BVerfG, 28.11.1967 - 1 BvR 515/63

Daten
Fall: 
Waisenrente und Wartezeit
Fundstellen: 
BVerfGE 22, 349; DB 1968, 350; DÖV 1968, 664; FamRZ 1968, 137; JuS 1968, 287; JZ 1968, 329; MDR 1968, 380; NJW 1968, 539; SGb 1968, 274; SozVers 1968, 185; ZfF 1968, 151; ZfS 1968, 41
Gericht: 
Bundesverfassungsgericht
Datum: 
28.11.1967
Aktenzeichen: 
1 BvR 515/63
Entscheidungstyp: 
Beschluss
Richter: 
Müller, Stein, Ritterspach, Haager, Rupp-v. Brünneck, Brox, Zeidler
Instanzen: 
  • SG Freiburg, 24.10.1961 - S 5 An 1461/61
  • LSG Baden-Württemberg, 14.05.1963 - L 3a 2079/61

I. Die Versagung des Armenrechts wegen Aussichtslosigkeit der Rechtsverfolgung rechtfertigt keine Ausnahme von dem Gebot des § 90 Abs. 2 Satz 1 BVerfGG, wenn der betroffenen Partei trotzdem die Erschöpfung des Rechtswegs tatsächlich möglich und zumutbar ist. Diese Voraussetzungen sind für das Revisionsverfahren beim Bundessozialgericht gegeben, wenn die arme Partei durch eine Behörde vertreten ist (§ 166 Abs. 1 SGG).
II. 1. Hat der Gesetzgeber in einer begünstigenden Regelung unter Verstoß gegen Art. 3 Abs. 1 GG eine bestimmte Personengruppe nicht berücksichtigt, kommt aber eine Nichtigerklärung nicht in Betracht, weil sie gesetzestechnisch nicht möglich ist oder dem Anliegen des Beschwerdeführers nicht entsprechen würde oder einen Eingriff in die Gesetzesfreiheit des Gesetzgebers enthielte, so steht § 95 Abs. 3 BVerfGG der Feststellung, daß die bestehende gesetzliche Regelung verfassungswidrig ist, nicht entgegen.
2. Richtet sich die Verfassungsbeschwerde nur mittelbar gegen das Gesetz, unmittelbar aber gegen gerichtliche Entscheidungen, die eine Einbeziehung des Beschwerdeführers in die begünstigende Regelung ablehnen, so ist mit der Feststellung des Verfassungsverstoßes die Aufhebung der gerichtlichen Entscheidung zu verbinden; die zuständigen Gerichte müssen das Verfahren aussetzen, bis der Gesetzgeber tätig geworden ist.
3. Das Rechtsschutzbedürfnis für eine Verfassungsbeschwerde gegen eine, den Beschwerdeführer nicht berücksichtigende, begünstigende gesetzliche Regelung ist zu bejahen, wenn eine Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts nach II. 1. oder 2. möglich ist.
III. Es verstößt nicht gegen den allgemeinen Gleichheitssatz (Art. 3 Abs. 1 GG), daß § 82 Abs. 3 AVG nur der Witwe, nicht auch den Waisen eines Versicherten einen Anspruch auf Erstattung von Versicherungsbeiträgen gewährt.

Inhaltsverzeichnis 

Beschluß

des Ersten Senats vom 28. November 1967
- 1 BvR 515/63 -
in dem Verfahren über die Verfassungsbeschwerde der minderjährigen Michaela Sch. ..., gesetzlich vertreten durch das Kreisjugendamt Wolfach als Amtsvormund, gegen 1. das Urtel des Sozialgerichts Freiburg vom 24. Oktober 1961 - S 5 An 1461/61 - 2. Urteil des Landessozialgerichts Baden-Würrtemberg vom 14. Mai 1963 - L 3a 2079/61.
Entscheidungsformel:

Die Verfassungsbeschwerde wird zurückgewiesen.

Gründe

A.

Die Verfassungsbeschwerde betrifft mittelbar die gesetzliche Regelung über die Erstattung von Versicherungsbeiträgen im Angestelltenversicherungsgesetz (AVG) in der Fassung des Gesetzes zur Neuregelung des Rechts der Rentenversicherung der Angestellten (AnVNG) vom 23. Februar 1957 (BGBl. I S. 88). Danach werden in bestimmten Fällen Beiträge erstattet, wenn ein Rentenanspruch ausgeschlossen ist oder höchstwahrscheinlich nicht mehr in Betracht kommt. Ein Erstattungsanspruch besteht unter anderem,

1. wenn die Versicherungspflicht in der gesetzlichen Rentenversicherung entfällt, ohne daß ein Recht zur freiwilligen Weiterversicherung besteht (§ 82 Abs. 1 AVG),
2. wenn ein Versicherter bei Eintritt der Erwerbsunfähigkeit die Wartezeit nach § 24 Abs. 3 AVG noch nicht erfüllt hat und es ihm nicht mehr möglich ist, bis zur Vollendung des 65. Lebensjahres die Wartezeit für das Altersruhegeld zu erfüllen (§ 82 Abs. 2 AVG).

Die Erstattung setzt einen Antrag des Versicherten voraus. Erstattet werden die seit der Währungsreform entrichteten Normalbeiträge zur Hälfte, d. h. also der vom Versicherten aufzubringende Arbeitnehmeranteil der Beiträge. Beiträge zur Höherversicherung werden in voller Höhe erstattet.

Auch die Witwe eines Versicherten hat einen solchen Erstattungsanspruch, wenn mangels erfüllter Wartezeit kein Anspruch auf Witwenrente besteht (§ 82 Abs. 3 AVG). Zur Erfüllung der Wartezeit für Hinterbliebenenrente ist erforderlich, daß der Versicherte bei seinem Tode eine Versicherungszeit von 60 Kalendermonaten zurückgelegt hat oder daß einer der besonderen Fälle vorliegt, in denen die Wartezeit als erfüllt gilt (§ 40 Abs. 2 in Verbindung mit § 29 AVG). Gleiches gilt in der Rentenversicherung der Arbeiter (§ 1303 RVO) und in der Knappschaftsversicherung (§ 95 RKG).

Die Beschwerdeführerin hält die Regelung des § 82 Abs. 3 AVG für verfassungswidrig, weil danach nur der Witwe eines Versicherten, nicht aber den Waisen von männlichen und weiblichen Versicherten ein Anspruch auf Beitragserstattung zusteht.

B.

I.

1. Die außereheliche Mutter der Beschwerdeführerin war in der Rentenversicherung der Angestellten versichert, hatte bis zu ihrem Tode jedoch nur 49 Monatsbeiträge entrichtet. Daher versagte die Bundesanstalt für Angestelltenversicherung die Leistung einer Waisenrente an die Beschwerdeführerin. Einen Antrag der Beschwerdeführerin auf Erstattung des Arbeitnehmeranteils der für die Mutter entrichteten Versicherungsbeiträge lehnte die Bundesanstalt unter Berufung auf § 82 Abs. 3 AVG ab.

2. Die hiergegen von der Beschwerdeführerin erhobene Klage hatte keinen Erfolg. Nach Ansicht des Sozialgerichts und des Landessozialgerichts gewährt das Gesetz nach seinem eindeutigen Wortlaut und nach seiner Entstehungsgeschichte nur der Witwe einen Erstattungsanspruch. Die rechtspolitische Erwägung, daß der Gesetzgeber auch an die Waisen hätte denken müssen und diese vielleicht nicht bewußt übergangen habe, könne eine entsprechende Anwendung auf diese Personengruppe nicht rechtfertigen. Die verschiedene Behandlung der Ehefrau und der Kinder eines verstorbenen Versicherten möge als unbillig erscheinen; sie verstoße jedoch nicht gegen den Grundsatz der Gleichheit, weil die tatsächliche und rechtliche Lage beider Gruppen von Hinterbliebenen nicht gleich sei.

Das Landessozialgericht ließ wegen der grundsätzlichen Bedeutung der zu entscheidenden Rechtsfrage die Revision gegen seine Entscheidung zu.

3. Der vom Amtsvormund der Beschwerdeführerin gestellte Antrag, ihr für die Revisionsinstanz das Armenrecht zu bewilligen und einen beim Bundessozialgericht zugelassenen Rechtsanwalt beizuordnen, wurde vom Bundessozialgericht abgelehnt, weil die Rechtsverfolgung aussichtslos sei.

II.

Mit der Verfassungsbeschwerde wendet sich die Beschwerdeführerin unmittelbar gegen die Entscheidungen des Sozialgerichts und des Landessozialgerichts, mittelbar gegen § 82 Abs. 3 AVG. Sie trägt folgendes vor:

Die Verfassungsbeschwerde sei zulässig, weil der Rechtsweg zu den Sozialgerichten mit der Ablehnung ihres Armenrechtsgesuchs erschöpft sei. Wenn sie Revision eingelegt hätte, wäre diese vom Bundessozialgericht aus den gleichen Gründen zurückgewiesen worden wie der Antrag auf Bewilligung des Armenrechts.

Die Verfassungsbeschwerde sei auch begründet. Die Gesetzesauslegung durch die Sozialgerichte sei nicht zu beanstanden, jedoch verletze die gesetzliche Regelung ihr Grundrecht aus Art. 3 Abs. 1 GG, weil die ungleiche Behandlung von Witwen und Waisen nicht zu rechtfertigen sei. Die Beitragserstattung solle der Witwe eine gewisse Entschädigung für den Ausfall der Hinterbliebenenrente sichern und eine Bereicherung der Versicherungsträger vermeiden. In dieser Hinsicht bestehe aber bei Witwen und bei Waisen die gleiche Sachlage; die Waisen seien eher noch schutzbedürftiger als die Witwen.

III.

1. Die Bundesregierung hält die Verfassungsbeschwerde für unbegründet. Sie meint, das Bundessozialgericht habe das Armenrechtsgesuch schon deswegen zurückweisen müssen, weil im Zeitpunkt seiner Beschlußfassung die Revision wegen Versäumung der Revisionsfrist unzulässig gewesen wäre. Für eine Wiedereinsetzung in den vorigen Stand wäre kein Raum gewesen; denn die Armut der Beschwerdeführerin habe sie nicht an der Wahrung der Rechtsmittelfrist gehindert. Im übrigen stehe § 82 Abs. 3 AVG in Einklang mit Art. 3 Abs. 1 GG. Die Beitragserstattung nach den §§ 82, 83 AVG durchbreche das Versicherungsprinzip und beruhe allein auf Billigkeitserwägungen.

2. Die Bundesanstalt für Angestelltenversicherung teilt die Auffassung der Bundesregierung und führt hierzu noch folgendes aus: Nach der geltenden Regelung scheitere ein Erstattungsanspruch der Beschwerdeführerin nicht nur daran, daß die Waisen nicht berücksichtigt seien, sondern schon deswegen, weil die gesetzliche Regelung nur für den Tod von versicherten Ehemännern gelte. Diese Beschränkung sei zulässig. Grundsätzlich verfielen die Versicherungsbeiträge zugunsten der Versichertengemeinschaft, wenn mangels Erfüllung der Wartezeit die sachlichen Voraussetzungen für den Bezug von Hinterbliebenenrente nicht gegeben seien. Hiervon hätten die Neuregelungsgesetze zugunsten der Witwe eine Ausnahme gemacht, weil nach dem typischen Geschehensablauf eine Witwe ihre Versorgung aus der Versicherung ihres Ehemannes gewinne. Eine Ausdehnung auf die Kinder hätte im Regelfall zu dem wenig sinnvollen Ergebnis geführt, daß die Witwe den verhältnismäßig geringen Erstattungsbeitrag mit den Kindern teilen müßte, obwohl sie die mit dem Todesfall verbundenen Aufwendungen gewöhnlich allein zu tragen habe. Da der Gesetzgeber nicht verpflichtet gewesen sei, den überlieferten Grundsatz des Beitragsverfalls zu durchbrechen, habe er sich bei dieser ersten Auflockerung ohne Verstoß gegen den Gleichheitssatz auf die genannten typischen Fälle beschränken dürfen.

C.

Die Verfassungsbeschwerde ist zulässig.

I.

1. Die Beschwerdeführerin hat entgegen § 90 Abs. 2 Satz 1 BVerfGG Verfassungsbeschwerde erhoben, ohne zuvor den Rechtsweg gegen die angegriffenen Hoheitsakte erschöpft zu haben. Obwohl das Landessozialgericht gemäß § 162 Abs. 1 Nr. 1 SGG die Revision an das Bundessozialgericht zugelassen hatte, hat die Beschwerdeführerin dieses Rechtsmittel nicht eingelegt.

2. Die Voraussetzungen für eine Vorabentscheidung nach § 90 Abs. 2 Satz 2 BVerfGG liegen nicht vor. Diese Ausnahmevorschrift ermächtigt das Bundesverfassungsgericht nicht, von dem Erfordernis der Erschöpfung des Rechtswegs schlechthin abzusehen; sie greift vielmehr grundsätzlich nur ein, wenn der Rechtsweg bereits beschritten ist oder noch beschritten werden kann, jedoch aus den im zweiten Halbsatz genannten Gründen eine Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts vor Erschöpfung des Rechtswegs in Betracht kommt (BVerfGE 11, 244). Daran fehlt es hier. Das Urteil des Landessozialgerichts ist der Beschwerdeführerin nach ihren eigenen Angaben am 7. Juni 1963 zugestellt worden; die Monatsfrist zur Einlegung der Revision war daher schon bei Erlaß des Armenrechtsbeschlusses des Bundessozialgerichts (6. September 1963) abgelaufen. Sofern eine Wiedereinsetzung in den vorigen Stand gegen die Versäumung dieser Frist überhaupt zu erreichen gewesen wäre, hätte die Beschwerdeführerin sie innerhalb eines Monats nach der Zustellung des Armenrechtsbeschlusses (17. September 1963) beantragen und zugleich die versäumte Revisionseinlegung nachholen müssen (§ 67 Abs. 2 SGG). Auch diese Frist war bereits bei Erhebung der Verfassungsbeschwerde ungenutzt verstrichen. Außerdem könnte ein Bedürfnis für eine Vorabentscheidung nicht anerkannt werden.

3. Es kann sich daher nur fragen, ob die Verfassungsbeschwerde aus anderen Gründen ausnahmsweise als zulässig angesehen werden kann.

Das Bundesverfassungsgericht hat auch unabhängig von der Vorabentscheidung des § 90 Abs. 2 Satz 2 BVerfGG den Rechtsgedanken entwickelt, daß das Gebot der Erschöpfung des Rechtsweges in bestimmten Fällen durch die Zumutbarkeit beschränkt wird. Nach ständiger Rechtsprechung gilt eine solche Einschränkung, wenn dem Beschwerdeführer das Armenrecht für die Beschreitung des Rechtswegs abschließend, d. h. gegebenenfalls nach Durchlaufen des Beschwerdeweges gemäß § 127 ZPO, wegen Aussichtslosigkeit der Rechtsverfolgung verweigert worden ist (BVerfGE 16, 1 [2]). Wenn einer mittellosen Partei das Armenrecht verweigert oder ihr Antrag auf Beiordnung eines Anwalts abgelehnt wird, so wird sie in der Regel tatsächlich daran gehindert, das an sich gegebene Rechtsmittel einzulegen, weil ihr die Mittel für den Kostenvorschuß oder für die Beiziehung eines Anwalts fehlen; mindestens wird ihr die Einlegung des Rechtsmittels wesentlich erschwert. Dies soll nicht zur Verkürzung des Rechtszuges im Verfahren der Verfassungsbeschwerde führen, zumal die Versagung des Armenrechts auf dem gleichen Verfassungsverstoß beruhen kann wie der vorausgehende Hoheitsakt.

Ausnahmen von der Vorschrift des § 90 Abs. 2 Satz 1 BVerfGG sind jedoch eng zu begrenzen, weil die darin zum Ausdruck kommende Subsidiarität der Verfassungsbeschwerde ein Wesensmerkmal dieses außerordentlichen Rechtsbehelfes ist und der besonderen Funktion des Bundesverfassungsgerichts in dem umfassenden Rechtsschutzsystem des Grundgesetzes entspricht (vgl. BVerfGE 1, 97 [103]; 4, 193 [198]; 8, 222 [225, 227]; 21, 209 [216]; 22, 287 [290 ff.]). Die erwähnte Ausnahme ist deshalb nicht gerechtfertigt, wenn die Versagung des Armenrechts die betroffene Partei nicht daran hindert, den Rechtsweg zu erschöpfen. Dies gilt auch bei einer Verweigerung des Armenrechts wegen Aussichtslosigkeit der Rechtsverfolgung, falls der mittellosen Partei trotzdem die Erschöpfung des Rechtswegs tatsächlich möglich und zumutbar ist.

Diese Voraussetzungen sind für das Revisionsverfahren nach dem Sozialgerichtsgesetz jedenfalls dann gegeben, wenn die Partei oder ihr gesetzlicher Vertreter selbst vor dem Bundessozialgericht auftreten können. Das Verfahren vor dem Bundessozialgericht - wie vor den Sozialgerichten überhaupt - ist grundsätzlich kostenfrei (§ 183 SGG). Die im Gegensatz zu der Regelung für das sozialgerichtliche Verfahren des ersten und zweiten Rechtszuges vorgesehene Möglichkeit der Bewilligung des Armenrechts für die Revisionsinstanz (§ 167 SGG) betrifft nur die Kosten der Prozeßvertretung; denn beim Bundessozialgericht besteht grundsätzlich Vertretungszwang (§ 166 Abs. 1 SGG). Das Gesetz nimmt jedoch die Behörden vom Vertretungszwang aus (§ 166 Abs. 1, 2. Halbsatz SGG); ihre Beamten und Angestellten können, soweit sie zur Vertretung der Behörde befugt sind, für sie auch rechtswirksame Prozeßhandlungen vor dem Bundessozialgericht vornehmen. Nach der Rechtsprechung des Bundessozialgerichts greift dieses "Behördenprivileg" auch dann ein, wenn die Behörde nicht selbst Beteiligte des Verfahrens ist, sondern im Rahmen ihrer Aufgaben als gesetzlicher Vertreter eines Beteiligten diesen vor dem Bundessozialgericht vertritt (vgl. BSG 3, 121 [122 f.]; s. a. 12, 288 [289]). Es gilt danach auch für das Jugendamt als Träger der Amtsvormundschaft (vgl. BSG 3, 121 [122 f.]). Ein unter Amtsvormundschaft stehendes Mündel ist also auch ohne Beiordnung eines Armenanwalts in der Lage, das Revisionsverfahren beim Bundessozialgericht durchzuführen.

Es ist dem Mündel oder dem für das Mündel handelnden Amtsvormund grundsätzlich auch zuzumuten, von dieser Möglichkeit Gebrauch zu machen, zumal das Sozialgerichtsverfahren nach seiner Eigenart in besonderem Maße auf den Rechtsschutz der Unbemittelten Rücksicht nimmt. Aus diesem Grunde hat es das Bundesverfassungsgericht für vereinbar mit der Verfassung (Art. 3 Abs. 1, Art. 20 Abs. 1, Art. 103 Abs. 1 GG) erklärt, daß nach der einhelligen Rechtsprechung der Sozialgerichte im ersten und zweiten Rechtszug - abweichend von anderen Verfahren - die Beiordnung eines Anwalts im Armenrechtsverfahren ausgeschlossen ist (BVerfGE 9, 124 [132 ff.]). Nach der Entscheidung sichert die gesamte Gestaltung des Sozialgerichtsverfahren der unbemittelten Partei die Verwirklichung ihres Rechtsschutzes auch ohne die Möglichkeit der Anwaltsbeiordnung in einem solchen Maße, daß die Chancengleichheit im Vergleich zu bemittelten Parteien hinreichend gewährleistet ist. Viele der Merkmale, aus denen das Bundesverfassungsgericht den sozialen Gesamtcharakter des Verfahrens in den Tatsacheninstanzen entnommen hat, kennzeichnen auch das Revisionsverfahren: Die Besonderheit des Parteigegners, die Zusammensetzung des Gerichts, die allgemeine Gebühren- und Kostenfreiheit, die Möglichkeit der Auslagenerstattung und die Aufklärungspflicht des Vorsitzenden (§ 40 i.V.m. § 33 SGG; §§ 183 und 193 Abs. 4 SGG; § 193 Abs. 1 bis 3 SGG; § 165 i.V.m. §§ 153 Abs. 1 und 106 SGG). Zwar ist, wie erwähnt, für das Revisionsverfahren zum Unterschied von den Tatsacheninstanzen die Beiordnung eines Armenanwalts vorgesehen. Dies war jedoch nur geboten, weil § 166 Abs. 1 SGG den Vertretungszwang eingeführt hat, um im Interesse des Rechtsschutzsuchenden und zur Entlastung des Bundessozialgerichts von einer Vielzahl aussichtsloser Revisionen eine fachkundige Prozeßvertretung zu gewährleisten (vgl. Rohwer- Kahlmann, SGG-Kommentar, Bd. II, Rdnr. 1 zu § 166). Dabei geht der Gesetzgeber davon aus, daß bei den Behördenvertretern die notwendige Fachkunde vorausgesetzt werden kann (vgl. BSG, SozR SGG § 166 Bl. Da 8 Nr. 20).

Danach könnte es zweifelhaft sein, ob die Beiordnung eines Armenanwalts überhaupt zulässig ist, soweit kein Vertretungszwang besteht. Für den Fall der Vertretung durch die sog. Verbandsvertreter (§ 166 Abs. 2 Satz 1 SGG) ist dies durch § 167 Abs. 1 SGG ausdrücklich ausgeschlossen. Es könnte naheliegen, im Falle der Vertretung durch eine Behörde zu dem gleichen Ergebnis zu kommen oder jedenfalls das Rechtsschutzbedürfnis für die Beiordnung eines Armenanwalts zu verneinen. Diese dem einfachen Recht angehörende Rechtsfrage bedarf hier jedoch keiner Entscheidung. Jedenfalls ergibt sich aus dem Schutzcharakter des sozialgerichtlichen Verfahrens und dem Sinn der Regelung der §§ 166,167 SGG, daß es einem unbemittelten Beschwerdeführer zugemutet werden kann, auch ohne Anwalt den Rechtsweg zum Bundessozialgericht zu erschöpfen, wenn er durch eine Behörde vertreten ist und sich damit eines Prozeßvertreters bedienen kann, den das Gesetz als hinreichend fachkundig ansieht (vgl. hierzu auch BSG vom 23. Januar 1957 in Maunz- Schraft, Die Sozialversicherung, 6. Band., § 67 SGG, A 9).

4. Dies gilt grundsätzlich auch, wenn, wie im vorliegenden Fall, das Bundessozialgericht sich in der Entscheidung über das Armenrechtsgesuch bereits mit der Sachfrage beschäftigt und der Rechtsverfolgung die Erfolgsaussicht abgesprochen hat. Wenn die Beschwerdeführerin meint, es sei auch bei einer Revisionsentscheidung keine andere Beurteilung der Sache zu erwarten gewesen als im Armenrechtsbeschluß, so übersieht sie einmal, daß der Senat des Bundessozialgerichts eine Sachentscheidung über die Revision in voller Besetzung - nicht nur mit den drei Berufsrichtern - hätte treffen müssen (§ 169 Satz 3 SGG), zum anderen, daß die Entscheidung im Armenrechtsverfahren nur auf einer summarischen Abschätzung der Erfolgsaussichten beruht, während die Revisionsentscheidung notwendig die abschließende Prüfung der maßgebenden Rechtsfragen verlangt.

5. Ist deshalb bei solcher Sachlage einem Beschwerdeführer im allgemeinen zuzumuten, den Rechtsweg zu erschöpfen, so muß doch im vorliegenden Fall zugunsten der Beschwerdeführerin berücksichtigt werden, daß sich die bisherige Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts zur Anwendung des § 90 Abs. 2 Satz 1 BVerfGG nur generell mit der Bedeutung einer Versagung des Armenrechts für die Rechtsmittelinstanz befaßt hat, ohne daß Veranlassung bestand, auf die Besonderheit des sozialgerichtlichen Revisionsverfahrens einzugehen. Die Beschwerdeführerin durfte daher darauf vertrauen, daß eine Verfassungsbeschwerde auch ohne Durchführung der Revision als zulässig angesehen werden würde, falls das Bundessozialgericht das beantragte Armenrecht wegen Aussichtslosigkeit der Rechtsverfolgung versagen sollte. Im Zeitpunkt des Berufungsurteils des Landessozialgerichts konnte auch ein verständiger und informierter Beschwerdeführer davon ausgehen, die erfolglose Durchführung des Armenrechtsverfahrens reiche aus, um der Vorschrift des § 90 Abs. 2 Satz 1 BVerfGG zu genügen.

II.

Der Verfassungsbeschwerde fehlt auch nicht das Rechtsschutzbedürfnis.

1. Das Bundessozialgericht ist der Meinung, es komme für die Entscheidung des Rechtsstreites nicht auf die Verfassungsmäßigkeit des § 82 Abs. 3 AVG an. Denn ein etwaiger Verstoß gegen Art. 3 Abs. 1 GG könne nach der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts (BVerfGE 8, 28 [Leitsatz 3 und S. 36]) nur dazu führen, daß das Bundesverfassungsgericht die Norm für nichtig erkläre oder feststelle, daß die Nichtberücksichtigung der Waisen verfassungswidrig sei; damit würde jedoch noch keine Grundlage für den Klageanspruch geschaffen.

Hieran ist richtig, daß der verfassungsrechtliche Angriff der Beschwerdeführerin sich nicht gegen die Gültigkeit der Norm schlechthin richtet. Die Beschwerdeführerin hält zwar die gesetzliche Regelung in der derzeitigen Form für verfassungswidrig, der Verfassungsverstoß soll jedoch gerade nicht in der positiven Regelung des Gesetzes (Gewährung eines Beitragserstattungsanspruches an Witwen) liegen, sondern in der Unvollständigkeit der Regelung, nämlich darin, daß der Gesetzgeber nicht auch den Waisen einen solchen Anspruch einräumt. Das Begehren der Verfassungsbeschwerde ist also nicht auf die Nichtigkeit der genannten Vorschrift im ganzen gerichtet - damit würde jede Grundlage für den Klageanspruch entfallen -, sondern (positiv ausgedrückt) auf die Ausdehnung der Regelung auf die Waisen oder (negativ ausgedrückt) auf die Nichtigerklärung des Ausschlusses der Waisen von der gesetzlichen Vergünstigung oder jedenfalls auf die Feststellung der Verfassungswidrigkeit dieses Ausschlusses mit dem Ziel ihrer nachfolgenden Einbeziehung durch den Gesetzgeber.

2. Die Zulässigkeit verfassungsrechtlicher Angriffe gegen solche "Gesetzeslücken" unter Berufung auf Art. 3 Abs. 1 GG, besonders dagegen, daß die bestimmten Gruppen zuerkannten Leistungen oder Vergünstigungen trotz angeblich gleichliegenden Sachverhalts nicht auch einer anderen Personengruppe gewährt werden, kann zunächst nicht davon abhängen, auf welche Weise der Wille des Gesetzgebers Ausdruck gefunden hat. Ergibt sich der behauptete Verfassungsverstoß daraus, daß der Gesetzgeber die betroffene Gruppe ausdrücklich ausgeschlossen hat, so bereitet gesetzestechnisch die Zulässigkeit keine Schwierigkeiten, weil ohne weiteres die Möglichkeit besteht, den Verfassungsverstoß dadurch zu beseitigen, daß die Ausschlußvorschrift oder die einschränkenden Satzteile oder Worte für nichtig erklärt werden (vgl. BVerfGE 6, 273 [274]; 22, 163 [164]) mit der Folge, daß die Vergünstigung nunmehr auch der zunächst ausgeschlossenen Gruppe zugute kommt. Liegt dagegen der angebliche Verfassungsverstoß in einem Schweigen des Gesetzgebers - nämlich darin, daß die begünstigende Regelung die benachteiligte Gruppe überhaupt nicht erwähnt und nach Wortlaut und Sinn auch keine entsprechende Anwendung auf sie zuläßt -, so ist es gesetzestechnisch nicht möglich, eine solche Lücke für nichtig zu erklären (vgl. BVerfGE 18, 288 [301]); die Einbeziehung der benachteiligten Gruppe kann also durch eine Nichtigerklärung oder Teilnichtigerklärung der gesetzlichen Regelung nicht erreicht werden. Das Bundesverfassungsgericht kann daher, wenn es den Verfassungsverstoß als gegeben ansieht und dem Anliegen des Beschwerdeführers entsprechen will, im Entscheidungssatz nur aussprechen, daß die bestehende gesetzliche Regelung Art. 3 Abs. 1 GG dadurch verletzt, daß sie die betroffene Personengruppe nicht berücksichtigt; die Einbeziehung der Gruppe in die begünstigende Regelung bleibt dann Sache des Gesetzgebers.

Die Möglichkeit einer solchen Feststellung reicht aber aus, um die Zulässigkeit einer Verfassungsbeschwerde zu begründen, wenngleich in diesem Falle dem Gebot des § 95 Abs. 3 Satz 2 BVerfGG nicht entsprochen werden kann. Nach § 95 Abs. 1 BVerfGG ist in der stattgebenden Entscheidung festzustellen, durch welche Handlung oder Unterlassung das Grundgesetz verletzt wurde. Gegenüber diesem allgemeinen Grundsatz, der nach seinem Wortlaut auch die bezeichneten Fälle einer "Gesetzeslücke" umfaßt, muß § 95 Abs. 3 BVerfGG, der eine den Normalfall betreffende nähere Regelung zu Abs. 1 enthält, zurücktreten, wenn nach der Lage des Falles eine Nichtigerklärung nicht möglich ist oder dem berechtigten Anliegen des Beschwerdeführers nicht Rechnung tragen würde (vgl. BVerfGE 13, 248 [260 f.]).

3. Eine Nichtigerklärung der gesetzlichen Regelung kann aber auch aus materiellen Gründen ausscheiden, und zwar selbst dann, wenn sie gesetzestechnisch möglich wäre. In den bezeichneten Fällen kann ein Verstoß des Gesetzgebers gegen Art. 3 Abs. 1 GG regelmäßig auf verschiedene Weise geheilt werden: Entweder wird die übergangene Gruppe in die gesetzliche Vergünstigung einbezogen, oder die Vergünstigung wird überhaupt beseitigt, oder der Kreis der Begünstigten wird nach anderen, dem Art. 3 Abs. 1 GG entsprechenden Merkmalen abgegrenzt. Welche dieser Möglichkeiten im konkreten Fall gewählt werden soll, muß grundsätzlich der Gestaltungsfreiheit des Gesetzgebers überlassen bleiben, zumal ihm bei begünstigenden Regelungen im Rahmen des Art. 3 Abs. 1 GG ein weiter Ermessensspielraum zusteht (vgl. BVerfGE 11, 50 [60]; 12, 151 [166]; 17, 210 [216]). Das Bundesverfassungsgericht darf daher bei Feststellung des Verfassungsverstoßes nicht selbst die verletzte Gleichheit wiederherstellen, indem es die gesetzliche Vergünstigung auf die übergangene Personengruppe ausdehnt, weil es damit der Entscheidung des Gesetzgebers vorgreifen würde. Etwas anderes gilt nur, wenn mit Rücksicht auf einen zwingenden Verfassungsauftrag oder nach den sonstigen Umständen des Einzelfalles nur diese eine Möglichkeit zur Beseitigung des Verfassungsverstoßes in Betracht kommt (vgl. BVerfGE 17, 148 [152 f.]; 22, 163 [174 f.]).

Im vorliegenden Fall ist - wie die Bundesregierung und die Bundesanstalt für Angestelltenversicherung zutreffend ausführen - nicht mit Sicherheit anzunehmen, daß der Gesetzgeber bei Kenntnis eines etwaigen Gleichheitsverstoßes auch den Waisen den Anspruch auf Beitragserstattung gewährt hätte oder gewähren würde. Vielmehr ist nicht ausgeschlossen, daß er in diesem Fall auf die Regelung ganz verzichtet oder daß er den Kreis der Begünstigten anders abgegrenzt hätte, indem er etwa an unterhalts- oder erbrechtliche Beziehungen oder an die Hausgemeinschaft mit dem verstorbenen Versicherten anknüpfte.

Die durch den Grundsatz der Gewaltenteilung und die Funktion des Bundesverfassungsgerichts gebotene Zurückhaltung gegenüber dem Gesetzgeber darf das Bundesverfassungsgericht nicht daran hindern, gesetzliche Regelungen der genannten Art auf Verfassungsverstöße zu prüfen; sie verlangt nur, daß das Bundesverfassungsgericht durch seinen Spruch nicht in die Entscheidungsfreiheit des Gesetzgebers eingreift. Ergibt seine Prüfung einen Gleichheitsverstoß, so muß es sich mit der Feststellung des Verstoßes begnügen, falls mehrere Möglichkeiten zu seiner Beseitigung bestehen. Zwar gibt die bloße Feststellung, daß die gesetzliche Regelung in der bestehenden Form verfassungswidrig ist, dem Beschwerdeführer noch keine Rechtsgrundlage für den im Ausgangsverfahren geltend gemachten Anspruch. Sie eröffnet ihm aber immerhin die Chance, daß der Gesetzgeber bei der Herstellung der verletzten Gleichheit auch die bisher übergangene Gruppe ganz oder zum Teil einbezieht. Richtet sich die Verfassungsbeschwerde - wie im vorliegenden Fall - nur mittelbar gegen das nach Ansicht des Beschwerdeführers lückenhafte Gesetz, unmittelbar aber gegen gerichtliche Entscheidungen, die seinen Anspruch auf Beteiligung an der begünstigenden Regelung ablehnen, so werden, wenn die Verfassungsbeschwerde Erfolg hat, zugleich mit der Feststellung der Verfassungswidrigkeit des Gesetzes auch die gerichtlichen Entscheidungen aufgehoben; denn sie "beruhen" in einem weiteren Sinn auf der verfassungswidrigen gesetzlichen Regelung, indem sie deren Konsequenzen in einem Einzelfall bestätigen. Freilich müssen die Gerichte, an die die Sache vom Bundesverfassungsgericht zurückverwiesen wird, das Verfahren aussetzen, bis der Gesetzgeber tätig geworden ist. Hierdurch wird dem Beschwerdeführer jedoch die Chance offengehalten, an einer etwaigen Erweiterung der begünstigenden Regelung durch den Gesetzgeber teilzuhaben, ohne daß ihm die Rechtskraft eines klageabweisenden Urteils entgegengehalten werden kann (vgl. BVerfGE 15, 46 [76 f.]).

Der Beschwerdeführer hat also die Möglichkeit, durch seine Verfassungsbeschwerde eine Entwicklung in Gang zu setzen, die im weiteren Verlaufe dazu führen kann, daß die fehlerhafte gesetzliche Regelung, die sein Grundrecht auf Gleichheit vor dem Gesetz beeinträchtigt, zu seinen Gunsten geändert wird. Dies genügt, um das Rechtsschutzbedürfnis zu bejahen.

D.

Die Verfassungsbeschwerde ist unbegründet.

I.

Die von der Beschwerdeführerin geltend gemachte Verletzung ihres Grundrechts aus Art. 3 Abs. 1 GG soll darin liegen, daß ihr nach dem Tode ihrer Mutter kein Anspruch auf Beitragserstattung zusteht, obwohl sie zu den rentenberechtigten Hinterbliebenen i. S. der §§ 40 Abs. 1, 44 Abs. 1 AVG gehört und nur mangels Erfüllung der Wartezeit keine Waisenrente erhält, während der hinterbliebenen Ehefrau eines verstorbenen Versicherten unter sonst gleichen Voraussetzungen ein solcher Anspruch zuerkannt ist. Die angegriffene Benachteiligung beruht nach der gesetzlichen Regelung auf zwei Differenzierungen:

1. Der Anspruch steht nur dem Ehegatten eines verstorbenen Versicherten, nicht seinen - ehelichen oder unehelichen - Kindern zu.
2. Der Anspruch ist nur für Hinterbliebene eines versicherten Mannes, nicht einer versicherten Frau vorgesehen.

II.

Nach den in ständiger Rechtsprechung vom Bundesverfassungsgericht zu Art. 3 Abs. 1 GG entwickelten Prüfungsmaßstäben verstößt es nicht gegen den allgemeinen Gleichheitssatz, wenn der Gesetzgeber bei der Regelung der Beitragserstattung die Witwe und die Waisen eines Versicherten verschieden behandelt hat. Denn in dem hier maßgebenden Zusammenhang konnte der Gesetzgeber, ohne den Gerechtigkeitsgedanken zu verletzen, die Verhältnisse der beiden Gruppen von Hinterbliebenen als "ungleich" ansehen, da sich für die Differenzierung sachliche Gesichtspunkte finden lassen (vgl. BVerfGE 9, 124 [129 f.]; 9, 334 [337]; 14, 221 [238]; 17, 122 [131]).

1. Die beanstandete Regelung des § 82 Abs. 3 AVG ist erst bei der Neuregelung der Rentenversicherung im Jahre 1957 eingeführt worden. Sie hat kein Vorbild im früheren Recht, das nur unter ganz anderen Voraussetzungen eine Beitragserstattung vorsah.

Der Entwurf der Bundesregierung für ein Gesetz zur Neuregelung des Rechts der Rentenversicherung der Arbeiter und der Angestellten vom 5. Juni 1956 (BT-Drucks. II/2437) wollte allein dem Versicherten selbst einen Anspruch auf Beitragserstattung einräumen (vgl. die Neufassung von § 1306 RVO und § 26 AVG, a.a.O. S. 23 und 41) und begründete dies wie folgt:

Da es keine Altersgrenze für das Eintreten der Versicherungspflicht gibt und auch in der Erwerbsfähigkeit geminderte, aber noch nicht invalide Personen der Versicherungspflicht unterliegen, war - um Unbilligkeiten auszuschließen - eine neue Vorschrift einzufügen, nach der den Versicherten, die bei Eintritt des Versicherungsfalles keinen Anspruch auf eine Leistung haben und auch nicht mehr erwerben können, oder für die die Möglichkeit der freiwilligen Weiterversicherung ausgeschlossen ist, die Hälfte der für sie entrichteten Beiträge zu erstatten ist ... (vgl. BT-Drucks., a.a.O., B Besonderer Teil, Artikel 1, Zweiter Abschnitt A IV S. 80).

Der Ausschuß für Sozialpolitik des Bundestages billigte die vorgeschlagene Regelung - von hier nicht interessierenden Änderungen abgesehen - (vgl. Schriftlicher Bericht BT-Drucks. II/3080 S. 90.91 und zu BT-Drucks. II/3080 S. 18).

In der zweiten Lesung beantragte die Fraktion der DP, die Vorschrift des § 82 AVG durch eine dem jetzigen Absatz 3 entsprechende Vorschrift über die Beitragserstattung an die Witwe eines verstorbenen Versicherten zu ergänzen (vgl. Sten. Berichte BT II/186. Sitzung, Anlage 4 Nr. 52 und 53, S. 10477).
Die Bundestagsabgeordnete Frau Kalinke begründete den Antrag mündlich wie folgt:

Ich möchte annehmen, daß die von uns beantragte Regelung auch in der Regierungsvorlage nur vergessen worden ist. Denn ich kann mir nicht denken, daß auch hier, wie bei so vielen anderen Fragen, die Frauen schlechter behandelt werden sollen. In der Regel gilt das ja immer nur für die berufstätigen und alleinstehenden Frauen. Hier handelt es sich aber um die Witwen; und für die haben Sie doch generell mehr Verständnis. Ich bitte also darauf hinweisen zu dürfen, daß nach der Ausschußvorlage zwar für den Versicherten selber die Beitragsrückerstattung erfolgt, wenn die Wartezeit nicht erfüllt ist und er keinen Anspruch hat, daß aber, wenn dieser Versicherte stirbt, bevor die Wartezeit erfüllt ist, und deshalb ein Anspruch auf Witwenrente nicht geltend gemacht werden kann, die Witwe nicht einmal die Beitragsanteile erstattet bekommt, die der Versicherte doch in der Hoffnung eingezahlt hat, daß seiner Witwe im Falle seines Todes eine Rente gezahlt werde. Ich bitte um der Gleichbehandlung derjenigen willen, die für Beiträge eine Leistung erwarten, diese aber wegen nicht erfüllter Wartezeit nicht bekommen können, unserem Antrag zuzustimmen. (Sten. Berichte BT II/186. Sitzung S. 10417).

Dem Bundestag lag gleichzeitig noch ein weitergehender Antrag der FDP-Fraktion vor, wonach der Anspruch auf Beitragserstattung auch den Hinterbliebenen einer verstorbenen Versicherten zustehen sollte, und zwar nacheinander dem Ehegatten, den Kindern sowie den Eltern, die mit dem Versicherten in häuslicher Gemeinschaft gelebt haben (vgl. Sten. Berichte BT II/186. Sitzung, Anlage 3 Nr. 59, 60, S. 10475).

Bei der mündlichen Begründung im Plenum erklärte der Sprecher der Antragsteller, die vorgeschlagene Bestimmung sei an sich selbstverständlich und bei den Ausschußberatungen anscheinend nur übersehen worden (vgl. Sten. Berichte BT II/186. Sitzung, Anlage 3 Nr. 59, 60, S. 10475).

Das Plenum lehnte diesen Antrag ab und stimmte dem Antrag der Fraktion der DP zu. Der Gesetzgeber hat also die Regelung zugunsten der Hinterbliebenen des Versicherten bewußt auf die Witwe beschränkt und die Berücksichtigung der Waisen nicht übersehen.

2. Die Entstehungsgeschichte ergibt auch, daß für die Einführung der Beitragserstattung allein Billigkeitserwägungen maßgebend waren. Das Bedürfnis dafür entstand hauptsächlich, weil die Neuregelungsgesetze die Voraussetzungen für die freiwillige Weiterversicherung wesentlich verschärft haben. Während die Versicherten nach altem Recht bereits nach einer Pflichtversicherungszeit von 26 Wochen oder sechs Monaten zur freiwilligen Weiterversicherung berechtigt waren, besteht ein solches Recht nach der Neuregelung nur noch, wenn der Versicherte binnen zehn Jahren während mindestens 60 Kalendermonaten Beiträge für eine rentenversicherungspflichtige Tätigkeit entrichtet hat. Das neue Rentenrecht kennt auch keine Altersgrenze für den Eintritt der Versicherungspflicht. Es mußte sich daher eine verhältnismäßig große Zahl von Fällen ergeben, in denen Angestellte erhebliche Summen für Beiträge zur Angestelltenversicherung aufgewendet hatten, ohne daß sie zur freiwilligen Weiterversicherung und damit zum Erwerb des Anspruchs auf künftige Versicherungsleistungen berechtigt gewesen wären. Hier sollte die Beitragserstattung eine billige Entschädigung für den Verlust des Rechts auf Weiterversicherung sein (BSG 14, 33 [35]; Elsholz-Theile, Die gesetzliche Rentenversicherung, 1963, Nr. 86 Rdnr. 2a).

Ähnlich ist auch die Beitragserstattung in den Fällen des § 82 Abs. 2 AVG zu sehen, in denen aus anderen Gründen der eigentliche Zweck der Rentenversicherung - die Alterssicherung und die Sicherung des Unterhalts bei Berufs- oder Erwerbsunfähigkeit des Versicherten - nicht erreicht wird. Es handelt sich dabei nicht um einen Rechtsanspruch, der mangels ausdrücklicher Regelung aus dem Versicherungsverhältnis abzuleiten wäre; denn das Risiko, bei Nichterfüllung der zeitlichen und sonstigen Voraussetzungen den Versicherungsanspruch ersatzlos zu verlieren, gehört zum Wesen der Versicherung. Außerdem hat der Versicherungsträger während der Versicherungszeit jedenfalls das Risiko eines Rentenanspruchs auf Invaliditäts- oder Hinterbliebenenrente in den Fällen getragen, in denen eine Wartezeit entfällt (z. B. Berufsunfähigkeit oder Tod durch Arbeitsunfall oder Kriegseinwirkung). Vielmehr ist die Regelung als eine Billigkeitsmaßnahme gedacht; dem Versicherten soll das Gefühl erspart werden, er habe seine Beiträge "umsonst" geleistet. Dagegen kann die Beitragserstattung naturgemäß selbst nicht den Zweck der Unterhaltssicherung erfüllen und ist auch unabhängig von der Bedürftigkeit des Erstattungsberechtigten.

3. Unter diesem Blickpunkt lag es nahe, daß der Regierungsentwurf und der Bundestagsausschuß nur eine Erstattung der Beiträge an den Versicherten selbst vorsahen; denn dieser hat die Beiträge aus seinem Einkommen entrichtet. Wenn der Gesetzgeber darüber hinaus auch der Witwe einen Anspruch eingeräumt hat, so handelt es sich um eine zusätzliche Billigkeitsmaßnahme, für die ihm ein besonders weiter Ermessungsspielraum zugestanden werden muß (vgl. BVerfGE 11, 245 [253]; 12, 354 [367]; 17, 210 [216]). Freilich durfte der Gesetzgeber bei der von ihm getroffenen Auswahl im Kreise der Hinterbliebenen, besonders der nach §§ 41 ff. AVG rentenberechtigten Hinterbliebenen, nicht willkürlich verfahren. Dies ist - soweit es sich um die hier zur Prüfung stehende Differenzierung zwischen Witwen und Waisen handelt - nicht geschehen.

Als sachlicher Grund für die Beschränkung der Beitragserstattung auf die Witwe würde es schon ausreichen, daß Regelungen für Massenerscheinungen, wie die Rentenversicherungsverhältnisse sie darstellen, möglichst einfach und praktikabel gestaltet werden müssen (vgl. BVerfGE 22, 163 [169]; 17, 1 [23]). Hätte der Gesetzgeber die Beitragserstattung auf die Waisen ausgedehnt, so hätte er die Rangfolge im Verhältnis von Witwen und Waisen regeln oder bestimmen müssen, wie der Anspruch zwischen der Witwe und den Waisen sowie den Waisen untereinander aufzuteilen ist. Die dadurch notwendige Verwaltungsarbeit hätte die Durchführung der Beitragserstattung unverhältnismäßig kompliziert, zumal es sich hier nicht um eine existenzsichernde Dauerleistung handelt wie bei einer Rente, sondern um die einmalige Leistung eines oft nur geringen Betrages.

Vor allem läßt sich die Differenzierung zwischen Witwen und Waisen damit rechtfertigen, daß im Regelfall die Ehefrau eines Versicherten einen wesentlichen Beitrag zum Familienunterhalt leistet. Das gilt nicht nur für die erwerbstätige Ehefrau; gerade auch die Arbeit der nicht erwerbstätigen Ehefrau im Haushalt und bei der Erziehung der Kinder sowie ihre Mithilfe im Geschäft oder Beruf des Mannes ist als gleichwertig mit dem Unterhaltsbeitrag des erwerbstätigen Ehemannes anzusehen (vgl. § 1360 Satz 2 BGB und BVerfGE 17, 1 [11 ff.]; 22, 93 [96]). Der Gesetzgeber konnte daher davon ausgehen, daß die Unterhaltsleistungen der Ehefrau, wirtschaftlich betrachtet, dazu beigetragen haben, dem Versicherten die Aufbringung der Beiträge zur Rentenversicherung zu ermöglichen, durch welche die Alterssicherung beider Ehegatten - Sicherung des Unterhalts bei Invalidität oder Tod des erwerbstätigen Ehemannes - gewährleistet werden sollte. Dagegen tragen die Kinder eines Versicherten nur in seltenen Fällen zum Familienunterhalt bei; in der Regel sind sie nur die Nutznießer der vom Versicherten mit Hilfe seiner Ehefrau aufgebrachten Mittel und der dadurch erworbenen Ansprüche.

Den Umstand, daß die wirtschaftliche und finanzielle Situation der Witwen und Waisen nach dem Tode des Versicherten normalerweise die gleiche sein wird, konnte der Gesetzgeber auch deswegen vernachlässigen, weil es für die Beitragserstattung überhaupt nicht auf die Hilfsbedürftigkeit des Erstattungsberechtigten ankommt. Es mag sozialpolitisch unbefriedigend sein, daß die Waisen selbst dann keinen Erstattungsanspruch haben, wenn eine überlebende Ehefrau nicht vorhanden ist; eine Verfassungsverletzung läßt sich daraus jedoch nicht herleiten.

Da die verschiedene Behandlung von Witwen und Waisen nicht gegen den Gleichheitssatz verstößt, bedarf es nicht mehr der Prüfung, ob die Differenzierung zwischen den Hinterbliebenen einer versicherten Frau und denen eines versicherten Mannes Art. 3 Abs. 1 GG verletzt.