amortisation ihrer Investitionen in die Errichtung der Kabelnetze gefährdet sehen (Drs. 13/4796 v. 04.06.1996, S. 8, dort c) ). Gleich- wohl folgte der deutsche Gesetzgeber nicht der Option, die Sendeunternehmen durch Anknüpfung an § 11 UrhWG einem uneingeschränkten Kontrahierungszwang zu unterwerfen, sondern entschied sich zur besseren Umsetzung der Vorgaben der Richtlinie lediglich zur Aufnahme eines eingeschränkten („sachlich gerechtfertigte Gründe zur Verweigerung des Abschlusses“) Kontrahierungszwanges (Drs. 13/4796 v. 04.06.1996, S. 10, dort Teil von 3.).

Das Vorgehen des deutschen Gesetzgebers in der letzten Novellierung findet seine Bestätigung in den hierzu einschlägigen europäischen Vorgaben. Während Art. 12 Abs. 1 RiLi 93/83/EWG strenger gefasst ist: „Die Mitgliedstaaten sorgen durch entsprechende zivil- oder verwaltungsrechtliche Vorschriften dafür, dass die Beteiligten Verhandlungen über die Erlaubnis der Kabelweiterverbreitung nach Treu und Glauben aufnehmen und diese Verhandlungen nicht ohne triftigen Grund be- oder verhindern“, sieht Art. 5 Abs. 2 RiLi (EU) 2019/789 nur vor: „Die Mitgliedstaaten bestimmen, dass, wenn Verhandlungen über die Erlaubnis der Weiterverbreitung gemäß dieser Richtlinie zwischen Sendeunternehmen und Betreibern von Weiterverbreitungsdiensten geführt werden, diese nach Treu und Glauben zu führen sind“, wobei insoweit sogar eine Wortlautklarstellung erfolgt ist im Sinne der Vertragsabschlussfreiheit (Abl. v. 15.11.2019 Nr. L 296/63).

Vor dem Hintergrund der vorgenannten Umstände erscheint eine erweiternde Auslegung von § 87 Abs. 5 S. 1 UrhG auch unter Berücksichtigung der Einwände der Klagepartei zur Subsumtion des von ihr betriebenen IPTV unter die Kriterien nach §§ 87 Abs. 5 S. 1, 20b Abs. 1 UrhG, zur Abgrenzung von IPTV zu OTT-Diensten, zur Austauschbarkeit von TV-Angeboten über DVB-C und IPTV aus Verbrauchersicht sowie zur technischen wie wirtschaftlichen Gleichwertigkeit von DVB-C und IPTV, bei denen beiden u.a. TV-Empfang, Telefonie und Internetzugang kombiniert angeboten werden können, nicht möglich (siehe auch BeckOK UrhR/Hillig/Oster UrhG § 87 Rn. 66). Dies gilt auch im Hinblick auf die von der Klagepartei vorgetragene Lizenzierungspraxis der GEMA mit dem ANGA, wonach in den dortigen Verträgen unter dem Begriff der Kabelweitersendung auch Weitersendung über IPTV wie von ihr betrieben verstanden wird (Bl. 26 d.A.). Denn – ungeachtet des Einwands der Beklagten zum Inhalt der dort verwendeten Begrifflichkeiten (§ 2 Abs. 7 Anlage B18) wie zum Bestehen einer etablierten gesonderten Lizenzierungspraxis für die IP-basierte Weitersendung – sind die Parteien frei in der Definition der für ihre – ausgehandelten – Verträge maßgeblichen Begrifflichkeiten.

Zur Angemessenheit der streitigen Klauseln im Übrigen

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