RG, 30.04.1880 - IVa 1185/79

Daten
Fall: 
Entstehung eines Anspruches nach Prozessbeginn
Fundstellen: 
RGZ 1, 425
Gericht: 
Reichsgericht
Datum: 
30.04.1880
Aktenzeichen: 
IVa 1185/79
Entscheidungstyp: 
Urteil
Instanzen: 
  • Stadtgericht Berlin
  • Kammergericht Berlin

Steht der Umstand, daß die Bedingung der Entstehung des eingeklagten Anspruchs beim Prozeßbeginn noch nicht existent gewesen, sondern erst im Laufe des Prozesses eingetreten ist, der Verurteilung des Beklagten entgegen?

Tatbestand

In dem Vertrage vom 22. November 1876 verpflichteten sich die Beklagten, dem Bauunternehmer W. zum Zwecke der Erbauung eines Hauses 70000 Mark (abzüglich eines sogenannten Damno von 7000 Mark) zur Verfügung zu stellen, so zwar, daß das Geld in bestimmten Raten je nach den Fortschritten des Baues gezahlt werden sollte. Einige Raten wurden getilgt, andere standen noch aus. K. als Cessionar klagte die dreizehnte Rate ein. Kontraktlich war die Zahlbarkeit dieser Rate von der Einhängung der Thüren des Baues abhängig. Die Beweisaufnahme erster Instanz ergab, daß die Nebengebäude überhaupt noch fehlten. Deshalb wies der erste Richter den Anspruch zur Zeit ab. In zweiter Instanz aber behauptete der Kläger und gestanden die Beklagten zu, daß nach der Beweisaufnahme die (Nebengebäude errichtet und die) sämtlichen Thüren des Neubaues eingehängt worden. Der Appellationsrichter erachtete nunmehr die Bedingung der Zahlbarkeit als erfüllt und verurteilte in der Hauptsache klaggemäß. Im Übrigen aus folgenden Gründen:

Gründe

"Die Beklagten meinen, daß der Kläger mit der Behauptung des erst nach der Klagebehändigung erfolgten Eintrittes der Bedingung in diesem Prozesse nicht mehr gehört werden könne. Dem Appellationsrichter muß jedoch im Resultate seiner Erwägungen beigetreten werden.

Daß der Prozeß durch die Klagebehändigung in der Art befestigt wird, daß neue Behauptungen, welche zur Begründung der Klage gehören, regelmäßig nicht mehr zu berücksichtigen sind, wenn sie nach der Klagebehändigung vorgebracht werden, ist allerdings anerkannten Rechtens. Aber im Anschlusse an einige Stellen der römischen Rechtsbücher, insbesondere an I. 16 pr. D. de hered. pet. (5, 3), I. 27 §. 1 D. de rei vind. (6, 1), 1. 9 §. 5 D. de pign. act. (13, 7), I. 30 pr. D. de pecul. (15, 1), I. 1 §. 21 D. depos. (16, 3), I. 17 D. mand. (17, 1), I. 5 §. 1 C. de contr. et comm. stip. (8, 37), hat die Praxis des gemeinen Rechtes in älterer, wie in neuerer Zeit bei betagten und bedingten Forderungen, wenn die Zeit der Erfüllung oder die Bedingung nach der Klagebehändigung, aber zur Zeit der Urteilsfällung eingetreten war, sich gegen die Verweisung des Klägers zu einem neuen Prozesse und für eine Verurteilung des Beklagten ausgesprochen.

Unter den älteren Juristen ist namentlich Voet, comment. ad paud. lib. V tit. 1 §. 26 zu erwähnen, wo es heißt:

Quod su pendente debiti conditione debitum in judico coeptum sit peti, ac lite pendente existat conditio, ne tum quidem reum condemnandum esse; sed magis a judicii observatione dimittendum prima fronte suadere videtur juris regula; - sed contrarium magis jure civili probatum esse ex eo apparet, quod Ulpianus scipsit, debitorem conditionalem pendente conditione conventum actione ex stipulatu vel petitione hereditatis, tanquam juris possessorem condemnari debere, si modo rei judicandae tempore conditio existerit, atque ita venerit dies obligationis.

Von den neueren Prozessualisten bezeugen Linde , Lehrb. des Civilproz. §. 197 Note 4, und Bayer , Vorträge 10. Aufl. S. 540, die Praxis, daß wenn die Bedingung des streitigen Anspruches auch nur zur Zeit des Endurteiles existiere, eine Verurteilung des Beklagten erfolge. Bayer spricht sich dahin aus, daß, wer vor der Zeit klage, nicht mehr die alte Strafe der plus petitio tempore verwirke, sondern mit der Klage abgewiesen werde, daß aber, wenn der dies oder die conditio_ noch vor erfolgter Abweisung eintrete, auf den Umstand, daß zu früh geklagt werde, jetzt gar nicht mehr Rücksicht genommen werde. - Die in Seuffert's Archiv Bd. 3 Nr. 204, Bd. 8 Nr. 91, Bd. 19 Nr. 271, Bd. 21 Nr. 159, 267, 271, Bd. 25 Nr. 75, Bd. 26 Nr. 276 abgedruckten Entscheidungen höchster Gerichtshöfe stehen - wenigstens in Ansehung des dies - auf gleichem Boden. Ebenso das Erk. des R.O.H.G.'s in den Entsch. Bd.1 Nr.5 S.30 und in Seuffert's Archiv Bd.25 Nr.176. - Allerdings ist die in Rede stehende Praxis keineswegs unbestritten. Sie ist auch nicht von allen früheren höchsten Gerichtshöfen Deutschlands geteilt worden. Aber das preußische Recht steht, wie sich aus der Bestimmung des §. 5a, A.G.O. I. 10 in Verbindung mit dem im §. 3 Nr. 1 u. 2 das. I. 23 einer plus petitio in Ansehung der Zeit beigelegten Einflusse auf die Bestimmung des Kostenpunktes ergiebt, auf dem Boden der Auffassung, nach welcher bei einem nach der Klagebehändigung erfolgten Eintritt des dies oder der conditio die Verurteilung des Beklagten auszusprechen ist. Die Berücksichtigung der Behauptung, daß während des Prozesses der dies oder die conditio eingetreten sei, wird allerdings davon abhängig gemacht werden müssen, daß darin keine Beschränkung der Verteidigung zu erkennen ist. Wenn aber, wie im vorliegenden Falle, die vom Kläger behauptete Thatsache von den Beklagten eingeräumt worden ist, so läßt sich von ihrer Berücksichtigung eine Beschränkung der Verteidigung nicht wohl befürchten."