RG, 02.04.1889 - II 33/89

Daten
Fall: 
Erbrecht des anerkannten natürlichen Kindes
Fundstellen: 
RGZ 23, 323
Gericht: 
Reichsgericht
Datum: 
02.04.1889
Aktenzeichen: 
II 33/89
Entscheidungstyp: 
Urteil
Instanzen: 
  • LG Freiburg
  • OLG Karlsruh

1. Hat nach L.R.S. 757 das anerkannte natürliche Kind dann, wenn der Erblasser neben demselben nur Geschwisterkinder hinterlassen, nur die Hälfte (nicht drei Viertel) desjenigen Betrages, welcher ihm als ehelichem Kinde gebührt haben würde, zu beziehen?
2. Hat das anerkannte natürliche Kind, falls es nur nach L.R.S. 757 erbberechtigt ist, gegenüber den gesetzlichen Erben von dem ihm gebührenden Nachlaßbetreffnisse Früchte oder Zinsen erst vom Tage der gerichtlichen Anforderung an anzusprechen?

Gründe

1.

"Bezüglich der Revision der Kläger und Widerbeklagten handelt es sich um die von dem Oberlandesgerichte dem L.R.S. 757 dahin gegebene Auslegung, daß, wenn der Erblasser neben dem anerkannten natürlichen Kinde nur Geschwisterkinder hinterlassen, das anerkannte natürliche Kind drei Viertel (nicht bloß die Hälfte) desjenigen Betrages, welcher ihm als ehelichem Kinde gebührt haben würde, zu beziehen habe. ...

Das Reichsgericht konnte der angeführten (zwar von den französischen und belgischen Gerichten fast einstimmig, wie auch von dem vormaligen badischen Oberhofgerichte geteilten, in der Wissenschaft jedoch durchaus streitigen) oberlandesgerichtlichen Auslegung des L.R.S. 757 nicht beitreten, ist vielmehr zu der Rechtsansicht gelangt, daß nach L.R.S. 757 das anerkannte natürliche Kind dann, wenn der Erblasser neben demselben nur Geschwisterkinder hinterlassen, nur die Hälfte (nicht drei Viertel) desjenigen Betrages, welcher ihm als ehelichem Kinde gebührt haben würde, zu beziehen habe. Das Reichsgericht ging hierbei von folgenden Erwägungen aus.

Zwar führt der Wortlaut des L.R.S. 757 (in Übereinstimmung mit dem französischen Texte) sowohl in seiner auf die Hälfte bezüglichen positiven Bestimmung: "wenn Vater oder Mutter etc Geschwister hinterlassen", als in seiner auf drei Viertel bezüglichen negativen Bestimmung: "wenn Vater oder Mutter weder etc Geschwister hinterlassen", die Abkömmlinge von Geschwistern nicht auf. Allein aus den L.R.S. 740. 750. 751. 753 ist der Wille des Gesetzes zu entnehmen, daß es auch in L.R.S. 757, wenngleich hier zunächst nur die Rechte des natürlichen Kindes geregelt werden sollten, unter dem Ausdrucke "Geschwister" (im französischen Texte "frères on seours") auch die Abkömmlinge derselben umfassen wollte, daß sonach nach dem Sprachgebrauche des Gesetzes in der Materie von der Erbregelung überhaupt der Ausdruck "Geschwister" ("frères ou soeurs") eine auch die Abkömmlinge von Geschwistern umfassende Bedeutung, und zwar auch dann haben sollte, wenn es sich im einzelnen Falle nicht um eine unmittelbare Anwendung des Repräsentationsrechtes selbst handelt. Damit stimmt auch die Entstehungsgeschichte des L.N.S. 757 (bezw. des Art. 757 Code civil) überein. In dieser Hinsicht ergiebt das Procés-Verbal du Conseil d'état der Sitzung vom 2. Nivose an XI (23. Dezember 1802) (bei Loeré, Legislation civile Bd. 10 S. 81 flg. abgedruckt):

Der dem Art. 757 Code civil korrespondierende Art. 43 des dem Staatsrate übergebenen Titels "des sucsessions" lautete:

"Si le père ou la mère a laissé des descendans legitimes, ce droit est d'un tiers de la portion héréditaire que l'enfant naturel aurait eue s'il eut été légitime; il est de la moitié lorsque les père ou mère ne laissent pas de descendans, mais bien des ascendans; il est des trois quarts, lorsque les père ou mère ne laissent ni descendans ni ascendans."

Es besagt nun das Protokoll:

"L'article 43 es discuté.
M. Malleville dit que les trois quarts de la portion héréditaire sont trop pour les enfans naturels, lorsqu' ils sont en concurrence avec les frères et soeurs du défunt; que d'ailleurs l'article n'est pas concordant avec la disposition qui règle le concours dans les successions, entre les ascendans et les frères.

Le consul Cambacérès propose de ne donner aux enfans naturels que la moitié de la portion héréditaire, quand il existe des frères et soeurs du défunt. L'article est adopté avec l'amendement du Consul."

Wenngleich nämlich hiernach in der Bemerkung Malleville's nicht besonders erwähnt wurde, er halte drei Viertel auch dann für zuviel für das uneheliche Kind, wenn neben demselben Abkömmlinge von Geschwistern vorhanden sind, und mich der sodann von dem Staatsrate angenommene Antrag von Cambacérés der Abkömmlinge von Geschwistern nicht gedenkt, so ist doch hieraus der Wille zu entnehmen, gegenüber dem dem Staatsrate vorgelegten Entwurfe des Art. 43 des Titels "des successions" eine mit den vorausgehenden Bestimmungen über das Erbrecht der gesetzlichen Erben mehr im Einklange stehende Bestimmung zu treffen. Es ist daher als Wille des Gesetzgebers auch anzunehmen, es habe derselbe mit der Annahme des Antrages von Cambacérés unter dem Ausdrucke "fréres et soeurs" auch Abkömmlinge von Geschwistern begriffen. ...

2.

Was die Frage betrifft, von wann an der Beklagte, Widerkläger, von dem ihm überhaupt gebührenden Nachlaßbetreffnisse Zinsen anzusprechen habe, so nimmt das Reichsgericht (ohne zu entscheiden, wie sich dies nach dem französischen Rechte verhalten würde) an, daß nach dem badischen Rechte das anerkannte natürliche Kind, falls es nur nach L.R.S. 757 (und zwar hierbei mit oder ohne Beschränkung im Sinne der L.R.S. 761. 761a) erbberechtigt ist, gegenüber den gesetzlichen Erben von dem ihm gebührenden Nachlaßbetreffnisse Früchte oder Zinsen erst vom Tage der gerichtlichen Anforderung an anzusprechen habe. Maßgebend hierfür ist, welchen rechtlichen Charakter nach badischem Rechte im Falle des L.R.S. 757 der Anspruch des anerkannten natürlichen Kindes auf den Nachlaß hat. In dieser Hinsicht kommen nun aber nicht etwa bloß Erläuterungen Brauer's - die für sich allein nicht entscheidend für die Gesetzesauslegung wären - in Betracht, sondern auch eine positive, nicht im französischen Gesetze enthaltene, gesetzliche Bestimmung, nämlich L.R.S. 757 a. Diese spezielle Bestimmung (wonach das anerkannte natürliche Kind in den Fällen des L.R.S. 757 bezüglich der Schuldenzahlung nicht die Verpflichtungen wie ein Erbteilnehmer [vgl. L.R.S. 1012] hat) ist nicht vereinbar mit einer solchen Rechtsauffassung, welche dem anerkannten natürlichen Kinde auch in den Fällen des 2.S.R. 757 die gleiche Stellung, wie einem gesetzlichen Erben lediglich mit der Abweichung, daß es nicht kraft Gesetzes in die Gewähr der Güter des Verstorbenen eintritt, gewährt. Sie ist vielmehr ein Ausfluß der Auffassung, daß in den Fällen des L.R.S. 757 das anerkannte natürliche Kind (wenn auch sein Anspruch bezüglich der Bemessung der Höhe desselben erbartig ist) bezüglich seines Anspruches an die gesetzlichen Erben diesen nicht als ein Miterbe mit einem Anspruche auf einen Erbteil, sondern wie ein Gläubiger mit einem schuldartigen Ansprüche gegenübersteht. Diese, im L.R.S. 757 a mittels einer ausdrücklichen gesetzlichen Folgerung zum Ausdrucke gelangte Auffassung von der Stellung des anerkannten natürlichen Kindes zu den gesetzlichen Erben im Falle des L.R.S. 757 ist denn auch in Brauer's Erläuterungen Bd. 2 S. 144/45. S. 146/47 (zu Satz 757). S. 153/56 (zu Zusatz 757a). S. 157 (über Satz 758) deutlich ausgesprochen. Steht aber nach badischem Rechte dem anerkannten natürlichen Kinde in den Fällen des L.R.S. 757 an die gesetzlichen Erben nicht ein Anspruch auf einen Erbteil als solchen, sondern nur ein schuldartiger Anspruch zu, so kann seine Befugnis bezüglich des Genusses von Früchten und Zinsen gegenüber den gesetzlichen Erben jedenfalls nicht günstiger sein, als jene eines Erbstücknehmers nach L.R.S. 1014. Sein Recht auf Früchte und Zinsen gegenüber den gesetzlichen Erben kann vielmehr erst von dem Tage der gerichtlichen Anforderung des nach dem Obigen schuldartigen Einspruches beginnen." ...