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RG, 07.02.1889 - VI 305/88

Daten
Fall: 
Beschränkung der Arbeit jugendlicher Personen
Fundstellen: 
RGZ 23, 34
Gericht: 
Reichsgericht
Datum: 
07.02.1889
Aktenzeichen: 
VI 305/88
Entscheidungstyp: 
Urteil
Instanzen: 
  • Landgericht Duisburg
  • Oberlandesgericht Hamm

Enthalten die Vorschriften der §§. 135. 136 R.Gew.O. (neue Fassung) über die Beschränkung der Arbeit jugendlicher Personen im Sinne des §. 26 A.L.R. I. 6 Polizeigesetze, welche auf die Verhütung von Beschädigung durch Unfälle abzielen?

Gründe

"In der Nacht zum 7. Dezember 1884 ist dem 15jährigen Kläger bei der Arbeit in der Fabrik der Beklagten, als eine schwere heiße Eisenplatte an eine dazu bestimmte Stütze gelehnt werden sollte, der rechte Fuß dadurch verletzt, daß die Platte umfiel.

Der Berufungsrichter hält den auf Ersatz des entstandenen und künftig entstehenden Schadens ohne Substanziierung seines Betrages gerichteten Klagantrag für unzulässig, weil nach dem Beschlusse der vereinigten Civilsenate des Reichsgerichtes vom 28. Juni 18861 eine solche Beschränkung desselben durch ein rechtliches Interesse des Klägers an derselben bedingt sei," (Nachdem das Zutreffen dieser Voraussetzung dargelegt ist,2 heißt es weiter):

"Der Klaganspruch stützt sich auf ein angebliches Verschulden der Beklagten, welches daraus hergeleitet wird, daß ... der Kläger zur Arbeit bei Nacht wegen seiner Jugend ungeeignet gewesen sei."

Der Berufungsrichter hält ihn für unbegründet, indem er ausführt:
Es sei nicht ersichtlich, daß der Unfall unterblieben sein würde, wenn die Arbeit bei Tage ausgeführt und Kläger älter gewesen wäre. Bei einer Übertretung der Vorschriften der §§. 135. 136. 139 Gew.O. über die Beschäftigung jugendlicher Arbeiter, insbesondere des Verbotes der Nachtarbeit derselben, finde die Vermutung des §. 26 A.L.R. I. 6 keine Anwendung, weil jene nicht den Schutz gegen Unfälle bezwecken, sondern nur im Interesse einer gesunden körperlichen und geistigen Entwicklung des jugendlichen Arbeiterpersonales gegeben seien. Die bloße Thatsache, daß der Kläger den Unfall nicht erlitten hätte, wenn er in der fraglichen Nacht nicht in der Fabrik gewesen wäre, stelle auch den ursächlichen Zusammenhang von Schuld und Schaden ebensowenig her, wie derselbe nicht angenommen werden dürfte, wenn sich jemand infolge der Fahrlässigkeit eines Anderen an einem Orte befände, wo er nicht sein sollte und wo er zufällig ohne die Möglichkeit, dieses vorauszusehen, vom Blitz getroffen würde.

Der §. 26 a. a. O. ist hierbei durch Nichtanwendung verletzt.

Nach §. 25 daselbst hat, wer sich in der Ausübung einer unerlaubten Handlung befand, die Vermutung wider sich, daß ein bei solcher Gelegenheit entstandener Schaden durch seine Schuld verursacht sei. Er haftet daher für denselben, wenn er diese Vermutung des ursächlichen Zusammenhanges von Schuld und Schaden nicht widerlegen kann (vgl. das Marginale zu §§. 24 flg.).

Eine Anwendung dieser rechtlichen Vermutung enthält der gedachte §. 26, wenn er bestimmt, daß "insonderheit", wer ein auf Schadensverhütungen abzielendes Polizeigesetz vernachlässigt, d. h. schuldhaft übertritt, für allen Schaden, welcher durch die Beobachtung des Gesetzes hätte vermieden werden können, ebenso haften muß, als wenn derselbe aus seiner Handlung unmittelbar entstanden Ware.

Auch die Bestimmungen der Gewerbeordnung, welche den Gewerbetreibenden die unbeschränkte Verwendung jugendlicher Arbeiter bei Strafe untersagen, enthalten nun aber Polizeigesetze, welche auf Schadensverhütung abzielen; denn, wie der Berufungsrichter selbst nicht verkennt, sollen sie jene Personen gegen diejenigen Schäden schützen, welche in deren ungenügender physischer und geistiger Entwickelung ihren Grund haben und in der Hemmung dieser Entwickelung bestehen.

Die Annahme, daß hierzu Beschädigungen durch Unfälle niemals zu rechnen seien, rechtfertigt sich nicht, da gerade diese sowohl in der ungenügenden Entwickelung, insbesondere in der damit verbundenen leichteren Ermüdung jugendlicher Personen ihre Entstehungsursache, als auch die Wirkung haben können, daß deren weitere Entwickelung beschränkt oder vollständig ausgeschlossen wird.

Zu einer engeren Auffassung des Zweckes der erwähnten Bestimmungen, wonach der Schutz gegen Unfälle bei denselben nicht ins Auge gefaßt sein soll, giebt weder deren Inhalt, noch ihr Zusammenhang Anlaß.

Schon der §. 136 der preußischen Gewerbeordnung vom 17. Januar 1845 verpflichtete die Polizeibehörden, darauf zu achten, daß bei Beschäftigung der Gesellen, Gehilfen und Lehrlinge Rücksicht auf Gesundheit und Sittlichkeit genommen werde.

Alls der hier ganz allgemein vorgeschriebenen Berücksichtigung der Gesundheit der bezeichneten Personen folgte von selbst, daß deren Beschäftigung bei Nacht wegen der damit verbundenen größeren Gefahr von Unfällen polizeilich verboten werden konnte.

Die Reichsgewerbeordnung vom 21. Juni 1869 enthielt im §. 106 dieselbe Vorschrift, dehnte sie durch §. 127 auf Fabrikarbeiter aus und verband unmittelbar hiermit in den §§. 128 flg. die Verbote bezüglich der Beschäftigung von Fabrikarbeitern unter 16 Jahren, indem sie namentlich im §. 129 Abs. 2 bestimmte, daß deren Arbeitsstunden nicht vor 5 1/2 Uhr morgens beginnen und nicht über 8 1/2 Uhr abends dauern dürfen, also die Nachtarbeit jugendlicher Personen schlechthin, untersagte.

Daß diese gesetzlichen Verbote die letzteren in gleichem Umfange gegen die Gefahr von Beschädigungen schützen sollten, wie die schon früher zulässigen polizeilichen Verbote, läßt sich nicht in Zweifel ziehen.

Auch die Regierungsmotive zur Reichsgewerbeordnung wiesen hierauf durch die Bemerkung hin, daß die Bestimmungen über die Beschäftigung jugendlicher Arbeiter in den Fabriken im wesentlichen die in Preußen geltenden betreffenden Gesetze repräsentieren, vgl. Drucks. des Reichstages, I. Legislaturperiode 1869, Nr. 13 S. 84, wobei eben vorzugsweise an den erwähnten §. 108 der preußischen Gewerbeordnung zu denken ist.

Das preußische Obertribunal erklärte die gedachten Bestimmungen der Reichsgewerbeordnung auch für anwendbar auf Lehrlinge, welche in Fabriken arbeiten, und äußerte sich hierbei gleichfalls allgemein dahin: Dieselben bezwecken, den Schädlichkeiten für Körper und Geist zu begegnen, welche mit der Beschäftigung und rücksichtslosen Ausbeutung jugendlicher Arbeiter erfahrungsmäßig verbunden seien.

Alle nachteiligen Einflüsse, welche eine ungenügende Rücksichtnahme auf die noch unvollendete physische Entwickelung und geistige Ausbildung des jugendlichen Arbeiters mit sich führen, machen sich einem Lehrlinge gegenüber in gleichem Maße geltend, wie bei den sonstigen in der Fabrik beschäftigten jungen Leuten.3

Der §. 136 des Reichsgesetzes vom 17. Juli 1878, betreffend die Abänderung der Gewerbeordnung, welcher auf den vorliegenden Fall Anwendung findet, wiederholt das Verbot der Nachtarbeit jugendlicher Fabrikarbeiter ohne besondere Motivierung, und erscheint nach dem Vorstehenden auch dessen Zweck, die letzteren vor allen Schädlichkeiten zu schützen, welche aus derselben entstehen können, nicht zweifelhaft.

Daß der Unfall des Klägers nicht eingetreten sein würde, wenn die fragliche Arbeit bei Tage vorgenommen, oder wenn Kläger über 16 Jahre alt gewesen wäre, ist demzufolge, da die Beklagte das Verbot des §. 136 des letztgedachten Gesetzes unbestritten vernachlässigt hat, nach §. 26 A.L.R. I. 6 zu vermuten.

Gegen die Anwendbarkeit dieser Vorschrift läßt sich auch nicht einwenden, daß der §. 25 daselbst zutreffe, weil die Übertretung des mehrerwähnten Verbotes die "Ausübung einer unerlaubten Handlung" im Sinne dieser Bestimmung enthalte. Denn, so richtig letzteres ist, so fällt die gedachte Übertretung doch zugleich unter den Begriff der im §. 26 bezeichneten Vernachlässigung eines Polizeigesetzes, da dieser Begriff nicht auf bloße Unterlassungen zu beschränken ist. Der §. 26 enthält eben, wie schon hervorgehoben, nur eine besondere Anwendung des §. 25.

Inwieweit ein Gegenbeweis gegen die rechtliche Vermutung des §. 26 zulässig gewesen wäre, kann unerörtert bleiben, da ein solcher von der Beklagten überhaupt nicht unternommen ist.

Aus den obigen Gründen mußte die Beklagte, unter Aufhebung des Berufungsurteiles, in Gemäßheit der letztgedachten Vorschrift für verpflichtet erklärt werden, dem Kläger allen Schaden zu ersetzen, welcher ihm durch die erlittene Körperverletzung entstanden ist und ferner entstehen wird."

  • 1. vgl. Entsch. des R.G.'s in Civils. Bd. 21 S. 382.
  • 2. Vgl. das unter Prozeßrecht abgedruckte Urteil des VI. Civilsenates vom 18. Februar 1889 i. S. M. w. Straßeneisenbahnaktiengesellschaft zu Sch. Rep. VI. 313/88. D. E.
  • 3. Vgl. Entsch. des Obertrib. Bd. 72 S. 431 flg.