RG, 14.05.1917 - VI 67/17

Daten
Fall: 
Geltendmachung von Ansprüchen von Personen mit Wohnsitz im Ausland
Fundstellen: 
RGZ 90, 223
Gericht: 
Reichsgericht
Datum: 
14.05.1917
Aktenzeichen: 
VI 67/17
Entscheidungstyp: 
Urteil
Instanzen: 
  • Landgericht Gnesen
  • Oberlandesgericht Posen

Zur Bekanntmachung des Bundesrats über die Geltendmachung von Ansprüchen von Personen, die im Ausland ihren Wohnsitz haben, vom 7. August 1914 (RGBl. S. 360). Übergang des Anspruchs während des Rechtsstreits auf einen Auslandwohner.

Tatbestand

Der Ansiedler Heinrich H. ist am 19. April 1914 bei dem Betriebe des Kraftfahrzeugs des Beklagten körperlich verletzt worden und an den Folgen dieser Verletzung nach einigen Tagen gestorben. Er hat zwölf Kinder hinterlassen; sechs davon haben die gegenwärtige Klage erhoben und zwar Georg H. auf Erstattung von 426,69 M Arzt- und Beerdigungskosten usw., die übrigen fünf Kläger auf Schadensersatz wegen des ihnen entzogenen Unterhalts. Georg H. ist im Laufe des Verfahrens erster Instanz gestorben und von seinen elf Geschwistern beerbt worden, diese sind an seine Stelle getreten und fordern zusammen jenen Betrag. Unter den neu hinzutretenden Klägern befinden sich vier, die im Ausland ihren Wohnsitz haben. Die Vorinstanzen haben dem Klagantrag entsprochen. Die Revision des Beklagten hatte in einem Punkte Erfolg.

Gründe

... "Die Revision erhebt den Einwand, daß die Vorinstanzen bezüglich der Kläger, die im Ausland ihren Wohnsitz haben, die Bekanntmachung des Bundesrats über die Geltendmachung von Ansprüchen von Personen, die im Ausland ihren Wohnsitz haben, vom 7. August 1914 durch Nichtanwendung verletzt haben. Die Rüge ist begründet. Nach dieser Bekanntmachung können solche Personen vermögensrechtliche Ansprüche, die vor dem 31. Juli 1914 entstanden sind, bis zum 31. Oktober 1914 vor inländischen Gerichten nicht geltend machen (§ 1 Abs. 1 Satz 1); dieser Zeitpunkt ist wiederholt hinausgeschoben worden, zuletzt durch die Bekanntmachung vom 26. März 1917 bis 31. Juli 1917. Der von jenen Klägern geltend gemachte Anspruch ist vor dem 31. Juli 1914, nämlich am Tage des Unfalls oder des Todes des Heinrich H. (19., 29. April 1914) entstanden. Wenn er nun auch zunächst von Georg H. geltend gemacht, die Klage, soweit sie auf seine Erfüllung geht, von diesem, also von einem Inlandwohner erhoben worden ist, so wird er doch infolge einer im Laufe des Prozesses eingetretenen Rechtsnachfolge weiter geltend gemacht auch von Auslandwohnern. Dies kann allerdings nicht dazu führen, daß die Klage - wie wohl in dem Falle, daß sie von einer im Auslande wohnenden Person erhoben worden, geschehen müßte - insoweit abzuweisen wäre, allein die sinngemäße Anwendung von § 1 Abs. 1 Satz 2 und der gesetzgeberische Grund der Bekanntmachung, ein Inlandwohner solle während des Krieges gegen Auslandsforderungen geschützt sein, weil das Ausland die Geltendmachung von Ansprüchen Deutscher vielfach durch Moratorien verhindert (RGZ. Bd. 87 S. 168, 188), ergibt, daß das Verfahren über einen von einem Inlandwohner anhängig gemachten vermögensrechtlichen Anspruch bis zum 31. Oktober 1914 - und nunmehr bis zum 31. Juli 1917 - unterbrochen wird, wenn der Anspruch während des Rechtsstreits auf einen Auslandwohner übergegangen ist. Das Verfahren war daher im Streitverhältnis zwischen den im Anstände wohnenden Klägern zu dem Beklagten bereits in der ersten Instanz unterbrochen worden und ist noch jetzt unterbrochen. Hieran vermag auch der von jenen Revisionsbeklagten betonte Umstand nichts zu ändern, daß der Nachlaß ihres Rechtsvorgängers Georg H. noch ungeteilt, ein jeder von den elf Klägern daher nach § 2039 BGB. berechtigt sein sollte, Leistung an alle Kläger zu fordern; die gerichtliche Geltendmachung dieses Anspruchs steht nach der Bekanntmachung eben nur den Inlandwohnern zu. Unerheblich ist es auch, daß der Beklagte einen auf die Bekanntmachung gestützten Einwand in den Vorinstanzen nicht erhoben hat; denn die Vorschrift enthält zwingendes Recht (Warneyer 1915 Nr. 254).

Hiernach hätte über den Anspruch der Auslandkläger schon vom Landgericht ein Urteil nicht erlassen werden dürfen und ebensowenig vom Berufungsgerichte. Über die Zulässigkeit der dagegen eingelegten Rechtsmittel kann kein Zweifel sein (RGZ. Bd. 88 S.206); beide Urteile müssen daher wegen jenes Anspruchs aufgehoben und die Sache nach § 539 ZPO. insoweit an das Landgericht zurückverwiesen werden. Nach Lage der Sache muß aber auch wegen des von den Inlandklägern geltend gemachten Anspruchs auf Zahlung der 426,69 M die Aufhebung wenigstens des Berufungsurteils und die Zurückverweisung an das Berufungsgericht erfolgen, obgleich diese Kläger durch jene Unterbrechung des Verfahrens an der Fortsetzung des Rechtsstreits nicht gehindert sind. Denn der Sachverhalt, wie er von den Vorinstanzen festgestellt wurde, läßt Zweifel darüber zu, ob der Nachlaß des Georg H. in der Tat noch ungeteilt ist, wie auch der Klagantrag dem Zweifel darüber Raum gibt, ob ein jeder der elf Kläger Zahlung des ganzen Betrags von 426,69 M an alle Kläger fordert oder nur den elften Teil davon für seine Person. Es ist sonach jetzt nicht möglich, den - wie die nachfolgenden Ausführungen ergeben, an sich begründeten - Anspruch oder den elften Teil davon jedem der Inlandkläger zuzusprechen. Das Berufungsgericht wird jene Zweifel durch Ausübung des Fragerechts zu lösen und die Inlandkläger zur Stellung eines klaren Antrags zu veranlassen haben." ...