RG, 15.10.1880 - II 79/80
Principien des französischen Rechts über die Zwangsvollstreckung gegen Gemeinden. Inwiefern sind diese Principien durch das Gesetz vom 7. März 1822 modifiziert?
Tatbestand
Auf Grund eines Urteils vom 23. Nov. 1874 schuldete die Gemeinde B. dem Geschäftsmann U. die Summe von 733 M., für welche letzterer am 31. Juli 1877 Zahlungsbefehl zustellen ließ und Beschlagnahme von Immobilien erwirkte. Die Gemeinde legte Einspruch ein, infolge dessen durch gleichlautende Urteile zweier Instanzen die Zwangsvollstreckung für unzulässig erklärt wurde. Der erhobene Kassationsrekurs wurde verworfen aus folgenden Gründen:
Gründe
"In Erw., daß nach den Grundsätzen des französischen Rechts die Gerichte zwar kompetent waren, über Ansprüche gegen die Gemeinden zu erkennen und Verurteilungen gegen dieselben auszusprechen;
daß aber eine Zwangsvollstreckung im gewöhnlichen Verfahren gegen die Gemeinden nicht stattfand, der Gläubiger vielmehr an die höhere Verwaltungsbehörde sich zu wenden hatte, welche dann Art und Zeit der Tilgung der Schulden je nach den vorhandenen Mitteln bestimmte, arr. vom 12. Brum. XI, Staatsratsgutachten v. 12. August 1807 und 26. Mai 1813; daß diese Vorschriften ihren Grund darin hatten, daß die Gemeinden nur budgetmäßige Ausgaben machen konnten, und andererseits auch nicht in der Lage sich befanden, in beliebiger Weise Mittel zur Befriedigung der Gläubiger flüssig zu machen.
In Erw., daß der §. 25 des Ressort-Reglements vom 20. Juli 1818 bestimmt, daß es, soviel die Vollstreckung der wider den Fiskus, eine Gemeinde ... ergangenen Urteile betrifft, bei den bisherigen Formen sein Bewenden habe, und damit, wie nicht zu bezweifeln ist, jene früheren Vorschriften grundsätzlich aufrecht erhalten sind;
daß letztere auch durch kein späteres Gesetz und namentlich nicht, wie die Rekursschrift annimmt, durch das Gesetz vom 7. März 1822 aufgehoben worden sind;
daß nämlich bei dem Masse dieses Gesetzes der Gesetzgeber nicht die Absicht hatte, bezüglich der Feststellung und Beitreibung der Schulden der Gemeinden überhaupt neue Normen aufzustellen, dasselbe vielmehr, wie sich aus der Einleitung und der ganzen Fassung desselben ergiebt, lediglich die in früherer Zeit von den Gemeinden kontrahierten Schulden zum Gegenstande hatte, für welche das Dekret vom 9. Vendemiaire XIII mit seinem in der Rekursschrift durchaus irrig aufgefaßten Unterschiede zwischen der sogenannten alten und der neuen Schuld, sowie ferner das Dekret vom 21. August 1810 maßgebend waren, und wesentlich bezweckte, unter Aufhebung jenes Unterschiedes einen anderweiten Modus für die Ordnung und Tilgung der fraglichen Schuldverhältnisse einzuführen;
daß das Fortbestehen jener früheren Bestimmungen auch mit den Vorschriften der rheinischen Gemeindeordnung vom 23. Juli 1845 §. 87 (und der rheinischen Städteordnung vom 15. Mai 1856 §. 84) durchaus im Einklange steht;
daß nach alle diesem der Appellationsrichter mit Recht angenommen hat, daß das Gesetz vom 7. März 1822 auf den gegenwärtigen Fall keine Anwendung findet, und der eingelegte Rekurs als ungerechtfertigt sich darstellt."