RG, 05.06.1920 - I 240/19
Ist das im Prioritätsintervall entstandene Vorbenutzungsrecht gegenüber der Pariser Konvention rechtswirksam?
Tatbestand
Die Un. Sh. Masch. G. in Boston und Paterson meldete am 26. Oktober 1907 in den Vereinigten Staaten von Amerika eine Erfindung auf eine Aufzwickmaschine zum Patent an. worauf das amerikanische Patent 1018477 erteilt wurde. Die dieser Anmeldung zugrunde liegende Erfindung meldete dieselbe Firma am 24. Oktober 1908 unter Beanspruchung der Priorität vom 26. Oktober 1907 im Deutschen Reiche an. Das deutsche Patent wurde mit Wirkung vom 25. Oktober 1908 unter Nr. 233846 erteilt. Die Klägerin besitzt die ausschließliche Lizenz an letzterem Patente Sie erhob Klage gegen die Beklagte wegen Verletzung dieses Patents. Die Beklagte machte ein Vorbenutzungsrecht gemäß § 5 PatG. geltend, das sie im Prioritätsintervall erworben habe. Beide Vorinstanzen wiesen die Klage ab. Auch die Revision hatte keinen Erfolg.
Gründe
"Das Oberlandesgericht hat in Übereinstimmung mit dem Landgerichte die Klage abgewiesen auf Grund der Annahme, daß die Beklagte in der Zeit zwischen dem 26. Oktober 1907 und 24. Oktober 1908, also im Prioritätsintervall. ein Vorbenutzungsrecht gemäß § 5 PatG. an der Erfindung des Patents 233846 erworben habe, und daß die Wirksamkeit dieses Vorbenutzungsrechts durch Art. 4 der Pariser Konvention nicht berührt werde. Die Revision der Klägerin bekämpft die Auffassung der Vorinstanzen, daß dieses Vorbenutzungsrecht gegenüber Art. 4 der Pariser Konvention wirksam sei, und ist der Ansicht, daß nach Art. 4 ein solches im Prioritätsintervall erworbenes Vorbenutzungsrecht rechtliche Anerkennung nicht beanspruchen könne. Dem ist nicht beizutreten. Die Pariser Konvention hat kein einheitliches subjektives Patentrecht geschaffen; es gilt vielmehr innerhalb der Union das Territorialprinzip, und zwar sowohl hinsichtlich der Voraussetzungen als auch hinsichtlich der Art und des Umfanges des Schutzes. Das Prioritätsrecht des Art. 4, sollte insbesondere nicht ein Patentrecht auf Grund der ersten Anmeldung in einem Unionsstaat auch in allen anderen Staaten schassen, vielmehr bestimmt Art. 4 Abs. 2 den Sinn und die Bedeutung dieses Prioritätsrechts völlig klar nur dahin, daß Tatsachen, die nach dem Rechte desjenigen Staats, in welchem später angemeldet wird, der Erlangung eines Patents in diesem Staate entgegenstehen würden, wie die angeführten Beispiele patenthindernder, neuheitsschädlicher Art oder eine andere Anmeldung, sofern sie nach dem Zeitpunkte des Prioritätsdatums liegen, diese patenthindernde Bedeutung (invalidé) nicht haben sollen. Einen weiteren Inhalt hat das Prioritätsrecht des Art. 4 nicht. Der Inhalt des Prioritätsrechts dieses Art. 4 ist nichts Weiteres als die Änderung des Datums für die Neuheitsprüfung in dem Zweitanmeldestaate. Tatsachen, welche nach dem Rechte dieses Staats eine patenthindernde Bedeutung nicht haben, die Anmeldung nicht "invalidé", d. h ungültig, null und nichtig, zu machen geeignet sind, werden von dem Prioritätsrechte nicht berührt. Die Auffassung der Revision, daß aus der Bezeichnung "invalidé" als Sinn zu entnehmen sei, daß jede Tatsache, welche den wirtschaftlichen Wert der Erfindungsanmeldung irgendwie abzuschwächen geeignet sei, getroffen werden solle und daß dies auch durch ein Vorbenutzungsrecht geschehe, kann nicht für zutreffend erachtet werden. Entsprechend müssen auch die sich mit der Revision deckenden Auffassungen von Pelletier und Vidal-Naquet, "La convention" Nr. 92, von Pouillet und Plé "La convention" S.42, von Pilenko, "La propriété industrielle"S. 104 flg. und im "Recht des Erfinders" S. 177 flg., sowie von Kent Bd. 2 S. 184 flg., Kohler "Lehrbuch des Patentrechts" S. 220 flg., Osterrieth-Arter "Die Pariser Konvention", zu Art. 4. Wirth und Ganz "Bericht im Jahrb. der Intern. Vereinigung" 1904 S.42 flg., Rich. Alex. Katz. das. 1912 S. 53 flg. abgelehnt werden. Das Vorbenutzungsrecht gemäß § 5 des deutschen Patentgesetzes ist nicht patenthindernd, macht die Anmeldung in Deutschland nicht "invalidé", wird daher von dem Prioritätsrechte des Art. 4 nicht berührt. Damit ergibt sich die Entscheidung der Vorinstanzen als zutreffend. Was die Revision sonst noch zur Stütze ihrer Auffassung angeführt hat. kann Beachtung nicht beanspruchen. Ein unabweisbares Bedürfnis, die Entscheidung im Sinne der Revision zu treffen, kann nicht anerkannt werden. Dem widerspricht schon die namentlich auf der Brüsseler Konferenz von 1900 und der Washingtoner Konferenz von 1911 von den Mitgliedern der Internationalen Vereinigung, also von den in Betracht kommenden Verkehrskreisen, beschlossene Ablehnung eines Antrags, den Art. 4 dahin authentisch auszulegen oder neu zu fassen, daß das Entstehen eines Vorbenutzungsrechts im Intervall ausgeschlossen sei, wobei bestimmend war, daß es der Billigkeit nicht entspreche, im Intervall erworbene Vorbenutzungsrechte zu schädigen. Keinerlei Bedeutung hat ferner der Hinweis der Revision auf Art. 308 des Versailler Friedensvertrags. Insbesondere kann hieraus nicht, wie die Revision will, geschlossen werden, daß erst durch diesen Art. 308 die rechtliche Anerkennung eines Vorbenutzungsrechts im Intervalle neu eingeführt werde und so dieses bis dahin durch Art. 4 der Pariser Konvention als ausgeschlossen zu gelten habe."