RG, 19.02.1919 - V 280/18

Daten
Fall: 
Verwertbarkeit nachteiliger Parteibehauptungen
Fundstellen: 
RGZ 94, 348
Gericht: 
Reichsgericht
Datum: 
19.02.1919
Aktenzeichen: 
V 280/18
Entscheidungstyp: 
Urteil
Instanzen: 
  • LG Schneidemühl
  • OLG Posen

Inwiefern können Parteibehauptungen zum Nachteile der Partei verwertet werden?

Tatbestand

Die Kläger verlangten auf Grund der näher bezeichneten Verträge von der Beklagten die Bezahlung des angeblichen Kaufpreisrestes von 13000 M. Die Beklagte wendete ein, daß ihre Kaufpreisschuld im Wege der Verrechnung bereits völlig gedeckt sei. Hierauf entgegnete die Klägerin, daß die in Rede stehenden Grundstücke der Beklagten in Wirklichkeit nur zur Verwaltung und Bewirtschaftung übergeben und ihr abredegemäß auch nur formell aufgelassen worden seien. Das Landgericht wies die Klage ab und auch die Berufung der Kläger wurde zurückgewiesen, desgleichen ihre Revision.

Gründe

"Das Landgericht ging unter Berücksichtigung der näheren Umstände davon aus, daß im gegebenen Falle den Klägern der Beweis obliege, daß das Restkaufgeld noch nicht berichtigt sei. Das Berufungsgericht ist dieser Frage überhaupt nicht näher getreten, wie auch derjenigen nicht, ob die Beklagte ein Kaufgeld in der behaupteten Höhe überhaupt schuldig geworden ist; sein Ergebnis beruht vielmehr ausschließlich auf der Erwägung, daß die Kläger im Laufe des Rechtsstreits Behauptungen aufgestellt hätten, die ihrerseits dem ursprünglich geltend gemachten Klagegrunde seine Grundlage entzogen hätten. In dieser Hinsicht kommt tatbestandsmäßig folgendes in Betracht:... (Folgt die Darlegung der nachträglichen Behauptungen der Kläger.) In Gemäßheit dieses gesamten nachträglichen Vorbringens der Kläger ist das Berufungsgericht zu dem Ergebnis gelangt, daß jene ihren Anspruch auf die Kaufverträge gestützt, diesem Klagegrunde jedoch selbst den Boden dadurch wieder entzogen hätten, daß sie nachträglich die Kaufverträge als bloße Scheingeschäfte hinstellten.

Demgegenüber bemängelt es die Revision zwar nicht, daß das Berufungsgericht aus den nachträglichen Ausführungen der Kläger die Behauptung des Scheingeschäftes entnommen hat. Wohl aber bemängelt sie die Folgerungen, die das Berufungsgericht aus dem nachträglichen Verhalten der Kläger gezogen hat, indem sie einwendet, daß sich das Berufungsgericht mit dem Standpunkte beider Parteien in Widerspruch gesetzt habe. Die Kläger hätten daran festgehalten, daß der Klaganspruch auf Zahlung des Kaufpreises gehe, und niemals hätten sie die klagebegründende Behauptung, daß die Beklagte "schließlich doch" Eigentümerin der Grundstücke geworden sei und das Kaufgeld verschulde, fallen lassen wollen; wie ihre gesamten Ausführungen in der Replik und im Schriftsatze vom 7. Juni 1915 erkennen ließen, seien vielmehr die vom Berufungsgerichte zu ihrem Nachteile berücksichtigten Erklärungen der Kläger nur dazu bestimmt gewesen, den von der Beklagten erhobenen Einwand der Verrechnung der Kaufschuld zu widerlegen. Die Beklagte anderseits habe das Zustandekommen verbindlicher ernstlicher Kaufverträge nicht in Abrede gestellt, und wenn sie oder ihr Vertreter im zweiten Rechtszug auch geltend gemacht hätten, daß der Klaganspruch fallen müsse, wenn die Kaufverträge nur zum Schein oder in frauduloser Absicht abgeschlossen worden wären, so sei die Beklagte gleichwohl auch in jenem Schriftsatze dabei verblieben, daß sie die Grundstücke 24 Jahre lang zu Eigentum besessen habe und daß der Kaufpreis getilgt sei. Die Revision vermag jedoch mit diesen Einwendungen nicht durchzudringen.

Es ist ein anerkannter Grundsatz des Prozeßrechts, daß eine Partei, die eine ihr nachteilige Behauptung aufstellt, sich gefallen lassen muß, daß diese Behauptung auch zu ihren Ungunsten verwertet wird (vgl. RGZ. Bd. 67 S. 364, Bd. 78 S. 345, Bd. 86 S. 143; Planck, Lehrbuch des D. Zivilproz. Bd. 1 S. 251, 324; Bülow. Geständnisrecht S. 286 ff.; Stein, ZPO. Anm. II b. zu 288; Sydow-Busch, § 288 Anm. 4 a. E.). Von diesem Grundsatze hat das Berufungsgericht hier Gebrauch gemacht, indem es neben der Klagebehauptung, womit unzweifelhaft der Abschluß ernstlicher Kaufverträge geltend gemacht sein sollte, auch die nachträgliche Behauptung, daß es sich um bloße Scheingeschäfte gehandelt habe, berücksichtigte und hiernach, ungeachtet der Tatsache, daß die Kläger die nachträgliche Behauptung nur zur Widerlegung des gegnerischen Einwandes erfolgter Verrechnung der Kaufpreise aufgestellt hatten, zu der Annahme sich entschloß, daß das spätere Vorbringen der Kläger den gegebenen Klagegrund wieder hinfällig gemacht habe. Zwar hat es in einem Zwischensatze auch ausgesprochen, daß es dem nachträglichen Vorbringen Glauben schenke. Aber diese Bemerkung war offenbar nicht von ausschlaggebender Bedeutung. Es erhellt das daraus, daß es seine Erwägungen mit dem Satze abschloß, daß die Klage "bei diesem Widerspruche in den Behauptungen der Klägerin scheitern müsse". Denn hiernach hat das Gericht das entscheidende Gewicht gerade nur darauf gelegt, daß die nachträgliche Behauptung der ursprünglichen widersprach, und zwar, wie das Urteil weiter zu verstehen ist, mit der Folge, daß die ursprüngliche Behauptung als Stütze des Klaganspruchs nicht mehr dienen konnte, während aus der nachträglichen Behauptung, da Scheingeschäfte nichtig sind, der auf Zahlung der Kaufpreise gerichtete Anspruch überhaupt nicht herzuleiten war. Bei Anwendung des zuvor angeführten prozeßrechtlichen Grundsatzes kommt es darauf in der Tat auch nicht an, ob das Gericht die ursprüngliche, gegebenenfalls klagbegründende Behauptung durch ein nachträgliches Vorbringen für widerlegt angesehen hat oder ansehen will. Es genügt vielmehr für die Anwendung des Grundsatzes, wenn die Partei in der Folge eine Behauptung aufstellt, die sie überhaupt gegen sich gelten lassen muß, und die sachlich geeignet ist, ihrerseits den auf eine frühere Behauptung gestützten Anspruch (oder eine darauf gestützte Einrede) als unbegründet erscheinen zu lassen.

Geht man von diesen Anschauungen auch im gegebenen Falle aus, dann kann die Haltbarkeit des von der Revision angefochtenen Ergebnisses nur noch davon abhängen, ob hier etwa die Umstände so besonders lagen, daß es dieserhalb unstatthaft gewesen wäre, die nachträgliche Behauptung der Kläger auch gegen sie zu verwerten. Das ist der von der Revision vertretene Standpunkt. Es kann ihr jedoch nicht recht gegeben werden. Der Umstand zuvörderst, daß die Klägerin an dem ursprünglichen Klagegrunde festgehalten und die Behauptung des Scheingeschäftes nur zur Beseitigung des Einwandes der erfolgten Verrechnung, also der Tilgung der Kaufpreisforderung, entgegengesetzt haben, hindert die Anwendung der in Rede stehenden prozeßrechtlichen Regel keineswegs. Unter diesen Umständen war vielmehr ihrer Anwendung gerade Raum gegeben. Denn jetzt traf es gerade zu, daß die Kläger die Begründetheit ihres einen Klagegrundes, auf den das Klagebegehren gestützt war, nämlich das Vorhandensein rechtswirksamer Kaufverträge, durch ihr nachträgliches Vorbringen wieder in Frage stellten. In dieser Hinsicht war es aber auch ohne Bedeutung, daß die Kläger erst durch den Einwand der Beklagten zu ihrem nachträglichen Vorbringen veranlaßt worden sind, da die sachliche Tragweite der nachträglichen Behauptung durch den Anlaß ihrer Aufstellung nicht berührt und nicht gemindert wurde. Daß aber das Gericht jene Behauptung lediglich zu dem Zwecke verwertete, zu dem sie aufgestellt worden war, darauf hatten die Kläger nach anerkanntem Grundsatze keinen Anspruch. Anders wäre es gewesen und läge die Sache, wenn die Kläger einerseits zwar an ihrem ursprünglichen Klagegrunde festgehalten, anderseits aber mit der nachträglichen Behauptung einen weiteren Klagegrund hätten nachschieben wollen, so daß beide Klagegründe nebeneinander hätten bestehen sollen. In solchem Falle wäre nur die Frage der Klagänderung in Betracht gekommen, wäre dagegen der Widerspruch zwischen den beiden Klagegründen und ihre Unvereinbarkeit miteinander den Klägern insofern unschädlich geblieben, als es jedem Kläger gestattet ist, sich auf mehrfache, einander widersprechende, in einem Eventualverhältnis zueinander stehende Klagegründe zu stützen (RGZ. Bd. 77 S. 206; Warneyer 1911 Nr. 287). Von einem solchen Falle ist hier jedoch keine Rede, da die Geltendmachung des Scheingeschäftes niemals, wie bereits bemerkt worden, zur Begründung des Anspruchs auf die Kaufpreisforderung, sondern lediglich zur Durchsetzung des ursprünglichen Klagegrundes mittels Beseitigung des dagegen von der Gegenseite erhobenen Einwandes dienen konnte und dienen sollte.

Auch die Tatsache, auf welche sich die Revision gleichfalls beruft, daß nämlich die Beklagte die nachträgliche Behauptung der Kläger ausdrücklich bestritten hat, schloß die Anwendbarkeit des in Rede stehenden prozeßrechtlichen Grundsatzes nicht aus. Mit Recht hat vielmehr das Berufungsgericht diesen Umstand für bedeutungslos erachtet. Ob eine Klagforderung begründet ist, muß aus dem Klagevorbringen selbst geprüft und entnommen werden, so daß die Abweisung der Klage zu erfolgen hat, schon wenn sich das Begehren nach dem gesamten Vorbringen als unschlüssig erweist (wie das namentlich auch im Versäumnisverfahren hervortritt). Im gegebenen Falle hat sich nun aus dem gesamten Vorbringen der Kläger selbst die Hinfälligkeit ihres Begehrens ergeben, und daher kommt es für das Ergebnis nicht darauf an, daß die Beklagte aus wohl erwogenem eigenen Interesse - weil es ihr an Aufrechterhaltung der Kaufgeschäfte lag - in erster Linie die nachträgliche Behauptung der Kläger als tatsächlich unzutreffend in Abrede stellte und erst eventuell die Hinfälligkeit des Klaganspruchs auch aus dem nachträglichen Vorbringen der Kläger hergeleitet wissen wollte. Auf alle Fälle hielt die Beklagte ihren Abweisungsantrag aufrecht, und dies Verlangen auf zwiefache, wenn auch innerlich sich widersprechende Arten zu begründen, war sie durchaus befugt. Hätte die Beklagte übrigens die nachträglichen Behauptungen der Kläger nicht bestritten, sie sich vielmehr selbst zu eigen gemacht, dann hätte das gerade nur zur Verschlimmerung der prozessualen Lage der Kläger beigetragen, weil dann mit einem entsprechenden Geständnis der Kläger zu rechnen gewesen wäre und weil diese aus solchem Grunde des freien Widerrufsrechts verlustig gegangen sein würden. Der Umstand, daß die Beklagte die nachträgliche Behauptung der Kläger bestritt, konnte ihnen mithin insofern sogar zustatten kommen, als sie in der Lage geblieben waren, ihr nachträgliches Vorbringen frei zu widerrufen. Sie haben davon jedoch bis zuletzt Abstand genommen, und darum können sie sich jetzt auch nicht darüber beschweren, daß sie an ihrem Worte vom Gerichte festgehalten sind, und dieses zu ihrem Nachteile verwertet worden ist." ...