RG, 14.04.1919 - VI 350/18

Daten
Fall: 
Feststellungsinteresse trotz Erbieten eines Schulderlasses
Fundstellen: 
RGZ 95, 260
Gericht: 
Reichsgericht
Datum: 
14.04.1919
Aktenzeichen: 
VI 350/18
Entscheidungstyp: 
Urteil
Instanzen: 
  • LG Dresden
  • OLG Dresden

Entfällt für den auf Schulderlaß der Erblasserin gestützten Klagantrag eines Miterben, festzustellen, daß die Schuld an den Nachlaß nicht bestehe, das rechtliche Interesse dadurch, daß der verklagte Miterbe in dem Rechtsstreite den Erlaß der Schuld anbietet?

Tatbestand

Die Parteien haben neben anderen Personen die am 5. März 1908 verstorbene Witwe Auguste Karoline K. beerbt. Bei der Auseinandersetzung des Nachlasses entstanden unter den Erben Streitigkeiten insbesondere über die Beträge, welche die Parteien sowie andere Miterben von der Erblasserin als Schenkungen und Darlehen erhalten hatten und welche auf die Erbteile anzurechnen waren. Mit dem Antrage der vorliegenden Klage ist verlangt, durch Urteil festzustellen, daß der Kläger den K.schen Erben nicht mehr 46400 M - mehr oder weniger - schulde, daß er insbesondere der Beklagten als Erbin der Witwe K. keinen ihrem Erbteil entsprechenden Teilbetrag dieser 46400 M - mehr oder weniger - schulde. Außerdem war beantragt, die Beklagte zu verurteilen, sie habe die Ausstellung gewisser wider den Kläger gerichteter Behauptungen zu unterlassen. Dieses Unterlassungsbegehren ist in beiden Vorinstanzen abgewiesen, das Berufungsurteil insoweit nicht angefochten worden. Das Feststellungsbegehren hat der erste Richter gleichfalls abgewiesen. Das Berufungsgericht dagegen hat ihm teilweise willfahrt. Die Revision der Beklagten bestreitet, daß ein Feststellungsinteresse im Sinne des § 256 ZPO. gegeben sei. Sie wurde zurückgewiesen.

Aus den Gründen

... " Gegen die im Urteil ausgeführte Anerkennung des Feststellungsinteresses, insbesondere gegen die Annahme, der Kläger habe ernstlich mit der Gefahr zu rechnen, daß die Beklagte, wenn nicht das Nichtbestehen der streitigen Forderungen ihr gegenüber festgestellt werde, das Bestehen behaupten und geltend machen werde, wendet die Revision der Beklagten ohne Grund ein, es sei nicht ersichtlich, woraus diese Gefahr gefolgert werden solle. Das Berufungsgericht hat an der angegriffenen Stelle seiner Urteilsbegründung sich hierüber ausführlich ausgelassen, worauf zu verweisen genügt. Das Ergebnis seiner insoweit tatsächlichen Erwägungen ist der Nachprüfung in der Revisionsinstanz entzogen.

Das Berufungsgericht würdigt weiter die von der Beklagten im Rechtsstreit abgegebene Erklärung, sie habe schon früher auf die Forderung verzichtet und nehme diesen Standpunkt auch jetzt noch ein, nach doppelter Richtung: Daß in der Vergangenheit ein Erlaß (Verzicht) erklärt und, wie nötig (RGZ. Bd. 72 S. 171). als Vertrag zustande gekommen sei, hält das Berufungsgericht nicht für glaubhaft, weil die Beklagte auf Bestreiten nichts Näheres über das Zustandekommen anzugeben gewußt hat. Insoweit liegt eine lediglich tatsächliche Würdigung vor, die keinen Rechtsverstoß erkennen läßt. Eine im Rechtsstreit abgegebene Erlaß- oder Verzichtserklärung aber erachtet das Berufungsgericht nicht für durchgreifend aus rechtlichen Gründen: ein darin zu findendes Erbieten der Beklagten, dem Kläger die in Frage stehenden Schulden zu erlassen, habe dieser nicht anzunehmen brauchen und ablehnen können, ohne gegen Treu und Glauben zu verstoßen. Er habe ein Recht darauf, daß festgestellt werde, ob die Forderungen, soweit er sie bestreitet, entstanden und ob die übrigen, deren Untergang er behauptet, so wie er angibt, erloschen seien. Die Revision wendet hiergegen ein, allerdings habe der Kläger solchen Verzicht nicht anzunehmen brauchen, aber er hätte ihn annehmen können und deshalb nicht zu klagen brauchen. Insofern habe, wenn die Behauptung der Beklagten richtig war, kein Rechtsschutzinteresse bestanden. Ein Anerkenntnis im Prozesse, das der Beklagten die Kosten aufgebürdet hätte, sei übrigens dieser nicht zuzumuten gewesen. Auch die hiermit angegriffenen Erwägungen des Berufungsgerichts sind indessen frei von Rechtsirrtum. Die Annahme der Revision, weil der Kläger einen ihm im Rechtsstreite von der Beklagten angebotenen Schulderlaß hätte annehmen können, fehle es am Rechtsschutzinteresse, trifft jedenfalls auf die hier gegebene Sachlage nicht zu. Die Beklagte hat dem Kläger, wie auch im vorliegenden Rechtsstreit und im besonderen Zusammenhange mit seinem Unterlassungsbegehren zur Genüge erörtert worden ist, gerade den Vorwurf gemacht, er habe bei der Nachlaßauseinandersetzung den übrigen Miterben seine Schulden teilweise unrechtmäßig verschwiegen oder sonstwie zu verbergen gesucht, dadurch sich und seinen Kindern zum Schaden der übrigen Beteiligten ein Übererbe verschafft und dergleichen mehr. Sein Interesse daran, festgestellt zu sehen, daß und inwieweit die streitigen Forderungen schon zur Zeit des Erbfalls, weil von der Erblasserin ihm erlassen, nicht mehr bestanden haben, ist offenbar; er braucht nicht statt dessen einen Erlaß oder Verzicht, wie von der Beklagten angeboten, anzunehmen, als ob die Forderungen noch bestünden. Jenes Interesse wird durch eine solche Erlaß- oder Verzichtserklärung der Beklagten gegebenenfalls nach Sachlage überhaupt nicht berührt, weil der Feststellungsausspruch, wie begehrt, auf ein inhaltlich anderes Ziel gerichtet ist."