RG, 10.10.1884 - III 180/84
Kann die Anfechtung auf Grund des §. 3 Ziff. 2 des Gesetzes vom 21. Juli 1879 auch dann erfolgen, wenn das betreffende Rechtsgeschäft nicht von dem Schuldner persönlich mit einem der dort benannten Verwandten desselben, sondern von einem gesetzlichen Vertreter des Schuldners abgeschlossen ist?
Tatbestand
Für den im Herbste 1880 verschollenen Schiffer J. K. wurde der Wirtschafter R. zum Abwesenheitsvormund bestellt. Am 18. April 1881 wurde die Leiche des J. K. in der Svante aufgefunden. Die Vormundschaft wurde erst im Herbste 1881 aufgehoben, weil erst zu dieser Zeit dem Vormundschaftsgerichte der Tod des J. K. angezeigt wurde. In einer Schuldurkunde vom 16. April 1881 erkannte der Vormund des J. K. eine Forderung des jetzigen Beklagten, des Kossäten J. B., des Schwiegervaters des J. K., gegen diesen seinen Mündel im Betrage von 4500 M an, verpfändete für diese Forderung das dem J. K. gehörige Schonerschiff "Hellmuth" und beantragte bei dem Amtsgerichte zu Stralsund die Eintragung des Pfandrechtes in das Schiffsregister. Die Eintragung erfolgte am 20. April 1881.
Der Kläger klagte gegen die Erben des J. K., dessen Witwe und Sohn, im Jahre 1882 eine Forderung im Betrage von 3029 M aus einem dem Erblasser derselben J. K. im Jahre 1879 gegebenen Darlehn ein und erwirkte ein die Beklagten zur Zahlung verurteilendes Erkenntnis. Die versuchte Beitreibung der Forderung im Wege der Zwangsvollstreckung blieb erfolglos. Zum Zwecke seiner Befriedigung hat der Kläger nun das Schuldbekenntnis vom 16. April 1881, sowie die Pfandbestellung für diese Forderung auf Grund der Vorschriften in §. 3 Ziff. 1. 2. 3 des Gesetzes vom 21. Juli 1879 angefochten.
Das Landgericht hat die Klage abgewiesen, weil es angenommen hat, daß keine Rechtshandlung des Schuldners J. K. im Sinne des Anfechtungsgesetzes vorliege. Es geht zwar davon aus, daß es gleichgültig sei, ob der Schuldner bei dieser Rechtshandlung persönlich thätig gewesen sei, oder ob ein Vertreter für ihn gehandelt habe; es findet aber in der Ausstellung des Schuldbekenntnisses vom 16. April 1881 eine solche Rechtshandlung nicht, weil dieselbe lediglich die Bedeutung eines Beweismittels habe, und der Antrag auf Eintragung der bestellten Hypothek an dem Schonerschiffe könne als Rechtshandlung des J. K. deshalb nicht angesehen und behandelt werden, weil derselbe nicht vor dem 16. April 1881 gestellt sein könne, der Schuldner J. K. aber schon vor dem 16. April tot gewesen sei. Mit dem Augenblicke seines Todes habe die über ihn eingeleitete Vormundschaft aufgehört, und wenn der Vormund R. trotzdem noch nach dem Tode des J. K. als dessen Vertreter gehandelt habe, so könnten die von ihm vorgenommenen Rechtshandlungen als solche des Schuldners J. K. nicht angesehen werden.
Auf Berufung des Klägers hob das Oberlandesgericht dieses Urteil auf und erkannte nach dem Klagantrage. Es nahm an, daß sowohl die Ausstellung der Schuldurkunde vom 16. April 1881, welche nicht bloß die Bedeutung eines Beweismittels habe, als auch der Antrag auf Eintragung der Hypothek anfechtbare Rechtshandlungen und daß die Voraussetzungen des §. 3 Ziff. 2 des Anfechtungsgesetzes gegeben seien.
Die von dem Beklagten eingelegte Revision wurde zurückgewiesen aus folgenden Gründen.
Gründe
"Das Berufungsgericht hat zunächst die Ausführungen des Landgerichtes, daß die angefochtenen Rechtshandlungen, die Ausstellung der Schuldurkunde vom 16. April 1881 und der Antrag auf Eintragung der in dieser bestellten Hypothek in das Schiffsregister, nicht als Rechtshandlungen des Schuldners K. im Sinne des Anfechtungsgesetzes anzusehen seien, weil sie von dessen Vormunde R. zu einer Zeit vorgenommen worden seien, zu welcher K. bereits verstorben gewesen sei, mit Recht als unzutreffend verworfen. Wenn auch, wie beide Vorderrichter annehmen, K. bereits am 16. April 1881 tot war, so folgt daraus doch nicht, wie das Landgericht annimmt, daß alle nach diesem Zeitpunkte von dessen Abwesenheitsvormunde für ihn vorgenommenen Rechtshandlungen unwirksam wären. Abwesende Großjährige erhalten nach §. 82 der Vormundschaftsordnung vom 5. Juli 1875 einen Vormund, wenn ihr Aufenthaltsort unbekannt ist oder wenn sie an ihrer Rückkehr, sowie an der Besorgung ihrer Vermögensangelegenheiten verhindert sind, also obwohl und weil es unbekannt ist, ob sie noch leben. Die Legitimation des Vormundes zur Vertretung des Abwesenden bei seinen Vermögensangelegenheiten ist in ihrer Rechtswirksamkeit nicht davon abhängig, daß nicht nach Anordnung der Vormundschaft festgestellt wird, es sei der Tod des Abwesenden schon vor Abschluß des Rechtsgeschäftes oder sogar schon vor seiner Bestellung als Vormund eingetreten gewesen. Für den vorliegenden Fall ist aber vollends jeder Zweifel darüber ausgeschlossen, daß durch den vor dem 16. April 1881 eingetretenen Tod des K. die Rechtsgültigkeit der an diesem Tage bezw. vor dem 20. April 1881 von seinem Vormunde für ihn vorgenommenen Rechtshandlungen nicht in Frage gestellt werden kann, da der Berufungsrichter feststellt, daß die Konstatierung des Todes des K. erst nach dem 20. April 1881 erfolgt sei, und daß der auf Rügen wohnende Vormund R. erst nach dem 20. April von dem Tode des K. Kenntnis erhalten habe, ferner, daß angenommen werden müsse, der Beklagte habe in gutem Glauben über die Fortdauer der Vormundschaft mit dem Vormunde des K. die fraglichen Rechtsgeschäfte abgeschlossen.
Die Anfechtbarkeit dieser Rechtsgeschäfte auf Grund der Vorschriften im §. 3 Ziff. 2 des Reichsgesetzes vom 21. Juli 1879 wird auch nicht, wie der Revisionskläger annimmt, dadurch ausgeschlossen, daß dieselben nicht zwischen dem Schuldner K. persönlich und seinem Schwiegervater, dem Beklagten, abgeschlossen sind, sondern, daß für den abwesenden Schuldner K. dessen Vormund R. gehandelt hat. Denn die diesem Angriffe zu Grunde liegende Ansicht, daß die Vorschrift im §. 3 Ziff. 2 a. a. O. nur zur Anwendung kommen könne, wenn ein Verwandter mit seinem Verwandten, nicht wenn ein gesetzlicher Vertreter des Schuldners mit einem Verwandten desselben kontrahiert habe, kann für richtig nicht erachtet werden. Die von einem gesetzlichen Vertreter für den Vertretenen abgeschlossenen Rechtsgeschäfte und die für denselben vorgenommenen Rechtshandlungen sind so anzusehen, als ob sie von dem Vertretenen selbst abgeschlossen und vorgenommen wären, und müssen daher auch im Sinne des §. 3 Ziff. 2 a. a. O. als Verträge und Rechtshandlungen des Schuldners betrachtet werden. Wenn auch die Vorschrift, daß in den Fällen des §. 3 Ziff. 2 a. a. O. von dem Anfechtungskläger nicht der Beweis zu erbringen sei, daß der Verwandte, welcher mit dem Schuldner einen die Gläubiger benachteiligenden, entgeltlichen Vertrag abgeschlossen hat, von der Absicht des Schuldners, seine Gläubiger zu benachteiligen, Kenntnis gehabt habe, sondern die Fraudulosität und Anfechtbarkeit des Vertrages angenommen wird, sofern der mit dem Schuldner kontrahierende Verwandte desselben nicht beweist, daß ihm zur Zeit des Vertragsabschlusses eine Absicht des Schuldners, die Gläubiger zu benachteiligen, nicht bekannt gewesen sei, darin ihren Grund hat, daß erfahrungsmäßig die Verträge zahlungsunfähiger Schuldner mit ihren nahen Verwandten in der Regel als betrügerische sich erwiesen haben, so kann doch daraus, daß zwischen dem gesetzlichen Vertreter des Schuldners und dem Mitkontrahenten ein solches Verwandtschaftsverhältnis, wie es im §. 3 Ziff. 2 a. a. O. vorausgesetzt wird, nicht besteht (was übrigens im vorliegenden Falle nicht einmal zutrifft, da der Vormund des K., R. ein Enkelsohn des Beklagten ist), nicht gefolgert werden, daß die der Vorschrift im §. 3 Ziff. 2 zu Grunde liegende Rechtsvermutung der Fraudulosität des Vertrages und der Kenntnis derselben auf seiten des Mitkontrahenten nicht Platz greife. Das Gesetz hat nur das Verwandtschaftsverhältnis derjenigen, zwischen denen das Rechtsgeschäft abgeschlossen ist, ins Auge gefaßt und damit, daß es keine besonderen Bestimmungen für den Fall getroffen hat, daß für einen der Kontrahenten ein gesetzlicher Vertreter gehandelt hat, zu erkennen gegeben, daß nur das Verwandtschafts- oder Schwägerschaftsverhältnis der Kontrahenten zu einander die Voraussetzung der dem §. 3 zu Grunde liegenden Rechtsvermutung bilde." ...
(Die Frage, ob, wie das Oberlandesgericht angenommen hatte, die Anwendbarkeit der Vorschriften im §. 3 Ziff. 2 a. a. O. im Falle der Anfechtung eines zwischen dem Schuldner und einem Verwandten seines Ehegatten abgeschlossenen Rechtsgeschäftes voraussetze, daß dieses Rechtsgeschäft während des Bestehens der Ehe abgeschlossen worden, ist nach Lage der Sache nicht beantwortet.)