RG, 23.02.1891 - VI 281/90

Daten
Fall: 
Klagen der Beamten
Fundstellen: 
RGZ 27, 252
Gericht: 
Reichsgericht
Datum: 
23.02.1891
Aktenzeichen: 
VI 281/90
Entscheidungstyp: 
Urteil
Instanzen: 
  • LG Frankfurt a./M.
  • OLG LG Frankfurt a./M.

Welche Behörde hat den preußischen Eisenbahnfiskus gegenüber Klagen der Beamten wegen vermögensrechtlicher Ansprüche aus dem Dienstverhältnisse zu vertreten?

Gründe

"Der Kläger ist früher als Bahnmeister in Geismar, Betriebsamt Nordhausen, angestellt gewesen und am 17. September 1887 durch Verfügung dieses Betriebsamtes seines Dienstes entlassen. Später ist ihm eine andere Bahnmeisterstelle übertragen worden; er hat dieselbe aber abgelehnt, und es ist hierauf durch Verfügung vom 28. Februar 1888 von seiner Wiederanstellung im Staatsdienste Abstand genommen.

Der Kläger hält die Entlassung vom 17. September 1887 für ungerechtfertigt. Er verlangt daher von dem Beklagten das Gehalt bis zum 28. Januar 1889 und außerdem Ersatz des ihm anderweit durch die Entlassung entstandenen Schadens. Er hat seine Klage gegen die Eisenbahndirektion in Frankfurt gerichtet, in deren Ressort er angestellt gewesen ist. Die beklagte Direktion hat die Einrede der mangelnden gesetzlichen Vertretung des Beklagten erhoben und diese Einrede folgendermaßen begründet: Die Anstellung, Gehaltszahlung, Beaufsichtigung, sowie auch die Entlassung des Klägers sei von dem Betriebsamte Nordhausen erfolgt, welches dabei innerhalb des ihm durch die Organisation vom 24. November 1879 zugewiesenen Geschäftskreises gehandelt habe; in seinem Geschäftskreise vertrete es nach §§. 12.16 des Erlasses den Fiskus selbständig; es sei daher das erwähnte Betriebsamt, und nicht die Eisenbahndirektion, zur Vertretung des Fiskus in dem gegenwärtigen Rechtsstreite berufen.

Beide Vorinstanzen haben die Einrede für begründet erklärt und die Klage abgewiesen. Die hiergegen vom Kläger eingelegte Revision erscheint begründet.

Die Bahnmeister gehören allerdings zu denjenigen Beamten, bezüglich deren die Bearbeitung der Personalien den Betriebsämtern obliegt. Den Eisenbahndirektionen ist nur die Genehmigung zur definitiven Anstellung solcher Beamten vorbehalten. Auch vertreten die Betriebsämter in den zu ihrer Zuständigkeit gehörenden Angelegenheiten die Verwaltung, der sie angehören, selbständig, sodaß sie auch ohne besonderen Auftrag durch ihre Rechtshandlungen, Verträge, Prozesse, Vergleiche für die Verwaltung Rechte erwerben und Verpflichtungen übernehmen (§§. 12. 16 des Königl. Erlasses vom 24. November 1879, Ministerialbl. für die innere Verwaltung von 1880 S. 84). Auf Grund dieser letzten Bestimmung, und da die Erledigung aller laufenden Geschäfte der Bau- und Betriebsverwaltung, soweit dieselben nicht den Direktionen und dem Minister vorbehalten sind, den Betriebsämtern obliegt, ist angenommen, daß die Klagen auf Entschädigung aus dem Haftpflichtgesetze gegen die Betriebsämter zu richten sind.

Vgl. Entsch. des R.G.'s in Civils. Bd. 5 S. 423, Bd. 8 S. 403.

Über die Vertretung des Fiskus bei Klagen der Eisenbahnbeamten über vermögensrechtliche Ansprüche aus ihrem Dienstverhältnisse, insbesondere über Ansprüche auf Besoldung, Pension oder Wartegeld, sind in dem Erlasse vom 24. November 1879 Bestimmungen nicht enthalten; es sind vielmehr für diese Frage die Vorschriften des Gesetzes vom 24. Mai 1861 (G.S. S. 241) maßgebend. Nach dem §. 3 dieses Gesetzes ist bei solchen Ansprüchen die Klage gegen "diejenige Provinzialbehörde des betreffenden Verwaltungsressorts" und in Ermangelung einer solchen gegen diejenige Bezirksregierung zu richten, in deren Amtsbezirke der Beamte zu der Zeit, wo der Anspruch entstanden ist, vermöge seines dienstlichen Wohnsitzes seinen persönlichen Gerichtsstand gehabt hat.

Es fragt sich daher, ob die Eisenbahndirektionen oder die Betriebsämter nach der gegenwärtigen Organisation des preußischen Eisenbahnwesens als die "Provinzialbehörde" im Sinne des Gesetzes vom 24. Mai 1861 anzusehen sind. Unter "Provinzialbehörde" wird aber im allgemeinen eine unmittelbar unter dem Minister stehende Behörde verstanden (vgl. Verordnung wegen verbesserter Einrichtung der Provinzialbehörden vom 30. April 1815, G.S. S. 85; Instruktion für die Oberpräsidenten vom 31. Dezember 1825 §. 2, G.S. für 1826 S. 1; Kabinetsorder vom 31. Dezember 1825, betreffend eine Abänderung in der bisherigen Organisation der Provinzialverwaltungsbehörden, G.S. für 1826 S. 5; Gesetz, betreffend die Dienstvergehen der nichtrichterlichen Beamten etc, vom 21. Juli 1852 §.24. G.S. S. 465). Dementsprechend ist auch für den Fall, daß eine Provinzialbehörde des betreffenden Ressorts nicht vorhanden ist, in dem Gesetze vom 24. Mai 1861 angeordnet, daß die Klage gegen die unmittelbar unter dem Minister stehende Bezirksregierung zu richten ist. Danach müssen die Eisenbahndirektionen als die Provinzialbehörden angesehen werden, welche den Eisenbahnfiskus in den Fällen des §. 1 des Gesetzes von 1861 zu vertreten haben. In Übereinstimmung mit dieser Auffassung steht auch, daß durch das Gesetz vom 17. Juni 1886 (G.S. S. 271) die Befugnisse, welche in der Verordnung über die Festsetzung und den Ersatz der bei Kassen und anderen Verwaltungen vorkommenden Defekte vom 24. Januar 1844 und in dem Gesetze, betreffend die Dienstvergehen der nichtrichterlichen Beamten etc, vom 21. Juli 1852 den Provinzialbehörden und den Vorstehern derselben vorbehalten sind, den Eisenbahndirektionen - nicht den Betriebsämtern - und deren Vorstehern übertragen sind. Dieselbe Ansicht wird vertreten von Witte (Die Ordnung der Rechts- und Dienstverhältnisse der Beamten und Arbeiter im Bereiche der preußischen Staatseisenbahnverwaltung Bd. 1 S. 294) und von Endemann (Eisenbahnrecht S. 181).

Darauf, daß nach dem Erlasse vom 24. November 1879 den Betriebsämtern die Bearbeitung der Personalien der Bahnmeister obliegt, und daß sie den Fiskus in den zu ihrer Zuständigkeit gehörenden Angelegenheiten selbständig im Prozesse vertreten, sowie darauf, daß die Anstellung, Gehaltszahlung, Beaufsichtigung und Entlassung des Klägers durch das Betriebsamt Nordhausen erfolgt ist, kann für die zu entscheidende Frage kein Gewicht gelegt werben, denn es ist durch §. 3 des Gesetzes vom 24. Mai 1861 die Vertretung des Fiskus bei den hier in Betracht kommenden Klagen bezüglich aller zu dem betreffenden Verwaltungsressort gehörenden Beamten "den Provinzialbehörden dieses Ressorts" übertragen, ohne Rücksicht darauf, ob der betreffende Beamte von dieser Behörde angestellt worden ist, und ob dieselbe bezüglich seiner dienstlichen Angelegenheiten im übrigen die zuständige Behörde ist.

Danach ist die von der beklagten Direktion vorgeschützte Einrede der mangelnden gesetzlichen Vertretung unbegründet. Das angefochtene Urteil muß aufgehoben und unter Verwerfung der Einrede die Sache in die erste Instanz zurückverwiesen werden." ...