EuGH, 08.05.2003 - C-111/01
Leitsätze
1. Artikel 21 des Übereinkommens vom 27. September 1968 über die gerichtliche Zuständigkeit und die Vollstreckung gerichtlicher Entscheidungen in Zivil- und Handelssachen in der Fassung des Übereinkommens vom 9. Oktober 1978 über den Beitritt des Königreichs Dänemark, Irlands und des Vereinigten Königreichs Großbritannien und Nordirland, des Übereinkommens vom 25. Oktober 1982 über den Beitritt der Republik Griechenland, des Übereinkommens vom 26. Mai 1989 über den Beitritt des Königreichs Spanien und der Portugiesischen Republik und des Übereinkommens vom 29. November 1996 über den Beitritt der Republik Österreich, der Republik Finnland und des Königreichs Schweden ist dahin auszulegen, dass für die Frage, ob zwei Klagen, die zwischen denselben Parteien bei Gerichten verschiedener Vertragsstaaten anhängig gemacht werden, denselben Gegenstand haben, nur die Klageansprüche des jeweiligen Klägers und nicht auch die vom Beklagten erhobenen Einwendungen zu berücksichtigen sind.
Zum einen erwähnt diese Vorschrift nämlich ihrem Wortlaut nach nur die jeweiligen Klageansprüche in den Rechtsstreitigkeiten und nicht die möglicherweise vom Beklagten vorgebrachten Einwendungen. Zum anderen liegt Rechtshängigkeit ab dem Zeitpunkt vor, zu dem vor zwei Gerichten verschiedener Vertragsstaaten endgültig Klage erhoben worden ist, d. h., bevor die Beklagten ihren Standpunkt haben geltend machen können.
( vgl. Randnrn. 26-27, 32 und Tenor )
2. Im Rahmen der durch das Protokoll vom 3. Juni 1971 betreffend die Auslegung des Übereinkommens vom 27. September 1968 über die gerichtliche Zuständigkeit und die Vollstreckung gerichtlicher Entscheidungen in Zivil- und Handelssachen geschaffenen Zusammenarbeit zwischen dem Gerichtshof und den nationalen Gerichten obliegt es dem Gerichtshof in Ausnahmefällen, zur Prüfung seiner eigenen Zuständigkeit die Umstände zu untersuchen, unter denen er vom nationalen Gericht angerufen wird. Denn der Geist der Zusammenarbeit, in dem das Vorabentscheidungsverfahren durchzuführen ist, verlangt, dass das vorlegende Gericht auf die dem Gerichtshof übertragene Aufgabe Rücksicht nimmt, die darin besteht, zur Rechtspflege in den Mitgliedstaaten beizutragen, nicht aber, Gutachten zu allgemeinen oder hypothetischen Fragen abzugeben.
Damit der Gerichtshof eine sachdienliche Auslegung des Gemeinschaftsrechts geben kann, ist es unerlässlich, dass das vorlegende Gericht die Gründe darlegt, aus denen es eine Beantwortung seiner Fragen als für die Entscheidung des Rechtsstreits erforderlich ansieht.
Daher ist eine Vorlagefrage, die dem Gerichtshof nicht genügend Angaben liefert, aus denen deutlich würde, inwiefern eine Antwort auf diese Frage erforderlich ist, unzulässig.
( vgl. Randnrn. 34-35, 37-38, 40-41 )
Parteien
In der Rechtssache C-111/01
betreffend ein dem Gerichtshof gemäß dem Protokoll vom 3. Juni 1971 betreffend die Auslegung des Übereinkommens vom 27. September 1968 über die gerichtliche Zuständigkeit und die Vollstreckung gerichtlicher Entscheidungen in Zivil- und Handelssachen durch den Gerichtshof vom Obersten Gerichtshof (Österreich) in dem bei diesem anhängigen Rechtsstreit
Gantner Electronic GmbH
gegen
Basch Exploitatie Maatschappij BV
vorgelegtes Ersuchen um Vorabentscheidung über die Auslegung des Artikels 21 des genannten Übereinkommens vom 27. September 1968 (ABl. 1972, L 299, S. 32) in der Fassung des Übereinkommens vom 9. Oktober 1978 über den Beitritt des Königreichs Dänemark, Irlands und des Vereinigten Königreichs Großbritannien und Nordirland (ABl. L 304, S. 1, und - geänderter Text - S. 77), des Übereinkommens vom 25. Oktober 1982 über den Beitritt der Republik Griechenland (ABl. L 388, S. 1), des Übereinkommens vom 26. Mai 1989 über den Beitritt des Königreichs Spanien und der Portugiesischen Republik (ABl. L 285, S. 1) und des Übereinkommens vom 29. November 1996 über den Beitritt der Republik Österreich, der Republik Finnland und des Königreichs Schweden (ABl. 1997, C 15, S. 1)
erlässt
DER GERICHTSHOF (Fünfte Kammer)
unter Mitwirkung des Kammerpräsidenten M. Wathelet (Berichterstatter) sowie der Richter C. W. A. Timmermans, A. La Pergola, P. Jann und S. von Bahr,
Generalanwalt: P. Léger,
Kanzler: M.-F. Contet, Hauptverwaltungsrätin,
unter Berücksichtigung der schriftlichen Erklärungen
- der Gantner Electronic GmbH, vertreten durch die Rechtsanwälte A. Concin und H. Concin,
- der Basch Exploitatie Maatschappij BV, vertreten durch Rechtsanwalt T. Frad,
- der österreichischen Regierung, vertreten durch H. Dossi als Bevollmächtigten,
- der italienischen Regierung, vertreten durch U. Leanza als Bevollmächtigten im Beistand von O. Fiumara, avvocato dello Stato,
- der Regierung des Vereinigten Königreichs, vertreten durch G. Amodeo als Bevollmächtigte im Beistand von D. Lloyd Jones, QC,
- der Kommission der Europäischen Gemeinschaften, vertreten durch A.-M. Rouchaud und W. Bogensberger als Bevollmächtigte,
aufgrund des Sitzungsberichts,
nach Anhörung der mündlichen Ausführungen der Gantner Electronic GmbH, der Basch Exploitatie Maatschappij BV, der Regierung des Vereinigten Königreichs und der Kommission in der Sitzung vom 10. Juli 2002,
nach Anhörung der Schlussanträge des Generalanwalts in der Sitzung vom 5. Dezember 2002
folgendes
Urteil
Entscheidungsgründe
1 Der Oberste Gerichtshof hat mit Beschluss vom 22. Februar 2001, beim Gerichtshof eingegangen am 12. März 2001, gemäß dem Protokoll vom 3. Juni 1971 betreffend die Auslegung des Übereinkommens vom 27. September 1968 über die gerichtliche Zuständigkeit und die Vollstreckung gerichtlicher Entscheidungen in Zivil- und Handelssachen durch den Gerichtshof (im Folgenden: Protokoll) drei Fragen nach der Auslegung von Artikel 21 des genannten Übereinkommens vom 27. September 1968 (ABl. 1972, L 299, S. 32) in der Fassung des Übereinkommens vom 9. Oktober 1978 über den Beitritt des Königreichs Dänemark, Irlands und des Vereinigten Königreichs Großbritannien und Nordirland (ABl. L 304, S. 1, und - geänderter Text - S. 77), des Übereinkommens vom 25. Oktober 1982 über den Beitritt der Republik Griechenland (ABl. L 388, S. 1), des Übereinkommens vom 26. Mai 1989 über den Beitritt des Königreichs Spanien und der Portugiesischen Republik (ABl. L 285, S. 1) und des Übereinkommens vom 29. November 1996 über den Beitritt der Republik Österreich, der Republik Finnland und des Königreichs Schweden (ABl. 1997, C 15, S. 1) (im Folgenden: Übereinkommen) zur Vorabentscheidung vorgelegt.
2 Diese Fragen stellen sich in einem Rechtsstreit zwischen der Gesellschaft österreichischen Rechts Gantner Electronic GmbH (im Folgenden: Klägerin) und der Gesellschaft niederländischen Rechts Basch Exploitatie Maatschappij BV (im Folgenden: Beklagte).
Rechtlicher Rahmen
Das Übereinkommen
3 Wie sich aus seiner Präambel ergibt, soll das Übereinkommen gemäß Artikel 293 EG die gegenseitige Anerkennung und Vollstreckung gerichtlicher Entscheidungen erleichtern und innerhalb der Europäischen Gemeinschaft den Rechtsschutz der dort ansässigen Personen verstärken. Der Präambel zufolge ist es zu diesem Zweck geboten, die internationale Zuständigkeit der Gerichte der Vertragsstaaten festzulegen.
4 Die Regeln über die Zuständigkeit finden sich im Titel II des Übereinkommens. Abschnitt 8 dieses Titels - Rechtshängigkeit und im Zusammenhang stehende Verfahren - bezweckt, einander widersprechende Entscheidungen zu vermeiden und so eine geordnete Rechtspflege in der Gemeinschaft sicherzustellen.
5 Artikel 21 des Übereinkommens, der die Rechtshängigkeit betrifft, bestimmt:
"Werden bei Gerichten verschiedener Vertragsstaaten Klagen wegen desselben Anspruchs zwischen denselben Parteien anhängig gemacht, so setzt das später angerufene Gericht das Verfahren von Amts wegen aus, bis die Zuständigkeit des zuerst angerufenen Gerichts feststeht.
Sobald die Zuständigkeit des zuerst angerufenen Gerichts feststeht, erklärt sich das später angerufene Gericht zugunsten dieses Gerichts für unzuständig."
6 Artikel 22 des Übereinkommens betrifft im Zusammenhang stehende Verfahren und bestimmt:
"Werden bei Gerichten verschiedener Vertragsstaaten Klagen, die im Zusammenhang stehen, erhoben, so kann das später angerufene Gericht das Verfahren aussetzen, solange beide Klagen im ersten Rechtszug anhängig sind.
Das später angerufene Gericht kann sich auf Antrag einer Partei auch für unzuständig erklären, wenn die Verbindung im Zusammenhang stehender Verfahren nach seinem Recht zulässig ist und das zuerst angerufene Gericht für beide Klagen zuständig ist.
Klagen stehen im Sinne dieses Artikels im Zusammenhang, wenn zwischen ihnen eine so enge Beziehung gegeben ist, dass eine gemeinsame Verhandlung und Entscheidung geboten erscheint, um zu vermeiden, dass in getrennten Verfahren widersprechende Entscheidungen ergehen könnten."
Nationales Recht
7 Im niederländischen und im österreichischen Recht kann die Aufrechnung nur durch einseitige Erklärung der einen Partei gegenüber der anderen erfolgen. Die in anderen europäischen innerstaatlichen Rechtsordnungen bekannte Legalkompensation, die durch das Erlöschen der gegenseitigen Forderungen kraft Gesetzes gekennzeichnet ist, gibt es im niederländischen und im österreichischen Recht nicht. Die Erklärung kann wahlweise außergerichtlich oder im Rahmen eines Prozesses erfolgen. Sie hat Rückwirkung: Die beiden Forderungen gelten als zu dem Zeitpunkt erloschen, zu dem die Voraussetzungen der Aufrechnung vorlagen, und nicht zum Zeitpunkt der Aufrechnungserklärung; der Richter beschränkt sich darauf, festzustellen, dass die Aufrechnung erfolgt ist.
Ausgangsrechtsstreit und Vorabentscheidungsfragen
8 Die Klägerin produziert und vertreibt Brieftaubenuhren. Im Rahmen ihrer Geschäftsbeziehung zu der Beklagten lieferte sie dieser ihre Waren zum Verkauf in den Niederlanden.
9 Da sie der Auffassung war, die Beklagte habe den Kaufpreis für die bis Juni 1999 erfolgten und in Rechnung gestellten Warenlieferungen nicht beglichen, beendete die Klägerin die Geschäftsbeziehung.
10 Mit Klageschrift vom 7. September 1999, die der Klägerin am 2. Dezember 1999 zugestellt wurde, erhob die Beklagte Klage bei der Arrondissementsrechtbank Dordrecht (Niederlande) und beantragte, die Klägerin zu verurteilen, ihr Schadensersatz in Höhe von 5 555 143,60 NLG (2 520 814,26 Euro) zu leisten. Sie macht geltend, zur Kündigung ihrer seit mehr als 40 Jahren bestehenden Vertragsbeziehung hätte die Klägerin eine längere Kündigungsfrist einhalten müssen.
11 Aus dem Vorlagebeschluss ergibt sich, dass die Beklagte meinte, Anspruch auf einen Betrag von 5 950 962 NLG (2 700 428,82 Euro) zu haben. Nach Abzug von für berechtigt erachteten Forderungen der Klägerin in Höhe von 376 509 NLG (170 852,34 Euro) machte sie vor Gericht 5 555 143,60 NLG (2 520 814,26 Euro) geltend. Sie rechnete also durch Abgabe einer Willenserklärung auf.
12 Im Verfahren vor der Arrondissementsrechtbank Dordrecht wandte die Klägerin keine Forderung gegen die Forderungen der Beklagten ein.
13 Mit Klageschrift vom 22. September 1999, die der Beklagten am 21. Dezember 1999 zugestellt wurde, erhob die Klägerin beim Landesgericht Feldkirch (Österreich) Klage und beantragte, die Beklagte zu verurteilen, ihr 11 523 703,30 ATS (837 460,18 Euro) als Kaufpreis für die bis 1999 an sie gelieferten und noch unbezahlten Waren zu zahlen.
14 Die Beklagte beantragte die Abweisung der Klage. Sie trug vor, dass der Teil der Forderung der Klägerin, den sie für berechtigt halte (170 852,34 Euro), durch ihre außergerichtliche Aufrechnung in den Niederlanden erloschen sei. Hinsichtlich des Restbetrags der Klageforderung (666 607,84 Euro) machte die Beklagte geltend, dieser werde, falls er wider Erwarten für begründet erachtet werden sollte, jedenfalls mit dem Rest ihrer eigenen Schadensersatzforderung aufgerechnet, die Gegenstand des bei der Arrondissementsrechtbank Dordrecht anhängigen Rechtsstreits sei. Außerdem beantragte die Beklagte beim Landesgericht, das Verfahren wegen Rechtshängigkeit nach Artikel 21 oder wegen rechtlichen Zusammenhangs nach Artikel 22 des Übereinkommens auszusetzen.
15 Das Landesgericht lehnte die Aussetzung des gesamten bei ihm anhängigen Verfahrens ab. Es setzte jedoch das Verfahren über das von der Beklagten eingewendete Verteidigungsmittel der Aufrechnung mit der Forderung aus, deren Beitreibung diese vor der Arrondissementsrechtbank Dordrecht verfolgt.
16 Die Beklagte erhob gegen die Entscheidung des Landesgerichts, nicht das gesamte Verfahren auszusetzen, beim Oberlandesgericht Innsbruck (Österreich) Rekurs.
17 Da das Oberlandesgericht der Auffassung war, das Verteidigungsmittel der von der Beklagten in den Niederlanden vorgenommenen außergerichtlichen Aufrechnung habe zwischen den beiden Rechtsstreitigkeiten möglicherweise eine Rechtshängigkeitsbeziehung entstehen lassen, hob es die erstinstanzliche Entscheidung insoweit auf, als mit dieser der Aussetzungsantrag der Beklagten nach Artikel 21 des Übereinkommens abgewiesen worden war. Dagegen bestätigte es die Zurückweisung des Aussetzungsantrags der Beklagten nach Artikel 22; diese Zurückweisung ist rechtskräftig.
18 Die Klägerin erhob gegen diese Entscheidung Rekurs zum Obersten Gerichtshof.
19 Dieser ist erstens der Auffassung, dass die jeweiligen Klagen der Klägerin und der Beklagten nicht auf einem identischen oder gleichartigen Sachverhalt beruhten. Vor dem niederländischen Gericht begehre die Beklagte den Ersatz ihres Schadens wegen rechtswidriger Auflösung des angeblichen Vertragshändlervertrags durch die Klägerin. In dem Verfahren, das die Klägerin später bei den österreichischen Gerichten anhängig gemacht habe, begehre diese die Zahlung des Kaufpreises für die im Zeitraum vor dem Abbruch der Geschäftsbeziehung gelieferten Waren. Begrifflich beruhten diese Klagebegehren nicht auf einander widersprechenden Beurteilungen desselben Sachverhalts und derselben Handlungen, sondern auf unterschiedlichen Sachverhalten und Handlungen, die unterschiedliche Rechte begründeten.
20 Der Oberste Gerichtshof fragt sich jedoch, ob angesichts der Rechtsprechung des Gerichtshofes auf diesem Gebiet (vgl. Urteile vom 8. Dezember 1987 in der Rechtssache 144/86, Gubisch Maschinenfabrik, Slg. 1987, 4861, Randnrn. 16 bis 18, und vom 6. Dezember 1994 in der Rechtssache C-406/92, Tatry, Slg. 1994, I-5439, Randnrn. 30 bis 34) im vorliegenden Fall nicht die Voraussetzungen der Rechtshängigkeit als erfuellt anzusehen seien.
21 Zweitens stellt der Oberste Gerichtshof fest, dass die Beklagte ein Dauerschuldverhältnis geltend mache, während die Klägerin auf eine Reihe von Einzelkaufverträgen verweise.
22 Insoweit werfe die von der Beklagten bei dem niederländischen Gericht erhobene Klage die Frage des Bestehens eines Dauerschuldverhältnisses lediglich als Vorfrage auf. Es müsse daher geklärt werden, ob die Entscheidung, die das niederländische Gericht über das zu treffen habe, was die in der österreichischen Lehre noch überwiegende Ansicht als schlichte Vorfrage qualifiziere, Bindungswirkung im Folgeprozess in Österreich entfalte. Der Oberste Gerichtshof betont, dass diese Frage im österreichischen Recht äußerst umstritten sei.
23 Der Oberste Gerichtshof hat daher beschlossen, das Verfahren auszusetzen und dem Gerichtshof folgende Fragen zur Vorabentscheidung vorzulegen:
1. Erstreckt sich der Begriff derselbe Anspruch" in Artikel 21 des Übereinkommens auch auf den Einwand des Beklagten, einen Teil der eingeklagten Forderung durch außergerichtliche Aufrechnung getilgt zu haben, wenn der nach den Behauptungen noch ungetilgte Teil dieser Gegenforderung Gegenstand eines Rechtsstreits zwischen denselben Parteien aufgrund einer in einem anderen Vertragsstaat bereits früher eingebrachten Klage ist?
2. Ist für die Prüfung der Frage, ob derselbe Anspruch" anhängig gemacht wurde, nur das Vorbringen des Klägers in dem durch die spätere Klage eingeleiteten Prozess maßgebend und sind daher die Einwendungen und Anträge des Beklagten unbeachtlich, insbesondere auch das Verteidigungsmittel der prozessualen Aufrechnungseinrede betreffend eine Forderung, die Gegenstand eines Rechtsstreits zwischen denselben Parteien aufgrund einer in einem anderen Vertragsstaat bereits früher eingebrachten Klage ist?
3. Wird aufgrund einer auf Schadensersatz gerichteten Leistungsklage wegen rechtswidriger Kündigung eines Dauerschuldverhältnisses bindend für einen Folgeprozess zwischen denselben Parteien auch über die Frage abgesprochen, ob ein solches Dauerschuldverhältnis überhaupt bestand?
Zu den ersten beiden Vorabentscheidungsfragen
24 Mit seinen ersten beiden Fragen, die zusammen zu prüfen sind, möchte das vorlegende Gericht wissen, ob Artikel 21 des Übereinkommens dahin auszulegen ist, dass für die Frage, ob zwei Klagen, die zwischen denselben Parteien bei Gerichten verschiedener Vertragsstaaten anhängig gemacht werden, denselben Gegenstand haben, nicht nur die Ansprüche des jeweiligen Klägers, sondern auch die Einwendungen des Beklagten zu berücksichtigen sind.
25 Hierzu ist zunächst festzustellen, dass Artikel 21 des Übereinkommens seinem Wortlaut nach Anwendung findet, wenn die Parteien der beiden Rechtsstreitigkeiten dieselben sind und wenn beide Klagen wegen desselben Anspruchs anhängig gemacht worden sind (vgl. Urteil Gubisch Maschinenfabrik, Randnr. 14). Ferner besteht der Gegenstand" im Sinne dieser Bestimmung in dem Zweck der Klage (vgl. Urteil Tatry, Randnr. 41).
26 Seinem Wortlaut nach erwähnt Artikel 21 des Übereinkommens somit nur die jeweiligen Klageansprüche in den Rechtsstreitigkeiten und nicht die möglicherweise vom Beklagten vorgebrachten Einwendungen.
27 Sodann ergibt sich aus dem Urteil vom 7. Juni 1984 in der Rechtssache 129/83 (Zelger, 1984, 2397, Randnrn. 10 bis 15), dass, soweit die in Randnummer 25 dieses Urteils genannten materiellen Voraussetzungen erfuellt sind, Rechtshängigkeit ab dem Zeitpunkt vorliegt, zu dem vor zwei Gerichten verschiedener Vertragsstaaten endgültig Klage erhoben worden ist, d. h., bevor die Beklagten ihren Standpunkt haben geltend machen können.
28 Obwohl sie zeitlich nicht auf das Ausgangsverfahren anwendbar ist, bestätigt die Verordnung (EG) Nr. 44/2001 des Rates vom 22. Dezember 2000 über die gerichtliche Zuständigkeit und die Anerkennung und Vollstreckung von Entscheidungen in Zivil- und Handelssachen (ABl. 2001, L 12, S. 1) diese Auslegung.
29 Diese Verordnung regelt nämlich u. a. für die Zwecke der Anwendung der Vorschriften über die Rechtshängigkeit, wann ein Gericht als angerufen gilt. Nach Artikel 30 der Verordnung liegt die Anrufung entweder zu dem Zeitpunkt vor, zu dem das verfahrenseinleitende Schriftstück oder ein gleichwertiges Schriftstück bei Gericht eingereicht worden ist, vorausgesetzt, dass der Kläger es in der Folge nicht versäumt hat, die ihm obliegenden Maßnahmen zu treffen, um die Zustellung des Schriftstücks an den Beklagten zu bewirken, oder, falls die Zustellung an den Beklagten vor Einreichung des Schriftstücks bei Gericht zu bewirken ist, zu dem Zeitpunkt, zu dem die für die Zustellung verantwortliche Stelle das Schriftstück erhalten hat, vorausgesetzt, dass der Kläger es in der Folge nicht versäumt hat, die ihm obliegenden Maßnahmen zu treffen, um das Schriftstück bei Gericht einzureichen.
30 Schließlich ist der objektive und automatische Charakter des Mechanismus der Rechtshängigkeit hervorzuheben. Wie die Regierung des Vereinigten Königreichs zutreffend ausgeführt hat, stellt Artikel 21 des Übereinkommens ein klares System zur Verfügung, um zu Beginn eines Rechtsstreits zu ermitteln, welches der angerufenen Gerichte letztlich über den Rechtsstreit zu entscheiden hat. Das später angerufene Gericht ist verpflichtet, das Verfahren von Amts wegen auszusetzen, bis die Zuständigkeit des zuerst angerufenen Gerichts feststeht. Wenn diese feststeht, hat das später angerufene Gericht sich zugunsten dieses Gerichts für unzuständig zu erklären. Die Zielsetzung des Artikels 21 des Übereinkommens würde verkannt, wenn Inhalt und Art des Klagebegehrens durch die zwangsläufig zu einem späteren Zeitpunkt eingereichten Anträge des Beklagten verändert werden könnten. Neben Verzögerungen und Kosten würde dies dazu führen, dass das nach diesem Artikel zuerst als zuständig bezeichnete Gericht sich in der Folge für unzuständig erklären müsste.
31 Sonach können für die Frage, ob im Verhältnis zweier Rechtsstreitigkeiten zueinander Rechtshängigkeit besteht, Einwendungen gleich welcher Art, insbesondere die Aufrechnungseinrede, die ein Beklagter nach der endgültigen Anrufung des Gerichts gemäß den für dieses geltenden nationalen Rechtsvorschriften erheben könnte, nicht berücksichtigt werden.
32 Angesichts der vorstehenden Erwägungen ist auf die ersten beiden Vorlagefragen zu antworten, dass Artikel 21 des Übereinkommens dahin auszulegen ist, dass für die Frage, ob zwei Klagen, die zwischen denselben Parteien bei Gerichten verschiedener Vertragsstaaten anhängig gemacht werden, denselben Gegenstand haben, nur die Klageansprüche des jeweiligen Klägers und nicht auch die vom Beklagten erhobenen Einwendungen zu berücksichtigen sind.
Zur dritten Frage
33 Mit seiner dritten Frage möchte das vorlegende Gericht wissen, ob die Entscheidung eines Gerichts eines Vertragsstaats, das zum Zweck der Entscheidung über eine Klage die Rechtsnatur der Beziehungen zwischen den Parteien zu beurteilen hatte, das Gericht eines anderen Vertragstaats bindet, das später mit einem Rechtsstreit zwischen denselben Parteien befasst wurde, in dem die genaue Rechtsnatur derselben vertraglichen Beziehungen zwischen den Parteien strittig ist.
34 Vorab ist daran zu erinnern, dass es nach ständiger Rechtsprechung im Rahmen der durch Artikel 234 EG geschaffenen Zusammenarbeit zwischen dem Gerichtshof und den nationalen Gerichten allein Sache des mit dem Rechtsstreit befassten nationalen Gerichts ist, in dessen Verantwortungsbereich die zu erlassende gerichtliche Entscheidung fällt, im Hinblick auf die Besonderheiten der Rechtssache sowohl die Erforderlichkeit einer Vorabentscheidung für den Erlass seines Urteils als auch die Erheblichkeit der dem Gerichtshof von ihm vorgelegten Fragen zu beurteilen. Betreffen daher die vorgelegten Fragen die Auslegung des Gemeinschaftsrechts, so ist der Gerichtshof grundsätzlich gehalten, darüber zu befinden (vgl. insbesondere Urteile vom 15. Dezember 1995 in der Rechtssache C-415/93, Bosman, Slg. 1995, I-4921, Randnr. 59, vom 13. März 2001 in der Rechtssache C-379/98, PreussenElektra, Slg. 2001, I-2099, Randnr. 38, und vom 22. Januar 2002 in der Rechtssache C-390/99, Canal Satélite Digital, Slg. 2002, I-607, Randnr. 18).
35 Der Gerichtshof hat jedoch auch entschieden, dass es ihm in Ausnahmefällen obliegt, zur Prüfung seiner eigenen Zuständigkeit die Umstände zu untersuchen, unter denen er vom nationalen Gericht angerufen wird (Urteile PreussenElektra, Randnr. 39, und Canal Satélite Digital, Randnr. 19). Denn der Geist der Zusammenarbeit, in dem das Vorabentscheidungsverfahren durchzuführen ist, verlangt, dass das vorlegende Gericht auf die dem Gerichtshof übertragene Aufgabe Rücksicht nimmt, die darin besteht, zur Rechtspflege in den Mitgliedstaaten beizutragen, nicht aber, Gutachten zu allgemeinen oder hypothetischen Fragen abzugeben (Urteile Bosman, Randnr. 60, und vom 21. März 2002 in der Rechtssache C-451/99, Cura Anlagen, Slg. 2002, I-3193, Randnr. 26).
36 Der Gerichtshof kann somit die Entscheidung über die Vorlagefrage eines nationalen Gerichts u. a. dann ablehnen, wenn das Problem hypothetischer Natur ist oder wenn er nicht über die tatsächlichen oder rechtlichen Angaben verfügt, die für eine sachdienliche Beantwortung der ihm vorgelegten Fragen erforderlich sind (vgl. in diesem Sinne Urteile PreussenElektra, Randnr. 39, und Canal Satélite Digital, Randnr. 19).
37 Damit der Gerichtshof eine sachdienliche Auslegung des Gemeinschaftsrechts geben kann, ist es zweckmäßig, dass das nationale Gericht vor der Vorlage den Sachverhalt und die ausschließlich nach nationalem Recht zu beurteilenden Fragen klärt (vgl. Urteil vom 10. März 1981 in den verbundenen Rechtssachen 36/80 und 71/80, Irish Creamery Milk Suppliers Association u. a., Slg. 1981, 735, Randnr. 6). Außerdem ist es unerlässlich, dass das vorlegende Gericht die Gründe darlegt, aus denen es eine Beantwortung seiner Fragen als für die Entscheidung des Rechtsstreits erforderlich ansieht (vgl. Urteile vom 12. Juni 1986 in den Rechtssachen 98/85, 162/85 und 258/85, Bertini u. a., Slg. 1986, 1885, Randnr. 6, und vom 16. Juli 1992 in der Rechtssache C-343/90, Lourenço Dias, Slg. 1992, I-4673, Randnr. 19).
38 Diese Rechtsprechung ist auf die durch das Protokoll geregelte Vorlage zur Vorabentscheidung übertragbar (vgl. in diesem Sinne Urteile vom 27. Februar 1997 in der Rechtssache C-220/95, Van den Boogaard, Slg. 1997, I-1147, Randnr. 16, vom 20. März 1997 in der Rechtssache C-295/95, Farrell, Slg. 1997, I-1683, Randnr. 11, und vom 16. März 1999 in der Rechtssache C-159/97, Castelletti, Slg. 1999, I-1597, Randnr. 14).
39 Im Ausgangsverfahren sind die österreichischen Gerichte mit einer Klage auf Zahlung des Kaufpreises für Warenlieferungen befasst. Aus dem Vorlagebeschluss ergibt sich nicht, inwiefern die genaue Rechtsnatur des Vertrages, auf den die Klägerin sich stützt, für die Entscheidung über ein solches Begehren erheblich sein soll.
40 Unter diesen Umständen ist festzustellen, dass der Gerichtshof nicht über genügend Angaben verfügt, aus denen deutlich würde, inwiefern eine Antwort auf die dritte Frage erforderlich ist.
41 Daher ist diese Frage unzulässig.
Kostenentscheidung
Kosten
42 Die Auslagen der österreichischen Regierung, der italienischen Regierung und der Regierung des Vereinigten Königreichs sowie der Kommission, die Erklärungen vor dem Gerichtshof abgegeben haben, sind nicht erstattungsfähig. Für die Parteien des Ausgangsverfahrens ist das Verfahren ein Zwischenstreit in dem bei dem vorlegenden Gericht anhängigen Rechtsstreit; die Kostenentscheidung ist daher Sache dieses Gerichts.
Tenor
Aus diesen Gründen
hat
DER GERICHTSHOF (Fünfte Kammer)
auf die ihm vom Obersten Gerichtshof mit Beschluss vom 22. Februar 2001 vorgelegten Fragen für Recht erkannt:
Artikel 21 des Übereinkommens vom 27. September 1968 über die gerichtliche Zuständigkeit und die Vollstreckung gerichtlicher Entscheidungen in Zivil- und Handelssachen in der Fassung des Übereinkommens vom 9. Oktober 1978 über den Beitritt des Königreichs Dänemark, Irlands und des Vereinigten Königreichs Großbritannien und Nordirland, des Übereinkommens vom 25. Oktober 1982 über den Beitritt der Republik Griechenland, des Übereinkommens vom 26. Mai 1989 über den Beitritt des Königreichs Spanien und der Portugiesischen Republik und des Übereinkommens vom 29. November 1996 über den Beitritt der Republik Österreich, der Republik Finnland und des Königreichs Schweden ist dahin auszulegen, dass für die Frage, ob zwei Klagen, die zwischen denselben Parteien bei Gerichten verschiedener Vertragsstaaten anhängig gemacht werden, denselben Gegenstand haben, nur die Klageansprüche des jeweiligen Klägers und nicht auch die vom Beklagten erhobenen Einwendungen zu berücksichtigen sind.