BVerfG, 23.03.1971 - 1 BvL 25/61, 1 BvL 3/62
1. Das Verbot, Schriften, die Kinder oder Jugendliche offensichtlich sittlich schwer gefährden, im Versandhandel zu vertreiben, zu verbreiten oder zu diesen Zwecken vorrätig zu halten (§ 6 Abs. 1 GjS), ist mit dem Grundgesetz vereinbar.
2. Die grundsätzliche Wertentscheidung der Verfassung für die Freiheit der Meinung und der Information schließt es aus, Schriften, die durch Bild für Nacktkultur werben (§ 6 Abs. 2 GjS), aufgrund einer unwiderleglichen Vermutung generellen Verboten zu unterwerfen.
Beschluß
des Ersten Senats vom 23. März 1971
-- 1 BvL 25/61 und 3/62 --
in dem Verfahren wegen verfassungsrechtlicher Prüfung 1. des § 6 Abs. 2 in Verbindung mit § 5 Abs. 2 des Gesetzes über die Verbreitung jugendgefährdender Schriften vom 9. Juni 1953 in der Fassung vom 29. April 1961 (BGBl. I S. 497) - Aussetzungs- und Vorlagebeschluß des Amtsgerichts - Schöffengericht - Hamburg-Altona vom 3. Oktober 1961 (24 Schö 30/61 - 26 MS 5/61) - 1 BvL 25 /61 -; 2. a) des § 6 Abs. 2 in Verbindung mit § 5 Abs. 2 des Gesetzes über die Verbreitung jugendgefährdender Schriften vom 9. Juni 1953 in der Fassung vom 29. April 1961 (BGBl. I S. 497), b) des § 6 Abs. 1 in Verbindung mit § 4 Abs. 1 Nr. 3 des Gesetzes über die Verbreitung jugendgefährdender Schriften vom 9. Juni 1953 in der Fassung vom 29. April 1961 ( BGBl. I S. 497) - Aussetzungs- und Vorlagebeschluß des Landgerichts Flensburg vom 28. November 1961 (5 KMs 1/60 - I 2353/59) - 1 BvL 3/62 -.
- § 6 Absatz 1 in Verbindung mit § 4 Absatz 1 Nr. 3 des Gesetzes über die Verbreitung jugendgefährdender Schriften vom 9. Juni 1953 (Bundesgesetzbl. I S. 377) in der Fassung vom 29. April 1961 (Bundesgesetzbl. I S. 497) ist mit dem Grundgesetz vereinbar.
- § 6 Absatz 2 des Gesetzes über die Verbreitung jugendgefährdender Schriften vom 9. Juni 1953 (Bundesgesetzbl. I S. 377) in der Fassung vom 29. April 1961 (Bundesgesetzbl. I S. 497) verstößt gegen Artikel 5 Absatz 1 Satz 1 des Grundgesetzes und ist daher nichtig.
Gründe
A.
I.
Das Gesetz über die Verbreitung jugendgefährdender Schriften vom 9. Juni 1953 in der Fassung vom 29. April 1961 (BGBl. I S. 497) -- GjS -- beschränkt -- wie es in seiner Präambel hervorhebt -- zum Schutze der heranwachsenden Jugend die in Art. 5 Abs. 1 GG genannten Grundrechte, indem es jugendgefährdende Schriften bestimmten Verkaufs-, Vertriebs- und Werbebeschränkungen unterwirft.
1.
Das Gesetz betrifft Schriften und -- diesen gleichgestellt -- Schallaufnahmen, Abbildungen und Darstellungen, die geeignet sind, Kinder oder Jugendliche sittlich zu gefährden (§ 1 Abs. 1 und 3). Hierzu rechnet das Gesetz vor allem unsittliche, verrohend wirkende, zu Gewalttätigkeit, Verbrechen oder Rassenhaß anreizende sowie den Krieg verherrlichende Schriften (§ 1 Abs. 1 Satz 2). Diese sind in eine Liste aufzunehmen (§ 1 Abs. 1). Über die Aufnahme in die Liste entscheidet eine nicht an Weisungen gebundene Bundesprüfstelle (§§ 8 ff.) in einem rechtsförmlichen Verfahren (§§ 12 ff.) durch Verwaltungsakt, gegen den der Verwaltungsrechtsweg eröffnet ist (§ 20). Die Aufnahme in die Liste ist im Bundesanzeiger bekanntzumachen (§§ 1 Abs. 1 Satz 3, 19 Abs. 2). Mit dieser Bekanntmachung treten die in den §§ 3 bis 5 geregelten Verkaufs-, Vertriebs- und Werbebeschränkungen ein. Diese Vorschriften lauten:
§ 3
Eine Schrift darf, sobald ihre Aufnahme in die Liste bekanntgemacht ist, einem Kind oder Jugendlichen nicht feilgeboten oder zugänglich gemacht werden.
§ 4
(1) Eine Schrift, deren Aufnahme in die Liste bekanntgemacht ist, darf nicht 1. durch Händler außerhalb von Geschäftsräumen oder durch Reisende von Haus zu Haus, 2. in Kiosken oder anderen Verkaufsstellen, die der Kunde nicht zu betreten pflegt, 3. im Versandhandel oder 4. in gewerblichen Leihbüchereien oder Lesezirkeln vertrieben, verbreitet oder verliehen oder zu diesen Zwecken vorrätig gehalten werden.
(2) Verleger und Zwischenhändler dürfen eine solche Schrift nicht an Personen liefern, soweit diese einen Handel nach Absatz 1 Nr. 1 betreiben oder Inhaber von Betrieben der in Absatz 1 Nr. 2 bis 4 bezeichneten Art sind.
§ 5
(1) Bei geschäftlicher Werbung darf nicht darauf hingewiesen werden, daß ein Verfahren zur Aufnahme einer Schrift in die Liste anhängig ist oder gewesen ist.
(2) Nach Bekanntmachung ist eine geschäftliche Werbung durch Auslegen oder Aushängen der Schrift im Schaufenster, innerhalb eines Verkaufsraumes oder an anderen allgemein zugänglichen Orten, durch Reklame oder Anzeigen, Postwurfsendungen oder andersartige Übermittlung von Werbematerial untersagt. Anzeigen in Fachblättern des Buchhandels sind zulässig.
2.
Ausnahmen von dieser Grundsatzregelung, wonach jugendgefährdende Schriften aufgrund eines anfechtbaren Verwaltungsaktes in eine Liste aufzunehmen sind und erst von der Bekanntmachung im Bundesanzeiger an die Verbote der §§ 3 bis 5 eintreten, regelt § 6. Die Vorschrift lautet:
§ 6
(1) Schriften, die Kinder oder Jugendliche offensichtlich sittlich schwer gefährden, unterliegen den Beschränkungen der §§ 3 bis 5, ohne daß es einer Aufnahme in die Liste und einer Bekanntmachung bedarf.
(2) Das gleiche gilt für Schriften, die durch Bild für Nacktkultur werben.
3.
Zuwiderhandlungen gegen die §§ 3 bis 6 werden durch § 21 mit Freiheits- und Geldstrafen bedroht.
II.
Dem Verfahren 1 BvL 25/61 liegt folgender Sachverhalt zugrunde: Bei dem Amtsgericht -- Schöffengericht -- Hamburg- Altona schwebt ein Strafverfahren gegen den Geschäftsführer eines Verlages in Hamburg-Altona, der die Monatszeitschrift "Sonnenfreunde" herausgibt. Diese ist mit Bildern ausgestattet, wirbt für die Freikörperkultur (Nacktkultur) und ist vom Deutschen Verband für Freikörperkultur e. V. (FKK), Sitz Hamburg, anerkannt. Daneben gibt der Verlag Sonderhefte ähnlichen Inhalts heraus. Dem Monatsheft "Sonnenfreunde" Nr. 138 vom Mai 1961, das mit etwa 6000 Stück im Abonnement- und Großhandel vertrieben worden ist, war ein Werbezettel beigefügt, durch den für andere lieferbare bebilderte FKK-Literatur geworben wurde. Mit der Feststellung, der Geschäftsführer habe sich wegen dieses Sachverhalts eines nach den §§ 1, 5 Abs. 2, 6 Abs. 2, 21 GjS strafbaren Vergehens schuldig gemacht, indem er für Schriften, die durch Bild für Nacktkultur werben, durch Reklame bzw. Übermittlung von Werbematerial geschäftlich geworben habe, setzte das Amtsgericht Hamburg-Altona durch Strafbefehl eine Geldstrafe von 150 DM, ersatzweise eine Gefängnisstrafe von 15 Tagen fest. In der auf den Einspruch des Angeklagten durchgeführten Hauptverhandlung hat das Schöffengericht Hamburg-Altona beschlossen, das Verfahren auszusetzen und die Akten des Verfahrens gemäß Art. 100 Abs. 1 GG dem Bundesverfassungsgericht zur Einholung einer Entscheidung über die Vereinbarkeit von § 6 Abs. 2 GjS mit den Art. 3 und 5 GG vorzulegen. Dazu führt das vorlegende Gericht aus:
Sowohl bei der Zeitschrift "Sonnenfreunde" wie bei den in dem Werbezettel angebotenen FKK-Schriften handle es sich um Schriften im Sinne des § 6 Abs. 2. Der Angeklagte habe durch die Versendung des Werbezettels gegen § 5 Abs. 2 verstoßen und müßte daher gemäß § 6 Abs. 2, § 21 verurteilt werden, wenn § 6 Abs. 2 mit dem Grundgesetz vereinbar wäre. Die Vorschrift verstoße jedoch gegen Art. 3 und Art. 5 GG: Bei den in die Liste aufgenommenen Schriften und bei denjenigen des § 6 Abs. 1 habe der Betroffene die Möglichkeit, durch unabhängige Verwaltungs- und bzw. Strafgerichte in drei Rechtszügen nachprüfen zu lassen, ob es sich um jugendgefährdende Schriften handle; hierdurch sei gewährleistet, daß die mit den Eingriffen verbundene Einschränkung des Rechts der freien Meinungsäußerung sich im Rahmen des Grundgesetzes halte. Demgegenüber versage das Gesetz den Schriften des § 6 Abs. 2 jeden irgendwie gearteten Rechtsschutz; insoweit werde ausnahmslos ohne jede richterliche Nachprüfung das Grundrecht des Art. 5 GG verweigert. § 6 Abs. 2 sei überflüssig; die Zielsetzung des Gesetzes könne ungeschmälert über § 1 Abs. 1 oder § 6 Abs. 1 erreicht werden. § 6 Abs. 2 enthalte eine einseitige, durch nichts zu begründende gesetzgeberische Ausnahmebehandlung der FKK-Schriften und verstoße daher auch gegen Art. 3 GG.
III.
Gegen die Angeklagte -- Inhaberin eines Versandhauses für Ehehygiene in Flensburg -- des dem Verfahren 1 BvL 3/62 zugrundeliegenden Ausgangsverfahrens ist vor dem Landgericht Flensburg die Hauptverhandlung u.a. unter folgenden Beschuldigungen eröffnet worden:
a) sie habe fortgesetzt für Schriften, die durch Bild für Nacktkultur werben, geschäftlich geworben, indem sie sich in einer ihrer Werbeschriften zur Überlassung von Schriften der Freikörperkultur erboten habe -- Vergehen nach §§ 5 Abs. 2, 6 Abs. 2, 21 Abs. 1 GjS -- und
b) sie habe vom Ende des Jahres 1960 bis August 1961 fortgesetzt durch dieselbe Handlung unzüchtige Schriften (u.a. den Wäschekatalog "Paris dessous d'amour" und die Werbeschrift "Liebe, das schönste Wort auf Erden") verbreitet oder zu demselben Zweck vorrätig gehalten und vorsätzlich § 4 Abs. 1 Nr. 3, § 6 Abs. 1 GjS zuwidergehandelt, indem sie diese beiden Schriften versandt und zur Verbreitung vorrätig gehalten habe -- nach §§ 184 Abs. 1 Nr. 1, 73, 40 StGB, § 4 Abs. 1 Nr. 3, § 6 Abs. 1, § 21 GjS strafbare Vergehen -.
In der vor dem Landgericht Flensburg durchgeführten Hauptverhandlung hat die Angeklagte eingeräumt, daß sie bei der Versendung von Werbematerial mitunter auch einen Werbeprospekt beigefügt habe, in dem u.a. für den Bezug der FKK-Zeitschriften "Sonnenfreunde" und "Helios" geworben worden sei. Zu der weiteren Beschuldigung hat sich die Angeklagte nicht geäußert; eine Beweiserhebung hat nicht stattgefunden. In der Hauptverhandlung hat das Landgericht beschlossen, das Verfahren auszusetzen und die Akten gemäß Art. 100 Abs. 1 GG dem Bundesverfassungsgericht vorzulegen zur Einholung einer Entscheidung über die Vereinbarkeit von § 6 Abs. 2 und § 4 Abs. 1 Nr. 3 GjS mit den Art. 2, 3 und 5 GG. In dem Vorlagebeschluß ist dargelegt:
1.
Bei den Zeitschriften "Sonnenfreunde" und "Helios" handle es sich um Schriften, die durch Bild für Nacktkultur werben (§ 6 Abs. 2) und daher kraft Gesetzes den Beschränkungen der §§ 3 bis 5 unterliegen. Gemäß § 5 Abs. 2 sei auch eine geschäftliche Werbung durch Postwurfsendungen oder "andersartige Übermittlung von Werbematerial" untersagt. Gegen dieses Verbot habe die Angeklagte nach ihren eigenen Angaben vorsätzlich verstoßen. Daher sei sie nach § 21 zu verurteilen, wenn § 6 Abs. 2 mit dem Grundgesetz vereinbar sei. Dieser Anklagepunkt könne bei der Entscheidung der Strafkammer nicht ausgeklammert werden, da sämtliche der Angeklagten zur Last gelegten Rechtsverletzungen zueinander im Verhältnis der Tateinheit stünden. Die Entscheidung hänge daher von der Gültigkeit des § 6 Abs. 2 ab. Diese Vorschrift sei jedoch mit den Art. 3, 5 und 2 GG unvereinbar.
Im Gegensatz zu den in § 1 Abs. 1 und § 6 Abs. 1 genannten Schriften unterwerfe der Gesetzgeber die in § 6 Abs. 2 genannten Schriften den Beschränkungen der §§ 3 bis 5 ohne Rücksicht auf ihre jeweilige Gefährlichkeit, indem er unterstelle, daß diese Schriften durchweg Jugendliche im Sinne des § 6 Abs. 1 offensichtlich sittlich schwer gefährden. Der Strafrichter habe daher nur zu prüfen, ob es sich um Schriften handle, die durch Bild für Nacktkultur werben, und ob die Angeklagte gegen Vorschriften der §§ 3 bis 5 verstoßen habe; er müßte selbst dann verurteilen, wenn die Schrift völlig einwandfrei sei. Bereits in der Entscheidung BVerfGE 7, 320 sei entschieden, daß die in § 6 Abs. 2 aufgeführten Schriften Jugendliche nicht durchweg sittlich gefährdeten. Daher erscheine die vom Gesetzgeber unterstellte Gleichstellung der Schriften, die durch Bild für Nacktkultur werben, mit den Schriften, die offensichtlich Jugendliche sittlich schwer gefährden, nicht gerechtfertigt. § 6 Abs. 2 richte sich einseitig gegen die Freikörperkulturbewegung. Dies verstoße gegen Art. 3 GG. Die Freikörperkulturbewegung sei eine erlaubte Vereinigung, der grundsätzlich das Recht zugestanden werden müsse, durch Bild für ihre Bestrebungen zu werben. Diese Werbung sei durch § 6 Abs. 2, § 5 Abs. 2 unzulässig unterbunden. Das Grundrecht aus Art. 5 GG werde hier in seinem Wesensgehalt (Art. 19 Abs. 2 GG) angetastet, weil die wesensmäßige Geltung und Entfaltung des Grundrechts stärker eingeschränkt werde, als es der sachliche Anlaß und Grund der gesetzlichen Regelung zwingend und unbedingt gebiete; der Schutz der Jugend erfordere nämlich eine Sonderstellung der Schriften, die durch Bild für Nacktkultur werben (§ 6 Abs. 2), nicht. Dieser Schutz sei bereits durch § 6 Abs. 1 hinreichend gegeben. Durch die Vorschrift werde ohne zwingenden Grund allein die Freikörperkulturbewegung betroffen, ohne daß im Einzelfall der Strafrichter nachprüfen dürfe, ob die betreffende Schrift Jugendliche offensichtlich schwer sittlich gefährde. Damit habe der Gesetzgeber die Grenze seiner Gestaltungsfreiheit überschritten und gegen Art. 3 GG verstoßen.
§ 6 Abs. 2 verstoße auch gegen Art. 2 Abs. 1 GG, weil die Anhänger der Freikörperkulturbewegung in einer Betätigung eingeschränkt würden, die der Entfaltung ihrer Persönlichkeit diene. Der Vorbehalt des allgemeinen Sittengesetzes greife nicht durch, weil insoweit kein einheitliches Sittengesetz bestehe. Zwar lehne die Mehrheit der Bevölkerung die Betätigung der Freikörperkultur ab, aber weite Volkskreise bekennten sich zu der FKK- Bewegung oder beteiligten sich zumindest in der Urlaubszeit an der Freikörperkultur.
2.
Auch von der Gültigkeit des § 4 Abs. 1 Nr. 3 hänge die Entscheidung ab, da im Falle der Ungültigkeit dieser Vorschrift eine Verurteilung der Angeklagten von vornherein ausscheide, ohne daß es insoweit einer Beweisaufnahme bedürfe.
§ 4 Abs. 1 Nr. 3 sei mit den Art. 3, 5 und 2 GG unvereinbar. Für das in dieser Vorschrift enthaltene generelle Verbot, Schriften nach § 1 Abs. 1, § 6 Abs. 1 und § 6 Abs. 2 im Versandhandel zu vertreiben, zu verbreiten oder zu diesen Zwecken vorrätig zu halten, gebe es keine sachliche Berechtigung. Die Vorschrift beruhe offenbar auf der Vorstellung des Gesetzgebers, daß die betreffenden Schriften im Versandhandel leichter und häufiger als bei dem Verkauf durch Ladengeschäfte in den Besitz Jugendlicher gelangen könnten. Hierbei handle es sich um die bloße Möglichkeit oder Vermutung einer Gefährdung, die bekämpft werden solle. Das reiche nicht aus; erforderlich sei eine gewisse Wahrscheinlichkeit des Eintritts einer Gefahrenlage. Hierfür könne es nur auf nachweisbare Fälle ankommen; insoweit bestehe aber durch die §§ 3 und 21 bereits ein hinreichender Schutz. So seien in dem zur Entscheidung stehenden Tatkomplex, der die Zeit ab Ende des Jahres 1958 umfasse, nachweisbar nur in einem Falle von der Angeklagten versandte Schriften in die Hände eines Jugendlichen gelangt, dieser Fall sei nach den §§ 3 und 6 Abs. 1 angeklagt. Die Anonymität des Bestellers beim Kauf einer Schrift sei in einem Ladengeschäft grundsätzlich mehr gewahrt als bei einem Bezug durch den Versandhandel. Der Gesetzgeber hätte sich darauf beschränken müssen, vom Versandhandel den Nachweis bestimmter Sicherungsmaßnahmen dafür zu verlangen, daß die Schriften nicht an Jugendliche gelangen könnten. In seiner allgemeinen Fassung enthalte § 4 Abs. 1 Nr. 3 eine einseitige Benachteiligung des Versandhandels gegenüber dem Ladengeschäft und damit einen Verstoß gegen Art. 3 Abs. 1 GG. Im Hinblick auf diese Grundrechtsverletzung sei die Vorschrift aber auch nicht geeignet, die Meinungs- und Informationsfreiheit wirksam nach Art. 5 Abs. 2 GG einzuschränken; daher sei zugleich Art. 5 Abs. 1 GG verletzt. Wenn der Gesetzgeber den Erwerb von Sexualliteratur durch den Versandhandel nach § 4 Abs. 1 Nr. 3 auch für Erwachsene verbiete, sofern die Schriften unter § 1, § 6 Abs. 1 oder § 6 Abs. 2 fallen, ohne zugleich unzüchtig im Sinne des § 184 Nr. 1 StGB zu sein, dringe er damit unzulässigerweise auch in die durch Art. 2 Abs. 1 GG geschützte Intimsphäre ein.
IV.
Die Bundesregierung hat in beiden Verfahren vorgetragen, § 6 Abs. 2 sei verfassungsmäßig, Art. 3 Abs. 1 GG sei nicht verletzt. Die in § 6 Abs. 2 genannten bebilderten Schriften entstammten im Vergleich zu anderen Nacktbildern einem besonderen Lebensbereich; sie müßten wegen ihrer Erscheinungsform, ihrer besonderen Wirkungsweise auf Jugendliche und dem üblicherweise überörtlichen Vertrieb besonderen Vorschriften unterworfen werden. Ein Verstoß gegen Art. 5 Abs. 1 GG scheide aus; das Grundgesetz räume in Art. 5 Abs. 2 GG dem Jugendschutz eine hervorragende Stellung ein und dessen Verwirklichung im einzelnen stehe im Ermessen des Gesetzgebers, ein Ermessensmißbrauch sei nicht zu erkennen. Auch Art. 12 Abs. 1 GG sei nicht verletzt; es handle sich um eine zulässige Regelung der Berufsausübung.
In dem Verfahren 1 BvL 3/62 hat die Bundesregierung dargelegt, daß § 4 Abs. 1 Nr. 3 mit dem Grundgesetz vereinbar sei:
Art. 5 Abs. 1 GG sei nicht verletzt, weil es sich um eine zulässige Maßnahmen des Jugendschutzes im Sinne des Art. 5 Abs. 2 GG handle. Ein Verstoß gegen Art. 12 Abs. 1 GG liege nicht vor, da die Vorschrift als Berufsausübungsregelung notwendig sei. Versand- und Ladenhandel unterschieden sich wesentlich. § 4 Abs. 1 Nr. 3 könne auch nicht durch andere, weniger einschneidende Maßnahmen des Gesetzgebers ersetzt werden.
V.
Die Angeklagten der Ausgangsverfahren vertreten übereinstimmend die Ansicht, daß § 6 Abs. 2 verfassungswidrig sei. Die Angeklagte des der Vorlage 1 BvL 3/62 zugrundeliegenden Verfahrens hält außerdem § 4 Abs. 1 Nr. 3 wegen Verstoßes gegen die Art. 3, 5 und 12 GG für verfassungswidrig. Sie hat Rechtsgutachten der Professoren Dr. Wacke, Dr. Thieme, Dr. Dr. Raschhofer und Dr. Evers vorgelegt, in denen dargelegt ist, daß § 6 Abs. 2 gegen die Art. 3, 4, 5 und das Zitiergebot des Art. 19 Abs. 1 Satz 2 GG verstoße und das Rechtsstaatsprinzip verletze; in der Regelung des § 4 Abs. 1 Nr. 3 erblicken die Gutachter Verstöße gegen Art. 3, Art. 5 Abs. 1 und Abs. 3 und Art. 12 GG. Im Zusammenhang mit ihrer Rüge, § 4 Abs. 1 Nr. 3 diskriminiere den Versandhandel gegenüber dem Ladenhandel, hat die Angeklagte vorgetragen, es sei dem Versandhandel möglich, durch bestimmte Maßnahmen zu verhindern, daß jugendgefährdende Schriften in die Hände Jugendlicher gelangten.
Die Angeklagte hat zur Bekräftigung dieses Vortrages umfangreiches Material sowie ein betriebswirtschaftliches Gutachten des Wirtschafts- und Versandhausberaters Dr. Heinze vorgelegt.
B.
Die zu gemeinsamer Entscheidung verbundenen Vorlagen sind zulässig.
1.
Für die Entscheidung des Amtsgerichtes ist nach dem Vorlagebeschluß 1 BvL 25/61 § 6 Abs. 2 jedenfalls insoweit erheblich, als er in Verbindung mit § 5 Abs. 2 die geschäftliche Werbung durch Übermittlung von Werbematerial für Schriften, die durch Bild für Nacktkultur werben, untersagt.
2.
Für die Vorlage des Landgerichts 1 BvL 3/62 gilt dasselbe, soweit sie § 6 Abs. 2 betrifft.
Die vom Landgericht weiter zur Prüfung gestellte Vorschrift des § 4 Abs. 1 Nr. 3 ist für sich allein nicht entscheidungserheblich. Aus dem Gesamtinhalt des Vorlagebeschlusses ergibt sich jedoch, daß das Landgericht in Wirklichkeit nicht § 4 Abs. 1 Nr. 3, sondern § 6 Abs. 1 in Verbindung mit § 4 Abs. 1 Nr. 3 zur verfassungsgerichtlichen Prüfung vorlegen wollte.
Die Entscheidungserheblichkeit dieser Vorschrift ist hier zu bejahen, obgleich es nach dem derzeitigen Verfahrensstand des Ausgangsverfahrens noch nicht feststeht, ob es im Falle der Gültigkeit der Vorschrift zur Verurteilung kommt oder ob eine Verurteilung unterbleibt: Das vorlegende Gericht nimmt zwischen sämtlichen der Angeklagten zur Last gelegten Rechtsverstößen, zu denen auch das Vergehen nach § 6 Abs. 2, § 5 Abs. 2 und § 21 Abs. 1 gehört, Tateinheit bzw. fortgesetzte Handlung an. Bezüglich des Deliktes nach § 6 Abs. 2 ist die Vorlage zulässig. Da bei in Tateinheit stehenden Delikten stets eine Tat im prozessualen Sinne (vgl. § 264 Abs. 1 StPO) vorliegt, scheidet die Möglichkeit aus, das Verfahren nur wegen des einen Deliktes auszusetzen und vorzulegen, im übrigen aber fortzusetzen. Das Verfahren kann nur insgesamt ausgesetzt werden. In einem derartigen Fall ist die gleichzeitige Vorlage auch wegen der anderen Strafnorm, deren Erfüllung noch nicht feststeht, nicht zu beanstanden.
C.
Das Verbot des § 6 Abs. 1 in Verbindung mit § 4 Abs. 1 Nr. 3, Schriften, die Kinder oder Jugendliche offensichtlich sittlich schwer gefährden, im Versandhandel zu vertreiben, zu verbreiten oder zu diesen Zwecken vorrätig zu halten, ist mit dem Grundgesetz vereinbar.
I.
Diese Vorschriften verbieten den Vertrieb von Schriften, die regelmäßig eine Meinungsäußerung enthalten, und berühren daher den in Art. 5 Abs. 1 GG grundrechtlich geregelten Lebensbereich.
1.
Diese Vorschriften schränken das Recht auf freie Äußerung und Verbreitung der Meinung der Autoren und das Recht auf freie Information der Bezieher ein.
Der in offensichtlich schwer jugendgefährdenden Schriften enthaltenen Meinungsäußerung kann der Schutz aus Art. 5 Abs. 1 Satz 1 GG nicht schon von vornherein aus der Erwägung abgesprochen werden, das Grundrecht schütze nur die Äußerung und Verbreitung von "wertvollen" Meinungen. Eine derartige Einschränkung enthält Art. 5 Abs. 1 GG nicht. Eine Differenzierung nach der sittlichen Qualität der Meinungen oder ihrer Wirkung auf andere wäre auch unvereinbar mit der grundlegenden Bedeutung dieses Grundrechts (vgl. BVerfGE 20, 56 [97]); abgesehen davon wäre die Abgrenzung von "wertvollen" und "wertlosen" Meinungen schwierig, ja oftmals unmöglich.
2.
§ 6 Abs. 1 in Verbindung mit § 4 Abs. 1 Nr. 3 ist eine gesetzliche Bestimmung zum Schutze der Jugend, die die Grundrechte aus Art. 5 Abs. 1 Satz 1 GG gemäß Art. 5 Abs. 2 GG wirksam einschränkt.
a) Das verfassungsrechtlich bedeutsame Interesse an einer ungestörten Entwicklung der Jugend berechtigt den Gesetzgeber zu Regelungen, durch welche der Jugend drohende Gefahren abgewehrt werden. Derartige Gefahren drohen auf sittlichem Gebiet von allen Druck-, Ton- und Bilderzeugnissen, die Gewalttätigkeiten oder Verbrechen glorifizieren, Rassenhaß provozieren, den Krieg verherrlichen oder sexuelle Vorgänge in grob schamverletzender Weise darstellen und deswegen zu erheblichen, schwer oder gar nicht korrigierbaren Fehlentwicklungen führen können. Der Gesetzgeber kann deshalb Maßnahmen treffen, durch die der freie Zugang Jugendlicher zu solchen Erzeugnissen unterbunden wird. Die Auswahl der Mittel, mit denen diesen Gefahren zu begegnen ist, obliegt zunächst dem Gesetzgeber. Eine gesetzliche Bestimmung zum Schutze der Jugend muß aber die grundlegende Bedeutung der in Art. 5 Abs. 1 GG garantierten Rechte für die freiheitliche demokratische Staatsordnung beachten und den Grundsatz der Verhältnismäßigkeit wahren: Die Zulässigkeit der Mittel, mit denen der Gesetzgeber den Schutz der Jugend gewährleisten darf, hängt von einer Güterabwägung zwischen der Forderung nach umfassendem Grundrechtsschutz und dem verfassungsrechtlich hervorgehobenen Interesse an einem effektiven Jugendschutz ab.
b) Hiernach bedarf es keiner näheren Darlegung, daß der Gesetzgeber durch § 6 Abs. 1 gegen offensichtlich schwer jugendgefährdende Schriften überhaupt Maßnahmen ergreifen durfte; dies entspricht der Wertung des Grundgesetzes selbst, wonach der Schutz der Jugend ein Ziel von bedeutsamem Rang und ein wichtiges Gemeinschaftsanliegen ist. Bei der Auswahl der Mittel hat sich der Gesetzgeber jedoch nicht auf das allgemeine Verbot beschränkt (§ 6 Abs. 1 in Verbindung mit § 3), die Schriften Kindern oder Jugendlichen feilzubieten oder zugänglich zu machen. Er hat darüber hinaus durch die Verweisung auf § 4 Abs. 1 die dort genannten vier bestimmten, unter dem Gesichtspunkt des Jugendschutzes für besonders gefährlich angesehenen Vertriebsarten mit einem absoluten Verbot belegt mit der Folge, daß auch Erwachsene nicht mittels dieser Vertriebsarten an offensichtlich schwer jugendgefährdende Schriften gelangen können. Würde ein Verbot des Vertriebs im Versandhandel zusammen mit den übrigen Vertriebsverboten des § 4 Abs. 1 bewirken, daß auch Erwachsene völlig vom Bezug derartiger Schriften ausgeschlossen wären, so hätte der Gesetzgeber den in Art. 5 Abs. 1 Satz 1 GG garantierten Rechten nicht Rechnung getragen und seine Regelungsbefugnis im Bereich des Jugendschutzes überschritten. Das ist jedoch nicht der Fall. § 4 Abs. 1 erfaßt nicht sämtliche denkbaren Vertriebsarten; Erwachsenen bleiben noch genügend Möglichkeiten (z. B. im Ladenhandel) zum Bezug der Schriften. Fraglich kann daher nur sein, ob das mit der Verweisung auf § 4 Abs. 1 Nr. 3 gewählte Mittel als solches zulässig ist.
c) Der Gesetzgeber darf die in Art. 5 Abs. 1 GG garantierten Grundrechte durch eine präventiv-generalisierende Regelung für bestimmte Vertriebsarten einschränken, wenn ohne eine solche Regelung ein effektiver Jugendschutz nicht sichergestellt wäre.
Das dem Versandhandel auferlegte absolute Vertriebsverbot beruht auf der Erwägung, wegen der dem Versandhandel eigenen Struktur und der ihm eigenen Art des Vertriebs könnte durch keine sonstige praktikable Maßnahme sichergestellt werden, daß offensichtlich schwer jugendgefährdende Schriften nicht an Kinder oder Jugendliche gelangen. Die hiergegen vorgebrachten Einwände greifen nicht durch: Der Geschäftsverkehr wickelt sich beim Versandhandel schriftlich ab; ein persönlicher Kontakt zwischen Verkäufer und Käufer, der es ermöglicht, beim Verkauf jugendgefährdender Schriften an Hand eines Ausweises zu prüfen, ob der Kunde über 18 Jahre alt ist, findet im Versandhandel nicht statt. Entscheidend ist es deshalb, ob der Versandhandel über Methoden verfügt, die eine exakte Altersprüfung des Bestellers ermöglichen. Dies hat der Gesetzgeber ohne Verfassungsverstoß verneint. Die Angeklagte des Ausgangsverfahrens verweist zwar auf die vom Besteller geforderte "umfassende" Selbstauskunft, die Kontrolle an Hand von Adreß- und Telefonbüchern, die Zuverlässigkeit der Adressenverlage und die Möglichkeit, Auskunfteien oder Einwohnermeldeämter einzuschalten. Der Gesetzgeber durfte aber davon ausgehen, daß alle diese Methoden für eine zuverlässige Altersprüfung nicht ausreichen und daß es sich jedenfalls um aufwendige, zum Teil wenig praktikable und von den amtlichen Stellen nur schwer kontrollierbare Maßnahmen handelt. Ebensowenig ist es zu beanstanden, daß der Gesetzgeber die weiter an Stelle eines generellen Vertriebsverbots vorgeschlagenen, weniger einschneidenden Maßnahmen -- besondere Anforderungen an die Zuverlässigkeit der Versandhändler, Verbot der Inseratenwerbung und postlagernder Sendungen -- für einen effektiven Jugendschutz nicht als ausreichend angesehen hat.
Der weitere Vorschlag, das in § 6 Abs. 1 in Verbindung mit § 3 enthaltene Verbot lediglich durch repressive Mittel -- wie Verschärfung der Strafandrohung, Berufsverbote usw. -- zu sichern, verspräche für sich allein keinen Erfolg und entspräche überdies nicht dem Sinn des Jugendschutzes. Sein vorrangiges Ziel ist, den Eintritt von Gefahren zu verhindern, nicht aber, nach Eintritt eines Schadens den Verantwortlichen zu verfolgen. Der Jugendschutz bedarf in erster Linie wirkungsvoller Präventivmaßnahmen, um erkannte Gefahrenquellen rechtzeitig auszuschalten; diese können ihrerseits durch repressive Maßnahmen ergänzt und verstärkt werden.
3.
§ 6 Abs. 1 in Verbindung mit § 4 Abs. 1 Nr. 3 ist auch mit der in Art. 5 Abs. 3 Satz 1 GG umfassend garantierten Kunstfreiheit vereinbar. Ob es sich bei offensichtlich schwer jugendgefährdenden Schriften, Schallaufnahmen, Abbildungen und Darstellungen (vgl. § 6 Abs. 1, § 1 Abs. 3) überhaupt um Kunst im Sinne des Art. 5 Abs. 3 Satz 1 GG handeln kann, bedarf keiner Entscheidung. § 1 Abs. 2 Nr. 2 enthält für die zu indizierenden Schriften einen Kunstvorbehalt. Soweit auch offensichtlich schwer jugendgefährdende Schriften und diesen gleichgestellte Erzeugnisse Kunst im Sinne des Art. 5 Abs. 3 Satz 1 GG sind, steht der Anwendung des § 1 Abs. 2 Nr. 2 nichts im Wege.
II.
§ 6 Abs. 1 in Verbindung mit § 4 Abs. 1 Nr. 3 verstößt auch nicht gegen Art. 12 Abs. 1 GG.
1.
Es kann auf sich beruhen, ob die durch § 6 Abs. 1 angesprochene Tätigkeit eines Versandbuchhändlers ein eigenständiger Beruf im Sinne des Art. 12 Abs. 1 GG ist oder ob es sich um eine besondere Form des allgemeinen Buchhändlerberufs handelt. In beiden Fällen greift § 6 Abs. 1 in Verbindung mit § 4 Abs. 1 Nr. 3 nicht in die Freiheit der Berufswahl ein. Die Vorschrift errichtet für die an dieser Tätigkeit Interessierten weder objektive noch subjektive Zulassungsschranken, sondern unterwirft lediglich die Tätigkeit selbst der Einschränkung, daß offensichtlich schwer jugendgefährdende Schriften nur in bestimmter Weise vertrieben werden dürfen. Die Vorschrift stellt damit eine Regelung der Berufsausübung dar.
2.
Der Gesetzgeber darf in die Freiheit der Berufsausübung grundsätzlich schon dann eingreifen, wenn vernünftige Erwägungen des Allgemeinwohls dies zweckmäßig erscheinen lassen (BVerfGE 7, 377 [405 f.]; 20, 31 [34]; 21, 227 [232]; 22, 1 [20 f.]; 23, 50 [56]). Die Schwere des Eingriffs einer Berufsausübungsregelung muß jedoch dem Gewicht der Gründe des Gemeinwohls entsprechen, durch die er gerechtfertigt wird. Greift eine Regelung in die Freiheit der Berufsausübung empfindlich ein, dann kann der Eingriff nicht mit jeder vernünftigen Erwägung des Allgemeinwohls gerechtfertigt werden, sondern nur mit Interessen des Gemeinwohls, die so schwer wiegen, daß sie den Vorrang vor der Berufsbehinderung des Betroffenen verdienen (BVerfGE 16, 147 [167]; 17, 232 [242]; 17, 269 [276]).
Der Ausschluß der Versandhändler vom Vertrieb offensichtlich schwer jugendgefährdender Schriften mag zwar ein schwerwiegender Eingriff in die Freiheit ihrer Berufsausübung insoweit sein, als ihnen hierdurch gerade ein für sie besonders gewinnbringender Markt verschlossen wird. Dieser Eingriff ist jedoch -- wie dargelegt -- zur Erreichung eines effektiven Jugendschutzes notwendig. Das Interesse der Allgemeinheit an einem wirkungsvollen Jugendschutz verdient den Vorrang vor den wirtschaftlichen Interessen der Versandhändler. Die Vorschrift verletzt deshalb nicht den auch bei der Regelung der Berufsausübung zu beachtenden Grundsatz der Verhältnismäßigkeit (vgl. BVerfGE 15, 226 [234]; 18, 353 [362]; 23, 50 [60].
III.
Die verschiedene Behandlung des Versand- und Ladenhandels verstößt aus den angegebenen Gründen nicht gegen den Gleichheitssatz.
Art. 2 Abs. 1 GG scheidet als selbständiger Prüfungsmaßstab aus (vgl. BVerfGE 6, 32 [37]; 11, 234 [238]).
D.
Der Auffassung der vorlegenden Gerichte, daß § 6 Abs. 2 verfassungswidrig sei, ist beizupflichten.
I.
§ 6 Abs. 2 in Verbindung mit § 5 Abs. 2 ist in dem hier zur Prüfung gestellten Umfang mit Art. 5 Abs. 1 Satz 1 GG nicht vereinbar.
1.
Art. 5 Abs. 1 Satz 1 GG schützt zwei verschiedene, aber im Zusammenhang stehende Grundrechte, nämlich das Grundrecht der Meinungsfreiheit und das Grundrecht der Informationsfreiheit. Beide Rechte werden durch § 6 Abs. 2 eingeschränkt: Die Vorschrift beschränkt das Grundrecht auf Freiheit der Meinungsäußerung und Meinungsverbreitung der Vertreter der Freikörperkulturbewegung (FKK) und -- entsprechend -- das Grundrecht der Informationsfreiheit der an diesen Schriften Interessierten.
a) § 6 Abs. 2 erfaßt nicht schlechthin sämtliche FKK-Schriften, sondern nur diejenigen Schriften, die durch Bild für Nacktkultur werben. Bilder sind jedenfalls dann Meinungsäußerungen, wenn in ihnen ein Werturteil, eine Ansicht oder Anschauung bestimmter Art zum Ausdruck kommt. Diese Voraussetzungen sind bei den in den FKK- und Nudisten-Schriften erscheinenden Bildern in der Regel erfüllt. Die periodisch erscheinenden FKK-Magazine und -Hefte haben werbenden Charakter und sollen durch ihre ganze Aufmachung und die Art der getroffenen Bildauswahl dem Bezieher die Ziele der FKK-Bewegung nahebringen.
b) Daß mit der Werbung für die Freikörperkultur zum Teil auch in erheblichem Umfang kommerzielle Interessen verfolgt werden, steht der Qualifizierung von FKK-Bildern als Meinungsäußerung ebenfalls nicht entgegen. Die Kundgabe einer Meinung bleibt auch dann Meinungsäußerung, wenn sie wirtschaftliche Vorteile bringen soll. Es gibt viele Beispiele für eine kommerzialisierte Meinungsverbreitung, d. h. für Meinungen, die nur denen zugänglich sind, die bereit sind, dafür ein Entgelt zu entrichten. Presseerzeugnisse z. B., deren Verbreitung ein besonders wichtiger Fall der allgemeinen Meinungsfreiheit ist (vgl. BVerfGE 10, 118 [121]; 12, 114 [125]), werden fast ausschließlich kommerziell vertrieben.
2.
Die Vorschrift entspricht nicht den Voraussetzungen, unter denen gemäß Art. 5 Abs. 2 GG die Grundrechte nach Art. 5 Abs. 1 Satz 1 GG wirksam eingeschränkt werden können.
a) Es kann dahingestellt bleiben, ob sie ein allgemeines Gesetz im Sinne des Art. 5 Abs. 2 GG ist. Jedenfalls ist sie eine gesetzliche Bestimmung zum Schutze der Jugend.
b) Jedoch reicht die Feststellung, daß die Vorschrift eine gesetzliche Bestimmung zum Schutze der Jugend im Sinne des Art. 5 Abs. 2 GG ist, für sich allein zur Rechtfertigung der Grundrechtseinschränkung nicht aus. Es bedarf vielmehr noch einer materiellen Wertung (vgl. BVerfGE 7, 198 [208 f.]; 12, 113 [124]; 25, 45 [55]), bei der das Bundesverfassungsgericht insbesondere zu prüfen hat, ob die gesetzliche Regelung der Bedeutung der in Art. 5 Abs. 1 GG garantierten Rechte ausreichend Rechnung getragen und den rechtsstaatlichen Grundsatz der Verhältnismäßigkeit beachtet hat.
c) § 6 Abs. 2 unterwirft Schriften, die durch Bild für Nacktkultur werben, schlechthin den gleichen Beschränkungen, die für Schriften gelten, deren Jugendgefährlichkeit im Einzelfall festgestellt worden (§ 1 Abs. 1) oder ohnedies evident ist (§ 6 Abs. 1). Ihre Jugendgefährlichkeit ist im Wege einer unwiderlegbaren Vermutung gesetzlich festgestellt und daher einer gerichtlichen Nachprüfung entzogen. Dem liegt die Erwägung zugrunde, daß die durch Bild für Nacktkultur werbenden Schriften generell als jugendgefährdend anzusehen seien. Demgegenüber hat das Bundesverfassungsgericht bereits in dem Beschluß vom 10. März 1958 (BVerfGE 7, 320 [325]) ausgeführt, daß die in § 6 Abs. 2 aufgeführten Schriften Jugendliche nicht durchweg sittlich gefährden: "Zeitschriften, die durch Bild für Nacktkultur werben, können verschieden ausgestaltet sein und sind es in der Tat auch. Hieraus folgt, daß die von ihnen möglicherweise ausgehende Gefährdung graduell verschieden ist." Auch aufgrund des in diesem Verfahren vorgelegten Materials konnte sich das Bundesverfassungsgericht nicht davon überzeugen, daß von den in § 6 Abs. 2 genannten Schriften typischerweise Gefahren für Jugendliche ausgehen.
Die grundsätzliche Wertentscheidung der Verfassung für die Freiheit der Meinung und der Information schließt es aus, Schriften, von denen weder stets noch wenigstens typischerweise Gefahren für die Jugend ausgehen, generellen Verboten zu unterwerfen. Die Aufstellung einer unwiderleglichen Vermutung für den schwer jugendgefährdenden Charakter einer nur nach allgemeinen äußeren Merkmalen bestimmten Schriftengruppe kann dazu führen, daß im Einzelfall auch Schriften, gegen die vom Standpunkt des Jugendschutzes aus nichts einzuwenden ist, von der Verbreitung ausgeschlossen werden. Ein solches Verfahren des Gesetzgebers ist im Bereich des Art. 5 GG nicht zulässig. Denn hier besteht von Verfassungs wegen eine Vermutung für die Zulässigkeit der freien Meinungsäußerung; der einfache Gesetzgeber kann sie nicht durch die Aufstellung einer gegenteiligen, noch dazu unwiderleglichen Vermutung entkräften. Durch ein solches Verfahren würde übrigens, worauf die vorlegenden Gerichte mit Recht hinweisen, auch der Rechtsschutz des Angeklagten im Strafverfahren verkürzt. Denn wenn der Strafrichter festgestellt hat, daß eine Schrift durch Bild für Nacktkultur wirbt, ist ihm kraft der Vermutung nach § 6 Abs. 2 die weitere Prüfung, ob die Schrift schwer jugendgefährdend ist, unbedingt verwehrt -- eine Prüfung, zu der sich der Richter schon deshalb veranlaßt sehen darf, weil er der angeführten Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts entnehmen kann, daß Schriften, die für Nacktkultur werben, nicht in jedem Fall schwer jugendgefährdend sind.
Die in § 6 Abs. 2 getroffene Regelung ist zudem nicht das gebotene und adäquate Mittel zum Schutze der Jugend. Auch insoweit reichen die sonst durch das Gesetz über die Verbreitung jugendgefährdender Schriften zur Verfügung gestellten Abwehrmaßnahmen aus: Soweit Nacktkulturschriften Kinder oder Jugendliche offensichtlich schwer gefährden, unterliegen sie ohne weiteres den durch § 6 Abs. 1 angeordneten Beschränkungen. Einzelne Nummern einer Zeitschrift im Sinne des § 6 Abs. 2 können von der Bundesprüfstelle auf die Liste der jugendgefährdenden Schriften (§ 1) gesetzt werden; unter den Voraussetzungen der §§ 7 und 15 kann gegen eine solche Zeitschrift vorbeugend eingeschritten werden.
II.
1.
Da § 6 Abs. 2 GjS gegen Art. 5 Abs. 1 Satz 1 GG verstößt und daher schon aus diesem Grunde für nichtig zu erklären ist (§ 82 Abs. 1, § 78 Satz 1 BVerfGG), erübrigt sich eine Prüfung, ob die Vorschrift noch andere Vorschriften des Grundgesetzes verletzt.
2.
Aus den gleichen Gründen, aus denen sich der Verstoß des § 6 Abs. 2 in Verbindung mit § 5 Abs. 2 GjS gegen Art. 5 Abs. 1 Satz 1 GG ergibt, verletzen auch die weiteren in § 6 Abs. 2 GjS angeordneten Beschränkungen Art. 5 Abs. 1 Satz 1 GG. Gemäß § 82 Abs. 1, § 78 Satz 2 BVerfGG ist daher § 6 Abs. 2 GjS insgesamt für nichtig erklärt worden.
Müller Stein Ritterspach Haager Rupp-v. Brünneck Böhmer Brox Simon