RG, 19.11.1917 - I 225/17

Daten
Fall: 
Haftung des Reeders
Fundstellen: 
RGZ 91, 385
Gericht: 
Reichsgericht
Datum: 
19.11.1917
Aktenzeichen: 
I 225/17
Entscheidungstyp: 
Urteil
Instanzen: 
  • LG Hamburg
  • OLG Hamburg

Zur Haftung des Reeders für das Verschulden seiner Vizen und sonstigen Vertreter.

Tatbestand

Der Beklagte hatte für die Firma T. Koksgrus und Baumwollabfälle in zwei Schuten von Hamburg an den Lagerplatz der Firma in Glückstadt zu befördern. Da die Schuten die im Hafen von Glückstadt befindliche Schleuse nicht durchfahren konnten, wurden sie einstweilen an der Hafenmauer festgelegt. Nachdem der Ewerführer Sch. sich entfernt hatte, sanken sie in der nächsten Nacht. Der Beklagte hatte den in Glückstadt wohnhaften Schiffsmakler F. zu seinem Vertreter bestellt. Die Klägerin, welche die Ladung versichert hatte, vergütete den Ladungsschaden und forderte Ersatz des gezahlten Betrags, weil die Schuten nicht gehörig bewacht worden seien.

Beide Instanzen erachteten den Beklagten für unbeschränkt persönlich haftbar. Die Revision führte zur Aufhebung des Berufungsurteils.

Aus den Gründen

... "Die Revision rügt weiter, der Beklagte habe nicht unbeschränkt persönlich verurteilt werden dürfen. Diese Rüge ist begründet. Der Transport war nicht beendet. Die beiden Schuten waren noch nicht an dem Orte ihrer Bestimmung angelangt. Sie waren noch durch die Schleuse und an das Lager von T. zu bringen. Der Zeuge, Ewerführer Sch., konnte die Schuten nicht durchschleusen, weil die Baumwollschute zu hoch beladen war und er keine Hilfskräfte beschaffen konnte, um Baumwollballen, soweit nötig, herunterzunehmen. Der Zeuge ist sodann nach Hamburg zurückgefahren. Da der Transport nicht beendet war, gehörte die Bewachung und Kontrollierung der Schuten zu den Dienstobliegenheiten des Zeugen als Ewerführers. Deshalb haftet der Beklagte für eine bei der Bewachung vorgekommene Regelwidrigkeit an sich nur mit Schiff und Fracht.

Unbeschränkte persönliche Haftung des Beklagten würde eintreten, wenn der Beklagte einverstanden war, daß Sch. den Transport aufgab und sich entfernte, als er die Schuten vor der Schleuse hingelegt hatte, und daß die weitere Bewachung nur durch eine nicht zur Besatzung gehörige Persönlichkeit, den Schiffsmakler F., ausgeführt werden sollte. Dann hätte die Bewachung eben nicht mehr zu den Dienstobliegenheiten des Zeugen Sch. gehört.

Unbeschränkte persönliche Haftung mühte auch dann eintreten, wenn der Beklagte zwar wollte, daß Sch. den Transport weiter führte, aber doch einverstanden war, daß er sich um die Bewachung nicht kümmerte, sondern diese dem Schiffsmakler F. überließ. Nach Gesetz und Gebrauch gehört zwar die Bewachung bis zur Beendigung der Reise zu den Dienstobliegenheiten des Schiffers. Aber wenn der Reeder den Schiffer von einem Teile seiner gesetzlichen Dienstobliegenheiten befreit und diese einer nicht zur Schiffsbesatzung gehörenden Person übertragt, dann ist anzunehmen, daß er unbeschränkt haftet (vgl. Ehrenberg, Beschrankte Haftung S. 216; Lewis-Boyens, Seerecht Bd. 1 S. 223 flg.).

Unbeschränkte persönliche Haftung tritt aber nicht dann ein, wenn der Reeder in die gesetzlichen und herkömmlichen Dienstobliegenheiten des Schiffers nicht eingreift und nur zur größeren Sicherheit über die eigene Vertragspflicht hinaus noch eine weitere Person mit der Überwachung des Schiffers und seiner Maßnahmen betraut. Denn davon kann nicht die Rede sein, daß die Haftung des Reeders ausgedehnt wird, wenn er in der angegebenen Weise eine besondere, an sich von ihm nicht zu verlangende Vorsorge ausübt.

Nun hat das Berufungsgericht zwar ausgeführt, das - fahrlässigerweise versäumte - Nachholen der Vertauung der an der Hafenmauer festgelegten Schuten habe nicht zu den Dienstobliegenheiten des Schiffers Sch. gehört; er habe zu solcher Kontrolle keinen Auftrag gehabt. Es stehe auch dahin, ob er dafür sachverständig gewesen sei. Dabei ist aber übersehen, daß an und für sich die Bewachung der Schuten und ihrer Ladung zu den Dienstobliegenheiten des Schiffers gehörte. Es war nicht erforderlich, daß ihm ein dahingehender besonderer Auftrag erteilt wurde. Nur wenn der Beklagte ihn von seiner Bewachungspflicht befreit hätte, würde die Sache anders liegen. Der Beklagte hatte aber bestritten, damit einverstanden gewesen zu sein, daß der Schiffer sich um die festgelegten Schuten nicht weiter bekümmerte. Nach Ausweis des Tatbestandes des Berufungsurteils hatte er vielmehr behauptet, er habe damit rechnen müssen, daß Sch., der die Schuten habe weiter befördern sollen, nachts bei diesen bleibe. Sch. habe sie ohne Auftrag verlassen. Seine Entschuldigungen, daß er kein Geld gehabt habe und daß er keine Leute habe finden können, seien leere Ausreden. Diese Behauptungen sind dahin zu verstehen, daß der Schiffsmakler F. nur zur Kontrolle des Schiffers und seiner Maßnahmen bestellt worden sei. Sind diese Behauptungen, die das Berufungsgericht nicht genügend gewürdigt hat, richtig, so kann eine unbeschränkte persönliche Haftung des Beklagten auf Grund der ungenügenden Bewachung der Schuten nicht eintreten (vgl. RGZ. Bd. 82 S. 146)." ...