RG, 25.02.1919 - II 254/18

Daten
Fall: 
Empfänger eines Bestätigungsschreibens
Fundstellen: 
RGZ 95, 48
Gericht: 
Reichsgericht
Datum: 
25.02.1919
Aktenzeichen: 
II 254/18
Entscheidungstyp: 
Urteil
Instanzen: 
  • LG I Berlin, Kammer für Handelssachen
  • KG Berlin

Braucht der Empfänger eines Bestätigungsschreibens Widerspruch gegen dessen Inhalt zu erheben, wenn dieser vom Verfasser willkürlich erfunden worden ist?

Tatbestand

Infolge einer am 24. März 1815 an ihn ergangenen Aufforderung suchte der Beklagte den Kläger auf, um mit ihm über den Ankauf von Tornistertragriemen zu verhandeln. Über den Inhalt dieser Verhandlungen besteht zwischen den Parteien Streit. Der Kläger behauptet, dem Beklagten lediglich die Lieferung fertiger Tragriemen und die Anfertigung neuer, soweit sein Ledermaterial reiche, zugesagt zu haben, wobei als Preis 6 M für das Paar und Zahlung Zug um Zug vereinbart worden sei. Dagegen macht der Beklagte geltend, daß ihm die Lieferung von 10000 Paar Tornistertrageriemen zum Preise von 6 M für das Paar bei wöchentlicher Lieferung von 2000 Paar zugesagt worden sei.

Der Kläger lieferte am 26. März 1915 875 Paar, am 30. März 525 Paar. An diesem Tage begab sich der Beklagte in die Geschäftsräume des Klägers und diktierte, während dieser anderweit bei einer Maschine beschäftigt war, einer Angestellten ein Schreiben, welches an den Kläger gerichtet war und folgenden Inhalt hatte:

"Für die Ihnen bestellten und übernommenen 10000 Paar Tornistertragriemen, vorschriftsmäßig laut übergebenem Muster, zahle ich Ihnen 6 M pro Paar. Sie verpflichteten sich, wöchentlich mindestens 2000 Paar auszuliefern, und zwar beginnend mit dem 31. März 1915. Bei prompter Lieferung von mindestens 2000 Paar pro Woche verpflichte ich mich, Ihnen pro Paar 0,20 M extra zu zahlen. Diese 0,20 M pro Paar werden nach Ablieferung der ersten 5000 Paar verrechnet. Bei der Restlieferung von 5000 Paar werden diese 0,20 M pro Paar - 1000 M - auch nachgezahlt."

Der Beklagte unterschrieb diesen Brief und ließ ihn im Geschäfte des Klägers zurück, ohne mit diesem persönlich zu verhandeln. Die Angestellte übergab das Schreiben nachher dem Kläger, der es jedoch unterließ, alsbald eine Antwort darauf zu erteilen.

Der Kläger hat dann dem Beklagten am 3. April 682 Paar Tragriemen geliefert, so daß nunmehr für 12492 M Ware geliefert war. Auf diesen Betrag zahlte der Beklagte nach und nach bis zum 6. April 10600 M. Die Zahlung des Restes verweigerte er, weil sich der Kläger zu weiteren Lieferungen nicht verstehen wollte.

Der Kläger erhob Klage auf Zahlung des Restkaufpreises von 4712 M. Der Beklagte bat um Abweisung und machte im Wege der Aufrechnung und Widerklage einen Schadensersatzanspruch in Höhe von 9771,20 M geltend. Er führte aus, der Kläger habe ihm mündlich die Lieferung der 10000 Paar in Wochenteilpartien von 2000 Paaren fest zugesagt. Als dessen Angestellte später einen besseren Preis verlangt habe, sei er zum Kläger gegangen und habe dort seiner Angestellten den Brief diktiert, in welchem er für den Fall prompter Wochenlieferung von 2000 Paar einen Zuschlag von 0,20 M für das Paar bewilligt habe. Der Kläger habe dieses Bestätigungsschreiben unbeantwortet gelassen und damit seinen Inhalt genehmigt. Seine Weigerung, weitere Lieferungen zu bewerkstelligen, sei daher rechtswidrig gewesen, und der Beklagte habe mit Recht die Restzahlung zurückbehalten. Er habe seinem Abnehmer, dem er zu 6,65 M weiterverkauft habe, eine Vertragsstrafe von 5000 M zahlen müssen. Sein entgangener Gewinn betrage 4771,20 M.

Der Kläger bat um Abweisung der Widerklage und machte unter anderem geltend, daß er über eine bestimmte Menge überhaupt nicht abgeschlossen habe. Der Beklagte habe zwar versucht, den größeren Abschluß zu erreichen. Er habe aber damit keinen Erfolg gehabt. Das Schreiben vom 30. März 1915 sei infolgedessen nicht als richtiges Bestätigungsschreiben anzusehen. Der Kläger habe es unbeantwortet gelassen, weil er angenommen habe, daß der Beklagte den Brief wider besseres Wissen geschrieben habe. Der Ersatzanspruch werde auch der Höhe nach bestritten.

Das Landgericht hat der Klage stattgegeben und die Widerklage abgewiesen. Auf die vom Beklagten eingelegte Berufung hat das Kammergericht zunächst durch Teilversäumnisurteil die Klage abgewiesen und dem Kläger einen Teil der Kosten auferlegt, sodann aber auf den Einspruch des Klägers das Versäumnisurteil sowie das landgerichtliche Urteil gänzlich aufgehoben und die Entscheidung des Rechtsstreits von einem Eide des Klägers dahin abhängig gemacht, daß er nicht eine dem Inhalte des Schreibens vom 30. März 1915 entsprechende Vereinbarung getroffen und insbesondere niemals sich verpflichtet habe, dem Beklagten 10000 Paar Tornistertragriemen zu liefern. Für den Fall der Eidesleistung soll der Beklagte zur Zahlung der Klagsumme nebst Zinsen an die Firma P. & S., welche den Anspruch gepfändet und zur Einziehung sich hatte überweisen lassen, verurteilt werden. Andernfalls soll die Klage abgewiesen und die Widerklage für dem Grunde nach berechtigt erklärt werden.

Die Revision ist zurückgewiesen worden.

Aus den Gründen

"Die Parteien hatten unstreitig über die Lieferung von Tornistertragriemen mündlich verhandelt. Der Beklagte hatte vorgeschlagen, ihm 10000 Paar zu liefern, und betont, daß ihm an der Lieferung einer unbedeutenden Menge nicht gelegen sei. Der Kläger will auf den Vorschlag des Beklagten nicht eingegangen sein und sich lediglich verpflichtet haben, vorrätige fertige Tragriemen zu liefern und neue Tragriemen, soweit sein Ledervorrat reiche, für den Beklagten herzustellen. Als Preis sind 6 M für das Paar vereinbart worden. Tatsächlich hat der Kläger, obgleich nach seiner Behauptung ein Abschluß über eine fest bestimmte Menge überhaupt nicht stattgefunden hat, mit der Lieferung begonnen.

Wenn unter solchen Umständen der Beklagte nach Beschaffung zweier Teillieferungen das Schreiben vom 30. März 1913 an den Kläger richtete, in welchem er den Abschluß über 10000 Paar Tragriemen und die übrigen Einzelheiten des Geschäfts in der unter Kaufleuten üblichen Form bestätigte, so war der Kläger, wie das Reichsgericht in ständiger Rechtsprechung angenommen hat, handelsgebräuchlich verpflichtet, Widerspruch gegen den Inhalt des Schreibens zu erheben, wenn er nicht so angesehen werden wollte, als habe er denselben genehmigt. Diese Bedeutung des Bestätigungsschreibens und die rechtlichen Wirkungen seiner Nichtbeantwortung hat das Berufungsgericht keineswegs verkannt. Es kommt aber auf Grund seiner Würdigung des aus der Verhandlung und der Beweisaufnahme festgestellten Sachverhalts zu der Überzeugung, das von dem Beklagten beobachtete Verhalten deute darauf, daß dieser gar nicht gewillt gewesen sei, seine wahre Auffassung der Vertragsverhandlungen darzulegen, sondern den Abschluß über den großen Warenposten rein erfunden und beabsichtigt habe, den Kläger durch das Schreiben zu überrumpeln. Das Berufungsgericht hat entsprechend dieser Beurteilung der Sachlage dem Kläger den richterlichen Eid darüber anvertraut, daß er die Lieferung der 10000 Paar nicht zugesagt habe.

Diese Ausführungen lassen keinen Rechtsirrtum erkennen. Es ist in der Rechtsprechung stets anerkannt worden, daß die Bedeutung des Bestätigungsschreibens gerade darin liege, daß der Verfasser mit demselben eine Darlegung seines Verständnisses der vorausgegangenen Verhandlungen beabsichtige, und daß dieser Gesichtspunkt naturgemäß versage, wenn der Verfasser den Inhalt der Abmachungen arglistig erfindet oder verändert. Im vorliegenden Falle hat das Berufungsgericht aus dem Ergebnis der Beweisaufnahme die Überzeugung gewonnen, daß tatsächlich der Beklagte das Schreiben vom 30. März 1915 der Angestellten des Klägers allem Anscheine nach zu dem Zwecke diktiert habe, um diesen mit dem Inhalte zu überrumpeln. Es ist zu seiner Auffassung durch Würdigung der in Betracht kommenden Tatumstände gelangt, und diese Würdigung ist den Angriffen der Revision entzogen."...