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RG, 02.12.1918 - VI 217/18

Daten
Fall: 
Anwendung des Telegraphenwege-Gesetzes
Fundstellen: 
RGZ 94, 182
Gericht: 
Reichsgericht
Datum: 
02.12.1918
Aktenzeichen: 
VI 217/18
Entscheidungstyp: 
Urteil

Zur Anwendung des Telegraphenwege-Gesetzes vom 18. Dezember 1899 § 6 Abs. 4 (Veräußerung des Anteils des Wegeunterhaltungspflichtigen an der Anlage).

Tatbestand

Die Klägerin hat im Jahre 1900 die sog. Rundbahn und im Jahre 1902 die sog. Nord-Südbahn als städtische Straßenbahnen angelegt und sie bis Februar 1914 betrieben, sodann aber der Aktiengesellschaft Bergische Kleinbahnen übereignet. Unter Berufung auf § 6 Abs. 4 des Telegraphenwege-Gesetzes vom 18. Dezember 1899 verlangt der Postfiskus von der Klägerin 5870,80 M als Ersatz von Auslagen, welche s. Zt. der Telegraphenverwaltung durch Verlegung und Veränderung von Telegraphenlinien aus Anlaß des Baues der beiden Straßenbahnen sowie durch Herstellung und Unterhaltung von Schutzvorrichtungen erwachsen sind.

Sowohl die Verwaltungsbehörde (Beschluß des Regierungspräsidenten vom 21. Dezember 1916, § 13 des Gesetzes) wie die gerichtlichen Vorinstanzen willfahrten dem Anspruche der Postverwaltung. Die Klägerin legte hiergegen die Revision ein und wiederholte den Klagantrag, den Anspruch für unbegründet zu erklären. Die Revision wurde zurückgewiesen aus folgenden Gründen.

Gründe

"Wenn spätere besondere Anlagen die Verlegung oder Veränderung einer Telegraphenlinie oder die Herstellung von Schutzvorkehrungen notwendig machen, so fallen die Kosten gemäß § 6 Abs. 2 TelWG. der Telegraphenverwaltung zur Last, wenn sonst die Herstellung der Anlage unterbleiben müßte oder wesentlich erschwert werden würde und die Anlage aus Gründen des öffentlichen Interesses, insbesondere aus volkswirtschaftlichen oder Verkehrsrücksichten, von den Wegeunterhaltungspflichtigen oder unter überwiegender Beteiligung eines oder mehrerer derselben zur Ausführung gebracht werden soll. Überläßt ein Wegeunterhaltungspflichtiger in der Folge seinen Anteil einem nicht unterhaltungspflichtigen Dritten, so sind gemäß Abs. 4 das. die durch die Verlegung oder Veränderung oder durch die Herstellung der Schutzvorkehrungen erwachsenden Kosten, soweit sie auf jenen Anteil fallen, der Telegraphenverwaltung - nachträglich - zu erstatten.

Gegen den hierauf gegründeten Erstattungsanspruch des Beklagten hat die Klägerin Einwendungen erhoben, die das Berufungsgericht insgesamt zutreffend verworfen hat. Im besonderen

1.

kann es keinem Zweifel unterliegen, daß der im Falle des § 6 Abs. 4 gegebene Anspruch sich nicht gegen den dritten neuen Erwerber, sondern gegen den - veräußernden - Wegeunterhaltungspflichtigen richtet. Dafür sei auch auf den Kommissionsbericht zu § 6 Ges. Vllc (Reichst. 1898/1900, Stenogr. Ber. Anl. Bd. 4 Nr. 498, abgedr. in den Komm. von v. Rohr S. 127, Wolf S. 76) verwiesen, wo es bei Erwähnung der Streichung der vorher vorgesehen gewesenen fünfjährigen Frist heißt: "Sei ein Unterhaltungspflichtiger nur dann verpflichtet, die ... Kosten zu tragen, wenn ..." -, wobei offensichtlich gleichfalls von der Zahlungspflicht des Wegeunterhaltungspflichtigen ausgegangen ist. Und wenn auch bei der Schaffung der Bestimmung, wie das Berufungsgericht zutreffend (aus dem KommBer., abgedr. bei v. Rohr S. 123 flg.) hervorhebt, in erster Reihe an Schiebungen und Verschleierungen des wahren Sachverhältnisses gedacht worden ist, so sind doch solche Umstände nicht zur Voraussetzung der gesetzlichen Regelung gemacht. Die Vorschrift des Abs. 4 greift vielmehr bei jeder Veräußerung ein, auch wenn sie nicht auf eine Verschleierung des Sachverhalts oder sonst zu mißbilligende Zwecke gerichtet ist.

Ebensowenig kann der Wortlaut der Vorschrift, die nur von der Veräußerung des "Anteils" eines Wegeunterhaltungspflichtigen spricht, der Anwendung auf den vorliegenden Fall entgegenstehen, wo die ganze Anlage veräußert worden ist. Die Revision will die Anwendbarkeit des Abs. 4 auf den vorliegenden Fall insbesondere deshalb verneinen, weil die Gemeinde das Unternehmen allein erstellt, 12 und 14 Jahre allein betrieben habe, jetzt noch an der Aktiengesellschaft beteiligt sei und sich maßgebenden Einfluß gesichert habe; danach seien die in Rede stehenden Bahnunternehmungen wirtschaftlich auch jetzt noch als solche zu behandeln, die die Gemeinde hergestellt habe. Dem kann indessen nicht gefolgt werden. Der Fall der Veräußerung liegt unzweifelhaft vor. Und die Fassung des Gesetzes will alle Fälle treffen, auch die des nur anteiligen Besitzes des Wegeunterhaltungspflichtigen, nicht aber den Fall, wo die Anlage ganz und allein diesem gehört hat, ausnehmen, wofür kein innerer Grund abzusehen wäre.

2.

Auch der Versuch, den Wortlaut des Abs. 4 in den Worten "erwachsenden Kosten" dahin zu deuten, daß in der Vergangenheit entstandene Kosten überhaupt nicht unter diese Vorschrift fielen, ist mit Recht zurückgewiesen. Nicht nur daß, wie das Berufungsgericht bereits zutreffend festgestellt hat, der Kommissionsentwurf wie der Kommissionsbericht den Wortlaut "erwachsene Kosten" aufweisen, die Worte "erwachsende Kosten" statt dessen erst im veröffentlichten Gesetzestext auftreten: es erhellt ohne weiteres, daß eine Beschränkung der Vorschrift auf künftige Kosten ganz gegenstandslos wäre, da insoweit nur eine Erstattungspflicht des dritten - neuen - Erwerbers in Frage kommen könnte. Da auch der Wortlaut "erwachsende Kosten" der Beziehung auf die in der Vergangenheit entstandenen Kosten nicht zwingend entgegensteht, war zu diesem Punkte gleichfalls dem Berufungsgerichte lediglich beizutreten.

3.

Die Klägerin hält endlich dafür, daß der Erstattungsanspruch der Telegraphenverwaltung deshalb nicht begründet sei, weil auch nach geschehener Veräußerung die Klägerin am Unternehmen überwiegend beteiligt im Sinne des § 6 Abs. 2 des Gesetzes geblieben sei.

Mit Recht geht das Berufungsgericht hierzu davon aus, daß die in § 6 Abs. 2 TelWG. für den Fall der überwiegenden Beteiligung des Wegeunterhaltungspflichtigen an der Errichtung der Anlage getroffene Regelung auch für den Fall des Abs. 4 heranzuziehen ist, wo es sich um die Veräußerung jener Anlage handelt. Innere Gründe für die gegenteilige Annahme sind in der Tat nicht zu erkennen. Wenn die überwiegende Beteiligung des Wegeunterhaltungspflichtigen bei der Erstellung der Anlage genügt, um ihn der in Rede stehenden Vergünstigung teilhaftig werden zu lassen, so entspricht es der Billigkeit, daß es dabei bleibt, wenn er - nach der Veräußerung - überwiegend beteiligt bleibt. Der Neuerwerber tritt solchenfalls noch nicht in dem Maße hervor, daß die Anlage den für die Frage maßgebenden Charakter der Gemeinnützigkeit, den Zusammenhang mit dem Wegeeigentum verloren hätte. Es könnte nicht angemessen erscheinen, wenn die Veräußerung jedes, auch des kleinsten Teiles jenes Anteils schon genügen würde, um dem Wegeunterhaltungspflichtigen die mit der "überwiegenden Beteiligung" verbundene Vergünstigung zu entziehen.

Im übrigen stellt das Berufungsgericht fest, daß die Klägerin etwas über ein Viertel der Aktien der Bergischen Kleinbahnen besitzt, daß zwar für wichtige Angelegenheiten Dreiviertelmehrheit der Aktionäre erfordert wird und daß der Klägerin ein Posten im Aufsichtsrate zukommt, daß aber eine überwiegende Beteiligung der Klägerin im Sinne des § 6 Abs. 2 hierin nicht gefunden werden könne. Diese Beurteilung ist im wesentlichen tatsächlichen Inhalts (vgl. RGZ. Bd. 90 S. 117) und läßt nach der Sachlage keinen Rechtsirrtum erkennen." ...