RG, 02.04.1917 - VI 11/17

Daten
Fall: 
Einheitlichkeit einer Anlage von elektrischen Vorortbahnen
Fundstellen: 
RGZ 90, 119
Gericht: 
Reichsgericht
Datum: 
02.04.1917
Aktenzeichen: 
VI 11/17
Entscheidungstyp: 
Urteil
Instanzen: 
  • LG Cöln
  • OLG Cöln

Kann im Sinne des § 6 Abs. 2 des Telegraphenwege-Gesetzes vom 18. Dezember 1899 (RGBl. S. 705) eine Anlage von elektrischen Vorortbahnen auch dann als einheitlich angesehen werden, wenn die Bahnen nicht ausschließlich auf öffentlichen Wegen, sondern streckenweise auf eigenem Bahnkörper verlaufen?

Tatbestand

Die Vorortbahnen der Stadt C., elektrisch betrieben, führen zunächst über öffentliche Wege, für die die Stadt unterhaltungspflichtig ist, dann längere Strecken über selbständigen Bahnkörper und danach zum Teile wieder über öffentliche Wege, für die andere Gemeinden oder sonstige Verbände unterhaltungspflichtig sind. Die Bahnstrecken benützen zum Teile dieselben Wege wie bereits vorhandene Telegraphenlinien, teils kreuzen sie solche. Die Herstellungen, bezüglich deren die Kostentragungspflicht streitig ist, sind insgesamt vorgenommen an Stellen, wo entweder die auf eigenem Bahnkörper geführten Bahnen öffentliche, mit Telegraphenanlagen besetzte Wege auf ebenem Boden kreuzen, oder wo die Bahnen wieder auf öffentlichen Wegen verlaufen, also die Telegraphenanlagen und die späteren Anlagen (die Bahnen) gleichermaßen auf öffentlichen Wegen sich befinden und da zusammentreffen.

Für die Kosten dieser Herstellungen ist der Beklagte als erstattungspflichtig im Sinne des § 6 Abs. 2 des Telegraphenwege-Gesetzes angesehen worden unter dem Gesichtspunkte der Einheitlichkeit der Anlage (RGZ. Bd. 65 S. 311. Bd. 78 S. 228; IV. 430. 431/16). Die streitig gewordene Frage ist die, ob der Annahme der Einheitlichkeit der unstreitige Umstand entgegensteht, daß die fraglichen Bahnen nicht zusammenhängend, d.h. ausschließlich auf öffentlichen Wegen laufen, sondern streckenweise auf eigenem Bahnkörper. Die Frage war mit dem Berufungsgerichte zu verneinen.

Gründe

"Die Einheitlichkeit der Anlage ist im wesentlichen nach tatsächlichen Gesichtspunkten zu beurteilen. Unter solchen kommt das Berufungsgericht dazu, die Einheitlichkeit schon um deswillen anzunehmen, weil die Linienführung der Bahn eine einheitliche und dadurch - wenn auch teilweise auf eigenem Bahnkörper - der tatsächliche Zusammenhang auch in Ansehung der im übrigen benützten Wege hergestellt sei.

Für rechtsirrig ist diese Betrachtungsweise nicht zu erachten, sie ist vielmehr mit dem nach Wortlaut und Zweck zu ermittelnden Inhalte des Gesetzes zu vereinigen. Auch die bisherige Rechtsprechung ergibt dagegen kein Bedenken; insbesondere ist in RGZ. Bd. 65 S. 311 von zusammenhängenden Wegen nur deshalb die Rede, weil solche nach dem Sachverhalt vorausgesetzt wurden; dagegen besteht kein Anhalt dafür, daß der Entscheidung damit eine inhaltliche Beschränkung habe gegeben werden sollen. Entsprechendes gilt von den Vorarbeiten des Gesetzes, insbesondere von dem Berichte der Reichstagskommission zu § 6 des Regierungsentwurfs (Reichstag 10. Leg-Per. I. Sess. 1898/1900, Drucks. Bd. 7 Nr. 498), wo. wie schon das Berufungsgericht zutreffend hervorgehoben hat, gleichfalls kein Anhalt für die vom Beklagten vertretene Einschränkung erhellt. Endlich ist auch kein innerer Grund dafür ersichtlich, den Wegeunterhaltungspflichtigen die Vergünstigung aus § 6 Abs. 2 des Gesetzes dann nicht zu gewähren, wenn durch eine streckenweise bestehende Abseitsführung der Anlage vom öffentlichen Wege für den Beklagten die Möglichkeit einer Störung der Telegraphenanlage verringert, damit die ihn gegebenenfalls treffende Herstellungs- und Kostenpflicht nicht vergrößert, sondern verringert wird." ...