BGH, 03.02.1993 - 3 StR 356/92
1. Ein entschuldigtes Überschreiten der Notwehr im Sinne von § 33 StGB kommt nicht in Betracht, wenn der Täter sich planmäßig in eine tätliche Auseinandersetzung mit seinem Gegner eingelassen hat, um unter Ausschaltung der erreichbaren Polizei einen ihm angekündigten Angriff mit eigenen Mitteln abzuwehren und die Oberhand über seinen Gegner zu gewinnen.
2. Die Nötigung zur Unterlassung eines noch nicht gegenwärtigen rechtswidrigen Angriffs auf den Täter kann verwerflich im Sinne des § 240 Abs. 2 StGB sein, wenn sie mit verbotenen Mitteln (hier: unter Verstoß gegen das WaffG) und unter bewußter Ausschaltung staatlicher Zwangsmittel begangen wird.
Tenor
Auf die Revision der Staatsanwaltschaft - zu Buchst. a auch auf die Revision der Nebenklägerin - wird das Urteil des Bezirksgerichts Dresden vom 26. März 1992 mit den Feststellungen aufgehoben,
a) soweit es den Angeklagten S. betrifft,
b) soweit der Angeklagte M. nicht wegen Nötigung und Beteiligung an einem Waffendelikt des Angeklagten S. verurteilt worden ist.
Im Umfang der Aufhebung wird die Sache zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsmittels, an eine andere Strafkammer des Landgerichts Dresden zurückverwiesen.
Die weitergehende Revision der Staatsanwaltschaft wird verworfen.
Gründe
A.
Das Bezirksgericht hat beide Angeklagten freigesprochen. Mit der zugelassenen Anklage wird ihnen zur Last gelegt, in Verfolgung ihres Plans, gegen die Rechtsradikalen in Dresden "Krieg zu führen", am 31. Mai 1991 deren Anführer So. in bewußtem und gewolltem Zusammenwirken aus Haß und Rache erschossen zu haben. Das Bezirksgericht hat folgenden Sachverhalt festgestellt:
Beide Angeklagten, die aus dem Rotlichtmilieu Mannheims stammen, betrieben mit drei weiteren Teilhabern in Dresden ein Bordell, das ausgebaut werden sollte. Der später getötete So. bekämpfte als Anführer einer Gruppe rechtsextremistischer Jugendlicher die sich nach der sogenannten Wende in Dresden entwickelnde kommerzielle Prostitution. Er beschloß, das Bordell der Angeklagten mit seinen meist jugendlichen Anhängern am 31. Mai 1991 um 24.00 Uhr zu stürmen und "plattzumachen". Die Einrichtung sollte zerstört und gegen Personen, die Widerstand leisten, Gewalt angewendet werden.
Die Angeklagten erfuhren von diesem Vorhaben am Vormittag des 31. Mai 1991, als zwei ersichtlich der rechten Szene zuzurechnende junge Männer ihnen das Angebot machten, gegen Zahlung von 50.000 DM von der Gewaltaktion abzulassen. Die Angeklagten verweigerten die Zahlung und beschlossen, sich der angekündigten Auseinandersetzung zu stellen. Eine Benachrichtigung der Polizei unterblieb, weil sie die Sache selbst in die Hand nehmen ("Krieg führen", UA S. 38) wollten. Damit sollte klargemacht werden, daß sie sich weder erpressen noch durch gewalttätige Aktionen beeindrucken ließen.
Die Polizei wäre bei einer Benachrichtigung bis gegen 23.00 Uhr in der Lage gewesen, mit ausreichenden Kräften, mindestens 20 Mann, sich dem für 24.00 Uhr angesagten Angriff der Rechtsradikalen entgegenzustellen. Bei einer späteren Benachrichtigung bis etwa 15 Minuten vor dem Tatgeschehen hätten zunächst zwei Funkstreifenwagen mit je 4 Mann Besatzung und sodann weitere Kräfte zur Verfügung gestanden.
Gegen 23.30 Uhr bemerkten die Angeklagten etwa 150 m von ihrem Standort entfernt eine Ansammlung von 30 bis 50 zum Teil mit Zaunlatten, Baseballschlägern und Gummiknüppeln bewaffneten jungen Leuten. Um ihnen klarzumachen, daß sie keine Chance hätten, das Bordell zu stürmen, fuhren sie ihnen mit einem Mercedes-Pkw entgegen. Der Angeklagte S. führte eine mit mindestens einer Patrone geladene Schrotflinte bei sich, der Angeklagte M. eine Reizstoffsprühdose. Am Versammlungsort angekommen, hielt M. den Pkw an. S. stieg aus, lud seine Waffe hör- und sichtbar durch und forderte die Anwesenden, die die Angeklagten erkannt hatten, auf, abzuhauen und sie in Ruhe zu lassen. Dabei richtete er die Waffe, sie im Halbkreis schwenkend, auf die jungen Leute, die etwa 10 bis 50 m von ihm entfernt auf der Straße herumstanden. Daraufhin liefen diese auseinander und versteckten sich hinter Autos, Bäumen und in Hauseingängen.
Als die Straße frei war und S. glaubte, seinen Gegnern genügend Respekt eingeflößt zu haben, ging er zum Fahrzeug zurück, um mit M. wegzufahren. In diesem Moment stieg So., den beide Angeklagten bisher nicht bemerkt hatten, aus seinem an der Straßenseite geparkten Pkw und ging mit erhobenen Händen und mit provozierender Langsamkeit auf den etwa 6 bis 8 m von ihm entfernten Angeklagten S. zu. Als dieser die Waffe auf ihn richtete, rief er: "Schieß doch, Schieß doch, du Kanake, Du traust dich ja doch nicht ! " Der Angeklagte war erschrocken über die plötzliche Wendung des Geschehens und ging, die Waffe im Anschlag, rückwärts auf seinen Pkw zu. Er saß schon halb auf dem Beifahrersitz, als So. sich ihm bis auf etwa 1 m genähert hatte und mit der rechten Hand die Beifahrertür festhielt. Das Bezirksgericht konnte nicht ausschließen, daß So. nunmehr ein Messer oder einen anderen Gegenstand einsatzbereit in der rechten Hand hielt, wobei die Klinge nach hinten zeigte (UA S. 23/24). Inzwischen waren mehrere Anhänger So.'s wieder aus ihrer Deckung hervorgetreten und bereits bis auf etwa 6 m an das Fahrzeug der Angeklagten herangekommen. In dieser Situation sprühte M., um den nun offensichtlich bevorstehenden Angriff abzuwehren, durch die geöffnete Beifahrertür und an S. vorbei Reizgas auf So. (UA S. 25). Dieser wandte daraufhin seinen Kopf nach rechts ab. Nunmehr schoß S. aus einer Entfernung von mindestens 0,5 m (UA S. 53) auf den Kopf So.'s und nahm dabei dessen Tod in Kauf. So. wurde zwischen dem linken Ohr und dem Hinterkopf tödlich getroffen.
Das Bezirksgericht hat in diesem Sachverhalt keine strafbare Handlung der Angeklagten gesehen. Eine versuchte Nötigung der sich versammelnden Rechtsradikalen liege nicht vor, weil deren Bedrohung mit der möglicherweise unerlaubt geführten Schußwaffe eine angemessene Reaktion der Angeklagten auf die erwartete Erstürmung des Bordells gewesen sei (UA S. 66). Auch wegen eines Tötungsdelikts könne S. nicht bestraft werden. Er habe zwar die Grenzen der Notwehr überschritten, weil es ihm möglich gewesen wäre, sich des Angriffs durch einen gezielten.Schuß in die Beine So.'s zu erwehren; er habe dies jedoch aus Verwirrung, Furcht und Schrecken nicht getan, so daß er nach § 33 StGB straffrei sei (UA S. 69).
B.
I. Revision der Staatsanwaltschaft
1. Einschüchterung der Anhänger So. 's durch Bedrohung mit der geladenen Schußwaffe
Mit Recht wendet sich die Staatsanwaltschaft gegen die Annahme des Bezirksgerichts, die Angeklagten hätten nicht verwerflich im Sinne des § 240 StGB gehandelt, als sie im einvernehmlichen Zusammenwirken die sich versammelnden jungen Leute mit der geladenen Schrotflinte von der Straße vertrieben.
a) Dieser Vorgang ist ungeachtet dessen, daß die Anklageschrift den Angeklagten ausschließlich einen gemeinschaftlichen Mord an So. zur Last legt, Gegenstand der angeklagten und im Anklagesatz beschriebenen Tat im prozessualen Sinn. Denn der Anklagesatz bezieht sich auf das zeitlich, räumlich und sachlich zusammengehörende und eine Einheit bildende Geschehen, das in Ausführung des Plans, gegen die Rechtsradikalen Krieg zu führen, mit der Ankunft der Angeklagten an dem Versammlungsort der Rechtsradikalen beginnt und mit der Tötung ihres Anführers endet. Daß dieses im natürlichen Sinne einheitliche Geschehen in mehrere materiellrechtlich selbständige Teile zerfällt, schränkt die umfassende Kognitionspflicht des Tatrichters nicht ein.
b) Der Angeklagte S. hat im Einvernehmen mit dem am Steuer des Pkw sitzenden Angeklagten M. die auf der Straße herumstehenden Anhänger So.'s von der Fahrbahn vertrieben, indem er seiner Aufforderung, zu verschwinden, dadurch Gewicht gab, daß er vor ihren Augen die Flinte durchlud und sie aus nächster Entfernung auf sie richtete. Er hat sie dadurch mit Gewalt (vgl. BGHSt 23, 126 , 127) zu einer Handlung im Sinne des § 240 Abs. 1 StGB genötigt.
c) Die Nötigung war nicht durch Notwehr nach § 32 StGB gerechtfertigt. Zwar wollten die Angeklagten damit die Angriffsvorbereitungen stören und die Rechtsradikalen durch Einschüchterung von ihrem Plan abbringen, das Bordell zu überfallen. Der Angriff auf das Bordell war aber noch nicht gegenwärtig im Sinne des § 32 Abs. 2 StGB; denn der Abmarsch der Angreifer zu dem mehr als 100 m entfernten Bordell hatte noch nicht begonnen, weil noch nicht alle erwarteten Teilnehmer eingetroffen waren.
d) Die Nötigung war auch nicht nach § 34 StGB gerechtfertigt. Stellt das Verhalten eines zum Angriff Entschlossenen für das in Aussicht genommene Opfer zwar noch keinen gegenwärtigen Angriff im Sinne des § 32 StGB dar, so daß - wie hier - Notwehr ausscheidet, sind die Vorbereitungen für den Angriff aber so weit gediehen, daß sie - wie hier - schon eine gegenwärtige Gefahr für die bedrohten Rechtsgüter bilden, so kann der Rechtfertigungsgrund des § 34 StGB eingreifen (vgl. Roxin, StrafR Allg. Teil I 1992 § 15 Rdn. 26 und § 16 Rdn. 72; Lenckner in Schönke/Schröder, StGB 24. Aufl. § 32 Rdn. 17 und § 34 Rdn. 30). Er setzt jedoch voraus, daß die Gefahr anders nicht abgewendet werden kann, liegt also nicht vor, wenn obrigkeitliche Hilfe rechtzeitig herbeigerufen werden kann (Roxin aaO.). Die Gefahr, die von der Ansammlung der Anhänger So. 's für das Bordell der Angeklagten ausging, war dadurch abwendbar, daß die Angeklagten die Polizei benachrichtigten. Diese wäre nach den Feststellungen des Bezirksgerichts willens und in der Lage gewesen, sich den Angreifern entgegenzustellen (UA S. 20, 59).
e) Die von den Angeklagten nach den bisherigen Feststellungen begangene gemeinschaftliche Nötigung war entgegen der Auffassung des Bezirksgerichts (UA S. 65) rechtswidrig im Sinne des § 240 Abs. 2 StGB. Dies ist der Fall, wenn die Anwendung der Gewalt oder die Androhung des Übels zu dem angestrebten Zweck als verwerflich anzusehen ist. Der angestrebte Zweck war die Vertreibung der jungen Leute von der Fahrbahn der Straße und ihre Einschüchterung, um sie von dem geplanten Überfall auf das Bordell abzubringen. Diesen Zweck durften die Angeklagten nur im Rahmen der Rechtsordnung durchsetzen. Das Bezirksgericht und die Verteidigung verkennen, daß das Recht zur Erzwingung von Gesetzestreue in erster Linie dem Staat zukommt. Der einzelne, der sich anmaßt, den Staat dabei mit Nötigungsmitteln zu vertreten, handelt verwerflich, wenn er vorsätzlich den Vorrang staatlicher Zwangsmittel außer acht läßt, um durch von ihm selbst ausgeübte Gewalt und ohne speziellen Rechtfertigungsgrund die Gesetzestreue anderer zu erzwingen (zur Verpflichtung, die Polizei herbeizuholen vgl. z.B.: BGH VRS 30, 281, 282; Horn in SK-StGB 4. Aufl. § 240 Rdn. 46; Lenckner in Schönke/Schröder aaO. § 32 Rdn. 41; Rudolphi in Gedächtnisschrift für A. Kaufmann 1989 S. 371, 391). Das gilt insbesondere, wenn der Zwang mit besonders gefährlichen und verbotenen Mitteln, etwa unter Verstoß gegen das Waffengesetz, ausgeübt wird. Der Rechtsfrieden wäre empfindlich gestört und der Eskalation der Gewalt Tür und Tor geöffnet, wenn es sich befehdenden Gruppen gestattet wäre, ihre Auseinandersetzungen unter Verzicht auf die Einschaltung der Polizei und unter Bedrohung mit Schußwaffen selbst auszutragen. In diesen Fällen ist die Sozialverträglichkeit auch dann nicht gewahrt, wenn die ohne speziellen Rechtfertigungsgrund und mit verbotenen Mitteln begangene Nötigung der einen Seite die Unterlassung eines rechtswidrigen Angriffs der anderen Seite bezweckt. So lag es hier. Die Nötigung der Rechtsradikalen durch die Angeklagten unter Einsatz der geladenen Schrotflinte war daher verwerflich im Sinne des § 240 Abs. 2 StGB.
f) Fehl geht auch die Auffassung des Bezirksgerichts, daß eine Bestrafung wegen unerlaubten Führens einer Schußwaffe bei der Vertreibung der Rechtsradikalen deshalb nicht in Betracht komme, weil die Angeklagten sie im Falle der Notwehr hätten einsetzen dürfen und daher ihren Gebrauch auch vorher hätten androhen dürfen (UA S. 66). Da die Vertreibung der jungen Leute nach den bisherigen Feststellungen nicht durch Notwehr gerechtfertigt, sondern eine strafbare Nötigung war, ist ein tateinheitlich begangener Verstoß gegen das Waffengesetz weder gerechtfertigt noch entschuldigt.
2. Die Tötung So. 's
a) Das Bezirksgericht ist der Ansicht, der Angeklagte S. habe bei der Abwehr des Angriffs von So. durch den mit bedingtem Tötungsvorsatz abgegebenen Kopfschuß das Maß des Erforderlichen überschritten (sog. intensiver Notwehrexzeß), weil ein Schuß auf die Beine eine sofortige und endgültige Beseitigung des - möglicherweise mit einem Messer - geführten Angriffs habe erwarten lassen (UA S. 69). Ob überhaupt ein Schuß zur Abwehr erforderlich war, kann offenbleiben (vgl. auch BGHR StGB § 32 II Erforderlichkeit 6 und § 33 Furcht 1).
b) Die Feststellungen tragen jedenfalls nicht die weitere Annahme des Tatrichters, der Angeklagte S. habe die Grenzen der Notwehr aus Verwirrung, Furcht und Schrecken überschritten (UA S. 57; UA S. 69: "aus Furcht und Schrecken"). Das Bezirksgericht verkennt den Anwendungsbereich des § 33 StGB (nachfolgend unter aa). Im übrigen lassen sich seine Ausführungen zu der Tatzeitverfassung des Angeklagten schwerlich mit den anderen zu seiner Person und zum Grund der Auseinandersetzung getroffenen Feststellungen vereinbaren (nachfolgend unter bb).
aa) § 33 StGB begründet Straffreiheit für einen rechtswidrig Angegriffenen, der in Überschreitung seiner Notwehrbefugnisse den Angreifer aus den dort genannten (asthenischen) Affekten verletzt oder gar tötet. Ob ihm dabei Fahrlässigkeit zur Last fällt, ist unerheblich. § 33 StGB gilt auch bei bewußter Überschreitung der Notwehr (BGHR StGB § 33 Nothilfe 1 und Furcht 1). Schon wegen der Pauschalität dieser Exkulpierung ohne Rücksicht auf eine Strafwürdigkeit im Einzelfall ist es geboten, § 33 StGB nicht weiter auszulegen, als es Wortlaut und Gesetzeszweck unbedingt erfordern (vgl. Baldus in LK 9. Aufl. § 53 StGB aF Rdn. 42). Der Bundesgerichtshof hat in der Entscheidung NJW 1962, 308, 309 für die § 33 StGB im wesentlichen entsprechende Regelung des § 53 Abs. 3 StGB aF ausgesprochen, daß eine Strafbefreiung nach dieser Vorschrift ihrem Wesen nach immer nur ein schuldhaftes Handeln ergreifen kann, das ausschließlich mit der unmittelbaren Abwehr des Angriffs zusammenhängt; sie dürfe nicht zur Ausräumung eines vorwerfbaren Verhaltens herangezogen werden, das bereits vor dem Eintritt der Notwehrlage eingesetzt habe. Diese von der Rechtslehre weitgehend abgelehnte Entscheidung ist generalisierend dahin verstanden worden, daß die Strafbefreiung entfallen soll, wenn der Täter den Angriff durch grob mißbilligenswertes Verhalten provoziert hat (ablehnend z.B. Lackner, StGB 19. Aufl. § 33 Rdn. 4; Dreher/Tröndle, StGB 45. Aufl. § 33 Rdn. 3; Spendel in LK 11. Aufl. § 33 Rdn. 74; Rudolphi in SK-StGB 5. Aufl. § 33 Rdn. 5; Lenckner in Schönke/Schröder aaO. § 33 Rdn. 9). Eine solch weitgehende Einschränkung der Anwendbarkeit des § 33 StGB ist allerdings nicht gerechtfertigt. Besteht infolge der von dem Angegriffenen schuldhaft mitverursachten Notwehrlage noch ein (wenn auch eingeschränktes) Notwehrrecht nach § 32 StGB, so ist grundsätzlich auch Raum für die Anwendung des § 33 StGB, sofern der Täter die Grenzen der (eingeschränkten) Notwehr aus Verwirrung, Furcht oder Schrecken überschreitet. Dies gilt aber dann nicht - und darin liegt der zutreffende Ausgangspunkt der Entscheidung in NJW 1962, 308, 309 -, wenn sich der rechtswidrig Angegriffene planmäßig in eine tätliche Auseinandersetzung mit seinem Gegner eingelassen hat, um unter Ausschaltung der für die Konfliktlösung zuständigen und erreichbaren Polizei den ihm angekündigten Angriff mit eigenen Mitteln abzuwehren und die Oberhand über seinen Gegner zu gewinnen. Denn in einem solchen Fall liegt die eigentliche Ursache für die Notwehrüberschreitung nicht - wie Sinn und Zweck des § 33 StGB es voraussetzen - in einer durch den rechtswidrigen Angriff ausgelösten, auf asthenischen Affekten beruhenden Schwäche des Angegriffenen, sondern in dem vor Eintritt der Notwehrlage gefaßten, auf sthenischen Affekten beruhenden Entschluß, den "Krieg" mit dem Gegner selbst auszutragen.
So verhielt es sich hier. Der Angriff So. 's auf den Angeklagten S. war die unmittelbare und adäquate Folge der Vertreibung seiner Anhänger durch die Bedrohung mit der Schußwaffe. So. mag zwar überraschend in das Blickfeld der Angeklagten getreten sein. Mit seinem Erscheinen aber mußten sie rechnen, weil die Gruppe von ihm angeführt wurde und er bereits früher mit brutaler Gewalt gegen ihm mißliebige Personen vorgegangen war (vgl. UA S. 18). Wenn sich die Angeklagten unter diesen Umständen auf einen offenen Kampf mit den Anhängern So. 's unter Ausschaltung der erreichbaren Polizei einließen, mußten sie sich auf die zu ihrem Schutz erforderliche Verteidigung beschränken. Gingen sie darüber hinaus, wenn auch aus Angst, daß der Gegner unerwartet die Oberhand erlangen würde, so kommt eine Strafbefreiung nach § 33 StGB nicht in Betracht.
bb) Im übrigen enthält das angefochtene Urteil aber auch auf der Grundlage seiner Rechtsauffassung, daß § 33 StGB auf eine solche "Kampfeslage" Anwendung finde, eine nicht ausreichende Beweiswürdigung. Daß der Angeklagte S. , ein seelisch und körperlich gesunder 24jähriger Mann mit vielfachen Erfahrungen aus Boxwettkämpfen und dem Zuhältermilieu, durch das entschlossene Auftreten So. 's als Anführer derjenigen Gruppe, der die Angeklagten in offenem Kampf entgegentreten wollten, so in Verwirrung, Furcht oder Schrecken geraten sein kann, daß er infolgedessen die Grenzen der Notwehr überschritten hat, widerspricht der Lebenserfahrung und ist nicht nachprüfbar belegt. Die Berufung des Bezirksgerichts auf vom Sachverständigen vorgenommene psychologische Tests, die angeblich eine überdurchschnittliche Ängstlichkeit des Angeklagten S. ergeben haben, trägt eine solche Annahme nicht. Auch der Sachverständige kennt die aktuelle Motivation bei Abgabe des tödlichen Schusses nicht. Er ist auf allgemeine Rückschlüsse aus dem Testverhalten des Angeklagten beschränkt. Für die zur Strafbefreiung führende normative Bewertung der Tatzeitverfassung des Angeklagten kommt es nicht in erster Linie auf eine bestimmte generelle seelische Disposition an. Maßgebend ist vielmehr das in Erscheinung getretene und daher einer rechtlichen Bewertung zugängliche Verhalten des Angeklagten vor, während und nach der Tat. Für diese Bewertung bedarf es bei einem gesunden Angeklagten in der Regel nicht der Heranziehung eines psychologischen Sachverständigen. Sie ist Sache des Tatrichters. Er hätte in nachvollziehbarer Weise und unter Abwägung der möglichen Gegengründe darlegen müssen, warum der Angeklagte, der gewalttätige Auseinandersetzungen mit So. und seinen Anhängern nicht nur nicht gescheut, sondern unter Ausschaltung der erreichbaren Polizei gesucht hat, bei der im wesentlichen voraussehbaren Konfrontation in Verwirrung, Furcht oder Schrecken von einem solchen Ausmaß geraten sein könnte, daß es Straffreiheit nach § 33 StGB zu begründen vermag.
3. Tatbeteiligung des Angeklagten M.
Entgegen der Auffassung des Generalbundesanwalts ist die Revision der Staatsanwaltschaft nicht auf den Freispruch des Angeklagten M. von einer Beteiligung an einem Nötigungs- und Waffendelikt des Angeklagten S. beschränkt. Der Schriftsatz vom 27. März 1992 enthält die Einlegung der Revision, die Revisionsanträge und die Begründung der Revision mit der Rüge der Verletzung materiellen Rechts. Der Revisionsantrag geht dahin, das angefochtene Urteil insgesamt mit den zugrundeliegenden Feststellungen aufzuheben und die Sache zu neuer Verhandlung und Entscheidung zurückzuverweisen. Eine Einschränkung dieses umfassend gestellten Aufhebungsantrags kann nicht darin gesehen werden, daß die späteren Erläuterungen der Sachrüge in dem Schriftsatz vom 10. Juni 1992, in dem der uneingeschränkte Aufhebungsantrag ausdrücklich wiederholt wird, keine Ausführungen zu einer Tatbeteiligung des Angeklagten M. an der Tötung So. 's enthalten. Insoweit ist die Revision der Staatsanwaltschaft unbegründet, weil das Urteil in dieser Hinsicht keinen Rechtsfehler zum Vorteil des Angeklagten M. aufweist. Anhaltspunkte dafür, daß M. mit einer Notwehrüberschreitung des Angeklagten S. rechnen mußte, bestehen nicht.
II. Revision der Nebenklägerin
Die Revision der Nebenklägerin, die sich ausschließlich gegen den Freispruch des Angeklagten S. von einem Tötungsverbrechen richtet, hat mit der Sachrüge aus den oben zu I 2 genannten Gründen Erfolg.