RG, 27.10.1880 - I 847/80

Daten
Fall: 
Erfüllungsort und Gerichtsstand bei synallagmatischen Verträgen
Fundstellen: 
RGZ 2, 121
Gericht: 
Reichsgericht
Datum: 
27.10.1880
Aktenzeichen: 
I 847/80
Entscheidungstyp: 
Urteil
Instanzen: 
  • SG Berlin
  • KG Berlin

Ist bei zweiseitigen Verträgen der Erfüllungsort und folgeweise auch der Gerichtsstand des Erfüllungsortes für beide Kontrahenten derselbe?

Tatbestand

Die Parteien haben in Karlsruhe, während sich dort der in Berlin domizilierte Inhaber der klagenden Handlung auf einer Reise aufhielt, einen Vertrag des Inhalts geschlossen, daß Klägerin dem Beklagten eine Kollektion von Musterschirmen, welche der Inhaber der klagenden Handlung bei sich führte, zu verabredeten Preisen verkaufte, aber erst nach beendeter Reise die Schirme von Berlin aus dem Beklagten nach Karlsruhe schicken sollte. Nachdem die Schirme dem Beklagten verabredetermaßen von Berlin aus nach Karlsruhe geschickt sind, hat Klägerin gegen den Beklagten bei dem Landgericht in Berlin als dem vermeintlichen Gericht des Vertragserfüllungsortes Klage auf Zahlung des Kaufpreises erhoben. Der Beklagte, welcher der Meinung ist, daß Karlsruhe bezüglich der Erfüllung seiner, des Käufers, Verpflichtungen, namentlich zur Zahlung des Kaufpreises, der gesetzliche Erfüllungsort sei, und daß er daher bei dem Landgericht in Karlsruhe hätte verklagt werden müssen, hat die prozeßhindernde Einrede der Unzuständigkeit des Landgerichts in Berlin erhoben. Durch die gleichförmigen Urteile des Landgerichts und des Kammergerichts zu Berlin ist diese Einrede verworfen worden. Auf die Revision des Beklagten ist aber die Einrede für begründet erachtet und die Klage abgewiesen worden aus folgenden Gründen:

Gründe

"Nach §. 29 C.P.O. ist für Klagen auf Erfüllung eines Vertrages das Gericht des Ortes zuständig, wo die streitige Verpflichtung zu erfüllen ist. Die Entscheidung über die Zuständigkeit im vorliegenden Falle hängt also davon ab, an welchem Orte die Verpflichtung des beklagten Käufers zur Berichtigung des Kaufpreises zu erfüllen ist. Nach Inhalt des Vertrages ist, wie die Vorinstanzen mit Recht annehmen, die Verpflichtung des Verkäufers zur Übergabe der verkauften Ware in Berlin zu erfüllen gewesen, da Klägerin dieselben von Berlin aus dem Beklagten nach Karlsruhe übersenden sollte. Daraus folgt aber keineswegs, wie die Vorinstanzen mit Unrecht annehmen, daß Berlin auch als Erfüllungsort für die Erfüllung der Verpflichtung des Käufers zu gelten habe. Der Ort der Erfüllung ist bei Kaufverträgen keineswegs immer für beide Kontrahenten der gleiche; dies ist namentlich dann nicht notwendig der Fall, wenn nicht von beiden Kontrahenten Zug um Zug zu erfüllen, vielmehr von dem einen Kontrahenten vorzuleisten ist, wie das hier der Fall ist, da der Beklagte mit der Sendung der verkauften Waren von Berlin nach Karlsruhe den Anfang zu machen und Beklagter erst nach der Ankunft der Waren in Karlsruhe den Kaufpreis zu zahlen hatte. In diesem Falle entscheidet über den Ort der Erfüllung der Pflichten des Käufers der Art. 324 H.G.B. Da die Instanzrichter nicht tatsächlich festgestellt haben, im Vertrage sei bestimmt, der Käufer habe an einem anderen Orte, als Karlsruhe, seine Vertragspflicht zu erfüllen, oder daß sich dieses aus der Natur des Geschäfts oder aus der Absicht der Kontrahenten ergebe, so ist nach Art. 324 Abs. 2 H.G.B. Karlsruhe, wo der Beklagte zur Zeit des Vertragsschlusses seine Handelsniederlassung und seinen Wohnsitz hatte, als Ort der Erfüllung der Pflichten des Käufers anzusehen." (Es folgt dann eine mit derjenigen im Bd. 1 der Entscheidungen in Civilsachen S. 445 flg. übereinstimmende Ausführung über Art. 325 H.G.B, und das Verhältnis des §. 29 C.P.O. zu diesem Artikel, worin auch die Annahme des Berufungsgerichtes, daß Art. 325 Abs. 2 durch §. 29 "wesentlich beseitigt" sei, reprobiert wird.)