RG, 23.11.1920 - II 206/20

Daten
Fall: 
Verwechslungsfähigkeit von verwechslungsfähigen Warenzeichen
Fundstellen: 
RGZ 100, 264
Gericht: 
Reichsgericht
Datum: 
23.11.1920
Aktenzeichen: 
II 206/20
Entscheidungstyp: 
Urteil
Instanzen: 
  • LG Dresden
  • OLG Dresden

Können ursprünglich verwechslungsfähige Warenzeichen durch ungestörten jahrelangen Gebrauch nebeneinander ihre Verwechslungsfähigkeit verlieren?

Tatbestand

Der Kläger, für den seit 1897 die Worte "Salem Aleikum"und seit 14. Oktober 1910 das Wort "Salemgold" für Zigaretten, Zigarren, Rauch-, Schnupf-, Kautabak und Zigarettenpapier eingetragen ist, verlangt von der Beklagten Löschung des seit 1. Februar 1908 eingetragenen Warenzeichens für die gleichen Waren "Sar Alam", das auf sie mit Übernahme des Geschäfts im Jahre 1918 übergegangen ist. Das Landgericht hat die Verwechselungsfähigkeit verneint und die Klage abgewiesen. Auf die Berufung des Klägers ist das landgerichtliche Urteil abgeändert und die Beklagte nach dem Klagantrage verurteilt worden. Die Revision hatte keinen Erfolg.

Gründe

Das Berufungsgericht kommt zunächst zu der Überzeugung, daß bei den Zeichen "Salem Aleikum "und "Sar Alam" der klangliche wie der bildliche Gesamteindruck in der Erinnerung so ähnlich sei, daß eine Verwechselungsgefahr zwischen ihnen bestehe, zumal es sich bei dem Zeichen des Klägers um einen fremdsprachlichen Ausdruck handle, dem ein großer Teil der Kundschaft ebenso verständnislos gegenüberstehe, wie dem aus einem Phantasieworte bestehenden Zeichen der Beklagten. ... Sodann stellt das Berufungsgericht noch fest, daß daraus, daß der Kläger eine Reihe von Jahren gegen das Zeichen der Beklagten nicht eingeschritten sei, ein Verzicht auf seinen Unterlassungsanspruch nach den gesamten Umständen nicht entnommen werden könne. Verfehlt sei auch die Auffassung der Beklagten, daß der Kläger sich wenigstens so behandeln lassen müsse, als ob er auf Einwendungen gegen das Warenzeichen verzichtet habe, da er sie und ihren Rechtsvorgänger durch sein jahrelanges Zuwarten in den Glauben versetzt habe, daß er ihr Warenzeichen nicht beanstande. ... (Die hiergegen gerichteten Revisionsangriffe werden widerlegt; sodann wird fortgefahren:)

Von Gewicht ist aber der Angriff der Revision, das Berufungsgericht sei nicht auf den von der Beklagten vorgebrachten Einwand eingegangen, daß durch den ungestörten Gebrauch des Warenzeichens der Beklagten 10 Jahre hindurch das in Betracht kommende Publikum sich mit der Eigenart beider Zeichen vertraut gemacht habe und daher gegenwärtig eine Verwechselungsgefahr jedenfalls nicht mehr bestehe. In der Tat hat das Berufungsgericht jede Prüfung nach dieser Richtung hin unterlassen. Möglich aber ist es, daß ursprünglich verwechselungsfähige Zeichen durch ungestörten jahrelangen Gebrauch nebeneinander ihre Verwechselungsfähigkeit verlieren, weil sich das Publikum allmählich daran gewöhnt hat, sie zu unterscheiden. Das trifft für alle Kennzeichnungsmittel zu und ist wie für Zeitungstitel (RGZ. Bd. 40 S. 22) so auch für Ausstattungen und Warenzeichen anzuerkennen (vgl. Urt. des RG. im Blatt für Patent-, Muster- und Zeichenwesen Bd. 1 S. 280; Bescheid des Patentamtes das. Bd. 10 S. 350; Markenschutz und Wettbewerb 1907 S. 207). Der Angriff kann gleichwohl nicht zur Aufhebung des Urteils führen, da sich aus den übrigen tatsächlichen Feststellungen ergibt, daß eine derartige Gewöhnung des Publikums an die Unterscheidung beider Zeichen nicht stattgefunden hat, vielmehr die Verwechselungsgefahr weiter besteht. Denn das Berufungsgericht stellt fest, daß im Jahre 1913 die Warenbezeichnungen noch verwechselungsfähig waren, da darauf beim Kaufangebot an die J.-Gesellschaft Bezug genommen wurde; daß auch im Jahre 1916 oder 1917 die Zeichen von den Mitgliedern der Hauptstelle für das Zigarettenmonopol in Polen noch für verwechselungsfähig angesehen wurden; ebenso daß 1916 eine Verwechselung durch den Landsturmmann P. vorgekommen ist. Bis in die Jahre 1916 oder 1917 hatte sich demnach ausweislich dieser Feststellungen das an sich mögliche Vertrautsein mit beiden Warenzeichen noch nicht herausgebildet. Daß dies aber bis zum Jahre 1918, wo die Klagerhebung erfolgte, also binnen 1 bis 2 Jahren geschehen sei, ist von vornherein nicht anzunehmen, wenn dieses Vertrautsein nicht einmal in den vorausgegangenen 8 Jahren erreicht wurde, um so weniger, als sich bei dem wechselnden und immer neu hinzutretenden Kundenkreis eine ständige und feste Auffassung über die Warenzeichen überhaupt schwer ausbilden kann. Dem Einwande der Beklagten, auf den sich die Revision stützt, fehlen also die tatsächlichen Unterlagen, und es konnte deshalb nach Lage der Sache von einer Nachholung der unterlassenen Prüfung nach dieser Richtung durch das Berufungsgericht Abstand genommen werden.