RG, 03.07.1917 - III 98/17
Hat der Pächter einer Bierwirtschaft Anspruch auf Zinsminderung, wenn durch Polizeiverfügung die Biererzeugung eingeschränkt wird?
Tatbestand
Durch einen im Jahre 1911 geschlossenen Vertrag sind zwei Bierkunden der Beklagten zu 1 - einer offenen, eine Brauerei betreibenden Handelsgesellschaft - die Wirtschaftsräumlichkeiten "zum Heidelberger Krug" in der Friedrichstraße zu Berlin vom Zedenten der Klägerin bis zum Jahre 1922 um den Jahreszins von 30.000 M zum Wirtschaftsbetrieb überlassen worden. Für die hieraus sich ergebenden Verbindlichkeiten der Wirte hat sich der Beklagte zu 1 beim Vertragsschlusse selbstschuldnerisch verbürgt.
Mit der Klage verlangte die Klägerin von der Beklagten zu 1 und deren Teilhabern auf Grund der Bürgschaft die Bezahlung der rückständigen Rate für das dritte Vierteljahr 1915 in Höhe von 7500 M. Das Landgericht hat klagegemäß erkannt. In der Berufungsinstanz beantragten die Beklagte zu 1 und der eine Teilhaber die Abweisung der Klage in Höhe von 4500 M; ihre Berufung wurde zurückgewiesen. Auch ihre Revision blieb ohne Erfolg aus folgenden Gründen:
Gründe
"Zwischen den Parteien besteht Streit über die Frage, ob die Beklagten als Bürgen der Schankwirte den Zins für die Gebrauchs" Überlassung der Wirtschaftsräumlichkeiten für das dritte Vierteljahr 1915 in der vollen vertragsmäßigen Höhe von 7500 M oder nur in dem von den Beklagten im Berufungsverfahren anerkannten geminderten Betrage von 2000 M zu entrichten haben. Der Anspruch auf eine solche Zinsminderung ist, wie das Berufungsgericht zutreffend ausgeführt hat, nicht mit der allgemeinen Erwägung zu begründen, daß durch die Kriegsverhältnisse eine Umgestaltung der gastwirtschaftlichen Verhältnisse zum Schaden der Wirte eingetreten sei. Wie der erkennende Senat bereits in der Entscheidung RGZ. 86 S. 397 ausgesprochen hat, steht dem Gerichte nicht die Macht zu, zur Milderung der durch den Krieg geschaffenen Härten einen Ausgleich zwischen den Parteien zu schaffen; insbesondere hat die Gesetzgebung der Kriegszeit keine allgemeinen Grundsätze nach dieser Richtung aufgestellt. Der Minderungsanspruch der Beklagten ist auch nicht durch Auslegung des Gebrauchsüberlassungs- oder des Bürgschaftsvertrags zu begründen. Die Beklagten hatten behauptet, sie wären die Bürgschaft nur unter der Voraussetzung eingegangen, daß die wirtschaftlichen Verhältnisse die gleichen blieben und daß die Wirte aus einem von ihnen zu vertretenden Umstande ihre Verbindlichkeiten nicht erfüllen würden. Daß die behauptete Voraussetzung nur im Sinne einer stillschweigenden Vertragsbedingung von rechtlicher Erheblichkeit wäre, ist für das gegenwärtige Recht anerkannt (RGZ. Bd. 62 S. 267, Bd. 66 S. 132). Eine Bedingung des behaupteten Inhalts ist aber vom Berufungsgericht ohne Rechtsirrtum verneint worden.
Der Minderungsanspruch kann fernerhin auf die Vorschrift des Miet- oder Pachtrechts nicht gestützt werden. Das Berufungsgericht hat dies deshalb abgelehnt, weil der Wirtschaftsbetrieb nach wie vor fortgesetzt werde und es sich lediglich darum handele, daß der Betrieb im Laufe des Krieges sich weniger gewinnbringend gestaltet habe als früher, und weil die Darlegungen der Beklagten darauf hinausliefen, den Schaden der Mieter und damit der Bürgen nicht selbst allein zu tragen, sondern in unzulässiger Weise gegenüber dem Vermieter, der dasselbe, wie früher, leiste, auszugleichen. Hiergegen macht die Revision geltend, daß die Wirtschaftsräumlichkeiten zum Heidelberger Krug als Bierwirtschaft verpachtet worden seien und daß nach den vom Berufungsgerichte nicht gewürdigten Behauptungen der Beklagten durch staatliche Verfügung die Biererzeugung in der kritischen Zeit - Herbst 1915 - gegenüber früher auf ein Drittel eingeschränkt worden sei, daß die Pächter ihr Bier auch nicht von einer anderen Brauerei als der der Beklagten hätten beziehen können, weil die Brauereien nicht einmal ihre eigenen festen Kunden hätten befriedigen können, auch gemäß einer Übereinkunft der Berliner Brauereien nicht berechtigt gewesen seien, den festen Kunden einer anderen Brauerei zu liefern. Im Falle eines unbeschränkten Biererzeugungsverbotes würde die fragliche Wirtschaft die Eigenschaft einer Bierwirtschaft verlieren und es kämen zugunsten der Pächter die Grundsätze zur Anwendung, die der erkennende Senat hinsichtlich der Pacht von Tanz- und Nachtlokalen ausgesprochen habe. In folgerichtiger Anwendung dieser Grundsätze müsse aber auch im Falle eines teilweisen Verbots der Biererzeugung den Pächtern ein Minderungsanspruch zugebilligt werden.
Der Angriff der Revision kann nicht für gerechtfertigt erachtet werden. Allerdings hat der erkennende Senat in den Entscheidungen RGZ. Bd. 87 S.277, Bd. 88 S.96 sowie in dem weiteren Urteile vom 20. Februar 1917 (RGZ. Bd. 89 S. 203) ausgesprochen, daß, da der Tanz- oder Nachtbetrieb die eigentliche Quelle des Erwerbes bilde und das Polizeiverbot die Benutzung zum vertragsmäßigen Zwecke verhindere, dieses Verbot den Pachtgegenstand selbst betreffe und die Unmöglichkeit vertragsmäßiger Nutzung schaffe, daß daher der Pachtgegenstand zufolge der Erlassung des Polizeiverbots mit einem Fehler im Sinne des § 537 BGB. behaftet sei und daß eine unverschuldete Unmöglichkeit der Erfüllung (§ 323 BGB.) vorliege. Hieraus ist aber für den vorliegenden Fall ein Zinsminderungsanspruch nicht abzuleiten, auch wenn man entgegen der nicht näher begründeten Annahme des Berufungsgerichts den Abschluß eines Pachtvertrags (RGZ. Bd. 87 S. 278) unterstellt. Es kann für die Entscheidung der vorliegenden Sache dahinstehen, wie in dem Falle zu entscheiden wäre, wenn durch staatliche Verfügung die Biererzeugung vollständig oder doch in einem Umfang untersagt worden wäre, der in seinen Wirkungen auf einen Wirtschaftsbetrieb von der Größe des Heidelberger Kruges einem vollständigen Verbote gleichkäme, und welche Rechte bei solcher Sachlage sich für den Pächter hinsichtlich der Lösung des Vertrags oder der Verweigerung des Pachtzinses ergeben würden. Auf die Fälle eines teilweisen Verbots der Biererzeugung und eines damit zusammenhängenden verringerten Bierverbrauchs in den Wirtschaften lassen sich die in den angeführten Entscheidungen niedergelegten Grundsätze nicht anwenden. Diese Grundsätze beruhen wesentlich auf der Erwägung, daß die verpachteten Räumlichkeiten nach den besonderen Umständen die Eigenschaft eines Tanz- oder Nachtlokals hätten und daß sie durch das Polizeiverbot dieser Eigenschaft beraubt würden (RGZ. Bd. 87 S. 280, 281). Diese Voraussetzung trifft jedoch bei einer Bierwirtschaft nicht zu, deren Verbrauch durch ein teilweises Biererzeugungsverbot herabgesetzt wird. Sie besteht trotz des verminderten Umsatzes als Bierwirtschaft weiter, ihr Charakter als solcher ändert sich nicht; das Verbot hat lediglich auf den Betriebsumfang einen gewissen Einfluß. Der Verpächter ist auch fernerhin in der Lage, dem Pächter die in der Beschaffung eines Bierlokals bestehende vertragsmäßige Nutzung zu gewähren. Wollte man in den Fällen der durch den Krieg herbeigeführten Betriebsverminderung den Wirtschaftspächtern ein Zinsminderungsrecht zugestehen, so würden hierdurch die Härten des Krieges auf den Verpächter, der seinerseits die etwa auf dem Wirtschaftsgebäude lastenden Hypothekenzinsen unvermindert weiterzuzahlen hat, abgewälzt werden. Hierzu fehlt es aber an der gesetzlichen Grundlage."