RG, 13.05.1919 - III 545/18
1. Sorgfaltspflicht des mit einer Geldbeförderung beauftragten Beamten.
2. Welches Recht ist für die Haftung des Beamten gegenüber dem Staate in der Rheinprovinz maßgebend?
3. Wird die Haftung des Beamten gegenüber dem Staate durch ein mitwirkendes Verschulden anderer Beamter, insbesondere solcher, welche als verfassungsmäßig berufene Vertreter des Staates anzusehen sind, beeinflußt?
Tatbestand
Die Zollkasse des Zollamts I für Stempelsteuer in Köln hatte am 20. August 1917 die Summe von 13000 M der dortigen Reichsbankhauptstelle zu übermitteln. Der erste Kassenbeamte beauftragte den seit dem 17. Juli 1917 als Hilfsamtsdiener bei der Kasse beschäftigten früheren Kellner Th. mit der Überbringung des Geldes, und den Kläger, der seit mehr als 10 Jahren als Vollziehungsbeamter im Zolldienste stand, mit dessen Begleitung. Auf dem Wege zur Reichsbank trat der Kläger mit Th. in ein Haus in der Langgasse ein, um dort von einem Zigarrenhändler R. einen Steuerbetrag von 6,68 M einzuziehen. Er verhandelte auf dem Flur des Hauses mit der Frau R. und stellte dieser eine Quittung über den Steuerbetrag aus. Während er hiermit beschäftigt war, entfernte sich Th. mit den 13000 M. Th. wurde erst nach einiger Zeit ergriffen; das Geld war verloren. Die Zollverwaltung machte den Kläger für den Verlust verantwortlich und erließ einen Defektenbeschluß, daß er den Fehlbetrag von 13000 M zu ersetzen habe. Dagegen hat der Kläger Klage erhoben mit dem Antrage, den Defektenbeschluß aufzuheben und festzustellen, daß er nicht verpflichtet sei, dem Beklagten den Schaden zu ersetzen.
Die Klage ist in beiden Rechtszügen abgewiesen worden; auch die Revision wurde zurückgewiesen.
Gründe
"Nach dem festgestellten Sachverhalt trifft den Kläger zwar nicht der Vorwurf eines groben Verschuldens, wie dies vom Land- und Berufungsgericht angenommen ist, aber doch der eines fahrlässigen Verhaltens überhaupt. Ihm, dem an Stelle des ersten Beamten der Zollkasse die Verantwortung für die sichere Beförderung der Geldsumme gemäß den Dienstvorschriften übertragen war, lag es ob, diesem Geschäfte seine volle Aufmerksamkeit zu widmen. Er hatte dafür einzustehen, daß das Geld weder von Dritten entwendet, noch von dem Träger des Geldes, dem Hilfsamtsdiener Th., veruntreut oder aus Unachtsamkeit verloren würde. Zu seinen Aufgaben gehörte es deshalb auch, den Th. zu überwachen, und zwar ohne Rücksicht darauf, ob dieser in seiner bisherigen, nur einmonatigen, Dienstzeit beim Zollamt einen Anlaß zum Mißtrauen gegeben hatte ober nicht. Er durfte deshalb ohne besondere dringliche Gründe mit der Geldbeförderung keine sonstigen Amtsgeschäfte verbinden, welche seine Aufmerksamkeit von der Überwachung des Th. ablenken konnten. Er handelte fahrlässig, indem er auf dem Wege zur Reichsbank sich darauf einließ, die Einziehung eines kleinen Steuerbetrages vorzunehmen. Mochte er auch vielleicht der hiermit gegebenen Gefahr, die Überwachung des Th. zu vernachlässigen, durch erhöhte Sorgfalt haben begegnen können, so hat er es doch an dieser fehlen lassen. Er hat, wenn auch nur für kurze Zeit, den Th. aus den Augen gelassen und diesem es so ermöglicht, sich mit dem Gelde zu entfernen.
Dieses Verschulden des Klägers ist jedoch nach Lage der Sache nicht als ein grobes, sondern nur als ein geringes anzusehen. Sein Verschulden wird insbesondere zwar nicht beseitigt, aber doch wesentlich gemildert dadurch, daß er annehmen durfte, daß bei der Auswahl des Th. zum Geldüberbringer von der Anstellungsbehörde mit der gebotenen Sorgfalt verfahren sei. Fehlt es somit an den Voraussetzungen für den Erlaß eines Defektenbeschlusses nach § 10 der Verordnung vom 24. Januar 1844, so kann doch seine Klage keinen Erfolg haben, sofern er nach materiellem Rechte auch bei geringem Verschulden zum Schadensersatz verpflichtet ist. Denn er beschränkt sich nicht auf das Verlangen der Beseitigung des Defektenbeschlusses, sondern er beantragt die Feststellung, daß er überhaupt nicht zum Ersatze des Schadens verpflichtet sei. Es bedarf deshalb im vorliegenden Falle nicht der Stellungnahme zu der Streitfrage, ob in dem Verfahren, das nur die Klage gegen den Defektenbeschluß zum Gegenstande hat, das Gericht über den Einwand zu entscheiden hätte, daß auch mangels der Voraussetzungen des Defektenbeschlusses eine Ersatzpflicht des in Anspruch genommenen Beamten nach allgemeinen Rechtsgrundsätzen bestehe, oder ob es sich darauf zu beschränken hätte, die Voraussetzungen des Defektenbeschlusses sachlich nachzuprüfen. Letztere Meinung wird im Gegensatze zu der in der Rechtsprechung herrschenden Auffassung im Schrifttum, insbesonders von Pieper, Anm. 3 zu § 144 RBG., und von Brand, Beamtenrecht S. 852/853. vertreten.
Eine Ersatzpflicht des Klägers aber besteht auch bei nur geringem Verschulden, mag man die Haftpflicht des Beamten gegenüber dem Staate in der Rheinprovinz nach den - sinngemäß anzuwendenden - Grundsätzen des Bürgerlichen Gesetzbuchs, nach französischem Rechte oder nach den Bestimmungen der §§ 88 flg. ALR. II, 10 beurteilen. Letztere erachtet der erkennende Senat auf Grund der Anschauung, daß im Einheitsstaate das Verhältnis des Staatsbeamten zum Staat, von ganz besonderen Ausnahmefällen und Sonderbestimmungen abgesehen, nur einheitlich geregelt sein kann, und daß eine Verschiedenheit dieses Verhältnisses im Einheitsstaate je nach dem Orte der Anstellung des Beamten, oder gar ein Wechsel dieses Verhältnisses mit dem Wechsel des Amtssitzes für ausgeschlossen angesehen werden muß, in Abweichung von seiner früher in RGZ. Bd. 63 S. 431 ausgesprochenen Auffassung auch in der Rheinprovinz für anwendbar.
Die Haftpflicht des Klägers wird auch nicht dadurch ausgeschlossen, daß diejenigen Beamten, welche den Th. mit der Überbringung des Geldes beauftragten, verabsäumt hatten, über seine Persönlichkeit bei der Polizeibehörde Auskunft einzuholen, und sie so in Unkenntnis darüber geblieben waren, daß Th. bereits wegen Diebstahls vorbestraft war. Unrichtig ist allerdings die Annahme des Berufungsgerichts, daß dieses Verhalten anderer Beamter mit dem eingetretenen Schaden nicht in ursächlichem Zusammenhange stehe. Wer einen Vertrauensunwürdigen Menschen zum Kassenboten bestellt, gibt diesem damit eine Gelegenheit zur Veruntreuung und schafft damit eine Bedingung für den durch die tatsächliche Veruntreuung des Geldes seitens dieses Kassenboten eintretenden schädigenden Erfolg, und zwar eine Bedingung, welche nach den Grundsätzen des adäquaten Zusammenhanges als eine beachtliche Ursache angesehen werden muß. Dieser ursächliche Zusammenhang wird auch nicht dadurch beseitigt, daß gleichzeitig Maßnahmen zur Verhütung einer Veruntreuung, wie hier durch die Beiordnung eines Begleiters, getroffen werden. Es liegt auf der Hand, daß durch eine solche Maßregel das Entweichen des Geldträgers bei der Beförderung des Geldes durch belebte Straßen nicht unbedingt verhindert werden kann; im Gedränge auf der Straße, durch schnelles Entfliehen in ein Grundstück mit mehreren Ausgängen, kann dem zur Unterschlagung Entschlossenen die Möglichkeit sich bieten, seine Absicht trotz aller Sorgfalt des Begleiters auszuführen.
Aber das Verschulden anderer Beamter kann den Kläger von seiner Verantwortung nicht befreien, auch dann nicht, wenn es sich dabei um Beamte handelt, welche als verfassungsmäßig berufene Vertreter des Staates nach § 31 BGB. anzusehen sind. Die mit der Kassenverwaltung betrauten Beamten, gleichviel ob sie in leitender Stellung sich befinden oder in mittlerer oder Unterbeamtenstellung stehen, haften dem Staate für die ordnungsmäßige Erledigung der Kassengeschäfte, soweit sie ihnen obliegt, einschließlich der sicheren Aufbewahrung und Beförderung der Gelder. Entsteht ein Verlust öffentlicher Gelder durch das Verschulden verschiedener Beamter, so haften diese dem Staate nebeneinander als Gesamtschuldner; insbesondere gilt dies nach § 90 ALR. II. 10 auch für Vorgesetzte, die durch vorschriftsmäßige Aufmerksamkeit die Amtsvergehung ihrer Untergebenen hätten hindern können. Diese Beamten handeln auch bei der Auswahl und der Beaufsichtigung der ihnen unterstellten Beamten in Erfüllung ihrer Pflicht gegenüber dem Staate, nicht gegenüber den Mitbeamten, die an der sorgfältigen Auswahl der anderen Beamten ein Interesse haben könnten. Die Voraussetzung einer entsprechenden Anwendung des § 254 Abs. 2 Satz 2 in Verb. mit § 278 BGB. würden also, wenn man auch grundsätzlich die entsprechende Anwendung dieser privatrechtlichen Vorschriften auf das Verhältnis zwischen dem Staate und seinen Beamten zulassen wollte, nicht gegeben sein." ...