RG, 02.04.1917 - VI 433/16

Daten
Fall: 
Bürgschaftsleistung des Wegeunterhaltungspflichtigen
Fundstellen: 
RGZ 90, 121
Gericht: 
Reichsgericht
Datum: 
02.04.1917
Aktenzeichen: 
VI 433/16
Entscheidungstyp: 
Urteil
Instanzen: 
  • LG Stendal
  • OLG Naumburg a.S.

Ist eine Bürgschaftsleistung des Wegeunterhaltungspflichtigen geeignet, eine überwiegende Beteiligung im Sinne des § II Abs. 2 des Telegraphenwege-Gesetzes vom 18. Dezember 1899 (RGBl. S.705) darzustellen? Entscheidender Zeitpunkt der Beteiligung.

Tatbestand

Die Beklagte hat durch die Errichtung von Starkstromlinien es notwendig gemacht, daß innerhalb des von ihr versorgten Gebiets Telegraphenlinien verlegt oder verändert oder auch Schutzvorkehrungen getroffen werden mußten. Die dafür aufgewandten Kosten erstattete die Beklagte dem Kläger, forderte sie aber in der Folge von ihm unter Berufung auf § 6 Abs. 2 des Telegraphenweges Gesetzes vom 18. Dezember 1899 zurück. Die Vorinstanzen entsprachen der Klage, die Revision wurde zurückgewiesen.

Gründe

"Die Parteien streiten darüber, ob die Starkstromanlage der beklagten Überlandzentrale, wie in § 6 Abs. 2 TelWG. vorausgesetzt, unter überwiegender Beteiligung eines oder mehrerer Wegeunterhaltungspflichtiger ausgeführt ist. Die Beklagte glaubt dies bejahen zu dürfen, weil ihr seitens der als Genossen beigetretenen wegebaupflichtigen Gemeinden Straßen und Wege zur Ausführung der Anlage kostenlos überlassen worden seien, und weiter deshalb, weil für ein ihr zu Zwecken des Unternehmens von einem Privaten gewährtes Darlehen die beteiligten Kreise die Bürgschaft übernommen haben. In der zweiten Richtung wurde ausgeführt: Unstreitig ist der hier angeforderte Kostenbeitrag vom Kläger der Beklagten bereits am 29. April 1910 mitgeteilt worden; die Herstellungen waren damals bereits vorgenommen, die Bürgschaftserklärungen aber sind erst im Juni und Juli 1911 abgegeben worden, während vorher auf seiten der Kreise keine bindende Verpflichtung, auf seiten der Beklagten nur eine wenig sichere Hoffnung bestand, daß es zur Verbürgung der Kreise kommen werde.

Das Berufungsgericht hält die Bürgschaftsleistung an sich für geeignet, eine Beteiligung im Sinne des § 6 Abs. 2 TelWG. darzustellen; da jene aber zu der Zeit, wo die Anlage ausgeführt werden sollte, noch nicht erfolgt war, könne auch eine Beteiligung der Kreise an dem Unternehmen nicht als vorliegend angesehen werden. Die Revision hält dafür, zur Anwendung des § 6 Abs. 2 TelWG. müsse es genügen, wenn, wie dies hier zutreffe, die bei dem Beginn der Bauausführung erwartete Beteiligung nachher auch wirklich gewährt und zur Zeit der Erhebung des Anspruchs gegen den Postfiskus vorhanden sei. Die Beklagte habe nach den Verhandlungen, die zur Gründung des Unternehmens geführt hätten, auf Grund der ihr von den Kreisen und den staatlichen Behörden gewordenen Zusicherungen bestimmt auf die nötige wirtschaftliche Unterstützung, also auf eine überwiegende Beteiligung der Wegeunterhaltungspflichtigen rechnen können; andernfalls wäre die Inangriffnahme des Unternehmens mit kurzfristigem Bankkredit ein Unding gewesen. In Fällen solcher Art müsse es bei dem naturgemäß langsamen Gange der behördlichen Geschäfte, bis es zur Unterzeichnung solcher Verpflichtungsurkunden komme, länger dauern, als der Unternehmer mit dem Beginn der Bauausführung zuwarten könne.

Auch diese Ausführungen konnten zur Aufhebung des Urteils nicht führen. Ohne Rechtsirrtum hat das Berufungsgericht seine Entscheidung auf die Feststellung gegründet: die Anlage ist ausgeführt mit Mitteln, die die nicht wegebaupflichtige Beklagte von der nichtwegebaupflichtigen Genossenschaftsbank in Halle entliehen hatte. In der entscheidenden Frage, zu welchem Zeitpunkte die "überwiegende Beteiligung" eines oder mehrerer Wegebaupflichtiger an dem Unternehmen vorliegen müsse, um die Anwendung des § 6 Abs. 2 TelWG. zu gestatten, braucht auf die von der Revision vertretene Auffassung, der Zeitpunkt der Erhebung des Anspruchs gegen den Postfiskus sei maßgebend, im allgemeinen nicht näher eingegangen zu werden. Denn jedenfalls ist ihr nach dem im vorliegenden Falle festgestellten Sachverhalte nicht beizutreten. In Ermangelung einer entgegenstehenden Bestimmung ist davon auszugehen, daß die Postverwaltung den Anspruch auf Erstattung der Kosten ihrer Herstellungen mit dem Zeitpunkt erwirbt, wo diese Herstellungen vorgenommen sind. Nach § 12 des Reichsgesetzes über das Telegraphenwesen vom 6. April 1892 i. d. F. vom 7. März 1908 gilt als Regel ein Prioritätsprinzip, demgegenüber die Vorschrift des § 6 Abs. 2 TelWG. eine Ausnahme darstellt: die nach § 12 TelG. gebotenen Herstellungen sind auf Kosten des Unternehmers der späteren Anlage auszuführen, die Postverwaltung handelt insoweit auch als sein Geschäftsführer (§ 677 BGB.) und hat Erstattung ihrer Kosten, wenn überhaupt, zu fordern, sobald sie ihr erwachsen, also die Herstellungen fertig sind (vgl. § 683). Der so entstandene Anspruch wird nicht nachträglich zunichte dadurch, daß ein Wegeunterhaltungspflichtiger beitritt, das Unternehmen dadurch im Sinne des § 6 Abs. 2 TelWG. bevorzugt wird. Der durch das Gesetz gewährten Vergünstigung würde anderenfalls eine Rückwirkung ' beigelegt, von der das Gesetz nichts sagt und für die allgemeine Rechtsgrundsätze nicht sprechen. Die Herstellungen, die die Postverwaltung vor dem Beitritt der Kreise als Bürgen vorgenommen hat, geschahen für einen Privatunternehmer, nämlich die beklagte Genossenschaft. Diese wurde dadurch zur Kostenerstattung verpflichtet, blieb es insoweit auch nach dem Beitritt der Kreise als Bürgen, und erst von da an lag die Beteiligung von Wegeunterhaltungspflichtigen vor. Rückwirkung kommt Rechtstatsachen grundsätzlich nur zu, wenn und soweit es das Gesetz vorschreibt." ...