RG, 02.05.1919 - III 509/18
Nach welchen Grundsätzen ist der Verkäufer von der Lieferpflicht befreit, wenn die vereinbarte Versendungsart für absehbare Zeit unmöglich geworden ist und der Käufer die Geltendmachung seiner Rechte verzögert?
Tatbestand
Mit Schluß vom 6. Februar 1914 hat die Klägerin von der Beklagten 600 Kubikmeter kieferne Seitenbretter in verschiedenen Stärken, Längen und Breiten, 70% blank garantiert, zum Preise von 50,50 M für den Kubikmeter cif Rotterdam gekauft; die Abladung sollte vom Juni bis September 1914 in Teilposten, die Regulierung gegen "girierte Verladedokumente in Kasse abzüglich 2% Skonto, Seefracht netto Kasse unter Berechnung der Seefracht mit 3 m/m Untermasse" erfolgen. Die Beklagte hat anfangs Juli 1914 eine Lieferung gemacht, ist aber seither mit dem Reste von 363,405 Kubikmetern im Rückstande geblieben und hat auf eine Anfrage der Klägerin am 18. November 1916 erklärt, daß die Klägerin auf weitere Lieferung nicht mehr rechnen könne. Mit der im Dezember 1916 erhobenen Klage verlangte die Klägerin die Lieferung des Rückstandes, und zwar nach Wahl der Beklagten entweder 6 bis 7 Monate nach Eintritt der Verschiffungsmöglichkeit zu 55,50 M cif Rotterdam oder sogleich, und wiederum nach ihrer Wahl mit Schiff zum Preise von 55,50 M cif Rotterdam oder mit der Bahn frei Waggon Königsberg um 49,30 M.
Das Landgericht hat der Klage entsprochen, das Berufungsgericht sie abgewiesen. Die Revision blieb erfolglos aus folgenden Gründen:
Gründe
"Zur Entscheidung steht die Frage, ob die Beklagte an den Schluß der Parteien, den sie nach den ursprünglichen Vertragsbestimmungen bis Herbst 1914 zu erfüllen hatte, auch noch Ende 1916 gebunden gewesen sei. Das Berufungsgericht hat die Frage verneint und dies dahin begründet: Die Vereinbarung der Versendung des Holzes von Königsberg auf dem Seewege nach Rotterdam sei als wesentlicher Bestandteil des Kaufvertrags anzusehen, so daß bei der durch die Kriegsverhältnisse eingetretenen Unmöglichkeit der Benutzung dieses Seewegs die Beklagte von ihrer Lieferpflicht frei geworden sei. Weiterhin aber hätten sich die Verhältnisse für die Beklagte seit Herbst 1914 derart verschoben, daß für sie die von der Klägerin hinausgezogene Lieferung einen ganz anderen Inhalt bekommen habe und daß sie deshalb der Beklagten nicht mehr habe zugemutet werden können; die Beklagte habe auch die lange Verzögerung der Geltendmachung der klägerischen Ansprüche bis zum November 1916 als einen Verzicht der Klägerin auf ihre Vertragsrechte auffassen dürfen. Es mag nun dahin stehen, ob der Bestimmung über die Versendungsart des Holzes auf dem Seewege nach Rotterdam nach den Umständen des vorliegenden Falles die Bedeutung einer wesentlichen Vertragsabrede mit der Wirkung beizumessen ist, daß im Falle der Unmöglichkeit dieser Versendungsart der Vertrag in sich zusammenfällt. Dem Ergebnis des Berufungsgerichts ist jedenfalls, abgesehen von der unten näher erörterten Frage des Verzichts, beizutreten.
Nach der getroffenen Feststellung hatte die Beklagte zur Erfüllung des Schlusses das Holz aus einem bestimmten Stapel vorgesehen. Auf eine Anfrage der Klägerin vom 24. April 1915, ob die Ware gut eingeschobert und so vor Verblauen gesichert sei, hat die Beklagte umgehend erwidert, daß dies nur bezüglich einzelner Holzstärken zutreffe, bei den Stärken 30 und 33 aber nicht gelungen sei, und hat der Klägerin an Stelle des unmöglichen Seewegs nach Rotterdam den Seeweg nach Hamburg. Lübeck oder Stettin vorgeschlagen. Die Klägerin hat jedoch in ihrer Antwort vom 8. Mai 1913 diesen Vorschlag abgewiesen, da sie wegen der hohen Fracht das Holz nur in Rotterdam entgegennehmen könne, und hat außerdem hervorgehoben, daß sie an der im Schlusse festgesetzten Höchstgrenze von 30% nichtblanker Hölzer beharre. Die Beklagte hat am folgenden 12. Mai erwidert, daß sie die Lieferung der Stärken 30 und 33 nicht bewirken könne, weil sie zum größten Teil verblaut seien; die Erhaltung der Güte der anderen Stärken sei zweifelhaft, da die Verladung nach Rotterdam im laufenden Jahre ungewiß sei, sie also keine Garantie für deren gute Abfertigung im nächsten Jahre übernehmen könne; sie schlage deshalb der Klägerin die Aufhebung des Schlusses vor. Dieses Angebot wies die Klägerin am 14. Mai mit der Erklärung zurück, die Angelegenheit bis zum Eintritt der Verschiffungsmöglichkeit zurückzustellen. Nunmehr ruhte der Verkehr der Parteien bis zur Anfrage der Klägerin vom 13. November 1916, ob der Versand jetzt möglich sei, die die Beklagte mit Lieferungsweigerung beantwortete.
Bei dieser Sachlage bestehen zwar Bedenken gegen die Auffassung des Berufungsgerichts, daß die Beklagte einen Verzicht der Klägerin auf ihre Vertragsrechte habe annehmen dürfen, weil die Klägerin in dem dem langen Schweigen der Parteien vorausgehenden Briefe vom 14. Mai 1915 ausdrücklich die Zurückstellung der Sache ausgesprochen, also den Willen, ihre Rechte nicht aufzugeben, der Beklagten kundgegeben hat. Trotzdem aber rechtfertigte die Sachlage die Entbindung der Beklagten von der Lieferpflicht. Denn es ist durch die lange Hinausschiebung der Erfüllung die wirtschaftliche Lage der Beklagten eine ganz andere geworden, als sie zu der im Vertrage bestimmten Lieferzeit war. Die Beklagte mußte den Kaufpreis und dessen Verzinsung für das von ihr zur Kauferfüllung bereit gestellte Holz entbehren. Sie war insbesondere mit der Verpflichtung der Aufbewahrung des Holzes, die ihr wegen der drohenden Gefahr der Verschlechterung erhebliche Mühen und Kosten verursachte, belastet; die Belastung war um so drückender, als die Klägerin die unbedingte Einhaltung der im Vertrage festgesetzten Menge des blanken Holzes forderte. In Betracht kommt endlich die vom Berufungsgerichte festgestellte, sehr erhebliche Steigerung der Holzpreise, die es der Klägerin ermöglichte, auf Kosten der Beklagten zu spekulieren. Bei solcher Sachlage widersprach die über ein Jahr hinausgezogene Geltendmachung der klägerischen Lieferungsrechte den Vertragspflichten der Klägerin. Gibt auch im allgemeinen eine solche Verzögerung dem Schuldner keinen Befreiungsgrund, so muß dies doch dann angenommen werden, wenn durch die Verzögerung die wirtschaftliche Lage des Schuldners derart ungünstig verändert wird, daß ihm die fernere Erfüllung nicht mehr zugemutet werden kann. Der Vorschrift des § 242 BGB., daß der Schuldner die Leistung so zu bewirken habe, wie Treu und Glauben mit Rücksicht auf die Verkehrssitte es fordern, entspricht die Pflicht des Gläubigers, den ihm zustehenden Anspruch unter Einhaltung der gleichen Grundsätze geltend zu machen. Hiermit steht das Verhalten der Klägerin nicht im Einklang. Obwohl durch die Kriegsverhältnisse der Seeweg nach Rotterdam für nicht absehbare Zeit verschlossen war, hat die Klägerin bis zur Klagerhebung auf dessen Einhaltung trotz eines Gegenvorschlags der Beklagten beharrt. Treu und Glauben geboten ihr aber, wenn sie an der Lieferung festhalten wollte, der Beklagten innerhalb einer nach Maßgabe der Verhältnisse angemessenen Frist eine andere Versendungsart anzuweisen, die weder deren Mühewaltung steigerte noch ihre Interessen beeinträchtigte. Dies ist, wie das Berufungsgericht zutreffend angenommen hat, nicht geschehen. Da aber die veränderte wirtschaftliche Lage der Beklagten lediglich auf das Verhalten der Klägerin zurückzuführen ist, so war diese nach Ablauf der langen Zeit zur Geltendmachung ihres Kaufanspruchs nicht mehr befugt." ...