RG, 26.06.1917 - VII 80/17

Daten
Fall: 
Rayonbeschränkung
Fundstellen: 
RGZ 90, 361
Gericht: 
Reichsgericht
Datum: 
26.06.1917
Aktenzeichen: 
VII 80/17
Entscheidungstyp: 
Urteil
Instanzen: 
  • LG Cöln
  • OLG Cöln

Ist für die Klage auf Zahlung einer in Verwaltungsverfahren festgesetzten Entschädigung wegen Rayonbeschränkung der Rechtsweg zulässig?

Tatbestand

Nachdem der Reichskanzler am 22. März 1907 bekannt gemacht hatte, daß die Erweiterung der Rayons der Festung Cöln in Aussicht genommen sei, sind die Rayongrenzen abgesteckt und mit Steinen bezeichnet worden, wodurch unter anderem ein Teil einer in der Gemeinde Cöln-Efferen gelegenen Parzelle der Klägerin mit der Beschränkung des ersten Rayons belastet wurde. Durch Beschluß des Bezirksausschusses vom 16. April 1912 wurde die Entschädigung der Klägerin für die Rayonbeschränkung auf 95.958,50 M festgesetzt. Innerhalb der Ausschlußfrist des § 41 RayonG. verlangte die Militärbehörde die Enteignung der rayonbeschränkten Fläche. Die Enteignungsentschädigung wurde durch Beschluß des Bezirksausschusses vom 15. September 1914 auf 113.405,05 M mit dem Bemerken festgesetzt, in derselben sei die Schädigung mitenthalten; welche die zu enteignende Fläche durch Einbeziehung in den 1. Rayon erlitten habe. Gegen diesen Beschluß beschritt die Klägerin, an welche die 113.405,05 M gezahlt sind, zur Erzielung einer höheren Entschädigung den Rechtsweg. Sie erhob ferner die Klage des vorliegenden Rechtsstreits, gerichtet auf Zahlung von 10.000 M nebst Zinsen als Teilbetrags der wegen Rayonbeschränkung festgesetzten Entschädigung, wobei sie geltend machte, nach dem Beschlusse vom 16. April 1912 beläuft sich ihr Mindestanspruch wegen Rayonbeschrankung endgültig auf 95.958,50 M nebst Zinsen, Gegenstand des Enteignungsverfahrens sei nur das mit der Rayonbeschränkung belastete Grundstück, grundsätzlich sei zwar die Verwaltungsbehörde zur Vollstreckung des Beschlusses vom 16. April 1912 berufen, da aber der Bezirksausschuß in einer gleichliegenden Sache die Vollstreckung eines solchen Beschlusses abgelehnt habe, dürfe die Klägerin ohne vorgängige Angehung des Bezirksausschusses, die Indikatsklage erheben.

Das Landgericht wies die Klage aus materiellen Gründen ab. Die Berufung der Klägerin wurde wegen Unzulässigkeit des Rechtswegs zurückgewiesen.

Ihre Revision blieb erfolglos aus nachstehenden Gründen:

Gründe

"Die Ansicht der Vorinstanz, daß der Rechtsweg unzulässig sei, stützt sich im wesentlichen auf folgende Erwägungen. Für den Entschädigungsfeststellungs-Beschluß vom 16. April 1912 gelte § 60 preuß. LVG., der die Vollstreckung von Beschlüssen in die Hand der Verwaltungsbehörden lege. Dem Hinweise des Landgerichts, daß der Beschluß des Bezirksausschusses eine Entscheidung enthalte, die lediglich einen Anspruch feststelle, nicht auf eine Leistung gehe, sei nicht beizutreten. Der Ausdruck "Feststellung" sei nicht entscheidend. Wie die "Feststellung" einer Forderung im Konkursverfahren einen vollstreckbaren Titel begründe, so sei auch in dem Beschlusse des Bezirksausschusses die Zuerkennung eines Anspruchs auf Leistung einer bestimmten Geldsumme zu erblicken. Werde der Beschluß rechtskräftig, so bilde er einen vollstreckbaren Titel für den Besitzer des rayonbeschränkten Grundstücks, sofern nicht etwa seine Rechtsbeständigkeit durch die auf Antrag des Fiskus eingeleitete Enteignung gänzlich beseitigt werde. Das vom Landgericht angezogene Reichsgerichtsurteil RGZ. Bd. 69 S. 64 beziehe sich auf einen Enteignungsfall, und dieser Unterschied vom vorliegenden Falle erscheine bedeutsam. Im Verfahren nach dem Gesetze vom 11. Juni 1874 sei die Enteignung von der Zahlung oder Hinterlegung der festgestellten Entschädigung abhängig gemacht, dagegen trete nach § 8 RayonG. die Beschränkung in der Benutzung des Grundstücks, mit dem Zeitpunkte der Absteinung des Rayons kraft Gesetzes in Wirksamkeit, und die Entschädigungsfeststellung erfolge erst nachträglich; ferner könnten nach dem Enteignungsgesetze die Beteiligten auch ohne Anrufung der Verwaltungsbehörde ohne weiteres im Rechtswege die Entschädigungsfestsetzung herbeiführen, nach dem Rayongesetze sei dagegen das Verwaltungsverfahren hinsichtlich des Vorhandenseins und der Höhe des Schadens obligatorisch, nur wenn die Militärbehörde die Entschädigungspflicht bestreite, sei über diese Frage der Rechtsweg zugelassen. Das Entschädigungsfeststellungs-Verfahren nach dem Rayongesetze sei also im Gegensatze zu demjenigen nach dem Enteignungsgesetze grundsätzlich ein Verwaltungsverfahren, und es könne nicht zugelassen werden, die Vollstreckung des Entschädigungsfeststellungs-Beschlusses unter Umgehung der Verwaltungsbehörden im Klagewege zu erzielen.

Diese Urteilsbegründung ist nicht aufrechtzuhalten. Die Vollstreckungsfähigkeit von Entscheidungen der Verwaltungsgerichte und Verwaltungsbehörden hängt ebenso wie die Vollstreckbarkeit von Urteilen und Beschlüssen der ordentlichen Gerichte von der Fassung und dem Inhalte der Entscheidungsformel ab. Nur die einen Leistungsbefehl enthaltenden Entscheidungen können einen unmittelbaren Titel zur Zwangsvollstreckung im Sinne einer Beitreibung der Leistung von der Gegenpartei bilden. Dem Beschlusse vom 16. April 1912 kommt Vollstreckbarkeit nicht zu, weil seine Formel nicht das Gebot enthält, daß das Reich oder der Reichsfiskus die 95.958,50 M nebst Zinsen an die Klägerin zu zahlen habe, sondern sich darauf beschränkt, die Entschädigung, welche für die dem Grundstücke der Klägerin auferlegte Rayonbeschränkung geschuldet wird, ihrem Betrage nach festzustellen. Im Vergleich mit gerichtlichen Entscheidungen ist jener Beschluß auf eine Linie nicht mit vollstreckbaren Leistungsurteilen, sondern mit Feststellungsurteilen, die nicht zur Vollstreckung geeignet sind, zu stellen. Darum ist auch kein Raum zur Anwendung des § 60 preuß. LVG., bei dem eine vollstreckungsfähige Entscheidung vorausgesetzt wird.

Der Berufungsrichter irrt bei der Annahme, die Beschlüsse des Bezirksausschusses nach § 41 Abs. 2 RayonG., § 153 preuß. ZustGes. seien wesentlich anders als die nach § 29 preuß. EntG., § 150 ZustG., ergehenden Feststellungsbeschlüsse zu beurteilen, und daraus erkläre sich die Zulassung des Rechtswegs in dem Entscheidungsfalle, den das Urteil RGZ. Bd. 69 S. 64 behandelte. Zuzugeben ist zwar, daß die Regelung der Entschädigungsfrage wegen Rayonbeschränkung und wegen Enteignung in ihren materiellen Grundlagen und der Ausgestaltung des Verfahrens gewisse Unterschiede aufweist. Mit der Entschädigung wegen Rayonbeschränkung wird ein schon entstandener Schade ersetzt, wogegen die Enteignungsentschädigung eine in der Zukunft liegende Entziehung oder Beschränkung von Rechten vergütet, und für den Rechtsweg ist in den §§ 40 flg. RayonG. nicht in gleichweitgehendem Umfange wie im Enteignungsgesetze Raum gewährt. Immerhin werden überwiegend Übereinstimmungen und Ähnlichkeiten erkennbar. Sowohl bei der Entschädigung wegen Rayonbeschränkung als auch bei der Enteignungsentschädigung kommt der Grundgedanke zur Geltung, daß für Privatrechte, welche der einzelne dem überragenden Gemeinwohl aufzuopfern gezwungen ist, Entschädigung gewährt wird. Auf beide Fälle trifft zu, daß der Geldanspruch des Geschädigten im Privatrechte wurzelt und privatrechtlichen Inhalts ist. Auch das Rayongesetz läßt in nicht unerheblichem Maße für privatrechtliche Abkommen und für den Rechtsweg Raum (§ 40 Abs. 1, 2, § 41 Abs. 3 bis 5). Bei beiden zur Erörterung stehenden Verfahren hat die Entschädigungsfeststellung der Verwaltungsbehörde nur eine provisorische, den Rechtsweg vorbehaltende Bedeutung. Der Beschluß des Bezirksausschusses über die Entschädigung wegen Rayonbeschränkung gestattet auch keineswegs die Auslegung, daß der festgesetzte Betrag unter allen Umständen an den Eigentümer des betreffenden Grundstücks zu zahlen sei. Nach den neben dem Rayongesetze beachtlichen Vorschriften bleibt auch denkbar, daß der Betrag zur Hinterlegung kommt oder an ein mit einem Verteilungsverfahren befaßtes Gericht zu zahlen ist (vgl. namentlich Art. 52 bis 54 EG. z. BGB.).

Das Reichsgericht hat in dem Urteile RGZ. Bd. 69 S. 64, übrigens auch in dem Urteile der Sache VII. 297/07 vom 10. April 1908, für Ansprüche auf rechtskräftig vom Bezirksausschusse festgestellte Enteignungsentschädigungen den Rechtsweg zugelassen und keinen Anlaß, von dem damals vertretenen Standpunkt abzugehen. Ein wesentlicher Teil der damals maßgeblichen Gründe trifft auch auf Entschädigungsfestsetzungen wegen Rayonbeschränkung zu und genügt zu der Annahme, daß Ansprüche auf Zahlung solcher, vom Bezirksausschusse rechtskräftig festgesetzter Entschädigungen grundsätzlich im Rechtswege verfolgt werden dürfen, § 60 LBG. ist in den vorbezeichneten Urteilen nicht erwähnt. Dies erklärt sich daraus, daß in der bloßen Feststellung oder Festsetzung eines Entschädigungsbetrags eine im Sinne jener Vorschrift zur Vollstreckung geeignete Entschädigung nicht gefunden werden kann. Wenn das Gesetz für Forderungen, die im Konkursverfahren festgestellt und nicht von dem Gemeinschuldner im Prüfungstermin ausdrücklich bestritten worden sind, eine Zwangsvollstreckung aus der Eintragung in die Tabelle zuläßt, so liegt der Grund für diese besondere Regelung in der Erwägung, daß die Forderungen nach dem Verhalten der Beteiligten als anerkannt zu gelten haben.

Kann sonach den Ausführungen des Berufungsurteils, nicht gefolgt werden, so muß doch nach Lage des Falles die Revision daran scheitern, daß die Militärbehörde von der Befugnis, die Enteignung der rayonbeschränkten Fläche zu verlangen, rechtzeitig Gebrauch gemacht hat und zwischen den Parteien ein Rechtsstreit wegen Erhöhung der vom Bezirksausschuß am 15. September 1914 festgestellten Enteignungsentschädigung im Gange ist. Eine rechtskräftige Entscheidung über die Entschädigung wegen Rayonbeschränkung liegt überhaupt noch nicht vor. Wie die Klägerin selbst in erster Instanz zutreffend geltend gemacht hat, ist ihr Recht, den Festsetzungsbeschluß vom 16. April 1912 durch Klage anzugreifen, noch nicht endgültig erloschen. Dies folgt aus dem Schlußsatze des § 41 Abs. 4 Rayon G.: "Die Erklärung der Militärbehörde an die höhere Verwaltungsbehörde, daß von dieser Befugnis - nämlich zur Enteignung - Gebrauch gemacht wird, unterbricht den Lauf der im Abs. 3 bestimmten Frist und das gerichtliche Verfahren über die Höhe der Entschädigung." Aus dieser Vorschrift wird aber auch der Wille des Gesetzgebers erkennbar, dem eingeleiteten Enteignungsverfahren mit Einschluß des Rechtsstreits über Bemessung der Enteignungsentschädigung Ausschließlichkeit in dem Sinne zu sichern, daß, mindestens solange die Verhandlungen darüber in der Schwebe sind, nicht noch daneben ein besonderer Rechtsstreit, betreffend die Entschädigung wegen Rayonbeschränkung, statthaft ist. Hätte die Militärbehörde ihr Enteignungsverlangen wirksam zurückgezogen, so könnte der Eigentümer des rayonbeschränkten Grundstücks wegen der Beschränkungsentschädigung, sei es gemäß § 41 Abs. 3 Rayon G., sei es auf Grund des rechtskräftig gewordenen Beschlusses des Bezirksausschusses im Rechtswege klagen. Ob für eine solche Klage auch noch nach Durchführung und Beendigung des Verfahrens wegen Enteignung und Bestimmung der Enteignungsentschädigung Raum bleibt, hängt von der Frage ab, ob bei Bemessung der Enteignungsentschädigung das Grundstück lediglich als ein mit den Rayonbeschränkungen belastetes in Betracht kommt oder dabei der Schade aus den Rayonbeschränkungen unter Erledigung des die Beschränkungsentschädigung betreffenden Beschlusses mitabgegolten werden darf und mitabgegolten ist. Diese Frage ist im vorliegenden Rechtsstreite nicht zu erörtern. Vorläufig ist für die Klage der Rechtsweg verschlossen, weil in Verfolg des eingeleiteten Enteignungsverfahrens zwischen den Parteien ein Rechtsstreit über die Höhe der Enteignungsentschädigung schwebt. Im Ergebnis ist daher, dem Prozeßurteile der Vorinstanz, das die Klage wegen Unzulässigkeit des Rechtswegs abweist, beizustimmen." ...