Art. 100 GG

BVerfG, 17.05.1960 - 2 BvL 11/59; 2 BvL 11/60

Eine vorkonstitutionelle Norm ist in den Willen des nachkonstitutionellen Gesetzgebers nur dann aufgenommen, wenn sich ein Bestätigungswille aus dem Inhalt des Gesetzes selbst oder - bei Gesetzesänderungen - auch aus dem engen sachlichen Zusammenhang zwischen unveränderten und geänderten Normen objektiv erschließen läßt.

BVerfG, 16.06.1959 - 2 BvL 10/59

§ 24 BVerfGG gilt nach Wortlaut, Sinn und Zweck für alle Verfahren vor dem Bundesverfassungsgericht. Er kann daher auch in Normenkontrollverfahren nach Art. 100 Abs.

BVerfG, 11.06.1958 - 1 BvL 149/52

1. Der Richter darf einem nach Wortlaut und Sinn eindeutigen Gesetz nicht durch "verfassungskonforme" Auslegung einen entgegengesetzten Sinn geben.
2. Verstößt ein seinem Zweck und Inhalt nach eindeutiges Besoldungsgesetz gegen Art. 3 Abs. 1 GG, weil es bestimmte Beamtengruppen nicht berücksichtigt, so darf ein Gericht einem Beamten dieser Gruppe nicht durch ergänzende Gesetzesauslegung die Besoldung aus diesem Gesetz zusprechen. Eine Gerichtsvorlage nach Art. 100 Abs. 1 GG, die eine solche verfassungsrechtlich unzulässige Entscheidung vorbereiten soll, ist unzulässig.
3. Begünstigt der Gesetzgeber unter Verstoß gegen Art. 3 GG bestimmte Gruppen, so kann das BVerfG entweder die begünstigende Vorschrift für nichtig erklären oder feststellen, daß die Nichtberücksichtigung einzelner Gruppen verfassungswidrig ist. Es darf jedoch die Begünstigung nicht auf die ausgeschlossenen Gruppen erstrecken, wenn nicht mit Sicherheit anzunehmen ist, daß der Gesetzgeber bei Beachtung des Art. 3 GG eine solche Regelung getroffen hätte.

BVerfG, 06.11.1957 - 2 BvL 12/56; 2 BvL 13/56; 2 BvL 14/56; 2 BvL 15/56

Eine Vorlage zur Normenkontrolle nach Art. 100 Abs. 1 GG ist unzulässig, wenn der Vorlagebeschluß entgegen § 80 Abs. 2 Satz 1 BVerfGG nicht mit hinreichender Deutlichkeit erkennen läßt, daß das vorlegende Gericht im Falle der Gültigkeit der in Frage gestellten Vorschrift zu einem anderen Ergebnis kommen würde als im Falle ihrer Ungültigkeit, und wie es dieses Ergebnis begründen würde.

BVerfG, 17.01.1957 - 1 BvL 4/54

1. Die Vorschrift des § 80 Abs. 4 BVerfGG ist nicht anzuwenden, wenn die Vorlage eines Gerichtes gemäß Art. 100 Abs. 1 GG, § 80 Abs. 1 BVerfGG vor Inkrafttreten des Gesetzes zur Änderung des Gesetzes über das Bundesverfassungsgericht vom 21. Juli 1956 dem Bundesverfassungsgericht in einer Weise zugegangen ist, die den damaligen Verfahrensbestimmungen genügte.
2. Die Befugnis und Verpflichtung zur Vorlage an das Bundesverfassungsgericht gemäß Art. 100 Abs. 1 GG bezieht sich auf alle Spruchstellen, die sachlich unabhängig, in einem formell gültigen Gesetz mit den Aufgaben eines Gerichtes betraut und als Gerichte bezeichnet sind.
3. Die unverändert gebliebene Norm eines nach Verkündung des Grundgesetzes im übrigen geänderten Gesetzes kann dann nicht als vorkonstitutionelles Recht im Sinne der Entscheidung vom 24. Februar 1953 (BVerfGE 2, 124 [128 ff.]) angesehen werden, wenn ein an das Grundgesetz gebundener Gesetzgeber auch jene Bestimmung in seinen Willen aufgenommen hat.
4. Das Ermessen des Gesetzgebers wird auch durch Grundsatznormen begrenzt, in denen für bestimmte Bereiche der Rechts- und Sozialordnung Wertentscheidungen des Verfassungsgebers ausgedrückt sind. Wird die Unvereinbarkeit einer gesetzlichen Bestimmung mit einer solchen speziellen Grundsatznorm festgestellt, ist für eine verfassungsrechtliche Prüfung derselben Vorschrift unter dem Gesichtspunkt des allgemeinen Gleichheitssatzes (Art. 3 Abs. 1 GG) kein Raum mehr.
5. Art. 6 Abs. 1 GG ist nicht nur ein "klassisches Grundrecht" zum Schutze der spezifischen Privatsphäre von Ehe und Familie sowie Institutsgarantie, sondern darüber hinaus zugleich eine Grundsatznorm, das heißt eine verbindliche Wertentscheidung für den gesamten Bereich des Ehe und Familie betreffenden privaten und öffentlichen Rechts.
Er ist mindestens insoweit den Gesetzgeber aktuell bindendes Verfassungsrecht, als er eine Beeinträchtigung von Ehe und Familie durch störende Eingriffe des Staates selbst verbietet. Die Schlechterstellung der Ehegatten durch die Zusammenveranlagung zur Einkommensteuer - § 26 des Einkommensteuergesetzes in der Fassung vom 17. Januar 1952 - EStG 1951 - (BGBl. I S. 33) - stellt einen solchen störenden Eingriff dar.
6. Zur Gleichberechtigung der Frau gehört, daß sie die Möglichkeit hat, mit gleichen rechtlichen Chancen marktwirtschaftliches Einkommen zu erzielen wie jeder männliche Staatsbürger.

BVerfG, 30.11.1955 - 1 BvO 2/52

1. Gerichtliche Vorlagen nach § 86 Abs. 2 BVerfGG sind nur über das zuständige obere Bundesgericht zu leiten.

BVerfG, 09.11.1955 - 1 BvL 13/52; 1 BvL 21/52

1. Für alle nach dem Inkrafttreten des Grundgesetzes (23. Mai 1949) erlassenen Gesetze ist die ausschließliche Verwerfungszuständigkeit des Bundesverfassungsgerichts nach Art. 100 Abs. 1 GG gegeben.
2. Die Voraussetzungen, unter denen eine Institution als Gericht im Sinne des Grundgesetzes anzusehen ist, sind für alle Zweige der Gerichtsbarkeit gleich.
3. Gericht im Sinne des Grundgesetzes ist ein Gremium nur dann, wenn seine berufsrichterlichen Mitglieder grundsätzlich hauptamtlich und planmäßig endgültig angestellt sind, Richter auf Probe oder auf Widerruf also nur insoweit herangezogen werden, als das nach verständigem Ermessen zur Heranbildung von Nachwuchs oder aus anderen zwingenden Gründen notwendig ist (Art. 97 Abs. 2 GG).
Gericht im Sinne des Grundgesetzes ist ein Gremium dann nicht, wenn ihm institutionell ein Mitglied angehört, das als weisungsgebundener Beamter die gleiche Materie bearbeitet, über die er als unabhängiger Richter zu entscheiden hat (Art. 20 Abs. 2 GG).

BVerfG, 11.05.1955 - 1 BvO 1/54

1. Recht im Sinne des Art. 125 Nr. 1 GG ist die gesamte Regelung eines bestimmten Sachgebietes, einer begrifflich selbständigen, in sich abgeschlossenen Rechtsmaterie.
2. Für die einheitliche Geltung innerhalb einer Besatzungszone kommt es bei den nach 1945 erlassenen Rechtsvorschriften nicht auf die Identität der Rechtsquelle an, sondern auf die inhaltliche Übereinstimmung. Dabei können sachliche Abweichungen, die durch die von Land zu Land bestehenden Unterschiede in Behördenorganisation und -zuständigkeiten bedingt sind, im allgemeinen außer Betracht bleiben.
3. Art. 100 Abs. 1 Satz 1 GG steht einer landesrechtlichen Regelung nicht entgegen, die das "negative Entscheidungsmonopol" des Landesverfassungsgerichts auf vorkonstitutionelles Landesrecht erstreckt.

BVerfG, 15.09.1954 - 1 BvL 1/54

1. Art. 100 Abs. 1 GG findet auch in Verfahren der freiwilligen Gerichtsbarkeit Anwendung.
2. Werden besatzungsrechtliche Vorschriften mit Ermächtigung der Alliierten Hohen Kommission durch deutsche Stellen geändert oder teilweise aufgehoben, so gelten die nicht aufgehobenen und nicht geänderten Bestimmungen als Besatzungsrecht weiter.