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RG, 17.05.1920 - VI 49/20

Daten
Fall: 
Restitutionsklage auf das Auffinden einer Urkunde
Fundstellen: 
RGZ 99, 168
Gericht: 
Reichsgericht
Datum: 
17.05.1920
Aktenzeichen: 
VI 49/20
Entscheidungstyp: 
Urteil
Instanzen: 
  • LG Torgau
  • OLG Naumburg o. E

1. Über den Gang des Wiederaufnahmeverfahrens.
2. Was hat der Kläger, der die Restitutionsklage auf das Auffinden einer Urkunde stützt, zu beweisen?
3. Darf das Berufungsgericht den von dem Vorderrichter auferlegten Eid beseitigen, ohne daß es vom Gegner beantragt ist?

Tatbestand

Die Parteien streiten darüber, ob ein Geldbetrag dem Beklagten als Darlehen oder als Gesellschaftseinlage gegeben wurde. Das Landgericht hatte den Kläger darüber zum richterlichen Eide zugelassen. Das Oberlandesgericht hat dagegen durch Urteil vom 2. April 1914 auf den dem Beklagten zugeschobenen Eid erkannt, daß er das Geld nicht als Darlehen bekommen habe. Die Revision des Klägers wurde am 29. Oktober 1914 zurückgewiesen. Zur Läuterung des Urteils ist es nicht gekommen. Der Kläger hat mit der Behauptung, er habe am 17. Dezember 1914 den von dem Beklagten unterschriebenen Darlehnsschuldschein über die Forderung gefunden, am 13. Januar 1915 gemäß § 580 Nr. 7b ZPO. die Restitutionsklage erhoben.

Das Oberlandesgericht hat durch Zwischenurteil die Restitution für begründet erachtet und durch Endurteil den Beklagten unbedingt verurteilt den eingeklagten Betrag zu bezahlen. Die Revision des Beklagten hatte Erfolg.

Gründe

"Das Berufungsgericht hat das Zwischenurteil, das die Restitutionsklage "für begründet erachtet", in dem Schlußurteil dahin erläutert, daß die Klage "als zulässig hätte erachtet werden sollen". Diese Auslegung stimmt nicht mit dem Inhalte des Zwischenurteils, das die Zulässigkeit der Klage nur flüchtig streift und hauptsächlich die Echtheit der aufgefundenen Urkunde prüft und bejaht, also den Restitutionsgrund für vorhanden und damit die Klage für begründet hält. Nach der Anleitung, die das Reichsgericht in der Entscheidung RGZ. Bd. 75 S. 53 über den Gang des Wiederaufnahmeverfahrens gegeben hat, konnte ein Zwischenurteil über die Zulässigkeit und zugleich über die Begründetheit der Klage ergehen, das allerdings das angefochtene Urteil auch hätte aufheben sollen. Bei der Frage der Zulässigkeit der Klage hatte das Gericht zu prüfen, ob sie an sich statthaft und in der gesetzlichen Form und Frist erhoben war (§§ 589, 587, 578 bis 583 ZPO.). Das Berufungsgericht hat sich aber der Untersuchung, ob die Frist des § 586 gewahrt sei, nur unzulänglich, der, ob das Erfordernis des § 582 erfüllt sei, gar nicht unterzogen. Der Kläger will die Urkunde am 17. Dezember 1914 aufgefunden haben. Es würde genügen, wenn er dies glaubhaft gemacht hätte (J.W. 1893 S. 349). Dann wäre die am 13. Januar 1915 zugestellte Klage innerhalb der Notfrist von einem Monat erhoben. Das Berufungsgericht sagt aber in dem Zwischenurteil nur, der Kläger habe glaubhaft behauptet, daß er die Urkunde nach Rechtskraft des Urteils vom 2. April 1914 aufgefunden habe. Da dieses Urteil am 29. Oktober 1914, also 2 1/2 Monate vor Zustellung der Restitutionsklage, rechtskräftig geworden ist, so ist der Bemerkung des Berufungsgerichtes nicht zu entnehmen, daß die Notfrist seit dem Auffinden der Urkunde eingehalten wurde. Die Lücke läßt sich auch nicht aus dem Schlußurteil ergänzen. Daraus ergibt sich keineswegs, daß das Gericht den Angaben des Klägers über das Auffinden der Urkunde Glauben schenkt. Es mißtraut ihnen vielmehr wie seinen Zeugen; es wird also neuerlich zu erwägen haben, ob die Klage fristgemäß erhoben ist.

Die Nichtbeachtung des § 582 ZPO. ist zwar von der Revision nicht gerügt. Allein es handelt sich um die von Amts wegen vorzunehmende Prüfung, ob die Klage statthaft ist (RGZ. Bd. 46 S. 345). Nach § 582 hat der Kläger zu beweisen, daß er ohne sein Verschulden außerstande war, den Restitutionsgrund in dem früheren Verfahren, insbesondere durch Einspruch oder Berufung geltend zu machen. Unter dem Restitutionsgrund im Sinne der §§ 580 Nr. 7d, 582 ist nicht das Auffinden der Urkunde, sondern ihr Vorhandensein und die Möglichkeit, sie als Beweismittel zu benützen, zu verstehen, und unter dem Geltendmachen im Regelfalle nicht schon die Behauptung, daß die Urkunde vorhanden sei und einen bestimmten Inhalt habe, sondern das Geltendmachen mit der Aussicht auf Erfolg (J.W. 1901 S. 33), also die Vorlegung der Urkunde. Dies folgt aus der Vorschrift (vgl. § 579 Abs. 2 ZPO.), daß sich die Partei der Berufung bedient haben müsse, welcher Rechtsbehelf ihr doch nur dann zuzumuten war, wenn er einen siegreichen Ausgang des Rechtsstreits versprach. Ein solcher Ausgang würde aber von der bloßen Behauptung, daß die Urkunde vorhanden sei, ebensowenig zu erwarten gewesen sein, wie von der Behauptung, daß die Schuld bestehe. Selbstverständlich kann nach der besonderen Gestaltung des Falles den Restitutionskläger ein Verschulden auch dann treffen, wenn er das Vorhandensein der Urkunde nicht geltend macht, obwohl er den Beweis dafür durch andere Beweismittel als die Vorlegung führen könnte. Hier wird es der Statthaftigkeit der Klage nicht entgegenstehen, daß der Kläger, was in sonstiger Beziehung auffallen mag, von dem Schuldschein selbst dann nichts erwähnt hat, als ihm der Beklagte wiederholt vorhielt, daß über ein Darlehen sicherlich ein Schein ausgestellt worden wäre.

Dagegen fragt sich, ob der Kläger die gebotene Achtsamkeit nicht aus den Augen gesetzt hat, einmal, weil er den Schuldschein ganz sorglos behandelt und nicht so aufbewahrt hat, wie es für eine so wichtige Urkunde erforderlich war und auch in bäuerlichen Kreisen üblich ist, sodann weil er nicht eifriger und sorgfältiger nach dem Verbleib der Urkunde geforscht hat. Er wird darzulegen und nötigenfalls zu beweisen haben, daß er in Gelassen, Taschen, Büchern, Umschlägen und dgl., die in Betracht kamen und vielleicht in seiner Wirtschaft nicht allzu zahlreich waren, gründlich aber vergeblich nachgesucht hat. Wie schon der I. Zivilsenat des Reichsgerichts wiederholt ausgesprochen hat (J. W. 1898 S. 608; Warneyer 1911 Nr. 137), gestattet die Rechtssicherheit nicht, rechtskräftige Urteile aus dem Grunde in Frage zu stellen, daß eine während des Rechtsstreits im Gewahrsam der Partei befindliche, aber infolge ungenügender Ordnung in der Wirtschaft unbemerkt gebliebene Urkunde nachträglich vorgelegt wird.

In der Sache selbst kann der Revision nicht gefolgt werden." (Dies wird dargelegt und sodann fortgefahren:)

... "Der Kläger hat in der Vorinstanz auf Zurückweisung der Berufung des Beklagten gegen das Urteil des Landgerichts angetragen, wodurch ihm der richterliche Eid nachgelassen war, daß er das Geld dem Beklagten nicht zum gemeinschaftlichen Geschäfte, sondern zur Verwendung auf eigene Rechnung geborgt habe. Das Berufungsgericht ist über den Antrag des Klägers hinausgegangen und hat den Beklagten unbedingt verurteilt, indem es sich hiewegen auf die Rechtsprechung des Reichsgerichts beruft.

Die Revision rügt mit Recht Verletzung des § 536 ZPO. Der Kläger war, da sich der Restitutionsgrund als gegeben erwies, in die Prozeßlage versetzt, in der er sich vor der Erlassung des von ihm angefochtenen Urteils befand (RGZ. Bd. 75 S. 56). Er hätte sich also der Berufung des Beklagten anschließen und beantragen können, daß der ihm auferlegte Eid wegfalle. Das hat er nicht getan. Wenn auch dem Berufungsgericht einzelne Entscheidungen des Reichsgerichts zur Seite stehen, die jedoch besonders gelagerte Fälle betreffen, und es erwünscht sein mag, daß keine Eide geleistet werden, die dem Richter überflüssig erscheinen, so darf doch das Urteil erster Instanz nur insoweit abgeändert werden, als eine Abänderung beantragt ist, und der Richter ist nicht befugt, einer Partei etwas zuzusprechen, was sie nicht gefordert hat (§§ 536, 308 ZPO). Das Reichsgericht hat denn auch in der Regel, zuletzt in der Entscheidung Bd. 93 S. 237. sich gegen die, eine Partei beschwerende Beseitigung eines Eides, die von dem Gegner nicht beantragt ist, ausgesprochen. Vielfach wird das Gericht in der Lage sein, auf Anschließung des Berufungsbeklagten an die Berufung hinzuwirken, um so zu dem erwünschten Ergebnis zu gelangen, ohne mit den Vorschriften des Gesetzes in Widerstreit zu geraten.

Dem Antrag auf Zurückzahlung der Urteilssumme, die der Beklagte auf Grund des rechtskräftigen Urteils gezahlt haben will, wird das Berufungsgericht, wenn es die Klage abweisen sollte, an sich zu willfahren haben (RGZ. Bd. 91 S. 195). Jedoch müßte der Anspruch zur Ziffer gebracht sein; auch würde der Kläger keine Zinsen, die die Revision begehrt, schulden." ...