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RG, 19.11.1917 - I 140/17

Daten
Fall: 
Verschulden seines Schleppers
Fundstellen: 
RGZ 91, 243
Gericht: 
Reichsgericht
Datum: 
19.11.1917
Aktenzeichen: 
I 140/17
Entscheidungstyp: 
Urteil
Instanzen: 
  • LG Hamburg, Kammer für Handelssachen
  • OLG Hamburg

Hat der Kahneigner dem Absender gegenüber ein Verschulden seines Schleppers zu vertreten?

Tatbestand

Die Firma V. & Co. übertrug dem Beklagten die Beförderung einer Ladung Zucker von Hamburg nach Itzehoe. Der Beklagte verlud den Zucker in seinen Leichter Elisabeth und ließ diesen durch den Dampfer Julius, der von seinem Schiffseigner B. selbst geführt wurde, elbabwärts schleppen. Infolge Verschuldens des B. geriet der Leichter auf Grund und wurde leck; der Zucker wurde beschädigt. Die Klägerinnen haben als Versicherer der Ladung der Firma V. & Co. den Schaden ersetzt und verlangen mit der Klage vom Beklagten die Erstattung des aufgewendeten Betrags. Das Landgericht erklärte den Anspruch dem Grunde nach für gerechtfertigt. Die Berufung des Beklagten wurde zurückgewiesen. Seine Revision hatte Erfolg.

Gründe

"Das Berufungsgericht hat festgestellt, daß das Auflaufen des Leichters Elisabeth durch die Fahrlässigkeit des Schlepperführers B. verursacht worden ist, der bei der Leitung des Schleppzugs die durch die Wetterverhältnisse gebotene Vorsicht außer acht gelassen hat. Den Beklagten hat es für das Verschulden des Schlepperführers auf Grund von § 278 BGB., § 431 HGB., § 8 BinnenSchG. als mithaftbar angesehen, da zur Fortbewegung des Leichters ein Schleppdampfer erforderlich, mithin dessen Führer Erfüllungsgehilfe des Beklagten bei Ausführung der Beförderung gewesen sei, und der Beklagte für das Versehen eines solchen Gehilfen in gleichem Umfang einzutreten habe wie für das Verschulden seiner eigenen Leute. Die letztere Annahme stehe zwar, fügt es hinzu, in Widerspruch mit der vom Reichsgericht am 24. Februar 1912 (RGZ. Bd. 78 S. 380) ausgesprochenen Rechtsauffassung. Wie aber das Urteil vom 11. Dezember 1915 (Hanseat. Rechtszeitschr. Bd. 1 S. 33) beweise, sei das Reichsgericht von jener Auffassung später wieder abgegangen.

Mit Recht wird die Begründung des Berufungsurteils von der Revision als rechtsirrtümlich angegriffen und die Verletzung des § 431 HGB. sowie des § 278 BGB. gerügt. Nach der ersteren Vorschrift, die im § 26 BinnenSchG. auf das Frachtgeschäft der Binnenschiffahrt für anwendbar erklärt worden ist, hat der Frachtführer ein Verschulden seiner Leute und ein Verschulden anderer Personen, deren er sich bei der Ausführung der Beförderung bedient, in gleichem Umfange zu vertreten wie eigenes Verschulden. Diese Vorschrift stimmt in ihrem letzten, hier allein bedeutsamen Teile überein mit dem § 278 BGB., der ganz allgemein dem Schuldner für ein Verschulden derjenigen Personen, deren er sich zur Erfüllung seiner Verbindlichkeit bedient, die gleiche Vertretungspflicht auferlegt wie für eigenes Verschulden. Hiernach hängt die zwischen den Parteien streitige Haftpflicht des Beklagten für das Versehen des Schlepperführers davon ab, ob dieser zu den Personen zu rechnen ist, deren sich der Beklagte bei der Ausführung der Beförderung bedient hat.

Das Reichsgericht hat in seinem oben erwähnten Urteile vom 24. Februar 1912 eine solche Haftung des als Frachtführer beteiligten Eigners des geschleppten Kahnes verneint und dabei das entscheidende Gewicht auf die selbständige Stellung gelegt, die bei der Binnenschiffahrt der Schlepperführer gegenüber dem Schiffer des geschleppten Kahnes einnehme. Daß die Fortschaffung der Güter durch die Hilfe des Schleppdampfers gefördert werde, sei zwar - so wird in jenem Urteil ausgeführt - nicht zu verkennen; der Führer des Schleppers trete jedoch zum Eigner des geschleppten Schiffes nicht in das Verhältnis einer unselbständigen Hilfsperson. Der Eigner des Schleppdampfers bleibe nach dem Schleppvertrag ein selbständiger und unabhängiger Unternehmer; weder er selbst noch der in seinem Dienste stehende Schlepperführer werde durch den Vertrag zum Angestellten des Kahnführers oder trete unter dessen Aufsicht und Machtbereich. Vielmehr liege es gerade umgekehrt so, daß der Kahnführer sich vertragsmäßig unter das Kommando des Schlepperführers begeben habe.

An dieser Rechtsansicht muß der erkennende Senat auch bei erneuter Prüfung der Rechtsfrage festhalten. Allerdings ist im § 431 HGB., übereinstimmend mit dem Grundsätze des § 278 BGB., die Haftung des Frachtführers ganz allgemein für ein Verschulden derjenigen Personen ausgesprochen, deren er sich bei Ausführung der Beförderung bedient, und es ist auch unzweifelhaft, daß die Mitwirkung des Schleppdampfers dem Zwecke der Beförderung der Güter dient. Allein die besondere Stellung, die der Eigner und der Schiffer des Schleppdampfers bei der Binnenschiffahrt gegenüber dem Eigner des geschleppten Schiffes und dessen Schiffer einnehmen, nötigen dazu, den Schleppereigner, der durch einen Schleppvertrag die Fortbewegung des befrachteten Schiffes übernimmt, und den von ihm gestellten Schiffer nicht als Hilfsperson des Frachtführers im Sinne der vorgenannten Gesetzesvorschriften anzusehen. Der Schleppereigner steht dem Kahneigner und Frachtführer als ein selbständiger Unternehmer gegenüber, und dem Schiffer des Schleppdampfers liegt selbständig die allgemeine Leitung des Schleppzugs ob, während der Kahnschiffer den Weisungen des Schleppers nachzukommen und die Fahrt durch richtiges Nachsteuern und Wahrnehmung der ihm sonst zu Gebote stehenden zweckdienlichen Maßnahmen nach Kräften zu fördern hat (RGZ. Bd. 65 S. 383). Zu dem Frachtführer und Kahneigner tritt der Schlepperführer in kein Abhängigkeitsverhältnis und braucht von ihm für die Leitung des Schleppzugs keine Vorschläge oder Befehle entgegenzunehmen. Unter diesen Umständen erscheint es als eine Überspannung des den §§ 431 HGB., 278 BGB. zugrundeliegenden Rechtsgedankens, wollte man in den Fällen, in denen die Annahme eines Schleppers dem Inhalte des Frachtvertrags und dem Willen beider Vertragsparteien entspricht, dem Frachtführer und Kahneigner die Haftung für jedes Verschulden des Schlepperführers aufbürden, obschon dieser in der Leitung des Schleppzugs von den Weisungen des ersteren ganz unabhängig ist. Den Verkehrsanschauungen entspricht es vielmehr, solche selbständigen Personen nicht zu denjenigen zu rechnen, deren sich der Frachtführer bei Ausführung der Beförderung "bedient", und sie nicht mit den eigenen "Leuten" des Frachtführers auf die gleiche Stufe zu stellen. Für Verluste und Beschädigungen des Frachtguts, die durch ihr Verschulden hervorgerufen sind, haftet daher der Frachtführer nur nach Maßgabe des § 58 BinnenSchG.; ihm steht also der Entlastungsbeweis offen, daß der Verlust oder die Beschädigung durch Umstände herbeigeführt ist, welche durch die Sorgfalt eines ordentlichen Frachtführers nicht abgewendet werden konnten.

Unzutreffend ist es, wenn das Berufungsurteil sich zur Unterstützung seiner abweichenden Ansicht auf das obenerwähnte reichsgerichtliche Urteil vom 11. Dezember 1915 beruft. In dem dort entschiedenen Falle hatte der Frachtführer und Kahneigner einen Schlepper verwendet, den er von dessen Eignern mit der Besatzung zur Ausführung von Schleppfahrten auf längere Zeit gemietet hatte. Dort wurde der Frachtführer für das Verschulden des Schlepperführers, der durch Unvorsichtigkeit das Kentern einer geschleppten Schute herbeigeführt hatte, für haftbar erklärt, weil er "sich des Schlepperführers als Erfüllungsgehilfen bei Ausführung des übernommenen Transports bedient hätte." Dieser Ausspruch hatte in jenem Falle auch seine Berechtigung wegen der rechtlichen Beziehungen, in denen der Frachtführer infolge des Miet- und Dienstverschaffungsvertrags zu dem Schlepperführer stand. Wenn auch nicht unmittelbare Vertragsbeziehungen zwischen ihnen begründet waren, so bestand dennoch für den Schlepperführer die Pflicht, den Anweisungen des Frachtführers Folge zu leisten. Dies ergab sich daraus, daß der Eigner des Schleppers die ihm aus dem Dienstvertrage gegenüber dem Schiffer zustehenden Rechte für die Dauer des Mißverhältnisses auf den Frachtführer übertragen hatte. Der Schiffer wurde dadurch den Anordnungen des Frachtführers statt des Schleppereigneis unterworfen (RGZ. Bd. 56 S. 361, Bd. 82 S. 429). Gerade hierin liegt bei durchgreifende Unterschied gegenüber dem jetzt zur Entscheidung stehenden Falle und dem Tatbestande des Urteils vom 24. Februar 1912. In diesen beiden Fällen beruht die Mitwirkung des Schleppers bei der Ausführung der Beförderung auf einem nach den Regeln des Werkvertrags zu beurteilenden Schleppvertrage, durch den ein persönliches Abhängigkeitsverhältnis des Schlepperführers von dem Frachtführer nicht begründet wird.

Eine verschiedene Beurteilung der beiden Fälle ist auch nicht, wie es in der Besprechung Bd. 1 S. 37 der Hanseat. Rechtszeitschr. geschieht, deshalb geboten, weil bei der jetzt zu entscheidenden Sache nur der Leichter des Beklagten durch den Dampfer geschleppt wurde, während in der älteren Sache der Frachtführer seinen Kahn in einen noch mit anderen Anhängen besetzten Schleppzug eingestellt hatte. Hierbei handelt es sich nur um eine tatsächliche, nicht um eine rechtserhebliche Verschiedenheit. Entscheidend für die Rechtsbeziehungen zwischen Frachtführer und Schlepperführer ist allein die Natur des Vertrags, auf Grund dessen der Schlepper von seinem Eigner zur Mitwirkung bei der Beförderung gestellt wurde. Das war in beiden Fallen unzweifelhaft ein Schleppvertrag. Der jetzige Fall läßt sich daher auch nicht, wie es weiter in jener Besprechung versucht wird, auf die gleiche Stufe stellen mit dem des reichsgerichtlichen Urteils vom 11. Dezember 1915, bei dem die Gestellung des Schleppers auf einem Miet- und Dienstverschaffungsvertrage beruhte. Nur für den Sachverhalt des letzterwähnten Urteils, nicht aber für den jetzt zu entscheidenden Fall trifft die in der Besprechung für ausschlaggebend erachtete Erwägung zu, daß der Schlepper ausschließlich zur Verfügung des Frachtführers gestanden und nach dessen Anweisungen sich habe richten müssen. Eben weil es an dieser Voraussetzung im vorliegenden Falle fehlt, kann dem Berufungsgericht in seiner Annahme, daß der Schlepperführer als ein Ausführungsgehilfe des Frachtführers anzusehen sei, nicht beigepflichtet werden." ...